letzte Änderung am 26. November 2003 | |
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Liebe Kolleginnen und Kollegen,
Nach Arnos Referat (Arno Hager, 1. Bevollmächtigter der IG Metall Berlin) mit dem Titel Druck und Gegendruck möchte ich der Frage nachgehen: Warum erzeugt Druck so wenig Gegendruck? Und was können wir tun, um das zu ändern.
Dazu fand ich zwei wichtige Aussagen in der Grundsatzrede unseres Vorsitzenden Jürgen Peters auf dem 20. Gewerkschaftstag. Zwei Schlussfolgerungen, die meines Erachtens den Nagel auf den Kopf treffen:
Erstens: Die SPD hat sich unter Verweis auf Globalisierung und Standortzwänge von den Arbeitnehmerinteressen verabschiedet und steht folglich als Bündnispartner nicht mehr zur Verfügung.
Und zweitens: Ziel ist es, mit allen aktiven Gruppen und Bewegungen die Stimmungen und Mehrheiten in der Gesellschaft zu verändern.
Agenda 2010, darunter könnte in einem politischen Lexikon kurz und bündig stehen: Politik für die Reichen auf Kosten der Armen. Die Inhalte sind euch allen hinlänglich bekannt. Aber auch diese Agenda 2010 wird nur der Anfang sein, der Zug rollt weiter ins Tal der Tränen, wenn wir ihn nicht stoppen.
Dazu kurz eine Nachricht aus der Frankfurter Rundschau von gestern: Die Inlandsnachfrage ist im 3. Quartal um 1,6% gesunken. Mein Kommentar: Die Agenda 2010 nimmt planmäßig ihren Lauf.
Es drängt sich die Frage auf: Ist die SPD nur das kleinere Übel oder nicht doch das größere Übel. Diese Frage möchte ich nicht beantworten, aber trotzdem darüber reden.
In den letzten Monaten gab es eine Menge von Veranstaltungen und Stellungnahmen der IG Metall zur Agenda 2010. Die Analysen entlarvten diese Politik meist ausgezeichnet: Sie ist gegen die Arbeitnehmer gerichtet, egal ob mit oder ohne Erwerbsarbeit. Die Analysen endeten dann aber fast immer mit einem Schwenk hin zur SPD, und erläuterten die Politik der Sozialdemokraten als um Reformen bemüht, und forderten zu kritischer Unterstützung auf. Da verstand man die Welt nicht mehr!
Besonders krass war dies auf einer Veranstaltung im Frühjahr im großen Saal bei uns in der alten Jacobstraße, als der Kollege Klaus Lang aus der Vorstandsverwaltung mit einem Geschäftsführer der SPD auf dem Podium diskutierte.
Der Widerspruch war ganz offensichtlich und die Stellungnahmen unserer Kolleginnen und Kollegen sind ausnahmslos darauf eingegangen.
Mit dieser widersprüchlichen Haltung lassen sich keine Stimmungen und Mehrheiten in der Gesellschaft ändern, um mit Jürgen Peters zu sprechen.
Nein, sie verunsichern, und lähmen jede Initiative.
Da stellt sich die Frage: Könnten viele Menschen nicht vielleicht schon viel kritischer sein als wir denken? Könnte es nicht vielleicht sein, das der Wunsch nach einer guten Zusammenarbeit mit der SPD mehr das Anliegen von Gewerkschaftsfunktionären ist als das der Menschen in unserem Land?
Die Kommunalwahlen in Brandenburg mögen ein Hinweis dafür sein. Zum ersten Mal ist die Hälfte der Wählerinnen und Wähler nicht mehr zur Wahl gegangen. Warum nicht? Weil sie nicht erkennen konnten, dass unterschiedliche Programme zur Wahl standen, und schon gar nicht Programme, die sie attraktiv fanden. In Cottbus ist sogar nur noch ein Drittel zur Wahl gegangen. Das sind ja schon bald Verhältnisse wie bei der Präsidentschaftswahl in den USA, wo keine 20% den Republikaner Busch gewählt haben.
Es ist inzwischen in Deutschland ein politisches Vakuum entstanden. Keine der Parteien überzeugt mehr die Wähler. Das birgt Gefahren und Chancen. Gefahren, weil hier rechtes Gedankengut und rechte Organisationen verstärkt Fuß fassen können. Chancen, weil hier die Gewerkschaften umfassend programmatisch aktiv werden könnten. Versteht mich nicht falsch, ich meine nicht als Partei, sondern eher als inner- und außerbetriebliche, außerparlamentarische Bewegung. Und wird die Bewegung stark genug, dann kommen die Parteien nicht drum herum, unser Programm, unsere Forderungen und gesellschaftlichen Utopien aufzunehmen.
100.000 Menschen sind am 1. November gegen die Agenda 2010 auf die Straße gegangen und die Führungen der DGB-Gewerkschaften standen im Abseits. Viele Gewerkschafter haben teilgenommen, das Meer von IG Metall und Verdi-Fahnen war nicht zu übersehen. Das war schon ein toller Anblick, und ein erhebendes Gefühl, dazu zu gehören.
"Mit allen aktiven Gruppen und Bewegungen die Stimmungen und Mehrheiten in der Gesellschaft ändern", dazu war diese Demonstration ein eindrucksvoller Beitrag. Die kurzen Reden von Repräsentanten aus verschiedenen Bereichen unserer Gesellschaft waren deutlich und überzeugend. Das war möglich, weil sie klare Aussagen machten und keine Rücksicht auf politische Parteien nahmen, auch nicht auf die SPD.
Der Arzt und Analytiker Rainer Roth aus Frankfurt, der neulich auch im großen Saal der IG Metall zum Jubiläum geredet hat, schloss bei der Abschlusskundgebung inhaltlich mit genau derselben Aufforderung wie Jürgen Peters: "Alle die, die sich wehren wollen, müssen sich überall in Deutschland stärker in Bündnissen zusammenschließen. Das ist dringend notwendig. Diese Bündnisse müssen alle ansprechen, seien sie erwerbslos, erwerbstätig, in Rente oder in Ausbildung. Sie müssen sich gegen das Kapital richten. International. Es muss ein Ruck durch Deutschland gehen. Die heutige Demonstration ist ein ermutigender Anfang."
Keine Maßnahme wurde von der Regierung nach der 1. November Demonstration inzwischen zurückgenommen, die Agenda 2010 wird weiter durchgezogen. Dazu hat sich die SPD auf ihrem Parteitag in Bochum auch noch einmal vereinheitlicht. Das bedeutet, die Menschen erwarten jetzt Vorschläge von anderer Seite warum nicht von uns? -, wie wir den Druck erhöhen können, wie wir gemeinsam diese so genannten Reformen zu Fall bringen können und unsere Vorstellungen für einen Ausweg aus der Krise weiterentwickeln.
Wenn die IG Metall das im Kopf klar hat, kann sie mit vereinten Kräften und öffentlich ein gesellschaftliches Programm erarbeiten. Und ohne den Schwenk zur SPD bleibt uns dabei auch der Boden unter den Füßen erhalten. Mit einem positiven Programm lassen sich auch am besten unsere eigenen Kolleginnen und Kollegen überzeugen. Und 2,5 Millionen Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter mit klarem Kopf, das wäre doch eine gute Vorrausetzung, um die Stimmungen und Mehrheiten in der Gesellschaft zu ändern.
Vertrauenskörper und Betriebsversammlungen sind sicherlich geeignete Diskussionsforen. Nahezu endlos würden Betriebsversammlungen dauern, wenn alle Punkte der Agenda 2010 und unsere positiven programmatischen Vorstellungen dagegen dort beredet würden. Lasst mich mal kurz überschlagen: Sicherlich enthalten die Hartz-Gesetze und die Agenda 2010 50 Verschlechterungen. Diskutieren wir diese im Einzelnen auch nur 5 Minuten lang, dann wären schon 4 Stunden vergangen. Dazu müssten wir dann unsere positiven Vorschläge entwickeln. Ließe sich das nicht entsprechend einrichten? Die Vorstandsverwaltung kann doch zentral eine entsprechende Rede erarbeiten, damit die einzelnen Betriebsräte nicht so viel Arbeit damit haben.
Die bevorstehende Tarifrunde ist eine weitere Gelegenheit, Lohnforderungen im gesellschaftlichen Zusammenhang von Kürzungen in allen sozialen Bereichen umfassend zu diskutieren. Die Unternehmer haben jedenfalls schon damit angefangen.
Und Warnstreiks brächten dann den ersten Sand ins Getriebe. Da können wir sicherlich noch viel von unseren französischen und italienischen Kollegen lernen. Dazu müssen wir sie einladen, wer sollte uns daran hindern?
Dabei will ich es im Moment belassen. Ich will Schluss machen mit einem altbekannten Slogan, denn er passt auch hier wie die Faust aufs Auge: Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.
Schönen Dank fürs Zuhören.
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