letzte Änderung am 6. Sept. 2002

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Antragsteller: Ulrich Peter (Fachgruppenvorsitzender Kirchen Berlin ,und Mitglied Fachbereichsvorstand 03 Berlin-Brandenburg) und KollegInnen

Die Bezirksfachbereichskonferenz Gesundheit möge beschließen und als Antrag an Bezirkskonferenz Berlin und Landesbezirkskonferenz Berlin-Brandenburg weiterleiten.
(bei wenigen Enthaltungen angenommen von der Fachbereichskonferenz Gesundheit des ver.di-Bezirks Berlin am 31.8.2002)

"Stellungnahme zu den Ergebnissen der Hartz-Kommission und den Konsequenzen für unsere gewerkschaftliche Arbeit."

"Der Bericht ist nicht ganz aus Gold, aber er trägt unsere Handschrift". So wurde das ver.di-Bundesvorstandsmitglied Isolde Kunkel-Weber am 26.8.02 anlässlich der Präsentation des Berichtes der Hartz-Kommission zitiert.

In der 15-köpfigen Expertengruppe von Hartz saßen neben Isolde Kunkel-Weber und dem IGM-Gewerkschafter Gasse fast ausschließlich Kapitalvertreter, so drei Repräsentanten von Consulting- Firmen darunter Mc Kinsey & Co. Hans-Eberhardt Schleyer, Sohn des damaligen Arbeitgeberpräsidenten Hans-Martin, war als Vorsitzender des Zentralverbands des Deutschen Handwerks dabei. Daimler-Chrysler, BASF und Deutsche Bank entsandten ebenso Fachleute. Von den Arbeitsloseninitiativen war selbstredend niemand zur Beteiligung eingeladen.

Was kam bei Hartz heraus? Ist Isolde Kunkel-Webers Sicht der Dinge zutreffend?

"Ich halte diese Form, einen Arbeitslosen in den ersten sechs Monaten zum Arbeitslosengeld auszuleihen, für eine moderne Form der Zwangsarbeit" (So der letzte IG Medien-Chef Detlef Hensche zum Modul 8 "PSA", welches Hartz als das "Herzstück" des Abschlußberichtes bezeichnet.)

Die konfessionellen Sozialverbände Caritas und Diakonie wie unisono die Initiativgruppen der Arbeitslosen und der Sozialhilfebezieher lehnen die Vorschläge des Hartz-Berichtes als unsozial ab, während in der Öffentlichkeit der Eindruck vermittelt wird, es herrsche bei den Gewerkschaften Begeisterung über das Hartzsche Konzept vor. Dabei widersprechen diese Ergebnisse in zentralen Punkten der Beschlusslage unserer Gewerkschaft ver.di und auch des DGB. Dass die ver.di-Landesbezirke Bayern und NRW sich zum Hartz-Ergebnis ablehnend positioniert haben, wie dies analog auch eine Vielzahl von Bezirken und Fachbereichen getan haben, wird nicht registriert.

Dagegen registrieren viele der Noch-Beschäftigten, dass ihre soziale Absicherung weiter zur Disposition gestellt wird, dass vom Kampf gegen die Arbeitslosigkeit und für Vollbeschäftigung nur noch Hartzer Käse übrig geblieben ist. In den Gesprächen am Arbeitsplatz, mit den organisierten wie den unorganisierten Kolleginnen und Kollegen, nimmt Hartz einen großen Platz ein. Gerade bei den Kolleginnen und Kollegen, die sich perspektivisch von Arbeitslosigkeit bedroht sehen, und das sind im Gesundheitsbereich viele, wächst das Gefühl, von ihrer Gewerkschaft abgemeldet zu werden. Perspektivlosigkeit und Austritte werden die Folge sein. Eine Ich-AG braucht keine Gewerkschaft!

Die Pläne der Hartz-Kommission sind ein weiterer, großer Schritt in ´Richtung Neo-Liberalismus. Einige Schlaglichter:

Ergebnis: Das Hartz-Konzept wird eine weitere Abwärtsspirale für Beschäftigte und Arbeitslose in Gang setzen und ist in seiner Grundausrichtung für die Gewerkschaft ver.di als Interessensvertretung erwerbstätiger und erwerbsloser Lohnabhängiger nicht akzeptabel. Eine Übernahme dieser Positionen wird die Gewerkschaftsbewegung weiter in die Defensive drängen und zu weiterem Bedeutungs- und Mitgliederverlust führen. Wir verlangen nicht mehr und nicht weniger, als dass unsere Gewerkschaft konsequent die Interessen der Beschäftigten und Arbeitslosen vertritt - ohne politische und wahltaktische Rücksichtnahme!

Begründung:

Es gibt in unserer Organisation mittlerweile eine kaum noch zu überblickende Zahl von Hartz-kritischen Stellungnahmen. (Viele sind zu finden im Internet unter http://www.labournet.de)

Was wir als Begründung nennen würden, hat der ver.di-Landesvorstand Bayern mit breiter Mehrheit (eine Gegenstimme und eine Enthaltung) formuliert. Sie spricht für sich selbst.

Zeiten, in denen ein Bundestagswahlkampf und eine wieder steigende Arbeitslosigkeit zusammen fallen, erzeugen offensichtlich arbeitsmarktpolitische Patent- und Primitivrezepte. So ist auch das Versprechen der Hartz-Kommission, die Arbeitslosigkeit bis 2005 zu halbieren – von rund 4 Mio. auf knapp unter 2 Mio. registrierte Arbeitslose – zu erklären.

Diese Halbierung der Arbeitslosigkeit lässt sich in einer Intensivierung und Beschleunigung der Vermittlung der Arbeitslosen in Arbeitsplätze nicht realisieren. Im Mai 2002 standen 4,043 Mio. registrierte Arbeitslosen 468 Tsd. offene Stellen gegenüber. Die in der Debatte um die Pläne der Hartz-Kommission genannte Zahl von 1,5 Mio. offenen Arbeitsplätzen ist eine Phantomzahl. Ein rundes Drittel davon ist nur durch Fluktuation (Wechsel von Arbeitsplatz zu anderen Arbeitsplätzen mit kurzfristiger Nichtbesetzung) zu erklären. Ein weiteres Drittel ist hochqualifizierten und hoch leistungsfähigen Arbeitnehmern vorbehalten, zielt also nicht auf die registrierten Arbeitslosen. Das Versprechen der Hartz-Kommission ist bei seriöser Betrachtung des Arbeitsmarktes völlig haltlos.

Eine Halbierung der Arbeitslosigkeit wird nur möglich sein, wenn die Zahl der angebotenen Arbeitsplätze kräftig steigt. Das geht aber nicht über eine Intensivierung der Vermittlung, sondern nur über eine andere makroökonomische Politik, d.h. über expansive Finanzpolitik des Staates und eine expansive Geldpolitik (d.h. Senkung der Leitzinsen) der Zentralbank. Dieser Kurswechsel in der makroökonomischen Flankierung von Arbeitsmarktpolitik wird von Rot-Grün ebenso wie im Konzept von Stoiber und Späth ausdrücklich nicht angestrebt.

In einer Reihe von Vorschlägen sind sich Vertreter der Hartz-Kommission und Stoiber und Späth in den Grundzügen einig. Das betrifft die weitere Verschärfung der Zumutbarkeitsregeln und die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe. Gemeinsam ist beiden Konzepten der verstärkte Druck auf den bereits existierenden Niedriglohnsektor. Damit wird die tarifpolitische Handlungsfähigkeit der Gewerkschaften direkt geschwächt.

Beide Vorschläge sind von der neoliberalen Sicht, dass die Verantwortung für Beschäftigung beim Arbeitsmarkt liege, geprägt. Diese Sicht ist falsch:

Wenn makroökonomisch nichts für einen höheren Beschäftigungsgrad getan wird, wirkt die weitere Deregulierung und Flexibilisierung des Arbeitsmarktes nur in Richtung einer weiteren Erosion der Rechtsposition der Arbeitslosen. Sie gefährdet zudem die Beschäftigungschancen im Niedriglohnsektor, da damit zu rechnen ist, dass regulär Beschäftigte durch subventionierte und erzwungene Leiharbeit verdrängt werden. Angesichts dieser Risiken ist die Reaktion des DGB auf die Vorschläge der Hartz-Kommission sachlich nicht begründbar. Der ver.di Landesbezirk Bayern lehnt die Vorschläge der Hartz-Kommission ab.

Im Gegensatz dazu orientiert sich ver.di Bayern an folgenden Grundsätzen der Arbeitspolitik:

Der Grundsatz "Arbeit statt Arbeitslosigkeit finanzieren" wird in der politischen Debatte vielfach dahingehend fehlinterpretiert, die passiven Leistungen zu Lasten der Betroffenen zu kürzen. Angesichts der bestehenden Arbeitsplatzlücke liegt das Problem offensichtlich nicht in der angeblichen Arbeitsunwilligkeit der Betroffenen. Passive Leistungen tragen dazu bei, das heutige Lohnniveau zu halten. Sie ermöglichen soziale Sicherung und sind eine wesentliche Grundlage für die erfolgreiche Arbeitsplatzsuche. Konkret bedeutet dies: Die bestehenden Leistungen dürfen nicht nur nicht noch weiter reduziert werden, sondern müssen um eine armutsfeste Mindestsicherung ergänzt werden. Leistungskürzungen der vergangenen Jahre - wie Abschaffung der originären Arbeitslosenhilfe oder die jährlich stattfindende Herabbemessung der Arbeitslosenhilfe um 3 % müssen zurück genommen werden.

Die passiven Leistungen stellen gleichzeitig auch die Basis für die Qualität der aktiven Arbeitsmarktpolitik dar. Sie bieten einen Anreiz für die Arbeitsämter, den Betroffenen eine attraktive arbeitsmarktpolitische Maßnahme vorzuschlagen. Die bestehenden passiven Leistungen dürfen auch aus diesem Gesichtspunkt nicht noch weiter reduziert werden.

Die Beitragsfinanzierung als Grundlage der Arbeitslosenversicherung ist alleine schon aus verteilungspolitischen Gründen aufrecht zu erhalten. Um die Einheit von aktiven und passiven Leistungen nicht zu zerstören, ist eine Aufteilung zwischen beitragsfinanzierter Lohnersatzleistung einerseits und steuerfinanzierter aktiver Arbeitsmarktpolitik andererseits zu vermeiden. Allerdings muss die Beitragsfinanzierung durch steuerfinanzierte Mittel ergänzt werden, um die Ausgleichsfunktion zwischen den Regionen nicht nur den Beitragszahlern aufzubürden und um eine antizyklische Arbeitsmarktpolitik betreiben zu können.

Die Beitragsfinanzierung sollte durch einen regelgebundenen steuerfinanzierten Bundeszuschuss ergänzt werden, dessen Höhe sich an der Höhe der Arbeitslosenzahl bemisst. Weiterhin ist über den Weg einer Arbeitsmarktabgabe die Einbeziehung der Beamten und Selbständigen in das Finanzierungssystem zu realisieren. Letzteres gerade auch vor dem Hintergrund, dass die aktuelle Arbeitsmarktpolitik instrumentell "neue Selbständigkeit" als erfolgversprechenden Ausstieg aus der Arbeitslosigkeit favorisiert.

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