letzte Änderung am 27. November 2003 | |
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Bündnisse und Protest, Protest und Bündnisse. Landauf, landab. So ließe sich der Aktionstag gegen die Agenda 2010 beschreiben, der sinniger Weise an einem diesigen, stellenweise verregneten Montag stattfand. Und siehe da? Es passiert noch was in diesem traurigen Land. Es gab Resonanz in Großstädten, Studentenstädten, Kleinstädten. Wir dürfen uns natürlich fragen, warum erst jetzt, wo die Würfel gefallen und die "Reformen" kurz vor der Umsetzung sind? Warum nicht vor einem Jahr, als der Klassenkrieg bereits genau so erklärt wurde, wie er jetzt durchgeführt wird? Es bleibt auch zu fragen, wer da protestiert, außer den üblichen Polit-Verdächtigen plus DGB und übrig gebliebenen Arbeitslosen-Initiativen. Wen wir eigentlich erreichen wollen... Aber nichts desto trotz: Es passiert was. Es scheint zu wachsen. Und die FAU ist mittenmang dabei.
Fangen wir im Norden an, im Süden? Nein, wir lassen Magdeburg den Vortritt. Denn dort wurde bereits in der Nacht zum 3. Oktober das Arbeitsamt demoliert, Scheiben eingeworfen und Parolen gesprüht. "Kapitalismus abschaffen" und anderes soll zu lesen gewesen sein.
Die Metaller Arbeitslosen Initiative Frankfurt (MAI) berichtet von politisch motivierten Arbeitsniederlegungen in der Spätzle-Region: 1.000 Arbeiter bei Porsche und 1.500 bei Bosch in Stuttgart am 8. Oktober, 1.800 bei DaimlerCrysler in Untertürkheim am selbigen Tag, und - schnallt euch an - 15.000 Arbeiter bei DaimlerCrysler in Sindelfingen am 13. Oktober 2003. Die Quelle schweigt leider über Dauer und Umstände der Arbeitsniederlegungen. Am 16. Oktober soll es ferner in 16 Stuttgarter Betrieben um 5 vor 12 Kundgebungen gegeben haben, schreibt die Junge Welt.
Nicht nur die IG Metall, auch die Katholische Arbeiter Bewegung (KAB) meldet sich gehorsamst an der Front zurück. Die Westfalenpost berichtet von einer Demonstration für den arbeitsfreien Sonntag, die sinniger Weise am 18. Oktober, einem Samstag, in einem Ort namens Fleck, statt gefunden hat. Kein Witz! Rund 30 Demonstranten trugen Schilder mit Parolen wie "Ohne Sonntag ist jeder Tag ein Werktag" durch den beliebten Flecker Herbstmarkt. Der Bundestagsabgeordnete Willi Brase (SPD) outete sich in einer Ansprache als Gegner der Sonntagsarbeit, ebenso Pfarrer Reinhard Lenz. Obwohl, muss ein Pfaffe nicht am Sonntag... Wir möchten außerdem anmerken: "Ohne Arbeit ist jeder Tag ein Sonntag."
Willi Brase? SPD ist das Stichwort. Attac hatte die Idee, am 15. Oktober massiven Telefonterror (Überzeugungsarbeit) und Mail-Bombings gegen Bundestagsabgeordnete der Sozis und Grünen einzusetzen. Für den 20. 10. wurde dazu aufgerufen, die Büros beider Parteien nicht nur telekommunikativ sondern "in echt" zu besuchen. Das fand nach Attac-Angaben bundesweit 40 Mal statt, was übertrieben klingt. Verbürgt sind Büro-Besuche in Magdeburg, Dresden, Jena, Berlin, Tübingen, Saarbrücken, Darmstadt, Marburg, Schleswig, Wiesbaden, Nürnberg, Bonn. Wobei Saarbrücken und Darmstadt zwei gegensätzliche Pole im weiten Feld der Widerstandsformen darstellten.
In Darmstadt kam es zu handgreiflichen Auseinandersetzungen zwischen Mitgliedern der `Gewerkschaftlichen Arbeitsloseninitiative` GALIDA und Mitarbeitern der Grünen-Geschäftsstelle. Das Neue Deutschland berichtet, dass Monitore aus dem Fenster geworfen wurden und ein Portrait von Joschka Fischer zerschlagen wurde. Der Zorn von GALIDA ist verständlich: "Statt uns Kaffee und Kuchen anzubieten und in eine Diskussion zu verwickeln", wie es GALIDA-Sprecher Helmut Angelbeck im ND-Interview vorschlägt, "versuchten Grünen-Mitarbeiter, die aus dem Fenster gehängten Transparente gegen die Agenda 2010 wegzureißen". In Saarbrücken hingegen rauschten 10 Attac-Anhänger laut eines indymedia-Berichtes "bewaffnet mit handgemalten Plakaten und einem Appell an das Gewissen der Sozialdemokraten in deren Landesgeschäftsstelle ein". Sie diskutierten mit Eugen Roth, einem Mulitifunktionär, der stellvertretender SPD-Landesvorsitzender und saarländischer DGB-Vorsitzender ist. Ratet mal was er noch ist? Richtig: Attac-Mitglied. Hier gab es Kaffee und Kuchen. Und alles blieb friedlich. So wird´s gemacht!
In Berlin versammelten sich 30 Leute, um Willy Brand ("Freiheit ist soziale Gerechtigkeit") in der SPD-Zentrale zu besuchen. Eine kleine Bürgerkriegsarmee inklusive der berüchtigten 23. Einsatzhundertschaft hinderte die Gruppe am Eintritt und zog eine Art Bannmeile um den Kanzler-Wahlverein. 150 Arbeiter folgten in Spandau einem Aufruf der IG Metall und demonstrierten vor Siemens. In Hamburg versammelten sich 200 DGB-Gewerkschafter unter dem optimistischen Motto "Schröder wach auf - Merkel merk was" vor den Zentralen von SPD und CDU. An der Hamburger Uni für Wirtschaft und Politik ruht für eine Woche der Vorlesungsbetrieb. Der AStA veranstaltet eine "Soziale Protestwoche" mit Aktionen und Diskussionen. Außerdem hat sich die Bambule-Bewegung wieder zurück gemeldet. In Frankfurt protestierten 400 Menschen des dortigen Bündnisses, in Bremen kamen 800 Menschen dem Protest-Aufruf des "Bündnis gegen Sozialkahlschlag" nach, in Rostock waren es 150. In Stuttgart, Ravensburg, Bochum und Kassel wurden ebenfalls Demonstrationen organisiert.
Unerwähnt und anonym bleiben all diejenigen, die in Gruppen oder allein vor den Arbeitsämtern gestanden haben, das DA-Extrablatt, Flugblätter und sonstiges unter die Leute gebracht haben. Es waren zu viele.
Der Aktionstag sollte für die bundesweite Demo am 1. November in Berlin mobilisieren. Ob sich nun tatsächlich mehr Arbeitslose auf den Weg machen, sei dahin gestellt. Was zählt, ist die Lust, vor Ort was zu tun und sich dann und wann zu einer kritischen Masse zusammen zu finden. Diese Lust scheint vorhanden zu sein. Die Demo verspricht spannend zu werden!
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