letzte Änderung am 24. November 2003

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Europäisches Sozialforum in Paris:

Ein paar Bemerkungen zu dem Treffen von rund 350 TeilnehmerInnen aus Deutschland , am Freitag, den 14.11.03 in St.Denis

"Über 100.000 in Berlin, über 40.000 hier beim ESF. Wir haben Signale aus deutschen Gewerkschaften, sich an der Protestbewegung beteiligen zu wollen! Mit den Gewerkschaften werden wir noch sehr viel mehr sein!" –Da kam Stimmung auf. So wie Hugo Braun vom "Vorbereitungskomitee für ein deutsches Sozialforum" betont auch ein aktiver IGM-Vertrauensmann die wachsende Protestbereitschaft in Betrieben wie in der Bevölkerung insgesamt. Gegen den Generalangriff müsse jetzt der Generalstreik vorbereitet werden, -Beifall -, doch dazu, sagt er einschränkend, müssten allerdings die Aktiven jetzt "in die Breite gehen", die große Mehrheit der Gewerkschaftsmitglieder erst noch gewinnen.

Dann Horst Schmitthenner, bis Oktober noch Vorstandsmitglied der IG Metall: Die Schnittmengen zwischen Gewerkschaften und globalisierungskritischer Bewegung "für einen Politikwechsel" würden wachsen. Am 1.11.03 in Berlin wären die Gewerkschaften zwar nicht voran marschiert. Es gäbe trotz Kritik an der Regierungspolitik eben auch Angst vor einer Niederlage. Mit dem Erfolg der Demo vom 1.11. sei nun aber "ein Knoten geplatzt". "Ich glaube also, wenn die sozialen Bewegungen hier für einen europaweiten Protesttag eintreten, dann werden sicherlich auch die Gewerkschaften stärker zu einem Teil dieser Bewegung." Ein Termin sei noch nicht klar, der sollte auch jetzt nicht festgelegt werden. Damit lenkt Schmitthenner die Hoffnung auf eine europaweite Terminabsprache durch den EGB, den Europäischen Gewerkschaftsbund mit Sitz in Brüssel, - und stärkster Beteiligung durch den DGB. "Wenn die soziale Bewegung diesen Termin unterstützen würde... " - Ähnlich argumentiert dann auch Peter Wahl als offizieller attac-Sprecher: " ... Wir brauchen die Spitzen der Gewerkschaften, auch der IG Metall. Noch sind die Gewerkschaften nicht so weit, einen Termin für den euroweiten Protesttag zu verkünden." Der attac-Sprecher stellt im späteren Verlauf der Diskussion klar: "Also die Chance zu gemeinsamer Aktion mit dem EGB sollten wir nicht vergeben, der EGB soll einen Termin vorschlagen. Wenn das nicht bald klappt, sagen wir bis Anfang Dezember, machen wir das eben ohne den EGB!"– Gegen Ende der Versammlung schließlich auch der Auftritt von verdi-Chef Bsirske: "Die globalisierungskritische Bewegung ist nicht homogen, die Gewerkschaften sind es auch nicht. Alle müssen sich mit unterschiedlichen Tendenzen auseinandersetzen. Wir haben doch deutlich unsere Opposition gegen den Kurs der Bundesregierung erklärt! Ich habe auch an der Demo am 1.11. teilgenommen, und das war ein ermutigendes Zeichen! Wir sind also auch für einen europaweiten Aktionstag. Und dazu gibt es bereits am kommenden Dienstag ein Treffen mit der attac-Spitze. Eine gemeinsame Bewegung ist nötig. Wir können dabei auch von Euch lernen."

Mit nunmehr über 30 Jahre politischer Arbeit in Betrieb und Gewerkschaft (IGM) kriege ich bei diesen Statements ein ganz flaues Gefühl im Magen. Klar, rufen die Gewerkschaftsspitzen offiziell zu Massenprotesten auf, führt das in den Betrieben zu einer viel breiteren Debatte und intensiverer Organisation der Beteiligung durch die Mitglieder. Massenhaft Infoblätter, satt Knete für Busse samt Fresspaketen, Fahnen, Mützen, Trillerpfeifen, dann sind wir über 300.000 wie 1995 in Bonn... Aber mit welchen Argumenten wird mobilisiert, mit welchem Ziel? DGB-Boss Sommer vorneweg? Selbst die paar sich als "Linke" verstehenden Gewerkschaftsführer bei der IGM oder bei Verdi sind weit weg von den Debatten der meisten Aktiven in den betrieblichen und lokalen Initiativen, die größtenteils mit der Sozialdemokratie nichts mehr im Sinn haben und sogar "Eine andere Welt ist möglich" zu diskutieren verlangen. "Aber dass Gewerkschaftsführer jetzt hier bei uns auftauchen, ist doch ein Erfolg unserer Bewegung!" wehrt sich ein junger Genosse neben mir gegen meine euphoriezersetzende Skepsis. Allerdings habe ich zu viele Erfahrungen in den Knochen, dass diese Leute sich schnell an die Spitze einer Bewegung setzen und diese zu einem Ende führen können, hinter dem unsereiner dann eher völlig frustriert hinterhermeckert... Die Masse der Gewerkschaftsmitglieder ist eben eher auf linkssozialdemokratische Argumentation aus. Unter denjenigen Linken, die im Hinterkopf das Ziel einer nichtkapitalistischen Gesellschaft mit dem aktuellen Kampf gegen den Sozialabbau verbinden, gibt es wenig Klarheit und Einigkeit. Wir stellen noch längst keine hoffnungsträchtige Alternative dar und unterscheiden uns nicht zuletzt auch gewaltig in der Einschätzung des aktuellen Massenbewusstsein. Das geht von schwärmerischen Einschätzungen wie "Kampfbereitschaft wie noch nie" bis hin zu arroganten wie "die lesen alle Bild-Zeitung".

 

 

Verständlich, dass diejenigen in der Versammlung der deutschen ESF-TeilnehmerInnen den meisten Applaus ernten, die mit ihrer Kritik an den Gewerkschaftsspitzen, an deren aktiver Unterstützung des Sozialabbaus und der Blockade von Protesten den Einsatz und Erfolg der Basisinitiativen betonen: "Im zentralen Apparat der IG Metall wird nicht mehr verstanden, welche Stimmung in der Basis herrscht!", empört sich ein IGM-Betriebsrat, "die Kolleginnen und Kollegen haben auch verstanden, dass die Gewerkschaftsspitzen abgetaucht sind, weil sie meinen, ihrer Regierung nicht schaden zu dürfen! Wir jedenfalls tragen auf den Demos das Transparent "Generalstreik, was sonst!"- obwohl wir wissen, dass das noch ein langer Weg ist. ... Mit den Gewerkschaften gemeinsam? Ja, wenn Absprachen möglich sind, immer. Aber auf Augenhöhe mit der sozialen Bewegung!" – Riesenbeifall!! Das Bild von der "gleichen Augenhöhe" wird später kritisiert: "Unsere Verbindung ist nötig!" Wir sollten uns nicht als zwei Bewegungen sehen. Ein anderer Redner meint: " Wir kämpfen doch Schulter an Schulter, als Teil einer weltweiten Bewegung!" –Wenn das mal so wäre, denke ich mir. Mit "gleicher Augenhöhe" scheint mir eine Grundfrage umgangen zu werden: Die Gewerkschaftsspitzen müssten sich mal auf "Augenhöhe" ihrer Mitglieder begeben, was mir gar nicht mehr möglich erscheint. Und wir Aktiven in der sozialen Bewegung haben Mühe genug, uns auf "Augenhöhe" der Masse der Menschen zu begeben, die wir mitmobilisieren möchten...

Stellvertretend für viele andere anregende Diskussionsbeiträge auf unserem Treffen möchte ich nur noch an einen hilfreichen von einer Kollegin erinnern, die die Ungleichzeitigkeiten der Bewegungen in den einzelnen europäischen Ländern problematisierte und von uns den langen Atem forderte, den Kontaktaufbau, die Vernetzung, die Bildungsarbeit vor Ort.

Wolfgang Schaumberg

Bilder: LabourNet Germany

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