letzte Änderung am 12. Sept. 2003

LabourNet Germany ARCHIV! Aktuelle Meldungen im neuen LabourNet Germany

Home -> Diskussion -> (Lohn)Arbeit -> Realpolitik -> Amarkt -> Kündigungsschutz -> Künd-Berl. Suchen

Berliner Rechts- und Fachanwälte und Rechts- und Fachanwältinnen: Marion Burghardt, Dr. Detlef Hensche, Nils Kummert, Helmut Platow, Lutz Seybold, Dr. Henner Wolter, Norbert Schuster

Reform des Kündigungsschutzes aus Sicht der Praxis

Der Schlüssel zu mehr Beschäftigung soll in der Lockerung arbeits- und sozialrechtlicher Bindungen liegen. Daher richten sich die Erwartungen einer heimlichen Allparteien-Koalition nicht zuletzt auf den Abbau des Kündigungsschutzes. Der folgende Beitrag setzt sich mit der verbreiteten These von der beschäftigungshemmenden Wirkung des Kündigungsschutzes auseinander und kommt zu dem Ergebnis, dass die gegenwärtige Debatte durch eine bemerkenswerte Ausblendung der sozialen, betrieblichen und gerichtlichen Realität geprägt ist. Die Verfasser sehen auf Grund ihrer arbeitsrechtlichen Praxis das Reformanliegen umgekehrt in einem Ausbau des Kündigungsschutzes.

Mehr Arbeit durch Gefügigkeit?

Wenn Wirtschafts- und Haushaltspolitik sich der volkswirtschaftlichen Funktion entziehen, Nachfrage und Wachstum zu stimulieren, richten sich die Hoffnungen auf die Beseitigung arbeits- und sozialrechtlicher Bindungen. Arbeit, so heißt es, werde geschaffen, wenn Kündigungsschutz, Betriebsverfassung, Tarifrecht und Sozialversicherungen von beschäftigungshemmenden Fesseln befreit würden. Der Arbeitsmarkt sei verkrustet und blockiere Einstellungen.

Schaut man genauer hin, zeigt sich: Schon die Mobilität am Arbeitsplatz widerlegt die Erstarrungsthese. Dies hat jüngst eine empirische Studie der Hans Böckler Stiftung nachgewiesen (Bielenski, Hartmann, Pfarr, Seifert: Die Beendigung von Arbeitsverhältnissen: Wahrnehmung und Wirklichkeit, Arbeit und Recht 2003, Seite 81 ff). Pro Jahr werden zwischen 3,5 und 4,5 Mio. Arbeitsverhältnisse beendet und begründet, das sind 10 bis 13 % aller Beschäftigungsverhältnisse. Die Hälfte der Beendigungen beruht auf Entlassungen und Ablauf befristeter Verträge. Nur jede 10. Arbeitgeberkündigung begegnet einem Widerspruch des Betriebsrates. Kaum größer, nämlich
11 %, ist der Anteil der Kündigungen, die vor die Gerichte kommen. Etwa 4/5 der gerichtlichen Verfahren enden in der einvernehmlichen Auflösung. Auch ein finanzieller Ausgleich ist eher die Ausnahme: Nur 15 % der Gekündigten erhalten eine Abfindung, wenn es hoch kommt ein halbes Monatsgehalt pro Beschäftigungsjahr. Hinzu kommt eine wachsende Zahl von Entlassungen infolge Befristung und Ausbildungsabschlüssen ohne Übernahme: Mittlerweile rund 750 000 im Jahr; das ist jede 5. aller Vertragsbeendigungen. Kurzum: Arbeitgeber, die sich von ihren Arbeitnehmern trennen wollen, werden daran nicht gehindert – nicht durch den Kündigungsschutz, nicht durch die Mitbestimmung des Betriebsrates und nicht durch angeblich ausufernde Abfindungen und Sozialpläne.

Erst recht errichtet das Arbeitsrecht keine Einstellungsbarrieren. Weder bewirken schwächere Regelungen der Entlassungs-Kontrolle im Ausland dort eine höhere Einstellungsrate. Noch werden hierzulande Arbeitgeber aus Sorge vor späterem Kündigungsschutz abgeschreckt, Beschäftigung anzubieten. Insbesondere besteht kein Zusammenhang zwischen der Einstellungspraxis, Kündigungsschutz und Mitbestimmung. Der höhere Personal-Austausch in Kleinbetrieben bricht nicht an der kündigungsschutzrechtlich relevanten Schwelle von 5 Beschäftigten ab, sondern setzt sich in größeren Betrieben fort. Im Übrigen hat der Gesetzgeber schon einmal, im arbeitsrechtlichen Beschäftigungsförderungsgesetz von 1996, Kündigungsschutz und Sozialauswahl eingeschränkt, um Neueinstellungen zu fördern. Doch das Gegenteil trat ein, wie auch die Bundesregierung 1998 im Zusammenhang mit der Rücknahme des Gesetzes feststellte.

Befristete Arbeitsverträge – ein gescheitertes Experiment

1985 hat der Gesetzgeber sachgrundlose Befristungen eingeführt und ihre Zulässigkeit von Mal zu Mal erweitert, jüngst im Zusammenhang mit der Hartz-Gesetzgebung: Ab dem 52. Lebensjahr sollen befristete Arbeitsverträge in beliebiger Folge und Dauer ohne Sachgrund zulässig sein. Für annähernd jeden vierten abhängig Beschäftigten kann damit der gesetzliche Kündigungsschutz abbedungen werden.

Die stereotype Begründung für die Erweiterung befristeter Arbeitsverträge lautete, die Arbeitgeber zu Neueinstellungen zu bewegen – auch hier vergeblich. Bezeichnenderweise spricht der Gesetzgeber neuerdings, bei der Umsetzung der Hartz-Vorschläge zu Lasten älterer Arbeitnehmer, nur noch von der Beseitigung "psychologischer Einstellungs-Barrieren".

Eigentlich hätten diese beschäftigungspolitischen Fehlschläge den Gesetzgeber veranlassen müssen, den ursprünglichen Rechtszustand wiederherzustellen: Befristung nur bei sachlichem Grund! Dies wäre im übrigen, was den Befristung-Freibrief zu Lasten älterer Arbeitnehmer angeht, europarechtlich zwingend geboten. Die einschlägige europäische Richtlinie (RL 99/70) verpflichtet die Mitgliedsstaaten, entweder die Verlängerungen befristeter Arbeitsverträge an sachliche Gründe zu binden, oder für die Wiederholung von Befristungen eine Höchstdauer oder eine höchstzulässige Zahl der Verlängerung vorzuschreiben. Nicht eine dieser Voraussetzungen erfüllt das Gesetz für ältere Arbeitnehmer.

Vollzugsmängel des Kündigungsschutzes

Die gesamtwirtschaftlichen beschäftigungspolitischen Entwicklungen bestätigen sich in der sozialen und betrieblichen Realität des Kündigungsschutzes im einzelnen Arbeitsverhältnis.

Kündigungsschutzklagen führen regelmäßig nicht zum Erhalt des Arbeitsplatzes. Wer sich gegen eine betriebsbedingte Kündigung zur Wehr setzt, muss, wenn kein anderer Arbeitsplatz frei ist (und das ist er fast nie!), bei Teilschließungen die Sozialauswahl angreifen und die schlechteren Sozialdaten vergleichbarer Arbeitnehmer ins Feld führen. Seinen Arbeitsplatz dadurch zu retten, dass andere vorrangig zu entlassen sind, kostet Überwindung, zumal in Zeiten verfestigter Massenarbeitslosigkeit. Wer in den Betrieb zurückkehrt, kann kaum damit rechnen, im Kreis der Arbeitskollegen willkommen zu sein. Ist dies nicht zu befürchten, bleibt die Sorge vor betrieblichen Sanktionen, Versetzungen auf einen schlechteren Arbeitsplatz oder Folgekündigungen als Reaktion auf den Prozesserfolg. Ein erfolgreicher Kündigungsschutzprozess ist kaum karriere-fördernd. Auch ist der Arbeitsplatz nach halbjähriger Prozessdauer längst anders und dauerhaft besetzt oder ersatzlos entfallen. Kein Wunder, dass sich der Betroffene spätestens dann auf einen Abfindungsvergleich einlässt.

Hinzu kommt: Fast jede Kündigung wird als demütigend empfunden. Sieht man von der Betriebsschließung ab, ist die Kündigung zugleich das Urteil des Arbeitgebers, dass der Arbeitnehmer überflüssig ist. Das trifft die besonders hart, die hoch motiviert sind und sich mit der Arbeit und dem Betrieb identifizieren. Wer sein oft jahrelanges Engagement so "belohnt" sieht, klagt nicht auf Fortsetzung seines Arbeitsverhältnisses.

Schließlich ist der Weiterbeschäftigungsanspruch völlig unzureichend. Spätestens mit Ablauf der Kündigungsfrist ist der Gekündigte zunächst "draußen", verliert den Kontakt zur Belegschaft, zur Arbeit und ihren Veränderungen. Je länger das Verfahren dauert, desto größer die Gefahr, den Anschluss zu verlieren.

Einen Weiterbeschäftigungsanspruch gibt es, wenn der Betriebsrat der ordentlichen Kündigung ordentlich widersprochen hat oder nachdem der Kündigungsschutzprozess in I. Instanz gewonnen wurde – was ohne weiteres ein halbes Jahr dauern kann. Doch durchkreuzen Arbeitgeber die Vollstreckung eines titulierten Anspruchs auf Weiterbeschäftigung auf das Leichteste, z.B. durch erneute Kündigung oder durch Umorganisation, die die Arbeit entfallen lässt. Spätestens an dieser Hürde ist auch der Hartnäckigste bereit, sich auf eine Abfindung einzulassen.

Reformaufgabe kann es nicht sein, die eben skizzierte Pathologie des Kündigungsschutzes durch ein Abfindungs-Gesetz zu legalisieren. Stattdessen ist es, zumal in Zeiten der Arbeitslosigkeit, dringend geboten, den Kündigungsschutz zu einem wirksamen Bestandsschutz auszubauen. Dabei muss man nicht so weit gehen und in Anlehnung an das Mietrecht eine Aufhebungsklage des Arbeitgebers verlangen. Doch zumindest muss die vorläufige Weiterbeschäftigung bis zur endgültigen gerichtlichen Überprüfung der Kündigung die Regel , nicht seltene Ausnahme sein.

Verfassungsbezug des Kündigungsschutzes

Für einen solchen Bestandsschutz sprechen nicht zuletzt Grundentscheidungen der Verfassung. "Der Arbeitsplatz ist die wirtschaftliche Existenzgrundlage für den Arbeitnehmer und seine Familie. Lebenszuschnitt und Wohnumfeld werden davon bestimmt, ebenso gesellschaftliche Stellung und Selbstwertgefühl. Mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses wird dieses ökonomische und soziale Beziehungsgeflecht infrage gestellt ....... Gelingt es ihm (dem Arbeitnehmer) nicht, alsbald einen neuen Arbeitsplatz zu finden, gerät er häufig in eine Krise, in der ihm durch die Leistungen der Arbeitslosenversicherung nur teilweise und nur für einen begrenzten Zeitraum geholfen wird", so das Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 97, Seite 169, 177). Aus unserer beratenden und gerichtlichen Praxis wissen wir um die existenziellen Wirkungen angedrohter und ausgesprochener Kündigungen. In der prozessualen Situation werden sie freilich nur sehr selten zum Thema, da sie nicht "zur Sache" gehören. Schon gar nicht erscheinen Existenzunsicherheit, Ängste und Sorge vor gesellschaftlicher Ausgrenzung in der aktuellen völlig praxisfremden Debatte über das angeblich übersteigerte Niveau des Kündigungsschutzes.

Der Arbeitnehmer ist dem Arbeitgeber "strukturell unterlegen" – so auch das BVerfG. Verfassungsrechtliche Schutzpflichten gebieten die Herstellung einer wirklichen, einer "materiellen Parität", hier: ausgleichende Regeln zum Schutz der Arbeitnehmer. Das schließt ein, die Kündigung mindestens auf Rationalität und Sachangemessenheit überprüfen zu lassen. In diesem Sinne hat das BAG wiederholt festgestellt, die Berufsfreiheit des Artikels 12 GG geböte, "die Arbeitnehmer vor einer unverhältnismäßigen Beschränkung des Bestandsschutzes durch privatautonome Regelungen zu bewahren". Eingriffe in den Kündigungsschutz müssen verhältnismäßig sein. Die grundrechtliche Verhältnismäßigkeit setzt einen verfassungslegitimen Zweck und die Erforderlichkeit voraus. Neuerdings reduziert der Gesetzgeber die Lockerung des Kündigungsschutzes auf das Ziel, "psychologische Einstellungsbarrieren" abzubauen. Die Bedienung von Vorurteilen dürfte kaum ein verfassungslegitimes Ziel sein, dass die Beschneidung des Bestandsschutzes erforderlich macht.

Kündigungsschutz ist nicht nur individuell geboten, gleichsam als betriebliches Bürgerrecht auf Widerspruch. Er wirkt vor allem präventiv, beugt der Willkür vor und vermittelt ein Mindestmaß an Sicherheit. Umgekehrt hat sein Fehlen unvermeidbar Folgen für das persönliche Verhalten und erhöht die Bereitschaft der Arbeitnehmer, selbst inhumane Arbeitsbedingungen hinzunehmen. Die Zwangslage, in der befristet Beschäftigte um die Chance der Weiterbeschäftigung nachsuchen müssen, legt dafür tausendfach Zeugnis ab.

Überflüssig zu betonen, dass die Vorenthaltung des Rechts auf Entlassungskontrolle im eklatanten Widerspruch zur Arbeitgeberpolitik steht, sogenannte Human-Ressourcen zu nutzen sowie Kreativität und Motivation zu fördern. Rechtlose Arbeitnehmer sind weder kreativ noch motiviert, sondern bloß bemüht, nicht aufzufallen und sich zu arrangieren. Ein gut ausgebauter Kündigungsschutz liegt daher auch im fundamentalen Arbeitgeberinteresse.

Aktueller Reformbedarf

Ein gravierendes Defizit des Kündigungsschutzes besteht darin, dass er zu spät einsetzt. Das zeigt sich vor allem bei betriebsbedingten Kündigungen. Da sie immer im betrieblichen, d.h. auch kollektiven Kontext stehen, geht es bei ihnen zunächst vor allem um kollektive, d.h. auch kollektivrechtliche Gestaltung und Kontrolle.

Beispiel: Vertragliche Beschäftigungssicherung

Ein Unternehmen leidet unter Auftragsverlust und kündigt Entlassungen an - derzeit tägliche Normalität. Der Betriebsrat schlägt stattdessen eine Arbeitszeitverkürzung unter Entgeltverzicht vor. Der Arbeitgeber lehnt ab. Damit bleibt es bei den Entlassungen, bestenfalls durch einen Sozialplan finanziell abgefedert. Die Alternative: Beschäftigungssicherung durch Reduzierung von Arbeitszeit und Lohn, ist nicht durchsetzbar; der Betriebsrat hat kein Recht, in Verhandlungen über einen Interessenausgleich die Beschäftigungssicherung notfalls zu erzwingen.

Beispiel: Tarifvertragliches Beschäftigungsgebot

Die Tarifpraxis kennt Beschäftigungsgebote. Tarifvertragliche Gestaltungen der Arbeitsintensität - Personalbemessung bei Post und Telekom, Zahlenverhältnisse von Schülern pro Lehrer, Vorgaben über Takt und Geschwindigkeit in der Industrie - haben positive Beschäftigungsfolgen. Regeln über die Mindestbesetzung an Maschinen (Druckindustrie, Cockpit) geben Zahl und Qualifikation der einzusetzenden Arbeitnehmer vor. Als vor 25 Jahren die elektronische Textverarbeitung Tausende von Schriftsetzern brotlos zu machen drohte, haben die Tarifvertragsparteien eine befristete Beschäftigungsgarantie für die Betroffenen geschaffen und Arbeitslosigkeit in diesem Sektor verhindert. Die Arbeitsgerichte haben die Zulässigkeit derartiger Tarifverträge wiederholt bestätigt.

Die gleichen Regelungen wären auf betrieblicher Ebene möglich, hätten Betriebsräte die Möglichkeit, sie in Verhandlungen über einen Interessenausgleich durchzusetzen. Die betriebsbedingte Kündigung würde unterbleiben, das betriebliche Problem würde tariflich bzw. betrieblich, nicht erst arbeitsgerichtlich geregelt, wenn es zu spät ist, weil die unternehmerische Maßnahme schon realisiert ist.

Beispiel: Gemeinsame Einrichtungen zur Beschäftigungsförderung

Beschäftigungssicherung, Qualifikationsangebote, Förderung der Ausbildung können auch Gegenstand Gemeinsamer Einrichtungen der Tarifvertragsparteien sein. Ein Beispiel bietet der von den Tarifvertragsparteien der Metallindustrie Niedersachsens gegründete Verein zur Beschäftigungsförderung, der unter anderem durch Unterstützung von Teilzeitarbeit das Beschäftigungsniveau zu halten sucht.

Kurzum, die Gestaltungsoptionen, um Entlassungen vorzubeugen, sind vielfältig und längst nicht ausgeschöpft. Ein Schlüssel für betriebliche Lösungen mit realen Beschäftigungseffekten liegt darin, die Mitbestimmung des Betriebsrates auf den Interessenausgleich auszudehnen.

Europarechtliche Vorgaben

Der Vorschlag, die Beteiligungsrechte der Betriebsräte auszuweiten, ist nicht zuletzt europarechtlich geboten. Will der deutsche Gesetzgeber den Vorgaben der Europäischen Richtlinie über Massenentlassungen gerecht werden, muss er die Rolle der Betriebsräte stärken. In richtlinienkonformer Auslegung des geltendes Rechts sind Kündigungen bei Massenentlassung unwirksam, wenn der Arbeitgeber sie nicht rechtzeitig dem Arbeitsamt angezeigt und den Betriebsrat nicht unterrichtet hat, § 17 f KSchG. Eine richtlinienkonforme Handhabung setzt weiter voraus, dass der Arbeitgeber mit dem Betriebsrat über Alternativen mit dem Willen zur Einigung abschließend verhandelt hat. Fehlt es daran, sind Kündigungen unwirksam. Überdies können mitwirkungsfreie Zonen des nationalen Rechts vor der Richtlinie keinen Bestand haben. Hier ist der Gesetzgeber gefordert. Danach müssen Betriebsräte auch in Tendenzbetrieben und in Betrieben der öffentlichen Verwaltung das Recht erhalten, über einen Interessenausgleich zu verhandeln, bevor der Arbeitgeber Massenentlassungen vollzieht. Auch dürfte der Schwellenwert der Rechtsprechung, wonach in Großbetrieben mindestens 5% der Belegschaft betroffen sein müssen, im Lichte der Richtlinie nicht aufrechtzuerhalten sein.

Wahlrecht zwischen Kündigungsschutz und Abfindung

In der aktuellen politischen Debatte wird vorgeschlagen, den Arbeitnehmern, dem Arbeitgeber oder beiden ein Wahlrecht zwischen Kündigungsschutz und Abfindung einzuräumen. Der Vorschlag kann sich nicht zuletzt auf die eingangs referierten Zahlen stützen: Wenn nur jeder 10. Arbeitnehmer Kündigungsschutzklage erhebt, liegt es nahe, für den Regelfall der Hinnahme der Kündigung wenigstens einen finanziellen Ausgleich vorzuschreiben; derzeit steht ein solcher Anspruch i.d.R. nur zu, wenn in einem Sozialplan vereinbart wurde; alle anderen Gekündigten gehen leer aus.

Dem Gedanken kann man nur folgen, wenn der Arbeitnehmer, und nur er, das Wahlrecht zwischen Kündigungsschutzklage und Abfindung hat. Außerdem muss die Abgeltung deutlich über den derzeit üblichen Sätzen liegen; wenn sie anstelle der Kündigungsschutzklage treten soll, muss sie eine ähnlich präventive Wirkung entfalten wie diese.

Nicht hinnehmbar ist es demnach, dem Arbeitgeber eine Abgeltungs- Option einzuräumen. Insbesondere muss es ausgeschlossen sein, den Arbeitnehmern ihr Recht auf gerichtliche Kontrolle der Kündigung abzukaufen, etwa im Arbeitsvertrag oder in einer späteren Vereinbarung.

Langzeitarbeitslosigkeit

Wann immer beschäftigungspolitische Ziele und Prioritäten formuliert werden, rangiert die Überwindung der Langzeitarbeitslosigkeit ganz oben. Doch die Praxis bewirkt das Gegenteil. Der Funktionswandel der Bundesanstalt für Arbeit fördert eine Konzentration der Kräfte auf leicht und schnell vermittelbare Arbeitslose, nicht zuletzt um die Bezugsdauer von Arbeitslosengeld abzukürzen.

Eine Beschäftigungspolitik, die Langzeitarbeitslosen wirksam helfen will, muss daher verpflichtenden Charakter haben. Wenn erwiesenermaßen weder Markt noch Druck auf Arbeitslose weiterhelfen, muss die "fordernde" Komponente der Beschäftigungspolitik diejenigen einbeziehen, die allein über Arbeit und Einstellungen entscheiden, die Arbeitgeber eben.

Das Recht der Arbeitsvermittlung belegt seit eh und je den Arbeitslosen mit Sanktionen, wenn er eine zumutbare Arbeit nicht annimmt. Der Arbeitgeber dagegen kann frei entscheiden. Er schuldet keine Begründung. Soziale Verantwortung muss aber paritätisch verteilt sein. Was läge im Interesse einer zügigen Wiedereingliederung näher, als die Arbeitslosen, differenziert nach Berufen und Ausbildung, nach einer Prioritätenliste, auch nach der Dauer der Arbeitslosigkeit, zu vermitteln und dabei der Arbeitsverwaltung insbesondere die Förderung von Langzeitarbeitslosen zur Pflicht zu machen? Wäre es abwegig, in diesem Fall auch vom Arbeitgeber Rechenschaft einzufordern und ihn mit Sanktionen – z.B. zusätzlichen Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung - zu belegen, wenn er eine zumutbare Einstellung ablehnt?

Ein anderes Modell erfreute sich längere Zeit erheblicher Aufmerksamkeit: Das dänische System der außerbetrieblichen Weiterbildung, verbunden mit öffentlich geförderter Beschäftigung Langzeitarbeitsloser. Während der bildungsbedingten Abwesenheit des Arbeitnehmers muss der Arbeitsplatz von einem Arbeitslosen besetzt werden. Auf diese Weise wird eine Brücke geschaffen, die die Verbindungen mit und die Rückkehr in betriebliche Arbeit ermöglicht. Zugleich ist Weiterbildung eine effiziente Form der Arbeitszeitverkürzung, also der Umverteilung der Arbeit, und trägt so zum Rückgang der Arbeitslosigkeit bei.

Ausblick

Zugegeben, unser Plädoyer orientiert sich am herkömmlichen Kündigungsschutz und den flankierenden bzw. vorbeugenden kollektiven Rechten zur Sicherung der Beschäftigung.

Ausländische Beispiele zeigen, dass auch andere Wege möglich sind. Diese können durchaus Rückwirkungen auf den Stellenwert des Kündigungsschutzes haben. Wenn etwa bei Arbeitslosigkeit keine schmerzhaften finanziellen Einbussen drohen (die Arbeitslosenunterstützung beträgt in einigen skandinavischen Ländern 90%), wenn Arbeitslose von einem engmaschigen Netz an Weiterbildung, vorübergehender öffentlicher Beschäftigung, Rotation und erfolgreicher Vermittlung aufgefangen werden, relativiert sich die Bedeutung des Kündigungsschutzes, etwa bei betriebsbedingten Kündigungen. Dies setzt allerdings neben einer intelligenten Arbeitsmarktpolitik eine Wirtschaftspolitik voraus, die Wachstum und Beschäftigung fördert, statt sie in eifernden Spar-Obsessionen bei gleichzeitiger Umverteilung von unten nach oben zu strangulieren.

Sind diese Bedingungen erfüllt, gelingt es also der Gesellschaft, sich von der lähmenden Fessel anhaltender Massenarbeitslosigkeit zu befreien, müssen Alternativen zum herkömmlichen System des arbeitsrechtlichen Bestandsschutzes nicht schrecken. Ja, sie dürften eher den Anforderungen der künftigen Arbeitsgesellschaft entsprechen. Immerhin spiegelt das derzeit geltende Recht – gerichtlicher Kündigungsschutz nebst begleitenden Mitbestimmungsrechten – die Dominanz des auf Dauer angelegten betrieblichen Arbeitsverhältnisses wieder. Doch dies wird nicht mehr alleiniges Modell künftiger Arbeit sein. Schon heute verlässt die Organisation der abhängigen Arbeit mehr und mehr das feste Gefüge betrieblicher Einbettung. Der souveräne Umgang mit wechselnden Arbeitsaufgaben und beruflichen Schwerpunkten gewinnt Bedeutung in immer mehr individuellen Lebensentwürfen. Projektarbeit, der Wechsel zwischen Arbeit im Anstellungsverhältnis und freiberuflicher Arbeit, zwischen Erwerbs- und Nicht-Erwerbsarbeit werden zunehmen und als Chance persönlicher Autonomie begriffen. Auch der Wechsel zwischen Arbeits-, Familien- und Qualifikationszeiten können Zugewinn persönlicher Souveränität sein. Dann wird auch das Gefüge des derzeitigen arbeitsrechtlichen Bestandsschutzes Wandlungen erfahren können und müssen.

Doch solange Massenarbeitsarbeitslosigkeit herrscht und solange die sozialen Sicherungssysteme an dem – tendenziell zurückgehenden – betrieblichen Arbeitsverhältnis und dessen Dauer anknüpfen, solange der Verlust des Arbeitsplatzes von existenziellen Risiken, von sozialem Abstieg, persönlicher Demütigung und Ausgrenzung begleitet ist, solange wird auch arbeitsrechtlicher Bestandsschutz erhalten und ausgedehnt werden müssen.

LabourNet Germany Top ^