letzte Änderung am 12. Januar 2004

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Rainer Roth

Sozialabbau dient dem Lohnabbau

(Redebeitrag auf der Aktionskonferenz II am 13.12. 2003)

Die Agenda 2010 ist nur ein kleiner Schritt in die richtige Richtung, sagen die Arbeitgeberverbände. Wohin wollen sie? Wir müssen die weitestgehenden Pläne herausarbeiten, nicht nur auf das Tagesgeschäft reagieren, in denen Ziele oft untergehen.

Das ist das Ziel des Beitrags. In welchem ökonomischen Gesamtzusammenhang diese Ziele stehen, wird nicht behandelt.

 

1) Im Zentrum steht der Angriff auf die Löhne.

Das Kapital will sie so weit wie möglich senken, damit die Profite steigen. Aber bis wohin?

a) In allgemeiner Form: Prof. Dr. Hans Werner Sinn (ifo-institut München), stellvertretend für die herrschende Meinung des Kapitals, will so weit absenken, bis es keine Arbeitslosigkeit mehr gibt. "Jeder, der Arbeit sucht, findet Arbeit, wenn man zulässt, dass der Lohn weit genug fällt ..." (Ist Deutschland noch zu retten, München 2003, 93)

Die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit ist ein Vorwand, denn Arbeitslosigkeit wird durch steigende Produktivität, durch Kapitalexport und Krisen immer wieder neu erzeugt.

Das Ifo-Institut meint, mit 10-15% Bruttolohn weniger für alle könnte man die Arbeitslosigkeit weitgehend beseitigen. Bei gering Qualifizierten sei ein Drittel notwendig. So auch die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände schon 1997. Meinhard Miegel hingegen meint, dass die Bruttolöhne für alle ArbeiterInnen um bis zu einem Drittel fallen müssten, um die Arbeitslosigkeit zu halbieren. (vgl. Rainer Roth, Nebensache Mensch, Frankfurt 2003, 147)

b) Wie konkret?

Einerseits durch Verlagerung der Lohnfestsetzung von Flächentarif auf die Betriebe und Ausdünnung bzw. sogar Abschaffung des Kündigungsschutzes. Letzteres erleichtert Lohnsenkungen für alle Tarife.

Andererseits durch Sozialabbau, d.h. durch die Senkung der Arbeitslosenunterstützung, vor allem aber der Sozialhilfe, die wie ein Mindesttarif für untere Lohngruppen wirkt.

Die Bertelsmann-Stiftung, in deren Kuratorium u.a. die Vorstandsvorsitzenden der Post, von Schering, Bertelsmann und Nestle sitzen, verlangt die Abschaffung der Arbeitslosenversicherung in zehn Jahren. Die Reduzierung der Bezugsdauer und des Leistungsniveaus des Arbeitslosengelds, die Ausgliederung bzw. Abschaffung von Weiterbildung und ABM usw., die der Senkung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung dienen, sind Übergangsstufen dazu bzw. Minimalforderungen.

Je schwächer die Arbeitslosenversicherung ist, desto eher kommen Arbeitslose in die Sozialhilfe. Und die soll, zumindest für Erwerbsfähige, möglichst weit weggehauen werden. Denn die Sozialhilfe legt eine Lohnuntergrenze fest. "Die Lohnersatzeinkommen, die der Staat anbietet (zu denen Sinn auch die Sozialhilfe rechnet), erzeugen Arbeitslosigkeit, weil sie wie Lohnuntergrenzen im Tarifsystem wirken." (Sinn ebenda, 161-2) . Er bezeichnet die Sozialhilfe auch als "Untergrenze für die Tariflohnstruktur". (461)

Angriffe auf die Tarifverträge sowie die Arbeitslosenunterstützung und die Sozialhilfe sind nur zwei Seiten einer Medaille bei dem Versuch, das Tarifsystem zu kippen und die Löhne zu senken. 

c) Da die Dauer des Arbeitslosengeldbezugs gesenkt wird und die Arbeitslosenhilfe abgeschafft, sind mehr Arbeitslose im Arbeitslosengeld II, auf der Basis einer leicht abgesenkten Sozialhilfe. Ziel des Kapitals ist die weitgehende Senkung der Sozialhilfe, Die Bertelsmann-Stiftung ist für die Halbierung der Sozialhilfe, um "Fehlanreize" zu vermeiden, das Ifo-institut und Roland Koch für die Senkung um ein Drittel, der Sachverständigenrat für die Senkung um 30%, der Deutsche Industrie-und Handelskammertag und Stoiber für die Senkung um 25% usw..

Der Fehlanreiz Sozialhilfe wäre dann ausgeschaltet, wenn es gar keine Sozialhilfe für Arbeitsfähige mehr geben würde, wie in den USA.

Je tiefer die Sozialhilfe fällt, desto mehr wird das Tarifsystem untergraben.

d) Da dadurch immer mehr Löhne unter das Existenzminimum sinken, tritt die BDA für massive Lohnsubventionen ein, genannt Negative Einkommensteuer. Das Arbeitslosengeld II geht in diese Richtung, aber nur ganz zaghaft. Weitere Senkungen der Sozialhilfe sind deshalb mit höheren Lohnsubventionen verbunden.

e) "Gemeinnützige" Arbeit ist für alle Arbeitslosengeld II-BezieherInnen zumutbar, die ihre Ware Arbeitskraft nicht verkaufen können. Das ist ein massiver Angriff auf die Tarife des Öffentlichen Dienstes. Die Zwangsarbeitsplätze soll um 200.000 aufgestockt werden. Bisher gibt keine Reaktion des ver.di-Bundesvorstandes auf diesen massiven Angriff auf die Tarife des Öffentlichen Dienstes.

Sozialabbau bei Arbeitslosen plus Ausbau der Zwangsarbeit dient dem Lohnabbau. Kürzungen bei Arbeitslosen sind deshalb nicht allein Sache der Arbeitslosen. Sie richten sich vor allem gegen die Beschäftigten. Unsere Aufgabe ist es, ein Bündnis zwischen Arbeitslosen und Erwerbstätigen zu fördern, um dem entgegenzutreten.

Das Kapital dagegen treibt einen Keil zwischen Erwerbslose und Beschäftigte. Es stellt die Kürzungen als Kampf gegen die Faulheit der Arbeitslosen und gegen Sozialschmarotzer dar, der im Interesse der Beschäftigten liegen würde. Dem müssen wir entgegentreten.

Andererseits müssen wir hervorheben, dass der Sozialabbau nicht in erster Linie der Sanierung der Staatsfinanzen dient, sondern eben dem Lohnabbau. Der Sozialabbau ist auch nicht ökonomisch sinnlos, weil er die Kaufkraft schwächt. Er ist für das Kapital ökonomisch sinnvoll, weil er Lohnabbau ermöglicht und darüber die Profite erhöht.

2) Zur Senkung der Löhne gehört auch die Senkung der "Lohnnebenkosten".

Der Begriff Lohnnebenkosten ist abzulehnen. Er bedeutet, dass nur die Zahlung für geleistete Arbeitsstunden zum Lohn gehört, nicht aber die Zahlung für Zeiten, in denen LohnarbeiterInnen nicht arbeiten (Krankheit, Urlaub, Renten, Mutterschutz usw.). Wie tief sollen die "Lohnnebenkosten" fallen?

In allgemeiner Form: Die Bundesvereinigung der Deutschen Industrie (BD) tritt für die Senkung der Staatsquote von heute rd. 50% auf unter 40% ein. (ebenso Clement und die CDU/CSU) Die Sozialversicherungsbeiträge werden merkwürdigerweise zu den Staatsausgaben gerechnet. D.h.: Renten, Gesundheitsleistungen usw. sollen um 20% gesenkt werden. Der BDI verlangt denn die Senkung der Sozialversicherungsbeiträge von jetzt 42% auf 35%, d.h. Senkung aller Leistungen um 15 bis 20%. Auch die DGB-Führung tritt für die Senkung der "Lohnnebenkosten" ein. Das kann nicht unser Weg sein.

Die Ökonomen des Kapitals halten Löhne allgemein und darin eingeschlossen auch die Sozialversicherungsbeiträge solange für zu hoch, als es Arbeitslosigkeit gibt. Die Spirale ist damit nach unten offen.

Nur der Widerstand der LohnarbeiterInnen kann dem Fall dem Sozialabbau und dem damit verbundenen Fall der Löhne nach unten Schranken setzen.

In konkreter Form:

Rentenversicherung. Es geht nach dem Bremer Ökonomen Wilfried Schmähl bei den bisherigen Plänen der Bundesregierung darum, das Rentenniveau des Standardrentners bis 2030 um etwa ein Drittel zu senken. Dann seien 37 Arbeitsjahre nötig, um die Sozialhilfeschwelle zu erreichen. (Spiegel 33/2003, 53) Im Durchschnitt haben Männer in Westdeutschland 39 Arbeitsjahre, Frauen etwa 25. Hartz und Rürup wollen eine abschlagsfreie Rente erst mit 45 Beitragsjahren, ebenso die IG-Metall auf ihrem letzten Gewerkschaftstag. Das läuft auf Rentensenkungen hinaus.

Der BDI verlangt die Erhöhung des Renteneintrittsalters auf 69 Jahren. Das würde die Renten noch weiter senken. Wofür arbeiten wir überhaupt noch, wenn die gesetzliche Rente für die meisten ArbeiterInnen unter der Sozialhilfe liegen wird?

Hierüber kann ein Bündnis zwischen Beschäftigten und RentnerInnen organisiert werden. 19 Mio. RentnerInnen sind ein gewaltiges Potential.

Das Kapital sieht die Gefahr dieses Bündnisses und versucht, Junge gegen Alte aufzuhetzen, indem es die Rentenlast aufgrund der demografischen Entwicklung in den Mittelpunkt stellt, die die Jungen unzumutbar viel kosten würde. Die Probleme werden bei der Kinderlosigkeit gesehen oder dabei, dass die Alten immer länger leben. Der Desinformation mit der demografischen Entwicklung und der Hetze gegen Kinderlose müssen wir entgegentreten, um dieses Bündnis aufzubauen.

Das Ziel des Kapitals besteht darin, die gesetzliche Rentenversicherung nach und nach durch die private Altersvorsorge abzulösen. Die Allianz strebt an, dass in Zukunft nur noch die Hälfte, statt heute 85% der Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung stammt. (FTD 30.05.2002) Vorbild sind die USA. "Wir müssen die betriebliche und private Altersversorgung massiv ausbauen. Hier sind wir im internationalen Vergleich völlig unterentwickelt," sagt auch IGM-Vize Huber. Riester-Rente, Metall-Rente usw. fördern die Aushöhlung der Sozialversicherung und den Ausbau der Privatversicherung.

Krankenversicherung. Die Kopfpauschale (Rürup, Herzog) bedeutet die Umwandlung der Krankenversicherung nach dem Muster der Privatversicherung. Abbau versicherungsfremder Leistungen bedeutet dasselbe. Versicherungsfremd sind alle Leistungen, die der Privatversicherung fremd sind, wie z.B. die Familienversicherung, die kostenlose Versicherung der Kinder, das Krankengeld usw.. Um die Kopfpauschalen niedrig zu halten, muss die Grundversorgung reduziert werden. Je weniger die Sozialversicherung abdeckt, desto mehr muss zusätzlich privat versichert werden. Daran hat die Allianz ein massives Interesse, aber nicht wir.

3) Steuersenkungen erfordern Ausgabenkürzungen.

Das Kapital will wachsende Teile des Lohns auf Steuern, d.h. auf den Staat verlagern, entzieht aber gleichzeitig dem Staat die finanzielle Grundlage.

Die "historische" Steuerreform reicht nicht. Ziel des Kapitals ist es, die Körperschaftssteuer weiter zu senken, die Gewerbesteuer abzuschaffen (BDI), den Spitzensteuersatz der Einkommenssteuer möglichst auch auf 25% zu senken und die Steuerprogression abzuschaffen.

Die Gewinnsteuersenkungen sollen mit Ausgabenkürzungen (Senkung der Staatsquote) finanziert werden. Mittel sind u.a.: höhere Gebühren für staatliche Leistungen (Ersetzung von Steuerfinanzierung durch Gebührenfinanzierung) nicht nur im Bildungswesen, sowie weitgehende Privatisierung aller staatlichen Leistungen und ihre Verwandlung in Waren.

Je mehr die Lohnabhängigen für Bildung, Kinderbetreuung, Nutzung öffentlicher Infrastruktur zahlen müssen, desto mehr fällt ihr Reallohn.

Insbesondere Schüler und Studierende hängen von staatlichen Geldern ab. Bildungsabbau ist eine Form des Sozialabbaus.

Ein Bündnis zwischen Schülern, Studierenden und Lohnabhängigen bzw. Arbeitslosen ist auf dieser Basis notwendig. Da auch die Rentenversicherung immer mehr von staatlichen Geldern abhängt (40% einer Arbeiterrente werden vom Bund bezahlt), ist auch hier eine Grundlage für Bündnis zwischen allen gegeben, deren Lebensunterhalt und Zukunft vom Staat abhängt.

4) Was ist das treibende Motiv für diese wachsende Unterordnung der Löhne, der Sozialversicherung und der Staatsfinanzen unter das Profitstreben des Kapitals?

Die gängige Antwort ist: es ist der härtere Wettbewerb, die Globalisierung. Es sind die Konkurrenten aus USA, Asien, Europa, die das verursachen.

Wenn der Wettbewerb die Ursache ist, dann muss die Wettbewerbsfähigkeit gesteigert werden.

So werden Betriebe gegen Betriebe, Belegschaften gegen Belegschaften, Nationen gegen Nationen und auch die EU gegen die USA in Stellung gebracht. Wettbewerb wird als positiv dargestellt. Aber die Fähigkeit Wettbewerb steigt mit den Profitraten und die steigen, je länger wir arbeiten, je geringer der Lohn, je geringer die Rente, je schlechter die Gesundheitsversorgung usw. ist. Unser Bündnis kann nicht darauf beruhen, dass wir antreten, die Wettbewerbsfähigkeit, d.h. die Profitraten in Deutschland oder der EU gegenüber der USA zu steigern. Wir brauchen ein internationales Bündnis aller Lohnabhängigen, Arbeitslosen, RentnerInnen, Studierenden und Schüler.

Die mangelnde Konkurrenzfähigkeit kann nicht die Ursache der Probleme sein. In den USA ist die Arbeitslosigkeit trotz niedriger Löhne und Sozialleistungen mindestens so hoch wie in Deutschland. Letzte Ursache der Probleme ist die Kapitalverwertung, die sich ihre Basis in jedem Land tatkräftig selbst untergräbt.

Deshalb: wir sollten uns ein Beispiel an den Arbeitgebern nehmen. Die LohnarbeiterInnen sollten ihre Interessen genauso rücksichtslos formulieren. Sie sollten langfristige Ziele aufstellen, die der Richtung des Kapitals entgegengesetzt sind. Letztlich können wir nur auf einer solchen Basis wir selbständig handeln.

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