letzte Änderung am 5. Mai 2003

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Für einen neuen 17. Juni!

Rede von Bernd Gehrke für das Anti-Hartz-Bündnis Berlin im Block des konsequenten Widerstandes innerhalb des Ver.di-Zugs der DGB-Mai-Demonstration

Kolleginnen und Kollegen mit und ohne Jobs!

Ich habe den Auftrag, euch, den gewerkschaftlich organisierten Kolleginnen und Kollegen sowie den anwesenden sozialen Bewegungen die solidarischen Grüsse des Anti-Hartz-Bündnisses zu überbringen. In diesen Tagen ist der Schulterschluss von Gewerkschaften und aussergewerkschaftlicher sozialer Bewegung besonders dringend, wo eine super-grosse Koalition von Kapital und etablierter Politik den neoliberalen Generalangriff auf Gewerkschaften, auf abhängig Beschäftigte, Erwerbslose und Sozialhilfeempfänger/innen, auf Kranke und öffentliches Eigentum gestartet hat, kurz: auf all jene sozialstaatlichen und Schutzrechte, den Arbeiter- und sozialistische Bewegung in einem ein ganzes Jahrhundert währenden Kampf erstritten hatten. Diese super-grosse Koalition schliesst alle Parteifarben ein, angefangen bei denjenigen in Berlin, wo die "rot-roten" Tarifbrecher im Senat uns durch sparen zum "quietschen" bringen wollen, wie der Regierende Bürgermeister so schön gesagt hat. Die rot-grüne Bundesregierung hat ihrem Plan zum Generalangriff einen Namen gegeben: Agenda 2010. Darin spielt das Vorhaben-Paket der Hartz-Kommission eine zentrale Rolle.

Mit der Durchsetzung des Hartz-Programms, dessen erste gesetzliche Umsetzung wir gerade zu spüren bekommen, werden grundlegende Rechte für Beschäftigte, Erwerbslose und Sozialhilfeempfänger/innen beschnitten und eine drastische Verarmung grosser Teile der von Lohn und staatlichen Leistungen Abhängigen in Gang gesetzt. Und nach der Beschneidung von Arbeitslosengeld und -hilfe wird inzwischen auch über die Absenkung des ohnehin erbärmlichen Sozialhilfeniveaus diskutiert. Was das alles für verheerende Wirkungen für eine Stadt mit achtzehn Prozent offizieller Erwerbslosigkeit wie Berlin bedeutet, ist leicht auszumachen.

Doch die im Hartz Paket zentral verankerte und inzwischen gesetzlich geregelte Einführung eines Niedriglohnsektors durch Leiharbeit bedroht in massiver Weise auch die Arbeitsplätze der vorhandenen Belegschaften und setzt eine Abwärtsspirale der Löhne in Gang. Sie spaltet zudem auch tariflich die Beschäftigten fundamental und untergräbt damit die Existenzgrundlage unserer Gewerkschaften: die Solidarität der Lohnabhängigen, ihren gemeinsamen Kampf für einheitliche Tarifbedingungen. Die Behauptung, dass diese Spaltung der Beschäftigten durch den Abschluss von Tarifverträgen für Leiharbeit verhindert würde, hat sich inzwischen als Märchen erwiesen: Nach mir zugegangenen Informationen hat meine eigene Gewerkschaft Ver.di kürzlich einen Tarifvertrag zur Leiharbeit mit einem Stundenlohn von etwas mehr als sechs Euro vorgelegt.

Das Anti-Hartz-Bündnis, in dem Beschäftigte und Erwerbslose, gewerkschaftlich Organisierte und Nichtorganisierte zusammenarbeiten, hat sich im Oktober letzten Jahres gegründet, nach dem die rot-grüne Regierung, Unternehmer-Verbände und eine im neoliberalen Geist gerade zu gleichgeschaltete Presse unisono verkündeten, damit käme nun der richtige Reform-Ruck zur Schaffung von Arbeitsplätzen. Nur die Oppositionsparteien im Bundestag hatten zu bemäkeln, dass zwar die Richtung stimme, aber alles noch nicht weit genug gehe. Auch unsere Gewerkschaftsfürsten haben sich leider nicht mit Ruhm bekleckert und dem veröffentlichten Einheits-Jubel kein Zeichen des Protestes entgegen gesetzt. Im Gegenteil: Sie haben dem Hartz-Paket zugestimmt und die so genannten "notwendigen Reformen" entweder begrüsst oder nur flüsternd Einzelheiten an ihm bemängelt.

Zum Glück regt sich jetzt auch in den Gewerkschaften massiver Protest gegen die Arbeitsmarkt-, Wirtschafts- und Sozialpolitik der Bundesregierung. Das liegt sicher auch daran, dass die Bundesregierung die gewerkschaftliche Unterwerfung bei "Hartz" nicht belohnt, sondern mit der Rürup-Kommission und den Plänen des Wirtschaftsministers zum Kündigungsschutz jetzt auf "Hartz" noch eins "oben drauf gesetzt" hat.

Im Koalitionsvertrag hatte "Rot-Grün" erklärt, das Hartz-Paket sei "die größte Arbeitsmarktreform in der Geschichte der Bundesrepublik." Wohl war. Jetzt sollten sie hinzufügen: Die Reform der Sozialsysteme wird die grösste Reform seit Bismarck, der aus Angst vor der Arbeiterbewegung die paritätische Finanzierung durch abhängig Beschäftigte und Unternehmer eingeführt hat! Doch alles, was uns Rot-Grün heute mit dem Wort "Reformen" alltäglich um die Ohren schlägt, ist das Gegenteil dessen, wofür Gewerkschaften ein Jahrhundert lang gestritten haben: mehr Schutzrechte für abhängig Beschäftigte und sozial Schwache und Umverteilung des Reichtums zu deren Gunsten. Was uns heute als "Reformen" geboten wird, ist in Wahrheit eine neoliberale Gegen-Reformation des Kapitals gegen eben diese erkämpften Reformen. Wer alle die jetzt diskutierten oder schon auf dem Gesetzgebungsweg befindlichen Vorhaben zusammen nimmt, der kann nicht anders als festzustellen, dass nun nicht mehr nur schleichend wie bisher, sondern eben im Hauruckverfahren eine Art Staatsstreich gegen die bestehende Sozialordnung der Bundesrepublik durchgeführt wird, der das gesamte Regime des "Sozialstaates" von den Arbeitsbeziehungen über die sozialen Sicherungssysteme bis hin zum öffentlichen Dienst im Interesse des Kapitals beseitigen soll.

Gegen diese Politik müssen wir als Gewerkschaften und als soziale Bewegungen deshalb mit aller uns zur Verfügung stehenden Macht kämpfen, statt vor ihr auf dem Bauch zu liegen und um besseres Wetter zu bitten und zu betteln. Schliesslich wurde auch der Sozialstaat seit dem 19.Jahrhundert nicht durch Bitten und Betteln eingeführt, sondern durch Druck und Kampf. Und nur so können wir unsere erkämpften Rechte auch in der Gegenwart verteidigen.

Heute, wo es nur allzu offensichtlich ist, dass es keine Parteien gibt, denen wir den Kampf für unsere Interessen anvertrauen können, da alle Parlamentsparteien uns ans "Eingemachte" gehen, gilt mehr als je zuvor, dass wir unser Schicksal in die eigene Hand nehmen und sich Gewerkschaften und soziale Bewegungen auf den Weg der ausserparlamentarischen Opposition begeben müssen, wie dies auch in anderen Ländern schon der Fall ist.

Dabei brauchen wir uns ganz und gar nicht durch Angst vor einer Regierung Merkel/Stoiber vom Kampf gegen die Schröderpolitik und für eine soziale Politik in unserem Interesse abschrecken zu lassen. Warum sollte unter dem Druck unseres Kampfes und einer breiten Mobilisierung der Gesellschaft denn nicht eine gewerkschaftsnahe Regierung mit dem Chef der IG BAU Wiesehügel an der Spitze das Regierungsruder übernehmen? Schliesslich haben wir seit Kohls Zeiten oft genug unsere Alternativen zur Politik von Arbeitsplatz- und Sozialabbau formuliert, die nun, wo die Kohl-Politik von der Schröderregierung umgesetzt wird, immer noch gültig sind: Das gilt sowohl für den gesetzlichen Abbau der Überstunden, für eine drastische Arbeitszeitverkürzung oder den Ausbau und die Modernisierung des öffentlichen Dienstes, die Auflage sozialer Infrastrukturprogramme oder Investitionen in den ökologischen Umbau. Und wer uns fragt, woher das Geld dafür kommen soll, den erinnern wir daran, dass in Deutschland trotz allen Geschrei’s über leere Kassen noch nie soviel Reichtum geschaffen wurde wie heute. Die Wiedereinführung der Vermögenssteuer oder die Besteuerung der Konzerne nach ihrer wirklichen Leistungsfähigkeit können nicht nur Geld in die öffentlichen Kassen bringen, sondern auch die grosse Ungerechtigkeit beseitigen, dass gerade in Deutschland die öffentlichen Kassen von den kleinen Leuten gefüllt werden, während sich die Grossen im Steuerstreik üben.

Und wer meint, uns daran erinnern zu müssen, dass sich die Welt um uns herum geändert hat, dem können wir getrost entgegen halten, dass wir sehr wohl wissen, was uns droht und wem wir das verdanken: Den Konzernen und Regierungen Deutschlands wie anderer kapitalistischer Metropolen, die über IWF, Weltbank, WTO oder das Maastricht-Abkommen gegen ein soziales Europa das Reich des freien Unternehmertums weltweit durchgesetzt haben. Gerade deshalb ist es auch notwendig, dass wir statt den Schulterschluss mit unseren Konzernbossen und Regierungen in Deutschland vor allem den mit den Gewerkschaften und sozialen Bewegungen in Europa und in anderen Ländern der Welt suchen.

Beginnen wir jetzt also damit, uns entschlossen zu wehren, Belegschaften und Gewerkschaften gemeinsam mit den sozialen Bewegungen. Deshalb sollten wir uns eines Ereignisses erinnern, das gerade in diesen Tagen von doppelter Aktualität ist und welches uns in nächster Zeit wohl in gesalbten Worten jener begegnen wird, die uns heute das Messer an die Gurgel setzen: Vor 50 Jahren hat am 17. Juni die Arbeiterklasse Ostdeutschlands mit einer Regierungspartei abgerechnet, die das Wort sozial in ihrem Namen trug, sogar das Wort "sozialistisch", und die mit der Arroganz der Macht das Diktat der stalinistischen Besatzungsmacht umgesetzt und jene Ideale verraten hatte, die zu vertreten sie behauptete. Heute, wo eine andere Partei, die das Wort "sozial" in ihrem Namen trägt, mit der gleichen Arroganz der Macht die Ideale verrät, für die sie 1998 angetreten war und uns das Diktat des Kapitals aufzwingt, sollten wir uns erinnern, welche Wirkung es auf herrschende Cliquen und Klassen hat, wenn wir massenhaft streiken und auf die Strasse gehen.

In diesem Sinne:

Wir fordern es mit Wonne: Hartz und Rürup in die Tonne!

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