Erzwungene Arbeitseinsätze für Bezieher und Bezieherinnen sozialer Leistungen sind inzwi-schen zum festen Bestandteil des sozialen Sicherungssystems geworden. Sie wurden in den letzten Jahren, wie selbstverständlich, Teil arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen, und immer neue Varianten kommen hinzu. Die hohe Akzeptanz, auch in der Bevölkerung, zeigte sich zuletzt in einer Umfrage im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung, die im August 1998 erschienen ist: danach gilt den Befragten als wichtigste "Maßnahme zur Sicherung des Sozialstaats" die erzwungene Arbeit für Erwerbslose und SozialhilfebezieherInnen . Der Ausbau dieser Maßnahmen wird gegenwärtig vorangetrieben, wobei sich immer auch auf die Zwangsmaßnahmen in anderen europäischen Staaten und den USA berufen wird, die mehr oder weniger als Vorreiter und Orientierungsgröße gelten.
Mit Arbeitszwang ist hier gemeint: der staatlich organisierte Zwang zu Niedriglöhnen und ungeschützter Beschäftigung für BezieherInnen sozialer Leistungen. Bei Verweigerung werden die Leistungen gekürzt, in der Regel aber ganz gestrichen. Die Abhängigkeit ist demnach der Hebel, mit dem der Arbeitszwang durchgesetzt wird.
Das Reden vom mündigen Bürger steht in Kontrast zu Zwangs- und Kontrollmaßnahmen für Personen, die von Sozialbürokratien abhängig sind. Die Einschränkung sozialer und ziviler Grundrechte wird in der breiten Öffentlichkeit weitgehend hingenommen; es scheint allgemein akzeptiert zu sein: wer soziale Leistungen bezieht, muß die Verletzung von Grundrechten in Kauf nehmen.
Um welche gesetzlichen Grundlagen geht es dabei, die von Politikern und der Mehrzahl der Medien legitimiert und gutgeheißen werden? Ich möchte zunächst diese Maßnahmen darstellen, um dann zu zwei mir wichtig erscheinenden Fragen zu kommen: ·
Die seit dem 1. April 1997 in Kraft getretenen Zumutbarkeitsbestimmungen (seit 1.1.1998 im SGB III verankert) haben den Berufs- und Statusschutz der Erwerbslosen endgültig aufgegeben. Auch die frühere Regelung bot nur eingeschränkten Schutz und baute über bestimmte Zeiträume die Qualifikation ab. Die neue Zumutbarkeitsregelung stellt aber insoweit einen vorläufigen Höhepunkt dar, als die Aufhebung des Berufs- und Qualifikationsschutzes mit rasender Geschwindigkeit vor sich geht. Bereits nach sechs Monaten Arbeitslosigkeit muß eine Tätigkeit akzeptiert werden, die in der Höhe des Arbeitslosenunterstützung entlohnt wird. Erworbene Abschlüsse, Kenntnisse und Interessen sind völlig irrelevant. Ein Ingenieur kann als Gartenhelfer vermittelt werden, und er hat keine Möglichkeit der Gegenwehr, solange der Helferlohn nicht unter seiner Unterstützung bleibt, und wenn es nur um ein paar Mark geht.
Auch hier wird die Verarmungsspirale beschleunigt. Da jetzt auch Zeitverträge akzeptiert werden müssen, ist die kommende erneute Erwerbslosigkeit absehbar, wobei die Unterstützung nach dem letzten Einkommen - nämlich dem eines Gartenhelfers - berechnet wird. Die Sozialhilfebedürftigkeit rückt immer näher. Abgesehen davon, daß für ungelernte ArbeiterInnen die Arbeitsplätze blockiert werden, bedeutet diese Verordnung nicht nur materielle Verarmung sondern eine tiefe Demütigung auf psychischer Ebene, weil der eigene Wert nur noch zur verfügbaren Masse wird.
Der Berufsschutz wurde ersetzt durch das Kriterium der Arbeitsfähigkeit, - weder Qualifikation noch Interessen und Fähigkeiten sind ausschlaggebend, sondern allein die körperlich-seelische Verfügbarkeit .
Die Grenze zum erzwungenen Arbeitseinsatz wird hier fließend.
Um es gleich vorwegzunehmen: Hier geht es nicht darum, LeistungsbezieherInnen an der Ausübung der im folgenden beschriebenen Tätigkeiten zu hindern. Hier geht es allein um den Zwang zur Arbeit.
Die Arbeitsverpflichtung ist von Beginn an elementarer Bestandteil des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG). Diese "Hilfe zur Arbeit" unterteilt sich grob in zwei Beschäftigungsbereiche: zum einen die sog. gemeinnützige Arbeit, zum anderen die befristeten Beschäftigungen mit arbeitsrechtlichem Schutz und Sozialversicherungs-beiträgen. In beiden Bereichen gilt grundsätzlich jede Arbeit als zumutbar, Qualifi-kations- und Berufsschutz hat es für SozialhilfebezieherInnen nie gegeben.
Im Rahmen der gemeinnützigen Arbeit ist es möglich, daß das Sozialamt dazu zwingen kann, für 1 bis 4 DM in der Stunde zusätzlich zur Sozialhilfe auf Sportplätzen und Friedhöfen, beim Gartenamt oder den Wohlfahrtsverbänden für maximal drei Monate zu arbeiten. Sie erhalten keinen Lohn sondern eine Mehraufwandsentschädigung zur Sozialhilfe, verbleiben also im Bezug. Es handelt sich weder um ein arbeitsvertraglich begründetes Arbeitsverhältnis noch werden Sozialversicherungsbeiträge entrichtet. Der Zwang wird durch abgestufte Sozialhilfekürzungen bis hin zur völligen Einstellung der Leistungen durchgesetzt.
Nach einer Hochrechnung des Deutschen Städtetages wurden 1996 bundesweit knapp 94.000 Menschen, die Sozialhilfe bezogen, zu "gemeinnütziger Arbeit" gezwungen (im Vergleich: 1993 waren es ca. 50.000 Personen). Die Zahl dürfte im Jahr darauf noch höher gelegen haben, denn allein in Berlin wurden 1997 ca. 70.000 Personen in gemeinnütziger Arbeit gezählt (1992: 30.000 Personen) .
Ein Großteil der Kommunen sieht die gemeinnützige Arbeit als Vorschaltmaßnahme zu den sozialversicherungspflichtigen Tätigkeiten in kommunalen Beschäftigungs-gesellschaften. Andere Varianten bestehen z.B. darin, SozialhilfebezieherInnen an Unternehmen, Vereine, Schulen, an die Deutsche Bahn AG u.a. auszuleihen oder sie an Leihfirmen selbst zu vermitteln. Gleichgültig, um welche Einsatzorte es sich handelt: unter Androhung des Leistungsentzugs werden sie durchgesetzt. Bezahlt werden sog. Haustarife, die allerdings immer unter dem öffentlichen Tarif liegen, - in der Beschäftigungsgesellschaft "Werkstatt Frankfurt" z.B. sind es 80 % des Tariflohns und weniger. In Berlin z.B. wird ein Monatslohn von 2.140 DM brutto bezahlt. Die Einkommen bewegen sich durchweg im Niedriglohnbereich. In der Regel laufen die Arbeitsverhältnisse zwischen einem halben und zwei Jahren.
Die Praxis zeigt, daß dieses "Vorschalten" nicht immer gelingt, vorwiegend wegen fehlender Arbeitsmöglichkeiten. Die gemeinnützigen ArbeiterInnen kehren also notgedrungen in den Sozialhilfebezug zurück.
Formuliertes Ziel ist die Integration in den sog. 1. Arbeitsmarkt, aber niemand weiß, ob und in welchem Maße dies gelingt, da hierzu lediglich vereinzelte empirische Überprüfungen vor-genommen werden, die allerdings wesentlich vom Wunschdenken bestimmt sind. Unter erfolgreicher Integration in den 1. Arbeitsmarkt wird z.B. schon der Beginn einer Fortbildung verstanden. Es ist bedauerlich, daß es hierzu offenbar kein Forschungsinteresse gibt, um Propaganda und Realität zu unterscheiden.
Insgesamt erfuhren die Maßnahmen im Rahmen der "Hilfe zur Arbeit" von 1993 bis 1996 eine Steigerung von 67 Prozent .
Seit 1. 4. 1998 werden in Frankfurt - wie in einigen anderen Städten auch - Sozialhilfeberechtigte bereits bei Antragstellung in gemeinnützige Arbeit oder sozialversicherungspflichtige Be-schäftigung (z.B. Sicherheitsdienste) - soweit vorhanden - vermittelt bzw. an Unternehmen ausgeliehen, die dann lediglich die Verpflichtung übernehmen, dem Sozialamt eine Arbeitsverweigerung zu melden, mehr nicht. In einer ersten Bilanz bis Ende August 1998 zeigte sich: von mehr als 1.000 Personen waren 60 % nicht "arbeitsfähig" (z.B. alleinerziehend, krank, drogen-abhängig), 180 Personen hatten auf das "Angebot" verzichtet, d.h. die Zahlungen wurden eingestellt .
Die Stadt Chemnitz praktiziert einen Ansatz, der inzwischen auch in einigen anderen Städten umgesetzt wird: Im Anschluß an die "gemeinnützige Arbeit" (real gelang der Anschluß bei weniger als der Hälfte) erfolgen Arbeitsverträge für ein Jahr, wobei die Lohnkosten vom Sozialamt (mit 100% der Sozialhilfe), vom Europäischen Sozialfond und dem Betrieb getragen werden. Der Arbeitgeber entscheidet allein, ob er den Vertrag auf diesen Zeitraum befristet oder nicht .
Öffentliche Stellen sind nicht nur bemüht, derartigen Druck zu erzeugen, daß Personen aus dem Leistungsbezug 'aussteigen' oder erst gar keinen Antrag stellen; ihr Bemühen zeigt sich auch darin, einzelne befristete Arbeitsplätze zu finanzieren, um Sozialhilfekosten einzusparen, und dies gelingt allein schon deshalb, weil die Beschäftigten im Anschluß zumindest arbeitslosenhilfeberechtigt, und somit aus dem städtischen Haushalt verschwunden sind, - bis sie früher oder später wieder einen Antrag auf ergänzende Sozialhilfe stellen müssen, weil die Leistungen des Arbeitsamtes nicht zum Leben reichen. Ein gewaltiges Verschiebesystem wird in Gang gesetzt und alle haben das Gefühl, es geschieht etwas. Gewinner sind die Unternehmen, die minimale oder gar keine Kosten tragen und ihr Personal beliebig austauschen können.
In der Beratung des Frankfurter Arbeitslosenzentrums waren wir immer wieder mit Ratsuchenden konfrontiert, die einen Ausweg aus diesem Zwang suchen. Man erlebt die tiefe Demütigung, die diese Zwangsmaßnahme beinhaltet. Eindeutig läßt sich dabei über Jahre feststellen, daß die Sozialverwaltungen keine Kriterien für die Anordnung haben. Es kann Personen treffen, die gerade ihr Studium beendet haben oder Erwerbsunfähige, die ergänzende Sozialhilfe beziehen; sie können schon lange oder nur kurze Zeit im Bezug sein - alle kann es treffen. Alles deutet darauf hin, daß dieser Zwang als Disziplinierungsinstrument gegenüber Personen eingesetzt wird, denen gegenüber der Verdacht besteht, daß sie sich mit dem Leistungsbezug arrangiert haben.
Nach einer Erhebung der Bundesarbeitsgemeinschaft der Sozialhilfeinitiativen (BAG-SHI) im Jahr 1994 besteht der begründete Verdacht, daß kommunale Arbeitsplätze mit den Hilfskräften abgebaut werden bzw. keine neuen geschaffen werden. Nach dieser Untersuchung setzte man sie als Urlaubsvertretungen beim Sport- und Gartenamt ein, zu Renovierungsarbeiten an Schulen, als Putzdienste in Kindergärten oder zu Büroarbeiten bei Wohlfahrtsverbänden. Es sind Tätigkeiten, die manche SozialhilfebezieherInnen durchaus akzeptabel finden, selbst wenn sie eine andere Qualifikation erworben haben, aber ohne Anstellungsverhältnis und ohne exi-stenzsicherndes Einkommen mit der Perspektive, irgendwann wieder Sozialhilfe beantragen zu müssen - dies läßt den Zwang besonders spürbar werden .
Diese Praxis hat auch Folgewirkungen für private Unternehmen, die bislang Grünanlagen oder Sportplätze instand hielten oder Sicherheitsdienste übernommen hatten. Ihnen erwächst durch die Maßnahmen eine billigere Konkurrenz, mit der sie kaum Schritt halten können .
Bereits 1994 hatte die Bundesregierung in größerem Rahmen versucht, den erzwungenen Arbeitseinsatz für BezieherInnen von Arbeitslosenhilfe durchzusetzen, zog den Gesetzesentwurf aber nach Protesten von Teilen der SPD, des Bauernverbandes sowie der Bundesarbeitsgruppen der Erwerbsloseninitiativen wieder zurück, - aber nur kurzfristig, denn seit 1. Juli 1996 ist es, mit fast identischem Wortlaut, rechtskräftig und jetzt Teil des neuen SGB III unter der Bezeichnung "Arbeitnehmerhilfe" geworden.
Auch hier ist der Berufs- und Statusschutz aufgehoben. Die Arbeitslosenhilfe wird in der Zeit des Einsatzes nicht weiter bezahlt, die Statistik wird damit 'entlastet'. Danach gelten die be-treffenden Personen als Neuzugang. Das Arbeitsamt zahlt zum Lohn eine tägliche "Aufwandsentschädigung" von 25 DM pro Tag, die kein Lohnbestandteil ist: wird die Person im Einsatz z.B. krank, entfällt diese Aufwandsentschädigung. Es werden auch weder Urlaubs- noch Weihnachtsgeld anteilig ausbezahlt. Ein Einsatz kann inzwischen, durch Beschluß der neuen Bundesregierung, länger als drei Monate dauern; eine erneute Beschäftigung muß ein anderes Arbeitsgebiet umfassen, nicht aber einen anderen Arbeitgeber, d.h. sie kann faktisch von einem Unternehmen über längere Zeit mit einer Person ausgefüllt werden. Es werden keine Qualifikationen und keine Berufsperspektiven erworben. Und: die Arbeit wird mit Zwang durchgesetzt. Bei einmaliger Weigerung folgt eine dreimonatige Leistungssperre, bei nochmaliger Verweigerung wird die Leistung ganz eingestellt. Verweigert werden kann die Arbeit nur, wenn der Lohn zusammen mit der Aufwandsentschädigung niedriger ist als die Arbeitslosen-hilfe.
Ende November 1997 erließ die alte Bundesregierung ergänzend dazu eine "Sonderregelung", die zumindest noch für 1999 gilt: danach wird die Maßnahme auf BezieherInnen von Arbeitslosengeld ausgeweitet, und zwar bereits nach sechs Monaten ab Beginn der Erwerbslosigkeit. Grundrechtlich ist auch diese Regelung problematisch, weil damit in quasi erwirtschaftetes Eigentum (durch Einzahlungen in die Arbeitslosenversicherung) gegriffen wird (Artikel 14 GG), da bei Verweigerung die Leistungen eingestellt werden.
Diese Sonderregelung enthält auch eine Flexibilisierung der Arbeitszeiten, indem man eine wöchentliche Arbeitszeit von mindestens 30 Stunden zugrunde legt und die täglichen sechs Stunden nicht eingehalten werden müssen. Man will die Einsätze offenbar flexibel an den unternehmerischen Interessen ausrichten.
Die Einsatzgebiete können vielfältiger Art sein: vor allem sind es Ernteeinsätze, aber auch im Gartenbau und in der Forstwirtschaft, im Hotel- und Gaststättenbereich, auf Messen oder in Konservenfabriken, durchweg also im privaten Sektor.
Der Arbeitgeber zahlen den jeweils üblichen, vereinbarten Lohn, wobei in den verschiedenen Bundesländern die Bezahlung stark differiert. In Hessen z.B. sind es 10,09 DM brutto Stundenlohn, in Bayern und Rheinland-Pfalz 8,75 DM brutto und in Brandenburg 5,85 DM brutto in der Landwirtschaft. Unklar bleibt, ob der Lohn tatsächlich bezahlt und ob auch Sozialversicherungsbeiträge abgeführt werden. Die Bundesanstalt für Arbeit erklärte dazu, daß die Personen im Einsatz keine Arbeitslosen mehr seien, daß die Arbeitsämter deshalb nicht mehr zuständig seien und sie die Arbeitsverhältnisse nicht überprüfen würden; arbeitsrechtliche Konflikte müßten vor den Arbeitsgerichten geklärt werden, - wie in jüngster Zeit in Darmstadt geschehen, wo ein Erwerbsloser das Spargelstechen verweigerte, u.a. weil nach seiner Auffassung ein städtischer Gutshof auch den kommunalen Tarif zu zahlen habe .
Ob es zu einem schriftlichen Arbeitsvertrag kommt, bleibt dem jeweiligen Bauern bzw. Un-ternehmer überlassen. Das Arbeitsamt verlangt lediglich eine Bescheinigung, daß der oder die Beschäftigte die erforderliche Zeit gearbeitet hat. Es herrscht offenbar ein regelloser Zustand, weil sich niemand zur Kontrolle der Arbeitsverhältnisse verpflichtet sieht. Von der Gewerkschaft Bau-Agrar-Umwelt war nicht einmal eine Stellungnahme zu erhalten.
Der Hessische Bauernverband sieht dieses neue Gesetz nicht gerne, da man bislang mit der Regelung, für befristete Zeit ausländische SaisonarbeiterInnen einzustellen, zufrieden gewesen sei. Dies ist nun nicht mehr in dem Maße möglich, weil das Arbeitsministerium gleichzeitig verfügte, daß ab 1998 mindestens 10 Prozent der SaisonarbeiterInnen deutsche Arbeitslose sein müssen, - "das erhebliche Beschäftig-ungspotential in diesem Bereich solle für inländische Arbeitskräfte genutzt werden", so die Pressemitteilung des Ministeriums. Inzwischen nehmen die Forderungen von seiten der Bauern und ihres Verbandes zu, diese Beschränkung wieder rückgängig zu machen, - die Deutschen fühlten sich wohl zu fein für diese Arbeit und produzierten Ausfälle, so die verbreitete Meinung; zudem könne man sich nicht auf Arbeiter verlassen, die gezwungenermaßen auf dem Feld seien.
Die Einsätze liefen bundesweit im Herbst 1996 noch zögerlich an. Die Bundesanstalt für Arbeit sieht vor allem das Problem darin, daß es sich - wie z.B. beim Spargelstechen - um schwere körperliche Arbeiten handle und man deshalb Erwerbslose mit gesundheitlichen Einschränkungen nicht einsetzen könne; darüber hinaus sind in manchen Regionen die Löhne so niedrig, daß selbst mit der täglichen Aufwandsentschädigung das Einkommen unter der Arbeitslosenunterstützung liegt, der Einsatz kann also abgelehnt werden. Wenn man davon ausgeht, daß Mitte 1997 die durchschnittliche Arbeitslosenhilfe bundesweit 923 DM betrug (Ost: 876 DM, West: 970 DM) , dann läßt sich leicht vorstellen, wie niedrig die Einkommen in diesen Fällen bei den Einsätzen sind.
Von September 1996 bis Juli 1997 wurden insgesamt bundesweit 4.597 Personen zu Saison-arbeiten aufgefordert, tatsächlich wurden in diesem Zeitraum dann 2.188 Personen eingesetzt. Dabei handelte es sich um Arbeiten wie z.B. Spargelstechen, Kohlputzen, Erdbeerenpflücken sowie um Aushilfen bei der Weinlese und bei der Hopfen- und Apfelernte. Die Bundesanstalt für Arbeit sprach im Sommer 1998 von 6.000 Einsätzen seit Jahresbeginn (1997 insgesamt: ca. 8.000 Einsätze).
Die alte Bundesregierung hatte für die "Arbeitnehmerhilfe" im Bundeshaushalt 1998 einen Betrag von 50 Millionen DM bereitgestellt. Dieser Summe liegt die Annahme zugrunde, daß - durch die für 1998 erfaßten BezieherInnen von Arbeitslosengeld - etwa 760.000 Leistungsbe-zieherInnen unter 35 Jahren in Saisonarbeiten vermittelbar sind .
Vielleicht hat die Darstellung der gesetzlichen Rahmenbedingungen deutlich werden lassen, daß es nicht nur um die Verletzung sozialer Grundrechte allein geht, denn die staatlichen Interventionen bedeuten mehr als die Beschleunigung von Verarmungsprozessen. Sie beinhalten nach meiner Auffassung auch die Verletzung von Freiheitsrechten und konkret den Angriff auf Art. 12 des Grundgesetzes, wonach niemand zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden darf. Es liegen profunde verfassungsrechtliche Bedenken gegen die erzwungenen Arbeitseinsätze vor. Als Gegenargument wird häufig angeführt, daß eine Leistungsbezieherin aus dem Leistungsbezug 'aussteigen' könne, wenn sie die erzwungene Arbeit nicht durchführen kann oder will, daß also Wahlmöglichkeiten bestünden. Dem gegenüber steht das Sozialstaatsgebot, das zwar nur in allgemeinster Form im Grundgesetz verankert ist, aber dennoch Gültigkeit hat. Ich hoffe, daß zukünftig diese Diskussion weiter präzisiert wird.
Diese Frage drängt sich auf, wenn man sich veranschaulicht, wieviele Stellengesuche es gibt und wie weitgehend Unternehmen Arbeitsplätze wegrationalisiert oder ins Ausland verlagert haben. Dennoch nehmen die erzwungenen Maßnahmen z. T. in erheblichem Ausmaß zu. Aufgrund des großen Bedarfs an Arbeitsplätzen sieht deshalb z.B. ein Arbeitsmarktexperte des gewerkschaftsnahen Wirtschafts- und Sozialwissen-schaftlichen Instituts in Düsseldorf keine große Gefahr dafür, daß die Arbeitslosen die Arbeitspflicht als "Arbeitsdienst" ansehen könnten und er ergänzt: "Die meisten sind wirklich unglücklich, daß sie nicht arbeiten können" . Warum also Zwang? Dies hat nach meiner Auffassung sicher mehrere Gründe. Einige davon möchte ich kurz benennen:
2.1. Zunächst geht es um das Herausdrängen aus dem Leistungsbezug und damit um immense Einsparungen. Es wird geschätzt, daß ca. ¼ der Sozialhilfebezieher die erzwungenen Arbeiten ablehnen werden oder bereits im Vorfeld ganz auf einen Sozialhilfeantrag verzichten. Da die Anordnung zum Einsatz im Ermessensspielraum der jeweiligen Sachbearbeiter liegt (auch bei der Anordnung der "Arbeitnehmerhilfe"), entsteht eine Atmosphäre des Verdachts, der Disziplinierung und der unwürdigen Behandlung. Alleine derartige Faktoren können daran hindern, einen Antrag auf Hilfe zum Lebensunterhalt zu stellen, obwohl man einen Rechtsanspruch hätte.
2.2. Der Zwang, der gegenüber Erwerbslosen ausgeübt wird, zeigt auf subtile Weise auch bei den Erwerbstätigen Wirkung: um diesen drohenden Repressalien nicht ausgesetzt zu sein, sind sie umso mehr bereit, schlechte Arbeitsbedingungen, fehlende Mitbestimmung und Lohnsenkungen zu akzeptieren. Die Erfahrungen von Arbeitsloseninitiativen zeigen, daß Erwerbstätige - mit wenigen Ausnahmen - nicht bereit sind, sich für die Interessen und Rechte von Erwerbslosen einzusetzen - es muß sich nicht nur abgegrenzt werden, sondern man stimmt in den Chor der Diffamierungen ein. Mit dem Faktor Angst ließ sich schon immer gut operieren.
2.3. Im Arbeitszwang wird eine Arbeitsethik transportiert, die Konkurrenz und Leistung intensiv vorantreibt. Es wird suggeriert, daß sich wachsende Ungleichheit eben aus unterschiedlichen Fähigkeiten ergibt. BOURDIEU sieht hier zu Recht einen neuen Sozialdarwinismus , wonach die Fähigsten Arbeit haben, und die ohne Arbeit unfähig sind. Arbeitsminister RIESTER z.B. bekräftigte noch als stellvertretender Vorsitzender der IG-Metall diese Ideologie: Auf die Frage, wie er zum Arbeitszwang für Sozialhilfebezieher stehe, erklärte er: "Grundsätzlich halte ich die Überlegung, daß Menschen, die arbeitsfähig sind und soziale Leistungen erhalten, sich in der Gesellschaft nützlich machen sollten, für richtig" . Die Botschaft faßt Fuß, indem sich diejenigen, die Arbeit haben, privilegiert fühlen und diejenigen die ohne Arbeit sind, auf Dauer an die Arbeitsmoral gebunden bleiben, - sie wollen dazugehören, egal zu welchem Preis.
In der Umkehrung bedeutet der Arbeitszwang im Bewußtsein das Ende von Müßiggang, zweckfreien oder nutzlosen Tätigkeiten. Der Sinn des Menschen liegt in seiner Nützlichkeit und Verwertbarkeit; Werte wie Zeitgewinn oder Zeitsouveränität, wie sie z.B. Andre Gorz als positives Moment von Rationalisierung und Automation herausarbeitete, haben heute kaum mehr Bedeutung, Faulheit ist weniger denn je akzeptabel: Der SPIEGEL spricht sogar von der "Falle des Nichtstuns" für SozialhilfebezieherInnen, aus der sie natürlich befreit werden müssen .
Mittels Zwangsmaßnahmen werden also Werte transportiert, die Ungleichheit positiv beset-zen und das Nicht-Verwertbare diffamieren.
2.4. Durch den Zwang zur Arbeit wird der Niedriglohnsektor, den die Unternehmen noch weiter absenken wollen, personell 'bedient'. Wer würde für 10 DM brutto die Stunde Müll sortieren, wenn er davon nicht leben kann, wenn er andere Berufsvorstellungen hat oder eine Ausbildung abgeschlossen hat? Doch nur, wie z.B. in Frankfurt a.M., wenn das Sozialamt die Klienten zu einer Leihfirma schickt, die dann dieses Arbeitsfeld zuweist - unter der Androhung, daß bei Verweigerung die Sozialhilfe ganz gestrichen wird. Man will mit dem Zwang verdeutlichen, daß man das Beharren auf dem Berufsschutz und existenzsicherndem Lohn nicht länger hinnehmen will. Es herrscht ein Klima, wonach dieses Beharren nur noch als Drückebergertum zu interpretieren sei. Für die Unternehmen erschließt sich in großem Umfang die Möglichkeit, Tätigkeiten, die bislang höher bezahlt waren, kostengünstiger zu besetzen und einen neuen Niedriglohnsektor zu etablieren. Selbst Arbeitgeberpräsident Stihl gibt zu, daß man von 2.500 DM brutto nicht leben kann, deshalb befürwortet er, wie viele andere auch, das Modell des Kombi-Lohns (ebenso eine Zwangsmaßnahme), wobei die unteren Lohngruppen noch um 20 bis 30 % gesenkt werden und durch staatliche Zuschüsse oder Sozialhilfe aufgestockt werden sollen. Der Staat tritt damit als Förderer des Lohndumpings auf. Durch die erzwungenen Einsätze wird also Ungleichheit faktisch vorangetrieben. Dies geschieht indirekt auch dadurch, daß mit dem Kombi-Lohn die Sozialhilfe, wegen des Lohnabstandsgebots, abgesenkt werden kann, - für Stihl "eine Art trojanisches Pferd", um sowohl das Sozial- als auch das Lohnniveau herunterzufahren .
2.5. Mit der Ausweitung des Zwangs soll eine seit längerem verfolgte Absicht der Arbeitgeber-verbände umgesetzt werden, langfristig die Leistungen für Erwerbslose ganz abzuschaffen. Die Diskussion wurde 1997 öffentlich mit der Forderung, die Arbeitslosenhilfe zu befristen, später dann, sie ganz abzuschaffen, weil "sie ein Instrument aus den Zeiten der Vollbeschäftigung" sei, so lautete sogar einer der Vorschläge der Friedrich-Ebert-Stiftung im Frühjahr 1998 zur Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit . Zu Ende gedacht sind derartige Zukunftsentwürfe deshalb noch nicht: So wird z.B. von den Autoren des Berichts an den Club of Rome (1998) nachdrücklich darauf hingewiesen, daß man damit nicht primär den Leistungsmißbrauch im Blick habe. Vielmehr sind diejenigen gemeint, die ganz legal Arbeitslosenleistungen beziehen. So veränderten Leistungsbezieher ihr Verhalten wegen der Existenz des Sicherungssystems, sie richteten sich ein und bevorzugten den Status der Erwerbslosigkeit, weil sie mehr Freizeit vozögen (siehe 3.2.). Würden sie systematisch und flächendeckend in Arbeitsverhältnisse gezwungen, dann würden immense Kosten wegfallen. Vor diesem Hintergrund war der Vorschlag Lafontaines während seiner Amtszeit, die Arbeitslosenversicherung abzuschaffen, nur folgerichtig. Inzwischen wurde der Gedanke von Wirtschaftsminister Müller öffentlich aufgegriffen.
Fruchtbar bei meinen Überlegungen waren zum einen der oben erwähnte Bericht an den Club of Rome "Wie wir arbeiten werden" vom Frühjahr 1998 und zum anderen den der Kommission für Zukunftsfragen von Bayern und Sachsen von 1997 . Beide wollen neue arbeitsethische Fundamente legen, wobei ich mich auf deren Vorschläge zum Arbeitszwang konzentrieren möchte. Danach hat der Staat für die Unternehmen vorrangig zwei Aufgaben zu erfüllen: zum einen als autoritäres Instrument gegenüber denen in Erscheinung zu treten, die von ihm abhängig sind. Seine zweite Aufgabe besteht in der Subventionierung von Niedriglöhnen, ansonsten sind Eingriff unerwünscht.
Manches in den Berichten scheint widersprüchlich, nur angedacht und eher von Euphorie getragen. Aber es bleibt die Faszination über die Offenheit und die grundrechtliche Unbekümmertheit der Autoren, die offenbar selbst auf der Gewinnerseite stehen.
Die arbeitsmarktpolitischen Visionäre nehmen zum Ausgangspunkt den Bedeutungsschwund der Erwerbsarbeit und daraus für sie resultierende Lösungsvorschläge. Dieser Schwund erfordert eine Verankerung neuer individueller Sicht- und Verhaltensweisen und kollektiver Leitbilder, u.a. um Ungleichheit und Senkung des Lebensstandards nicht nur zu ertragen sondern auch zu nutzen und Selbstverantwortung zu stärken, so die Kommission. Löhne müssen sinken, um dem "Preisverfall für Arbeit" zu entsprechen. Es wird eine "Arbeitnehmerzentrierung" beklagt, die es zu durchbrechen gilt. Die Kommission ist z.B. der Auffassung, daß die Menschen nur unter Druck, "namentlich materiellem Druck", tradierte Sichtweisen aufgeben. Der Wille der Bevölkerung, mit dem Wandel Schritt zu halten, muß daher gestärkt werden. Politik, Wissenschaft und Medien sind hierbei besonders gefordert, so die Stellungnahme .
Eine neue Sichtweise durchsetzen - das heißt, propagandistisch tradierte Werte neu besetzen und Begriffsbildungen schaffen, die positive Assoziationen wecken und Druck vernünftig werden lassen.
Es geht auch um eine moralische Offensive, die angekurbelt wird. Dieser Prozeß hat längst begonnen. Sowohl von den Erwerbstätigen als auch von den Erwerbslosen werden nicht nur materielle sondern auch grundrechtlich Einschnitte abverlangt, die legitimiert werden müssen. Propagandistische Feldzüge - wie z.B. die Schmarotzerdebatte - werden Teil herrschender Meinung und lassen Opfer notwendig erscheinen.
In ihrem dreigeteilten Schichtenmodell zur Zukunft der Arbeit haben die Berichterstatter an den Club of Rome eine eigene Schicht an erzwungener Arbeit eingeführt, die 20 Std./Woche umfassen soll, mit einem Mindestgehalt, "um absolute Armut zu vermeiden". Oberste Maxime ist dabei: "Keine Zuwendungen für das Untätigbleiben, sondern Unterstützung für das Tätig-bleiben". Für diese Schicht, und nur für diese, sind ausdrücklich staatliche Eingriffe erwünscht. Wer, "aus welchen Gründen auch immer", seine Arbeitskraft verweigert, der hat keinen An-spruch auf staatliche Leistungen. In der Begründung für dieses Modell fehlt der Begriff des 'Zwangs'. Es mutiert zum Hilfsangebot (vgl. 3.4.), das allerdings nicht identitätsstiftend sein muß , das aber gerade zukünftig z.B. im sozialen Bereich gesellschaftlich notwendig werden wird, u.a. auch deshalb, weil vermutet wird, daß die Wehrpflicht einer Berufsarmee Platz ma-chen wird und die Arbeitskraft der Zivildienstleistenden wegfallen wird. Man vermutet, daß sich ein hoher Bedarf an billigen und wenig ausgebildeten Arbeitskräften entwickeln wird. Im August diesen Jahres fand sich in der Presse bereits ein leidenschaftliches Plädoyer für "einen allgemeinen Zwangsdienst für junge Frauen und Männer, verschwände die Wehrpflicht" . Ganz allgemein wird der Zwang direkt durch die sozialen Sicherungssysteme begründet: öffentliche Unterstützung untergräbt die Arbeitsmoral und verhindert, daß die Menschen sich auf ein niedrigeres Einkommen zukünftig einstellen .
Ende Juli verkündete das Saarland ein Programm für junge Arbeitslose, dessen Grundsätze stark dieser Denkweise nahekommen: "Alimentation ohne Arbeit", so gibt die Presse wieder, soll es für Heranwachsende nicht mehr geben. Folgerichtig soll jetzt den Jugendlichen, die ir-gendeine Lehrstelle ablehnen, die Sozialhilfe gekürzt werden .
Auch andere Stimmen befürworten den Ausbau erzwungener, auch gemeinnütziger Tätigkeiten sowie die "konsequente Umsetzung der Zumutbarkeitsanforderungen", so die Kommission. Sie beziehen sich auf bereits gesetzlich verankerte Zwangs-maßnahmen und drängen auf Ausweitung.
Die häufig reklamierte neue Eigenverantwortung, Eigeninitiative, das "Individuum als Unternehmer seiner Arbeitskraft und Daseinsvorsorge", wie es die Kommission formuliert, steht in offenem Kontrast zu jenen Zwangsmaßnahmen, - aber nur scheinbar, denn es sind unterschiedliche Adressaten angesprochen: diejenigen, die soziale Leistungen beziehen, und in irgendeiner Form arbeitsfähig sind, sollen zur Arbeit gezwungen werden, und zwar über das gegenwärtige Maß hinaus. Und diejenigen, die in Arbeit sind, müssen zwar weniger Einkommen hinnehmen, aber in Eigen-verantwortung und ohne die Scheuklappen des Arbeitnehmerbewußtseins Un-gleichheit für sich nutzen.
Verantwortung - das verspricht Partizipation, meint aber das verfügbare Individuum, das seine Daseinsvorsorge selbst in die Hand nimmt, Armutsrisiken selbst trägt und sich aus politischen Entscheidungsprozessen heraushält, weil es zentriert ist auf seine eigene, unmittelbare Existenz, jenseits der vielbeschworenen Gemeinschaft. Jeder soll für sich selbst sorgen. Wer ohne Arbeit ist, diese Leitbilder ablehnt und auf Berufsschutz und existenzsicherndem Lohn beharrt, für den gilt nur noch der Zwang.
Im folgenden soll es um die Art und Weise gehen, mit der der Arbeitszwang ganz konkret moralisch und politisch in die Öffentlichkeit transportiert wird. Folgende Dimensionen ideologischer Durchsetzung haben nach meiner Auffassung Gewicht:
Nicht zuletzt Helmut Schmidt hat mit seiner Formulierung der "Menschenpflichten" eine Diskussion bereichert, die seit einigen Jahren allmählich Raum gewinnt: die durch den Wohlfahrtsstaat geförderte Anspruchshaltung - so die Meinung vieler Politiker und Medienvertreter - habe zur Passivität und einem Verlust an Freiheit geführt. Es müsse deshalb an die Pflichten gegenüber der Gemeinschaft erinnert werden. So z.B. Roman Herzog: "Die Pflichtwerte gewinnen wieder an Bedeutung gegenüber dem, was die Soziologen so schön 'Selbstverwirklichungswerte' nennen...Gerade unsere Jugend ist wieder bereit, sich für die Gemeinschaft einzusetzen". Oder Heinrich Lummer: "Gefordert ist ein Bürgersinn, wie er sich in der Arbeit der Pfadfinder ausdrückt". Staatliche Vorsorge und soziale Sicherung haben danach eine Ver-antwortungslosigkeit geschaffen, der es gegenzusteuern gilt. Bei der Rede von den Pflichten sind zunächst ehrenamtliche Tätigkeiten, wie Krankenpflege, Hilfsdienst in Altenheimen u.a. gemeint, die vorrangig weggesparte, qualifizierte Stellen einnehmen sollen.
Die Appelle an die Pflichterfüllung in Form des Ehrenamtes erlauben Parallelen zu der von der Kommission geforderten "Bürgerarbeit", die jenseits von Entlohnung und Arbeitspflicht angesiedelt sein soll. Ich will hier nicht im Besonderen auf das Konzept der Bürgerarbeit ein-gehen. Interessant scheint mir nur der Vorschlag, die Personen, bei Bedürftigkeit, in der Höhe der Sozialhilfe zu "belohnen", denn hier eröffnet sich möglicherweise eine Schneise zur er-zwungenen Arbeit, und ich frage mich: welches Verhältnis haben die Autoren zum Staat, wenn sie glauben, daß das Terrain der Bürgerarbeit der Freiwilligkeit überlassen bliebe, wo doch staatliche "Belohnungen" ausgezahlt werden sollen, - daß der Staat also keine Bestrafungen vorsähe bei Verweigerung der Bürgerarbeit? In seinem Buch "Was ist Globalisierung?" (1998) verharmlost Ulrich Beck, der Vater der "Bürgerarbeit", die möglichen Fallstricke: dort spricht er von der freien Wahl, vor der Erwerbslose zukünftig stehen werden: Sozialhilfe oder Bür-gerarbeit (236f.). Wenn eine Person die Bürgerarbeit nicht ableisten will, dann verbleibt sie im System des BSHG mit seiner Arbeitsverpflichtung oder im SGB III mit seiner Zumutbarkeitsanordnung und der "Arbeitnehmerhilfe". Die Umsetzung dieses Konzepts wird zeigen, ob man überhaupt die Absicht hat, Bürgerarbeit aus dem Sanktionsapparat herauszulösen.
Pflichten für die Gemeinschaft meinen deshalb mehr als Freiwilligenarbeit: die Appelle suggerieren die Verantwortungslosigkeit, wenn man derartige Pflichten nicht erfüllt. Die Hemmschwelle zum Zwang ist schnell überwunden. Dies läßt auch eine Forderung von Daniel Cohn-Bendit 1996 vermuten, wonach ein "soziales Pflichtjahr" für junge Frauen und Männer einzuführen sei, um einer "Entsolidarisierung der Gesellschaft" entgegenzutreten - und das, obwohl die Zahl der Freiwilligen für Internationale Workcamps oder ein Europäisches soziales Jahr ständig steigt.
Ich habe den Pflichtgedanken aufgegriffen, weil er quasi die Begleitmusik für Sozialabbau und Zwang darstellt, - und dies dürfte kein Zufall sein. Zwar meint eine moralische Pflicht noch nicht den 'Zwang', aber sie kann auf sanfte Art Spontaneität und das ungerichtete Ausscheren abtöten. Freiwillige Unterwerfung und Selbstkontrolle sind gefordert, und sie machen bereit für eine Zustimmung zum Arbeitszwang zum Zwecke der Systemerhaltung.
Rastlose Berufsarbeit, keine Zeitvergeudung, die konsequente, rationale Methode der ganzen Lebensführung, "sich selbst den Puls fühlen", wie es Max Weber formuliert, das sind die protestantischen Wurzeln der herrschenden Arbeitsmoral. Mehr denn je gibt es einen moralischen Aspekt der Arbeit: sie dient heute der Selbstverwirklichung und ist unentbehrlich für das Selbstwertgefühl - so wird uns zumindest suggeriert, und es mag Einzelne geben, für die dies tatsächlich zutrifft. Arbeit wird, je knapper die existenzsichernden Arbeitsplätze werden, umso mehr moralisch aufgeladen, denn eine hohe emotionale Bindung kann sichern, daß Erwerbstätige auch Verschlechterungen bei Lohn- und Arbeitsbedingungen hinnehmen und, daß Erwerbslose 'auf dem Sprung bleiben' und sich ohne Lohnarbeit sinnentleert fühlen.
Erwerbslose dürfen sich nicht in der Arbeitslosigkeit einrichten. Dies aber befürchten die Autoren des Berichts an den Club of Rome. Man befürchtet ein "moralisches Risiko" und zwar nicht allein wegen des Leistungsmißbrauchs, sondern, weil Erwerbslose sich einen "Gewinn an Freizeit erhoffen" könnten und, weil sie nicht mit genügend Nachdruck eine Stelle suchten; dafür seien die Leistungen zu hoch.
Was Max Weber mit dem protestantischen Credo "Arbeit schützt vor Anfechtungen", meinte, findet hier seinen modernen Ausdruck. Angesichts von Millionen Erwerbslosen sind die Anfechtungen verstärkt in den Blick geraten. Freie Zeit könnte Gedanken an das Wesen entfremdeter Arbeit aufkommen lassen, könnte Widerständiges entstehen lassen. Wenn, wie in der ZEIT kürzlich vermutet, gerade unter jungen Erwachsenen die Vorstellung wächst, auch ohne Lohnarbeit und Berufsbindung klar zu kommen, dann muß aus herrschender Sicht gegengesteuert werden.
Nach Meinung der Autoren droht deshalb sogar "moralischer Verfall" in den Systemen der Arbeitslosenleistungen, weil sie "arbeitsfeindlich" sind und nicht genügend Anreize zur Arbeitsaufnahme bieten.
Thomas von Freyberg hebt auf einen Aspekt ab, der der Arbeitsethik innewohnt: durch massenhafte Erwerbslosigkeit wird das Leistungsprinzip erschüttert - deshalb gerade das Forcieren von Leistung, Ungleichheit und die Betonung des reduzierten Menschenbildes: "Wir sind, was wir produzieren".
Längerdauernde Erwerbslosigkeit kann deshalb schon gar nicht zugelassen werden, denn sie würde Disziplinierungsprobleme mit sich bringen, da die kontrollierende Einbindung in Lohn-arbeit fehlt. Und gerade gegenwärtig wird wichtig, auch die Verfügbarkeit für zukünftig niedrigere Einkommen zu sichern.
Mit der Gründung der Gemeinsamen Verfassungskommission (GVK) im Jahr 1992, die den Auftrag des Einigungsvertrages erfüllen sollte, war auch in die Diskussion geraten, inwieweit diese Chance genutzt werden sollte, soziale Menschenrechte in das neu zu schaffende Grundgesetz aufzunehmen, so z.B. auch das Recht auf Arbeit. Zu guter letzt war das Ergebnis, auch nach der Bilanz von TeilnehmerInnen, minimal und unbefriedigend, auch was das Fehlen der Verankerung sozialer Menschenrechte betrifft .
Wie inzwischen Erfahrungen auch in Nachbarländern zeigen, sieht die Praxis recht doppelbödig aus, denn es wird deutlich, daß das Recht auf Arbeit immer mit dem Arbeitszwang gekoppelt ist. In Dänemark z.B. hat jeder nach spätestens einem Jahr, Jugendliche bereits nach sechs Monaten, das Recht auf ein Arbeitsangebot, gleichzeitig aber auch die Pflicht, dieses sog. Angebot anzunehmen . Eine derartige Koppelung befürworten auch Lafontaine/Müller: "Der Staat muß...die Verantwortung dafür übernehmen, daß jeder Bürger sein Recht auf Arbeit einlösen kann, und für Vollbeschäftigung sorgen. Dann muß dem Staat aber zugestanden wer-den, diejenigen Bürger zur Arbeit zu verpflichten, die zwar von der Gesellschaft leben, ihr aber ihre Leistung verweigern wollen. Die Pflicht zur Arbeit kann nur einfordern, wer vorher Arbeit angeboten hat" .
Es wird eine Geschäftsbasis unterstellt, in der es ein Geben und Nehmen zwischen Staat und Individuum gibt. Auf dieses Zerrbild hat Volkmar Deile von amnesty international sehr zu Recht hingewiesen: offenbar werden heute Grundrechte hinfällig, wenn Menschen sich nicht an ihre 'Pflichten' halten. Grundrechte sind aber keine Belohnung für Wohlverhalten . Die Pflichten werden in Zusammenhang mit den Rechten gedacht, anstatt sie klar voneinander zu trennen und damit die Unveräußerlichkeit der Grundrechte klar zu stellen. Nach wie vor hat nämlich Art. 12 des GG Bestand, wonach niemand zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden darf, - und das, ohne die Einschränkung des Leistungsbezugs.
In den zahllosen Stellungnahmen von PolitikerInnen fällt auf, daß sich um den Begriff des Zwangs herumgewunden wird, offenbar auch wegen der Assoziation zum 'Arbeitsdienst' der Weimarer Republik und des Nationalsozialismus. Einer der Autoren des Berichts an den Club of Rome begibt sich mit seiner begrifflichen Abgrenzung auf ein Terrain, das sich jeglicher Logik zu entziehen scheint: "Arbeitsdienst bedeutet: Jeder bislang Arbeitslose muß arbeiten. Aber wir sagen: jeder kann arbeiten". Und der Geschäftsführer der Lübecker Beschäftigungsgesellschaft will klarstellen, daß kein Sozialhilfebezieher zur Arbeit gezwungen werde. Es handle sich deshalb weder um "Arbeitszwang" noch um "Arbeitspflicht": " Richtig ist nur: wer nicht arbeiten will, erhält weniger oder keine Leistungen vom Staat". Viel zutreffender findet er deshalb die Bezeichnung "kontrollierte Hilfe, Menschen wieder in Arbeit zu bringen" .
Man windet sich, um keine gedankliche Nähe zum staatlich organisierten Arbeitszwang für Alle aufkommen zu lassen. Auch das erwähnte Saarländische Programm für junge Arbeitslose spricht von "Hilfeplänen" und von einem "Ticket in die Gesellschaft"; den Jugendlichen soll geholfen werden, "im Arbeitsmarkt Fuß zu fassen". Man unterbreitet "Angebote" und streckt die vermeintlich helfende Hand aus. Aus den Arbeitsfeldern Sozialarbeit und Pädagogik sind diese sprachlichen Verschleiernden und die Funktion der Hilfe als Medium der Kontrolle hin-länglich bekannt.
Auch in dem eingangs erwähnten Beispiel der Stadt Chemnitz will man helfen, scheut aber im dortigen Beschäftigungsmodell nicht den Vergleich zur "Arbeitsfürsorge" aus den Anfängen des Nationalsozialismus und legt sie sogar als Maßstab für die eigene Beschäftigungspolitik an. Auf einer Sitzung des Hauptausschusses des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge im September 1996 (!) referierte ein städtischer Beigeordneter über das Chemnitzer Modell und erinnerte an 1932, wo man "auf ähnliche Herausforderungen mit durchaus ver-gleichbaren Lösungen reagiert(e) wie heute". Danach präzisierte er die Maßnahmen der "Ar-beitsfürsorge", und zwar im Vergleich:
Doch damit nicht genug. Er beschloß den Exkurs in die Geschichte, indem er die Anwesenden direkt ansprach: "Es wird Sie in dieser Runde sicher freuen zu hören, daß unser Wohlfahrtsamt zu dieser Frage an erster Stelle die gutachterliche Stellungnahme Professor Polligkeits vom Deutschen Verein anführte" . An dieser Stelle darf daran erinnert werden, daß Wilhelm Pol-ligkeit 1933 maßgeblich das "Bewahrungsgesetz" durchsetzte, das die Einweisung "Minder-wertiger, Landstreicher und Trinker" festschrieb. Der Redebeitrag wurde im hauseigenen Nachrichtendienst abgedruckt, - aus Unachtsamkeit? Eine historische Parallelität wird hier hergestellt, wie sie selbst von Kritikern des gegenwärtigen Arbeitszwangs mit aller gebotenen Vorsicht behandelt wird.
Auch dieses Modell wurde, wie zahlreiche andere auch, als Hilfesystem präsentiert, der Zwang wird oft nicht einmal erwähnt, es wird eine Atmosphäre des Guten verströmt. Das Reden von der Hilfe bedeutet deshalb einen weiteren Mosaikstein, Zwangsmaßnahmen in der Bevölkerung zu Akzeptanz zu verhelfen.
Graf Lambsdorff äußerte vor einiger Zeit, daß, wer von staatlichen Leistungen abhängig sei, kein echter Bürger sein könne, da er nicht frei und selbständig handle . Ich fürchte, daß diesem Gedankengang inzwischen viele folgen werden. Die Angst vor sinkendem Einkommen und damit sinkendem Sozialstatus führt zu einer gewissen Verrohung gegenüber denjenigen, die bereits davon betroffen sind. Erfolgreich wurde suggeriert: es gibt keine Alternative zu Un-gleichheit und zum Zwang. Man läßt sich Grundrechte nehmen, weil es dem Gemeinwohl dient (siehe auch die überwiegende Haltung zum Lauschangriff).
Die Ideologiebildungen, wie ich sie zu benennen versucht habe, haben sich soweit im Bewußtsein verankert, daß Begriffe wie Bürgergesellschaft oder Freiheit nur noch abstrakt sind und die Wirklichkeit kaum noch berühren, - es sei denn, man meint die Freiheit zu konsumieren. Federico Fellini bemerkte einmal über seine Landsleute: sie glauben frei zu sein, weil sie die Fernbedienung in der Hand halten und unter -zig Fernsehprogrammen wählen können. Ich denke, daß diese Haltung auch für andere Regionen Gültigkeit hat.
Nach meiner Erfahrung in einer Beratungsstelle für Erwerbslose und SozialhilfebezieherInnen, die sich seit vielen Jahren um die Mobilisierung von Protest bemüht, wird die erzwungene Arbeit vom Großteil der Erwerbslosen ohnmächtig hingenommen, - sicherlich auch deshalb, weil eine individuelle Verweigerung existentiell wäre. Ohnmacht, das heißt ganz konkret, daß es keine akzeptierte gesellschaftliche Gruppierung gibt, die sich für die Attacken auf die BezieherInnen sozialer Leistungen sonderlich interessiert, die den Berufsschutz verteidigen will oder die Sicherung ihrer Freiheitsrechte einfordert. Ihre Aufgabe wäre es auch, derartige propagan-distischen Feldzüge als solche ins öffentliche Bewußtsein zu rücken, damit klar wird, daß es universelle Rechte geben muß, die den Zwang ausschließen und die nicht an Erwerbstätigkeit gekoppelt sind. Und es fehlen die Einzelpersönlichkeiten, die den Erwerbslosen ihre gesellschaftlich anerkannte Position zur Seite stellen und damit deren soziale Lage aus der Sphäre des Mitleids herauslösen könnten.
* Überschrift in DIE ZEIT, 2.7.98 zu den erzwungenen Arbeitseinsätzen in Großbritannien
** Es handelt sich hierbei um eine aktualisierte Fassung eines Artikels, im Erscheinen als Dokumentation der Tagung "Soziale Ausgrenzung, Solidarität und SIcherheit" vom 18.-20.September 1998, hrsg. vom Komitee für Grundrechte in Köln, Aquinostr. 7-11 50670 Köln. Erhältlich für DM 15,- auch über e-mail.
Anmerkungen