"Das Zutrauen zum Sozialdemokraten Schröder ist auf einen Tiefpunkt gefallen", meldet das CDU-nahe Allensbacher Institut in der Frankfurter Allgemeinen vom 18. August 1999: "Kaum aufgebrochen in eine neue, von sozialdemokratischen Ideen geprägte Ära", glaube "die Mehrheit nun, lediglich Zeuge eines kurzen politischen Zwischenspiels zu sein". Noch vor Monaten seien die Rücknahme von sozial-po-litischen Verschlechterungen der Kohl-Regierung "von der überwältigenden Mehrheit begrüßt" und "den weiteren Maßnahmen ... hoffnungsvoll entgegen" gesehen worden. Dann jedoch "verfielen die Sympathien für die Regierung rasch". Und bei Gerhard Schröder "schwindet die Ausstrahlung von Zuversicht, Erfolg und Popularität".
Sind dies alles nur fromme Wünsche der politischen Gegenspieler von rechts, oder hat die Bundesregierung ihre Wählerinnen und Wähler tatsächlich innerhalb weniger Monate enttäuscht? Mag sein, daß die vom Bundeskanzler besonders umworbene "neue Mitte" anders denkt. Doch viele abhängig Beschäftigte sehen häufig schon nicht mehr die Unterschiede der Politik der heutigen Regierung zu der von Helmut Kohl. Ihr Wunsch nach einem grundlegenden Politikwechsel blieb nicht nur unerfüllt, nicht wenige fürchten sogar, daß die sozialen und Arbeitsrechte heutzutage in viel größerem Tempo abgebaut werden (sollen) als zu Zeiten der CDU/FDP-Regierung. Was nämlich gemeinhin als diesjähriges "Sommertheater" abgehandelt wird, offenbart Pläne der SPD-Grünen-Koaliton für eine Entwicklungsrichtung, die stark an die schlimmsten Kohlschen Zeiten erinnert.
Da feilte Bundesfinanzminister Hans Eichel wei-ter an seinem 30-Milliarden-Kürzungsprogramm. SPD-Fraktionschef Struck hat eine Vereinfachung des Steuersystems - genauer: weitere Steuerge-schenke an die Unternehmer - "für die Zukunft angedacht". Gesundheitsministerin Fischer verspricht sich mit der "Festsetzung eines Globalbudgets" bei Medikamenten das Allheilmittel gegen die steigenden Kosten im Gesundheitsbereich; die damit verbundene zusätzliche Belastung der Kranken wird dabei offenbar ausgeblendet. Der SPD-Abgeordnete Reinhard Schultz dachte laut darüber nach, daß es keinen Grund mehr gebe, die Steuern auf Dieselkraftstoff nicht drastisch anzuheben. Und schließlich verkündete die stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Sabine Kaspereit, im Herbst dieses Jahres könnten die Ladenöffnungszeiten an Werktagen bis 22 Uhr gesetzlich festgeschrieben werden.
Sind solche Äußerungen und Vorhaben nur "Spinnereien" der heißen Jahreszeit oder verbergen sich dahinter neue Angriffe auf die Lebens- und Arbeitsbedingungen der abhängig Beschäftigten? Es ist zu befürchten, daß jetzt die enormen finanziellen Belastungen des Krieges auf die Schultern der arbeitenden und erwerbslosen Menschen abgewälzt werden sollen. Die DGB-Gewerkschaften als deren Interessenvertretung müssen einer solchen Entwicklung nicht nur widersprechen, sie haben auch ihren Einfluß und - wenn notwendig - ihre organisatorische Stärke für eine Veränderung des politischen Kurses der Regierung einzusetzen. Breite Bündnisse gegen den Kahlschlag sozialer und Arbeitsrechte sind dabei keine Frage der politischen Konjunktur, sondern immer dann eine dringende Aufgabe, wenn die Regierenden - einerlei welches Parteibuch sie besitzen - den Arbeitenden und Erwerbslosen das "Fell über die Ohren ziehen" möchten.
Quelle: IMPULS - Informationen für Aktive Nr. 58 vom 20. August 1999 Herausgeber: IG Medien Bezirk Wiesbaden, Wellritzstraße 49, 65183 Wiesbaden, Telefon 0611/405187, Telefax 0611/409723