letzte Änderung am 13. Oktober 2003 | |
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Der Mythos vom "rheinischen Kapitalismus" zerbröselt unter dem Druck der Krise. Aus der Traum von der Versöhnung von Profit und Massenwohlstand, von Akkumulation und Vollbeschäftigung, vom Happy-End der Klassengesellschaft im Wohlfahrtsstaat für alle; vorbei die Zeiten, in denen Arbeitgeberpräsidenten wie Hanns-Martin Schleyer argwöhnen mußten, die sozialdemokratische Regierung arbeite still und leise an der Einführung des Sozialismus, wenn sie die Mitbestimmung im Betrieb vorsichtig ausweitete, und die Linken exakt das gleiche dachten und frohen Mutes den langen Marsch durch die Institutionen antraten. Die Traumhochzeit von Kapital und Arbeit vor dem Traualtar des Sozialstaates endet gegenwärtig im großen Schlamassel.
Um mehr als einen Trostpreis für die lohnabhängige Klasse ging es selbstredend nie: lebenslange Unterwerfung unter den Fluch der Arbeit dafür zwischendurch etwas Urlaub, gelegentlich eine Lohnerhöhung und dann und wann etwas Arbeitszeitverkürzung. Wo kein erfülltes Leben zu haben war, schien wenigstens das Überleben gesichert. Gegenwärtig wird die schäbige Abfindung zusammengestrichen. Blut, Schweiß und Tränen donnert der Kanzler, schneller, härter, lauter drängelt die Opposition. Es gibt kein Halten mehr: Weg mit Kündigungsschutz, mit Zahnersatz und Hüftgelenken, mit dem Arbeitslosengeld, rauf mit Arbeitszeit und Renteneintrittsalter, runter mit den Löhnen, nieder mit dem Anspruchsdenken. Der massivste Angriff auf das Einkommen der Lohnabhängigen in der Geschichte der Bundesrepublik läuft auf ganzer Front. Es geht um weit mehr als die Sanierung der Sozialversicherungskassen, nicht nur die "Leistungsempfänger" werden attackiert. Arbeitskraft soll generell billiger und flexibler werden, zeitlich entgrenzt und rechtlich weniger reguliert. Die Verschärfung des Arbeitszwangs durch Leiharbeit oder Arbeitsdienste der Sozialhilfe-Empfänger wird auch das Lohnniveau der regulär Beschäftigten drücken und genau darin liegt ein wesentlicher Zweck der ganzen Operation. Die Ausbeutung soll von allen Schranken befreit werden, der Standort braucht ein Heer von allzeit bereiten billigen Arbeitskräften. Außer Verzicht hat diese Ordnung nichts mehr anzubieten.
Wir jammern nicht, und schon gar nicht sind wir empört: Was wäre anderes vom Klassengegner zu erwarten? Selbstverständlich wird in der Krise das Zuckerbrot gestrichen und die Peitsche hervorgeholt nicht aus bösem Willen, sondern objektivem Zwang. Der Verzicht wird zum Dienst an der "Solidargemeinschaft" geadelt, der legitimen Erbin der Volksgemeinschaft. Sobald auch nur ein bißchen an diesem Konsens gerührt wird, ergreift Panik die Bourgeoisie - selbst wenn der Klassenkampf nur in seiner äußersten Schwundstufe auftritt, als gewerkschaftlich kontrollierter Streik: "Schluß mit dem Klassenkampf! Der Westen Deutschlands schaut den Osten kopfschüttelnd an. Was spätestens durch die beispiellose Solidarbewegung während der Flutkatastrophe überwunden schien, bricht durch die anachronistische Gewerkschaftspolitik wieder auf: Ost gegen West" bejammerte Lothar Späth den Metaller-Streik in Ostdeutschland. "Nicht die ostdeutschen Arbeitnehmer an sich und schon gar nicht die Arbeitslosen sind es ..., die den Klassenkampf in einer Zeit fortführen wollen, in der es nicht mehr um Arbeit versus Kapital, sondern um Arbeit versus Arbeitslosigkeit geht." Arbeit versus Arbeitslosigkeit: Dieser "Konflikt" wird natürlich durch Verzicht der Lohnabhängigen wie der Arbeitslosen gelöst. Am Besten aber ist es, eine Flutkatastrophe oder George W. Bush sorgen dafür, daß Deutschland wie ein Mann zusammensteht, beim Sandsäckeschleppen oder in Menschenketten für den Frieden.
Offenbar ist die ideologische Offensive erfolgreich, die mit den materiellen Angriffen einhergeht: Jeder Gedanke an ein Leben jenseits des Arbeitszwangs muß getilgt, jeder Einzelne in die autoritäre Gemeinschaft des Verzichts gezwungen werden. Dazu dient die ganze nationale Mobilmachung, die mit immer schrilleren Tönen betrieben wird. Wer aus der Reihe tanzt, bekommt die geballte Wut des Kollektivs zu spüren, kaum eine Talkshow, in der nicht Sozialhilfeempfängerinnen und Sozialhilfeempfänger als Schmarotzer zum Abschuß frei gegeben werden. Aus der Aggression der Steuerbürger gegen alle, die "uns" auf der Tasche liegen, spricht die nur zu begründete Panik vor der eigenen Überflüssigkeit. Sie dienen sich der Herrschaft an, indem sie Bund der Steuerzahler spielen, die Staatsraison zu ihrer Herzensangelegenheit erklären und eifersüchtig darüber wachen, daß niemand zuviel aus dem Futtertrog des Staates erhält. Sie klammern sich an das kärgliche Etwas, das sie ihre Existenz nennen müssen, wie an einen dürren Ast über dem Abgrund, treten gegen alle, die unter ihnen stehen, um nicht mit ihnen verwechselt zu werden: Die einzige Form der Negation, die sie kennen, ist das Ressentiment.
Die Ressentiments kochen über, wenn die Underdogs es sich auch noch gut gehen lassen. Als kürzlich der Fall eines Sozialhilfeempfänger namens Rolf bekannt wurde, der wegen einer "Deutschland-Allergie" (Spiegel) in Florida lebt, malte die Bildzeitung genüßlich sämtliche Kleinbürgerträume aus: "Das Appartement (ca. 60 qm) mit Schlafzimmer, Wohnzimmer, Essecke und Küche liegt in einem neuen Wohnkomplex an der Collins Avenue im fünften Stock mit Traumaussicht. (...) Von der Haustür bis zum nächsten weißen Sandstrand (Wasser 26°) braucht man knapp zwei Minuten. Zahlreiche schicke Restaurants befinden sich in unmittelbarer Nähe. Im Hotel "National" in der Collins Avenue offerieren die Kellner gratis hausgemachte Erdbeerlimo bei der Hitze ein Segen. Und sollte dem Osnabrücker nach europäischen Spezialitäten zumute sein auch kein Problem: In Laurenzos Farmers Market kann er deutsches Brot, französischen Käse, italienische Salami kaufen." Der Bild-Schmierfink - der sicherlich nicht in einer Wellblechhütte lebt appelliert an die schiefe Kalkulation, daß es irgend wann einmal allen wieder besser gehen wird, wenn erst mal alle den Gürtel enger schnallen. Da geht es nicht an, daß dieser Staat einem noch das mühsam erarbeitete Geld aus der Tasche zieht, um die Faulenzer durchzufüttern. Diese Rechnung ist selbstredend Unsinn: Was bei den Sozi-Empfängern gestrichen wird, wandert nie und nimmer in die Lohntüten der abhängig Beschäftigten. Im Gegenteil: Gerade um einen Niedriglohnsektor zu etablieren, müssen die Sozialleistungen immer kläglicher werden, da sie faktisch eine Alternative zur Maloche sind und als solche auch genutzt werden.
Die Rechnung ist daher auch schon halb durchschauter Trug: Fast jeden plagt die Ahnung, daß es bei der ganzen Veranstaltung um etwas ganz anderes geht als ausgerechnet um sein Wohlergehen. Der ständige Verzicht, der Aufschub aller Wünsche auf den Sankt Nimmerleinstag, mündet in um so größerer Raserei gegen die, die scheinbar dieser Entsagung enthoben sind, indem sie das Tauschprinzip unterlaufen: Was an Florida-Rolf exemplarisch gehaßt wird, ist der eigene Wunsch nach einem Leben jenseits des Arbeitszwangs; ein Wunsch, für dessen Verwirklichung man mit seinem ganzen bisherigen Leben brechen und gegen die herrschende Ordnung aufbegehren müßte. Als Verkörperung dieses Wunsches wird Florida-Rolf von Medien und Politikern zum Abschuß freigegeben, damit bloß keine Verwechslung geschehe und diese Ordnung eventuell selber ins Visier geriete. Statt dessen dürfen sich die sogenannten kleinen Leute einmal groß fühlen, indem sie an diesen Ersatz-Objekten ihr Mütchen kühlen: Allen soll es gleich schlecht gehen. Die Sachwalter der Herrschaft bedienen diesen Mechanismus ganz bewußt und rufen "Haltet den Dieb!", bzw.:"Kein Luxus [!] auf Kosten des Steuerzahlers", wie Edmund Stoiber nach dem Fall Florida-Rolf weitere herbe Einschnitte bei der Sozialhilfe zu begründen wußte.
So reibungslos geht dieser Verzicht im Namen des Standorts über die Bühne, so widerstandslos wird der Gürtel enger geschnallt, daß jeder, dem sein eigenes Hemd näher ist als das Wohl der Nation, schon fast als Subversiver erscheint. "Wir lehnen alle Angriffe auf den Lebensstandard der breiten Masse der Bevölkerung ab", verkündet der Bündnis-Aufruf zur Demonstration am 1. November. Sehr gut - doch die Freude über den Funken Vernunft, der hier aufblitzt, weicht schnell der bitteren Erkenntnis, daß dieser Protest verloren ist, bevor er überhaupt angefangen hat denn mit dem Fetisch Gemeinwohl, um das sich der Staat sorgen soll, wird überhaupt nicht gebrochen. Der Bündnisaufruf zur Demonstration am 1. November vermeidet nicht nur aus blankem Opportunismus jede Kritik an den Gewerkschaften, die sich als kooperativer Gesprächspartner bei der Verschärfung der Ausbeutung hervortun. Er bejammert auch "Arbeitslosigkeit, leere Staatskassen und Krisen" und bewegt sich somit auf feindlichem Terrain.
Wenn Attac, PDS, Sozialforen und einzelne Teile der Gewerkschaften gegen die Agenda 2010 mobil machen, spricht der Geist des Staatsbürgers aus jeder Zeile ihrer Agitationsschriften. An der Einrichtung der Welt in den Formen von Ware und Geld, Lohnarbeit und Kapital, Staat und Recht haben sie wenig auszusetzen, gegen ihre unausweichlichen Konsequenzen aber wird nach Kräften moralisiert. Das Kapitalverhältnis ein Wunschkonzert, das nur dummerweise gerade die falschen Leute dirigieren. Die Krise ein Betriebsunfall, irgendwie unerklärlich, vermutlich von den Banken verursacht, jedenfalls nicht von uns, die wir ehrlich arbeiten gehen und Steuern bezahlen. Der Staat manchmal ungerecht, eigentlich aber eine Einrichtung zum Wohle des ganzen Volkes. Schuld an allem sind Steuergeschenke an "die Reichen" und die Anschaffung teurer Rüstungsgüter. Geld ist genug da! Besteuert die Reichen! Investiert in Arbeitsplätze! Los, Vater Staat, drängelt der Aufruf zum 1. November, "Heranziehung der Unternehmensgewinne und hoher Vermögen zur Finanzierung menschenwürdiger Lebensverhältnisse!"
Menschenwürdige Verhältnisse würden dort anfangen, wo Finanzierungsfragen aufhören also erst dann, wenn die bornierte Form des Geldes auf dem Müllhaufen der Geschichte landet, zusammen mit allen anderen Verkehrsformen der Klassengesellschaft. Bis dahin muß Geld als Kapital fungieren, als sich vermehrendes Geld. Von alleine aber vermehrt es sich nicht, sondern nur durch die Anwendung von Arbeitskraft, die mehr Wert produziert, als sie selbst in Form des Lohnes erhält. Die Ausbeutung liegt nicht darin, daß der Staat bei "uns" streicht und "den Reichen" gibt und damit gegen irgendwelche heiligen Vorschriften "sozialer Gerechtigkeit" verstößt. Die Ausbeutung ist vielmehr das Lebenselixier der gesamten bestehenden Produktionsweise, ihr innerstes Gesetz. Diesem Gesetz verschafft der Staat nicht deshalb Geltung, weil der Kanzler am Büffet der Banker und Konzernchefs seinen "sozialen Auftrag" vergessen hat. Auch die Partei des demokratischen Sozialismus, die im Bund mit der Sozialdemokratie Berlin auf eine Weise saniert, die Margaret Thatcher vor Neid erblassen läßt, hat nichts vergessen und niemanden verraten, sondern begriffen, daß der Staat etwas anderes ist als die Rosa-Luxemburg-Stiftung, die nach freiem Ermessen Geld verteilen darf. Die Möglichkeit der Staatsverschuldung ist begrenzt, sonst mündet sie im Staatsbankrott. Die formale Freiheit der Regierung im Umgang mit ihren Geldern ist keine reale, denn all ihre Finanzmittel müssen aus der Ökonomie abgezweigt werden, deren möglichst reibungsloses Funktionieren daher immer schon vorausgesetzt ist. Dies schließt die Notwendigkeit ein, als bewaffnete Macht nach außen aufzutreten - völlig sinnlos ist es daher, dem Staat vorzurechnen, daß ein Airbus teurer ist als zehn neue Kindergärten und er im Rüstungsetat viel besser sparen könnte als bei den Sozialleistungen. Obendrein werden die Kosten der Aufrüstung Deutschlands von denen am lautesten beklagt, die vor wenigen Monaten noch das von Schröder und Chirac geführte Old Europe zum Aufstand gegen Amerika anfeuerten. Die Agenda 2010 erschöpft sich aber bei weitem nicht in der Sanierung des Staatshaushaltes. Nur wenn das Anspruchsniveau der Lohnabhängigen empfindlich gesenkt wird, kann die Ökonomie wieder in Fahrt kommen. Wer auf dem krisengeschüttelten Weltmarkt bestehen will, muß den Konkurrenten unterbieten, etwa durch Lohnsenkungen und die Verdichtung der Arbeit. Verändern sich die Ausbeutungsbedingungen nicht zugunsten des Kapitals, wird es in der Weltmarktkonkurrenz unterliegen oder, wenn möglich, verstärkt auswandern etwa nach Osteuropa, wo gut ausgebildete Arbeitskräfte zu ganz anderen Löhnen und Bedingungen schuften als hier.
Der Sozialstaat war nie eine Einrichtung zur allgemeinen Wohlfahrt, sondern immer an den Zwang zur Lohnarbeit gekoppelt. Arbeiterinnen und Arbeiter, die wegen Krankheit, Unfällen oder Arbeitslosigkeit zeitweilig aus dem Produktionsprozeß ausscheiden, sollen als Arbeitskraft erhalten bleiben, um später wieder der Ausbeutung zur Verfügung zu stehen. Im "goldenen Zeitalter" von Wirtschaftswachstum und Vollbeschäftigung war das ganze kein Problem für das Kapital, das materielle Lebensniveau der Massen konnte steigen, ohne die Akkumulation ernstlich zu gefährden. Seit den siebziger Jahren hat sich dieses Bild allmählich verändert. Die Arbeitslosigkeit ist kontinuierlich gestiegen, viele Leute halten sich zudem freiwillig an die spärlichen Sozialleistungen, anstatt sich für irgendeinen Blödsinn abzurackern. Als arbeitsfreies Einkommen aber waren die Sozialleistungen nie gedacht, und gegenwärtig geht es somit darum, den Sozialstaat auf seine ursprüngliche Funktion zurückzuführen: die Arbeitsunfähigen auf niedrigstem Niveau durchzufüttern und den Rest in die Mühlen des Arbeitsmarktes zu pressen.
Der Protest gegen die Agenda 2010 will einen Zustand konservieren, der für die herrschende Produktionsweise unhaltbar geworden ist. Anstatt kategorisch jede Verschlechterung der Lebensbedingungen abzulehnen, und damit auf Konfrontationskurs zu gehen, träumt man von sozialer Harmonie unter der Aufsicht des Staates. Keine Forderung wird erhoben, ohne ihre Finanzierbarkeit darzulegen, kein Interesse formuliert, ohne seine Gemeinwohlverträglichkeit zu unterstreichen, alles und jeder muß durch das Nadelöhr des Allgemeininteresses.
Doch selbst durch diesen dichten ideologischen Nebel scheint in guten Momenten etwas Vernunft: Unnötig sollen Lohnverzicht und Sozialabbau sein, weil "der gesellschaftliche Reichtum enorm gewachsen" sei. Wie wahr: Der Kapitalismus produziert noch nie gekannte materielle Reichtümer, die es zu einer echten Leistung machen, den Verzicht einzusehen. Warum mehr schuften und schlechter essen, wenn doch die Produktivität allerorten steigt? Als Plädoyer für eine bessere Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums unter den gegebenen Bedingungen taugt dies jedoch überhaupt nicht, denn Sinn und Zweck der bestehenden Produktionsweise ist nicht die Produktion von Gebrauchsgütern, sondern von Mehrwert. Wer in den herrschenden Verhältnisse nur die Produktion gesellschaftlichen Reichtums sieht, verharmlost sie: Nur als Träger von Mehrwert werden die vielen nützlichen Dinge wie auch der ganze Schrott produziert. In jeder Überproduktionskrise zeigt sich der Gegensatz von stofflichem Reichtum und Kapital. Ein Überschuß an Gütern wäre einer vernünftig eingerichteten Gesellschaft Anlaß für verschwenderische Feste, die bestehende dagegen führt er in den großen Kladderadatsch.
Der gesellschaftliche Reichtum kann nicht staatlich verteilt, er kann nur revolutionär angeeignet werden. Das heißt: Die freie Assoziation der Produzentinnen und Produzenten muß das kapitalistische Zwangsverhältnis ablösen. Dann wird nicht mehr blind für einen Markt produziert, den die Bedürfnisse der Menschen nur als zahlungskräftige Nachfrage interessieren, sondern die Produktion wird auf eine rationale Basis gestellt, die eine ganz andere Rationalität als die betriebswirtschaftliche ist. Weltweite Kooperation ersetzt die heutige Konkurrenz. Das Lohnsystem wird abgeschafft, das Geld wandert ins Museum der Vorgeschichte. Die notwendige Arbeit wird auf ein Minimum reduziert, bewußt verteilt und endlich zur Nebensache werden. Die Tätigkeiten werden erstmals frei gewählt werden können, je nach Neigung oder Fähigkeit. Eine Welt von Genüssen wird den Menschen erschlossen werden, und dieser Genüsse wird sich erstmals ohne Reue, ohne ein Bewußtsein des stets drohenden Mangels erfreut werden können. Die Verhältnisse, unter denen die Menschen kooperieren, werden nicht mehr vom Zwang diktiert, es steht keine Drohung des Verhungerns, keine des Ausschlusses mehr am Horizont: Der Sinn der Revolution ist die Abschaffung der Angst, die heute die Menschen in die Arme des Staates treibt, vor dem man sich doch in Wahrheit am meisten fürchten muß. Alle Formen der menschlichen Beziehungen, die von der alten Gesellschaft diktiert wurden, stehen zur Disposition, sämtliche irrationalen Kollektive, wie Familie, Nation oder Volk, werden ihrem wohlverdienten Ende zugeführt. Die zukünftigen Revolutionäre werden nicht noch einmal den Fehler begehen, den Staat erobern zu wollen. Er wird im Verlauf der Revolution dem Nichts übereignet. Zukünftige Generationen werden irgendwann darüber lachen, daß man früher meinte, etwas so absurdes wie einen Staat haben zu müssen.
Die Aneignung des gesellschaftlichen Reichtums fällt nicht vom Himmel. Sie beginnt dort, wo Individuen sich zusammenschließen, weil sie wissen, daß es an ihnen liegt ihre Lage zu verändern. Die Geschichte der Fabrikbesetzungen, der Arbeiterräte und proletarischen Revolten wurde von den Propagandisten staatlicher Verteilungspolitik nachhaltig verdrängt; wohl nicht zuletzt deshalb, weil sich diese Bewegungen mitunter, etwa im Pariser Mai 1968, gegen genau jenen Vollbeschäftigungskapitalismus richteten, den sie mit ihrer erbärmlichen Forderung nach mehr Arbeitsplätzen wieder haben wollen.
Gegenwärtig fehlt den sozialen Kämpfen meist dieser offensive Charakter - verschwunden sind sie aber keineswegs. In Polen kam es in letzter Zeit nicht nur zu monatelangen Betriebsbesetzungen und militanten Konfrontationen zwischen Bergarbeitern und Staatsmacht, sondern auch zu Solidaritätsstreiks mit diesen Kämpfen. Frankreich erlebt derzeit erste Versuche der Prekären in der Kulturindustrie, ihre scheinbar unüberwindliche Atomisierung in gemeinsamen Kämpfen aufzuheben. In Argentinien sind die Besetzung der Textilfabrik Brukman und die Keramikfabrik Zanón ein Vorschein dessen, was revolutionäre Aneignung heißt: das Eigentum wurde in frage gestellt, die Produktion in die eigenen Hände genommen, was die Arbeiterinnen und Arbeiter ohne die tätige Solidarität anderer prekarisierter Gruppen nicht hätten schaffen können. Sie änderten ihre Verhältnisse, die nicht mehr unter der Knute einer Betriebshierarchie stehen, und fingen an, alles kollektiv zu besprechen. Natürlich sind diese Aktionen noch mit allen Widersprüchen behaftet, die einem lokal begrenzten Befreiungsversuch aufgezwungen werden. So müssen etwa die Leute in den besetzten Fabriken in Argentinien, einfach um zu überleben, weiterhin für den Markt produzieren und sind somit dessen Wechselfällen und Zwängen ausgesetzt. Lohnarbeit und Kapital können letztendlich nur im Weltmaßstab aus den Angeln gehoben werden. Deswegen wird die revolutionäre Bewegung genau wie das Kapital - vor keiner nationalen Grenzen halt machen, andernfalls wäre sie verloren.
Der Widerstand kann an allen Orten beginnen, in den großen Fabriken, in den kleinen Produktionsklitschen, in den Transportbetrieben, den Warenhäusern, überall dort wo neue Lohnarbeitsformen eingeführt werden, auf Arbeits- und Sozialämtern, an den Schulen, bei Asylbewerberheimen... überall dort, wo sich die Möglichkeit zu organisiertem Handeln bietet. Der größte Feind wird die Isolation sein, auf sich selbst zurückgeworfen zu sein, ohne Unterstützung, ohne Solidarität, ohne Kommunikation, nicht unter den Individuen und nicht unter den jeweiligen Gruppen vor Ort. Nirgends dürfen die Gewerkschaften das Sagen haben, die jeden Widerstand in die bestehende Ordnung integrieren. Überall müssen wir die Linke des Kapitals kritisieren, die den alten Plunder aus über hundert Jahren Reformismus feil bietet. Dies wird erst der Anfang sein, aber wer weiß... manchmal überschlagen sich die Ereignisse!
Am 1. November um 13 Uhr am Alex: Hinein in den Sozialrevolutionären Block
Kontakt: http://mitglied.lycos.de/fdkg2003
Freundinnen & Freunde der klassenlosen Gesellschaft
V.i.S.d.P.: Sabine Meyer, Plättnerstr. 18, 13055 Berlin
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