Aus CONTRASTE Nr. 177, Schwerpunktthema Teil 1 DEBATTE:

Ist Arbeit wirklich nur etwas "Schlechtes" ?

Bemerkungen zum Arbeitsbegriff von Robert Kurz

Alle Welt spricht ueber die Krise der Arbeitsgesellschaft" und ueber die Zukunft der Arbeit". Um ueberhaupt miteinander sprechen zu koennen, ist es unerlaesslich, sich darueber zu verstaendigen, was man jeweils unter Arbeit versteht. Robert Kurz, der schon haeufiger in CONTRASTE schrieb, meint: Offensichtlich ist die Religion der Arbeit" das gemeinsame Bezugssystem aller modernen Theorien, politischen Systeme und sozialen Gruppen." 1) In die von ihm behauptete allgemeine `Vergoetterung' Arbeit schliesst er vielfach Marx und den Marxismus ein. Weil einerseits relativ wenige Menschen Marx im Original lesen und weil es bis auf den heutigen Tag einen breiten Strom von Vulgaer- und Primitivmarxismus gibt, in dem nur erstarrte Formeln gebraucht werden, ist es leicht fuer Kurz, Marx einiges zu unterstellen. Hier soll aufgezeigt werden, wieso es unwahr ist, Marx als Anhaenger einer `allgemeinen Religion der Arbeit' darzustellen. Was Arbeit in der aktuellen kapitalistischen Gesellschaft ist (und was aus ihr werden koennte), kann hier nur angedeutet werden. Eine hilfreiche Erklaerung laesst sich nicht sinnvoll auf ein paar Schlagwoerter reduzieren.

********************************************************

von Hilmar Kunath, Redaktion Hamburg

In einem Artikel aus der Zeitschrift ,Streifzuege' von 1998 schreibt Robert Kurz ueber ,Die Karriere der Arbeit": In der Philosophie und Gesellschaftstheorie hat niemand den Begriff der Arbeit" so sehr zur Grundlage seines Denkens gemacht wie Karl Marx. Und es war der Marxismus, der sich entschieden auf den Standpunkt der Arbeit" stellte, um die grosse soziale Bewegung der Lohnarbeiter zu legitimieren. Philosophisch erscheint fuer den Marxismus die Arbeit" als ueberhistorische Existenzbedingung des Menschen in seinem Verhaeltnis zur Natur." Hierin stecken mehrere Unrichtigkeiten:

1. Marx hat niemals den Begriff der Arbeit ... zur Grundlage seines Denkens gemacht". Zentral war fuer Marx nicht die Arbeit allgemein, sondern die besondere Arbeit, die in seiner Zeit und noch heute vorherrscht, die Lohnarbeit. Diese fasste er als `Lebenselexier' des Kapitals, des sich selbst verwertenden Wertes. Das Kapital vermehrt sich durch Aneignung des Mehrwerts, also des Wertes, der ueber die blossen Erneuerungskosten der Ware Arbeitskraft hinausgeht.

Ein entscheidend neues Element der Marxschen Analyse war die Entdeckung des Doppelcharakters der Arbeit, die Waren herstellt, als konkrete Arbeit und abstrakte Arbeit. Die in allen Waren steckende abstrakte Arbeit macht sie vergleichbar, austauschbar. In der Gesamtsumme der einzelnen Austauschakte auf dem Markt stellt sich erst der gesellschaftliche Zusammenhang der voneinander losgeloesten Privatarbeiten her. Das andere Moment ist die jeweilige konkrete Arbeit, die die jeweiligen besonderen Produkte (als Waren) gestaltet. Es ist ein und dieselbe Lohnarbeit, warenproduzierende Arbeit, die diese beiden Momente an sich hat.

Versuchen, Arbeit jeweils historisch konkret zu fassen

2. In Marxens historisch-dialektischer Methode werden alle Begriffe zuerst in ihren historisch-konkreten, begrenzten Geltungsumstaenden gefasst, bevor (als ein Aspekt) versucht wird, ueberhistorische Geltungsmomente in eben demselben Begriff zu bestimmen. Als Beispiel mag ein Ausschnitt aus dem Methoden-Kapitel aus der Einleitung zu den Grundrissen der Kritik der politischen Oekonomie" genuegen: Es geht ihm darum , im wissenschaftlichen Denken nicht zu immer duenn-abstrakteren Bestimmungen zu kommen, sondern zu einer Reproduktion des Konkreten im Weg des Denkens."

Arbeit scheint eine ganz einfache Kategorie. Auch die Vorstellung derselben in dieser Allgemeinheit - als Arbeit ueberhaupt - ist uralt. Dennoch, oekonomisch in dieser Einfachheit gefasst, ist Arbeit" eine ebenso moderne Kategorie wie die Verhaeltnisse, die diese einfache Abstraktion erzeugen." Hier folgen Ausfuehrungen darueber, wie Arbeit in der beginnenden buergerlichen Gesellschaft allmaehlich immer allgemeiner, mehr losgeloest von jeglicher besonderen beruflichen, handwerklichen usw. Auspraegung gefasst wurde. Dann faehrt er fort:

Nun koennte es scheinen, als ob damit nur der abstrakte Ausdruck fuer die einfachste und aelteste Bezeichnung gefunden, worin die Menschen - sei es in welcher Gesellschaftsform immer - als produzierend auftreten. Das ist nach einer Seite hin richtig. Nach der anderen nicht. Die Gleichgueltigkeit gegen eine bestimmte Art der Arbeit setzt eine sehr entwickelte Totalitaet wirklicher Arbeitsarten voraus, von denen keine mehr die alles beherrschende ist. So entstehen die allgemeinsten Abstraktionen ueberhaupt nur bei der reichsten konkreten Entwicklung, wo eines vielen gemeinsam erscheint, allen gemein. Dann hoert es auf, nur in besonderer Form gedacht werden zu koennen. Andererseits ist diese Abstraktion der Arbeit ueberhaupt nicht nur das geistige Resultat einer konkreten Totalitaet von Arbeiten. Die Gleichgueltigkeit gegen die bestimmte Arbeit entspricht einer Gesellschaftsform, worin die Individuen mit Leichtigkeit aus einer Arbeit in die andere uebergehen und die bestimmte Art der Arbeit ihnen zufaellig, daher gleichgueltig ist. Die Arbeit ist hier nicht nur in der Kategorie, sondern in der Wirklichkeit als Mittel zum Schaffen des Reichtums ueberhaupt geworden und hat aufgehoert, als Bestimmung mit den Individuen in einer Besonderheit verwachsen zu sein. Ein solcher Zustand ist am entwickeltsten in der modernsten Daseinsform der buergerlichen Gesellschaften - den Vereinigten Staaten. Hier also wird die Abstraktion der Kategorie Arbeit", Arbeit ueberhaupt", Arbeit sans phrase, der Ausgangspunkt der modernen Oekonomie, erst praktisch wahr. Die einfachste Abstraktion also, welche die moderne Oekonomie an die Spitze stellt und die eine uralte und fuer alle Gesellschaftsformen gueltige Beziehung ausdrueckt, erscheint doch nur in dieser Abstraktion praktisch wahr als Kategorie der modernsten Gesellschaft. (...) Dies Beispiel der Arbeit zeigt schlagend, wie selbst die abstraktesten Kategorien trotz ihrer Gueltigkeit - eben wegen ihrer Abstraktion - fuer alle Epochen doch in der Bestimmtheit dieser Abstraktion selbst ebensosehr das Produkt historischer VerhbSltnisse sind und ihre Vollgueltigkeit nur fuer und innerhalb dieser Verhaeltnisse besitzen." (MEW 42, und S. 38/39)

Die Abstraktion Arbeit, wie sie heute so viel ohne weiteres Nachdenken benutzt wird, ist also nach Marx Produkt eines in den letzten ca. 300 Jahren vonstatten gegangenen Selbstabstraktions-Verhaeltnisses von Lohnarbeit und Kapital: Arbeit als Lohnarbeit erscheint als ein lebendiges Abstrakt-Allgemeines, vor dem sich auch aktuell viele Menschen theoretisch und praktisch verneigen ... 2)

Arbeit bleibt Formumwandlung von Naturstoffen

3. Das menschliche Verhaeltnis zur Natur ist m. E. - auch heute noch - entscheidend mitgepraegt durch alle Taetigkeiten, in denen sie die vorgefundenen Naturstoffe, Rohstoffe bearbeitet haben, um ihnen eine den Konsumbeduerfnissen der Menschen gemaesse Form zu geben. Schon das einfache Sammeln von Wildgemuese, Pilzen usw. brachte die vorgefundenen Naturdinge - wenn auch nur durch ihren Transport - in eine beduerfnisgemaesse Form. Dieses Moment von Arbeit - Umwandlung von Naturstoffen mit dem jeweiligen geschichtlich moeglichen Produktivitaetsgrad menschlicher Arbeit - wird auch bei gigantisch erweiterter Automatisierung bleiben. Nur koennte der Anteil der Lebenszeit abnehmen, den die Menschen zur Herstellung fuer ihre zum Leben notwendigen Gueter benoetigen.

Das Moment von Arbeit, Umwandlung von Naturstoffen durch menschliche Taetigkeiten zu sein, ist keineswegs gleichzusetzen einer Beweihraeucherung bzw. Glorifizierung der damit zum Teil verbundenen Muehsal, des Leids von Arbeit (im Sinne von: im Schweisse des Angesichts sollst du dein Brot essen"). Marx selbst hat mehrfach betont, dass erst jenseits einer wie auch immer `befreiten' Arbeit (die ein Reich der Notwendigkeit" bleibt) die produktive Musse, das Reich der Freiheit" beginnen koenne.

Arbeit, als jeweilige konkrete Taetigkeit (Schusterarbeit, Computerarbeit ...) , die heute in dieser Gestaltung vom vorherrschenden Verwertungszusammenhang als Lohnarbeit mitbestimmt ist, ist zu unterscheiden von dem Moment, dass Arbeit unter dem Aspekt der blossen Muehaufwendung (Arbeit ueberhaupt") gefasst werden kann UND vom schon genannten Moment der abstrakten Arbeit, die als solche indirekter Regulator des gesellschaftlichen Zusammenhanges dieser Privatwirtschaft ist.

Arbeits-Idealisierung durch Marx ?

Weiter R. Kurz: Oekonomisch wird dieser (marxschen, d. Verf.) Doktrin zufolge die Arbeit" als universelle Form menschlicher Taetigkeit durch die Herrschaft der kapitalistischen Eigentuemer zu einem Verhaeltnis der Ausbeutung degradiert. (...) Diese vermeintlich in sich geschlossene und unerschuetterliche Theorie der Gesellschaft und der Geschichte hat heute ihre Wahrheit verloren; (...) Der Marxismus hat immer versucht, die Arbeit" als positives Ideal fuer sich zu reklamieren und von der angeblichen Nichtarbeit" der buergerlichen Welt und ihrer Repraesentanten abzugrenzen."

Existiert die Ausbeutung der Lohnarbeit durch das Kapital und damit die Produktion von Wert und Mehrwert fuer Kurz nicht mehr? Ist Ausbeutung der Ware Arbeitskraft" im Kapitalismus nur eine Doktrin, die von Marxisten in die Welt gesetzt wurde? Er spekuliert mit Leuten, die Marx nicht im Original gelesen haben und setzt haeufig Marx mit vulgaermarxistischen Interpretationen gleich, die in der Tat Arbeitsidealisierung und Lohnarbeits-Fetischisierung betrieben haben. Es hat seit ueber 100 Jahren unter dem Etikett des Marxismus viel dogmatischen bis gefaehrlich-menschenfeindlichen Unsinn gegeben. Das (selbst-)kritische Denken kann man niemandem abnehmen. Aber wie kann Kurz allen Ernstes Marx und dessen Theorie fuer den Ausdruck die Muessiggaenger schiebt beiseite" in dem Lied Die Internationale" verantwortlich machen ?

Wer die Arbeiterbewegung in Bausch und Bogen als arbeitsfetischistisch verdammt (statt ihre sehr wohl in dieser Richtung vorhandenen Tendenzen genau zu benennen), um sie dann noch in Naehe der Nazibewegung zu ruecken (Arbeit macht frei"), ist offenbar kaum noch um kritische Unterscheidungen bemueht.

Welchen theoretischen Nutzen bringt es, letztlich fast alle anderen Positionen (Neoliberalismus, bisherige Sozialisten, Kommunisten aller Stroemungen, (Neo-)Keynesianer, die christliche Soziallehre u.v.a.m.) als Vertreter der Religion der Arbeit" zu beschimpfen? Alle haetten - nach Kurz - einen positiven Begriff der Arbeit"." Nur die Gruppe Krisis und wenige ausgesuchte Stroemungen (siehe Glueckliche Arbeitslose", oder APPD: Arbeit ist Scheisse") haetten einen `negativen' Arbeitsbegriff. Er meint das offensichtlich in einem wertenden Sinn. Arbeit wird mechanisch wertend mit Leiden" gleichgesetzt.

Die ,Muehsal' der Arbeit ist ein Aspekt, der entfremdete Charakter der Lohnarbeit ein anderer. Die Foerderung von Individualitaet und die aufbauende Gemeinschaftlichkeit durch selbstbestimmte, kreative Arbeit gibt es auch. In unserer marktbeherrschten Gesellschaft werden die meisten kreativen und sinnlichen Arbeitsbeduerfnisse in Warenkreativitaet und Sinnlichkeit des liebreizenden Scheins umgebogen bzw. verengt, weil die Menschen eben ihre Arbeitskraft oder ihre Produkte zu Markte tragen muessen. Schoen waers: sich nicht mehr verkaufen muessen. Weil Menschen diesen Unterschied merken, gibt es etliche selbstverwaltete Projekte und Betriebe ...

Erfahrungsraeume schaffen jenseits von Lohnarbeit

Besser als eine Kampagne gegen die Arbeit" zu fuehren, finde ich, aus der Alltagswirklichkeit heraus sich einzusetzen gegen die Entfremdungen der Lohnarbeit - und gegen alle Umstaende, in denen Menschen ausgebeutete, erniedrigte und von sich entfremdete Wesen sind. Durch vielfaeltige praktische Ansaetze selbstbestimmten Wirtschaftens kann gezeigt werden, wie diese unmenschliche Gesellschaft einen attraktiven Ausgang bekommen kann. Erst auf der Grundlage einer gemeinschaftlichen Produktion, kann die fuer alle notwendige Arbeitszeit allmaehlich gekuerzt werden. Die Forderung der Gruppe Krisis, die gesellschaftlichen Zusammenhaenge durch eigene Initiative ebenso in die eigenen Haende zu nehmen, wie schrittweise alle Produktionsmittel (Maschinen, Computer, Grund und Boden, Gebaeude usw.) finde ich abstrakt richtig. Sie ist aber theoretisch und praktisch konkretisierungsbeduerftig. Hierueber waere weiter zu reden.

 

1) Robert Kurz, Die Karriere der Arbeit", aus: Streifzuege" (1998), Nachdruck: Null-komma-nix, Nr.3/98 (KRISIS-Kreis-Koeln)

2 ) ... Marx, dem Entdecker des Warenfetischismus, Arbeitsfetischismus vorzuwerfen gelingt nur, wenn man, wie R. Kurz, vom doppelten Marx" spricht. Aus Platzgruenden kann hier nicht weiter darauf eingegangen werden.