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Presseerklärung

Davids virtuelle Schleuder

Das Beispiel Foxboro Eckardt GmbH in Stuttgart

Hintergrundbericht zum Thema neue betriebliche Widerstandsstrategien in globalisiert agierenden Konzernen.

Was haben Betriebsschließungen, Steuergeschenke an Reiche und Sozialabbau miteinander zu tun? Antwort: Alles kann wegen der Globalisierung nicht verhindert werden. Jegliche Diskussion über Alternativen zu dem, was in den kapitalistischen Machtzentren beschlossen wird, verschwindet im tiefen Loch der Globalisierungsfalle. Global agierende Konzerne entziehen sich erfolgreich jeder Kontrolle, da weder politische noch geografische Grenzen ihr Handeln begrenzt. Die Kapitulation vor dem Globalisierungsargument scheint im ganzen Land zum commen sence der politischen Debatte zu gehören. Im ganzen Land? Nein, eine kleine Bastion in Stuttgart will sich einfach nicht einsichtig zeigen. Im Gegenteil, glaubt man hier die Achillesverse global agierender Konzerne erkannt zu haben. Mit neuen Widerstandsaktionen versucht man darauf zu reagieren.

Zugegeben, hier kämpft ein moderner David gegen einen 20 Mrd. schweren Goliath. Die noch ca. 200 Beschäftigten der Foxboro Eckardt GmbH wehren sich gegen die Schließung ihres Standortes. Der Mutterkonzern invensys (Weltumsatz ca. 20 MRD DM) hatte im Frühjahr 1999 mit dem Betriebsrat einen Standortsicherungsvertrag abgeschlossen, der über drei Jahre laufen sollte. Nach nicht einmal 9 Monaten, will sich invensys nun nicht mehr daran halten. Während die Belegschaft alle Zusagen eingehalten hatte, will invensys seinen Teil der Vereinbarung nicht mehr einhalten. Damit wird dem Produktionsstandort Stuttgart jegliche Grundlage entzogen. Vertragsbruch nennen das die Beschäftigten wohl zurecht. Aber wer will da einen Kläger oder gar einen Richter finden? Die Konzernleitung sitzt in England, das für die Produkt-Division zuständige Unternehmen in USA. Die konzernpolitischen Rahmenbedingungen haben sich offensichtlich zu Gunsten des Produktionsstandorts USA verändert. Zusätzlich ist die Eckardt-Belegschaft auch noch zwischen die Mühlsteine eines Produkt-Division Streits geraten. Mit einem Wort, die Globalisierung hat mal wieder zugeschlagen. Soweit ist dies eine Geschichte von vielen, traurig, aber kaum der Rede wert. Ja, wäre da nicht diese uneinsichtige Belegschaft. "Vertragsbruch bleibt Vertragsbruch", meint der Betriebsratsvorsitzende Martin Schwarz-Kocher. "In den sechs Jahren, seit wir zum invensys -Konzern gehören, wurden bei uns über 1000 Stellen abgebaut", Schwarz-Kocher führt dies auf die "operative Inkompetenz" der Konzernleitung zurück. So erlebte die Belegschaft in dieser Zeit sieben verschiedene Geschäftsführer. Jetzt fordere man die Einhaltung der alten Verträge. Von einer Übermacht des globel players invensys will der Betriebsrat nichts wissen. Im Gegenteil glaubt man in den Strukturen solcher Konzerne auch neue Möglichkeiten für effektive Widerstandsaktionen gefunden zu haben. Es käme jetzt darauf an, diese Chancen konsequent zu nutzen.

"invensys stützt sich wie die meisten internationalen Konzerne auf das Internet. Nicht nur E-Commerce und Intercompany- Geschäfte, sondern auch wichtige Manager-, Entwicklungs- und Finanzkontackte werden im Konzern fast vollständig über das Internet abgewickelt. Dies ist einer der wunden Punkte im globalen Konzept", meint der Foxboro Eckardt GmbH Betriebsrat. Wer sich auf ein anarchistisch organisiertes Datennetz verlässt, brauche sich nicht wundern, wenn die Anarchie eines Tages zurückschlägt. Welche radikalen Störungen von einzelnen Hackern in solchen Systemen verursacht werden können haben die Erfahrungen der letzten Tage gezeigt. Bei mehreren Internet-Anbietern (z.B. Yahoo) wurde der gesamte Geschäftsbetrieb für mehrere Stunden lahmgelegt. Mit solchen Aktionen will der Betriebsrat in Stuttgart allerdings nichts zu tun haben. Trotzdem hat er zur "ersten virtuellen Protestdemonstration" der Welt aufgerufen. Am 22.Februar sollen die Konzernverantwortlichen mit Protestemails überhäuft werde. "Damit kann", so Schwarz-Kocher, "der Protest der Belegschaft direkt auf die Schreibtische der Verantwortlichen getragen werden. Dies wäre ohne Internet unvorstellbar." Auf die Frage, ob dies bei invensys zu ähnlichen Problemen wie beim Internetdienst "yahoo" führen wird, antwortete Martin Schwarz-Kocher ausweichend: "Es ist nicht unser Ziel, das invensys - Netz lahm zu legen. Allerdings werden wir uns bei unserem Protest nicht durch die Rechnerkapazitäten in der Konzernzentrale beschränken lassen." Man darf gespannt sein, welche Auswirkungen am 22.2. 2000 auf den invensys - Seiten im WWW zu beobachten sind.

Doch dies ist nur ein Ansatzpunkt, des betrieblichen Protestes. "Die öffentliche Meinung, insbesondere die in der internationalen Wirtschaftspresse veröffentliche Meinung, spielt bei den nach Shareholder Value ausgerichteten Konzernen eine zentrale Rolle", meint Martin Schwarz-Kocher. Das Beispiel Vodafone / Mannesmann zeige, dass der Kampf des Produktionskapitals um die Gunst des Finanzkapitals sich heute in der Presseöffentlichkeit abspielt. Milliardenschwere Imagekampagnen sind da keine Seltenheit. Ziel seien dabei nicht etwa die Kleinaktionäre, sondern die Meinungsmacher an der Börse: Analysten und Manager der Investmentfonds. "Die finanziellen Verflechtungen der globalen Konzerne sind so undurchsichtig, dass selbst Insider die wirkliche wirtschaftliche Lage kaum noch beurteilen können. Ein Außenstehender Börsenexperte wird deshalb immer empfänglicher für professionell vorbereitete Imagekampagnen. Das ist das neue Gesicht des Sharholder-Value- Kapitalismus. Das ist der Kapitalismus, der seine eigenen Lügen glaubt!" Genau hier sieht der Foxboro Eckardt GmbH Betriebsrat aber die Chance zur Einflussnahme. "Millionenschwere Anzeigenkampagnen werden wertlos, wenn es eine Belegschaft schafft, seine Konzernkritik mit fantasievollen Aktionen in die überregionale Presse zu transportieren." Auch hier hat die Foxboro Eckardt GmbH Belegschaft einiges in Bewegung gesetzt. Nach vielfältigen Protestaktionen im und vor dem Betrieb, führte man am Mittwoch, den 2.2.2000 eine spektakuläre Protestkundgebung vor der Stuttgarter Börse durch. In einer symbolischen Aktion wurde im Tausch von "wertlosen" invensys-Aktien die renditeträchtigen "Eckardt-Humankapial-Aktien" angeboten. Diese Aktion sorgte für großes Echo in Presse, Rundfunk und Fernsehen.

"Wir sind mit unserer Protest-Kreativität noch lange nicht am Ende", meint Martin Schwarz-Kocher. "Spätestens wenn wir damit die internationale Wirtschaftspresse erreichen und das operative Chaos bei invensys bekannt wird, könnten sich dies auf die Aktienkurse auswirken." Wenn er recht hat, würde sich das biblische Motiv erneute Geltung verschaffen. Der kreative David schlägt den mächtigen Goliath.


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