Köln, den 6. Juli 1999

Pressemitteilung/Artikeldienst

 

Wider die Regierungspolitik der Verarmung

 

Nicht nur wegen seiner wolkigen Sprache hat das Papier von Tony Blair und Gerhard Schröder zu Irritationen geführt. Eine Politik der "neuen Mitte" bzw. des "Dritten Weges" wird beschworen, gleichzeitig wird im Text immer wider "die Linke" als Hebel der Veränderung angesehen. Die Botschaft ist allerdings unmißverständlich: der Sozialstaat muß weitestgehend reduziert werden – selbst Erwerbsunfähige sollen auf ihre Arbeitsfähigkeit überprüft werden – und den Unternehmen soll "genügend Spielraum" gegeben werden: "Sie dürfen nicht durch Regulierungen und Paragraphen erstickt werden". Sozialstaatsabbau wird zum sozialdemokratischen Programm erklärt und ideologisch damit gerechtfertigt, daß es sich um ein unabwendbares Gebot des Modernisierungsprozesses handele.

Bereits die rot-grüne Koalitionsvereinbarung hatte nichts Gutes ahnen lassen: die rechtliche und soziale Lage der Armutsbevölkerung und der Erwerbslosen blieb unerwähnt. Inhaltlich bedeutete bereits diese Vereinbarung nicht (schlechte) Kontinuität, sondern einen Bruch mit sozialstaatlichen Grundsätzen.

Die immer wieder bemühte ‚Modernisierung‘ meint den Versuch, Gesellschaftspolitik umfassend an dem Ziel auszurichten, günstige Investitionsbedingungen zu schaffen. Wenn z.B. in dem Papier von Blair / Schröder für mehr Übernahme von Verantwortung plädiert wird, dann ist klar, daß nicht die Unternehmen gemeint sind, sondern diejenigen, die sich für Niedriglöhne rüsten sollen. Die Appelle gehen einher mit der Bekämpfung derjenigen, die staatliche Leistungen beziehen, und zwar sowohl moralisch als auch mit materiellem Druck. Staatliche Arbeitsmarktpolitik wird darauf reduziert, Niedriglöhne zu subventionieren und Erwerbslose unter Sanktionen aus dem Leistungsbezug in den Niedriglohnsektor zu drängen. Die "freie unternehmerische Betätigung" – wie es schon dem Bericht an den Club of Rome vorschwebte – kann sich ungehemmt entfalten. Die Argumentationen sind nicht neu: Ein Großteil der Erwerbslosen sei in Wahrheit nicht bedürftig. Die Erwerbslosen hätten eine Anspruchsmentalität und sähen keine Pflichten. Was neu ist, ist das eindeutige Bekenntnis zur Ungleichheit und zu einem autoritären Rechtsstaat gegenüber denjenigen, die von sozialen Leistungen abhängig sind. Es erübrigt sich fast, auf die Ähnlichkeit des Wortlauts des Blair / Schröder-Papiers zur Stellungnahme des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) hinzuweisen, das derselbe vor einem Jahr vorgelegt hat.

Man will uns weismachen, der von der Bundesregierung mehrheitlich favorisierte neue Niedriglohnsektor (Löhne am Existenzminimum haben wir ja längst) sei gut für die vielen unqualifizierten Arbeitslosen, die als schwer vermittelbar gelten. Nach einer neuen Untersuchung der Bundesanstalt für Arbeit sind dies aber in großer Zahl gerade ältere Erwerbslose, die körperlich nicht mehr überall einsetzbar sind. Offenbar ist damit eine andere Strategie verbunden, nämlich das allgemeine Lohnniveau herunterzufahren, - oder, wie Meinhard Miegel, Leiter des Instituts für Wirtschaft und Gesellschaft, es formulierte: "die Verminderung des Lebensstandards für breite Bevölkerungsschichten", die dieser zukünftig für notwendig hält.

Woher sollen denn die vielen Billig-Jobs kommen, deren Existenz in den neuen Zukunftsentwürfen entweder einfach vorausgesetzt oder antizipiert wird? Schon die erzwungenen Arbeitseinsätze von SozialhilfebezieherInnen in den letzten Jahren haben hinlänglich gezeigt, daß Arbeitsplätze fehlen, selbst wenn sie miserabel bezahlt sind. Wenn die Prognose ihre Richtigkeit hat, wonach die Zahl der Einfacharbeitsplätze zukünftig eher sinken wird, dann wird klar, daß es um eine flächendeckende Deregulierung von Arbeitsverhältnissen und -bedingungen geht, mit durchweg niedrigerem Einkommen. Darauf sollen wir vorbereitet werden, und bei der Armutsbevölkerung fängt man wie üblich an.

Mit der gegenwärtigen ideologischen Kampagne, wonach diejenigen, die den Sozialstaat stärken wollen, als ‚Traditionalisten‘ bezeichnet werden, soll offenbar der öffentlichen Meinung eingepaukt werden, daß diejenigen, die den neo-liberalen Konzepten nicht zustimmen, altmodisch und Ewig-Gestrige seien. Und suggeriert wird uns auch, es gäbe zur neoliberalen Strategie des Sozialstaatsabbaus keine Alternative.

Das jüngste sog. Sparpaket hat bereits erste Akzente gesetzt, indem nicht nur die Unternehmen steuerlich sogar entlastet werden, sondern auch, indem die massivsten Kürzungen durch das Arbeitsministerium vorgenommen wurden. Danach werden zukünftig die Erwerbslosen eine niedrigere Rente beziehen. Durch die Verlagerung des Problems wird erwartungsgemäß kein Protest zu erwarten sein. Zudem wurde die originäre Arbeitslosenhilfe ganz gestrichen; sie konnte ein Jahr lang von einer Person bezogen werden, die mindestens 5 Monate beitragspflichtig gearbeitet hatte; dies galt z.B. auch für Referendare. Da dieser Personenkreis nur noch Sozialhilfe beantragen kann, werden somit die Kosten auf die Kommunen umgewälzt.

Mittelstreichungen bei Armen und Erwerbslosen – dies hat eine lange Tradition. Es darf nämlich nicht vergessen werden: die alte Bundesregierung hatte bei den sozialen Leistungen wie kein anderes Land in Europa gekürzt. Darauf war Norbert Blüm besonders stolz gewesen. Bei der Arbeitslosenunterstützung waren es allein im Jahr 1997 ca.38 Milliarden DM, die weggespart worden sind. Hinzu kamen im gleichen Jahr Kürzungen bei der Rente von sogar 60 Milliarden DM. Von diesen gewaltigen Streichungen wurde von der rot-grünen Bundesregierung nichts zurückgenommen - dies gilt es bei den jetzigen Eingriffen immer mit zu berücksichtigen. Sie gräbt kontinuierlich weiter, nicht nur an der Existenzsicherung der Erwerbslosen, sondern sie verstärkt auch den Zwang, irgendwelche Arbeiten – jenseits eines Berufsschutzes – aufnehmen zu müssen. Die Grünen spielen dabei staatstragend mit.

Die Richtung ist bereits vorgezeichnet: Der nächste Schritt wird die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe sein, die bislang nach dem Bezug von Arbeitslosengeld unbefristet bewilligt wurde. Auch hier bliebe nur noch die Sozialhilfe für alle Langzeitarbeitslosen. Und es wurde bereits weitergedacht: Die Anregung des damaligen Finanzministers Lafontaine, die Arbeitslosenversicherung ganz abzuschaffen, wurde inzwischen von Wirtschaftsminister Müller öffentlich aufgegriffen. Damit wäre der Sozialstaat, der real ohnehin immer mehr zur Restgröße wird, endgültig ad acta gelegt.

Derartigen Entwürfen muß jetzt mit aller Macht entgegengetreten werden, um die Bundesregierung an ihre soziale Verantwortung überhaupt erst wieder zu erinnern, die sie auf der Grundlage der Verfassung und des darin verankerten Sozialstaatsgebots zu tragen hat. Notwendig wird ein breites, außerparlamentarisches Bündnis, das daran mitwirkt, diese Entwicklung zu stoppen und Strategien des Sozialstaatsabbaus endlich einer öffentlichen und demokratischen Kontrolle zu unterwerfen.

gez. Christa Sonnenfeld

(Mitglied im Arbeitsausschuß des Komitees für Grundrechte und Demokratie)