Boeing-Streik

Beim weltweit groessten Flugzeughersteller Boeing Co. brodelt es - zum ersten Mal befinden sich Tausende von Ingenieuren und Wissenschaftlern in einem richtigen Streik

Zu einem der interessantesten Streiks seit Jahren koennte sich der Ausstand entwickeln, der seit Mittwoch beim weltweit groessten Flugzeughersteller, der amerikanischen Boeing Company, fuer Aufsehen sorgt. Nach dem Scheitern der Tarifverhandlungen, die seit Monaten vor sich hinduempelten, waren es nicht die Arbeiter in den Boeing-Produktionshallen, deren starker Arm den Stillstand wollte, sondern die "white collar workers": Ingenieure, Wissenschaftler, Software-Designer, sonstige Techniker und Vorarbeiter.

Nach zwei Urabstimmungen brach die bislang unscheinbare Gewerkschaft "Society of Professional Engeneering Employees in Aerospace" SPEEA Dienstagnacht die Verhandlungen ab. Sie hatte in Gespraechen mit der Firmenleitung auf hoeheren Garantieloehnen und Bonuszahlungen bestanden. Boeing dagegen wollte "selective pay hikes" einfuehren - unter anderem weniger Betriebszuschuesse fuer die Lebensversicherung und Aenderungen bei den Zuschuessen fuer die Krankenversicherung.

Schon am naechsten Morgen fanden sich Tausende von "white collar workers" zur Auftaktdemonstration in der Naehe des Boeing-Werks suedlich von Seattle an der amerikanischen Nordwestkueste zusammen. Mit fast 20.000 Streikenden handelt es sich um rund 90 Prozent der Facharbeiter bei Boeing. Von ihnen sind 63 Prozent gewerkschaftlich organisiert. Gewerkschaftshistoriker sprechen bereits jetzt von einem der groessten Facharbeiterstreiks in der US-Geschichte und vergleichen mit den riesigen Lehrer - und Krankenschwesternsstreiks in New York.

Der Streik koennte auch insofern ueber die nationalen Grenzen hinauswirken, als er im Fall eines Erfolgs motivierend auf Arbeiter und Angestellte andere Branchen wirken koennte, die zunehmend neue Technologien einsetzen. Es geht um gewerkschaftliche Organisierung, Aufklaerung, Arbeitsplatzschutz und gemeinsame Lohnpolitik in Sektoren, in denen auch die Vereinzelung (mit Bildschirmarbeit beispielsweise) neu ist. Ausserdem ist die Gewerkschaft SPEEA voellig unerfahren, was Streiks angeht. In den 56 Jahren ihrer Existenz gab es nur einen einzigen Ausstand - vor acht Jahren fuer einen Tag, und er war symbolischer Natur.

Vieles liegt noch im Argen, was den weiteren Streikverlauf aeusserst kompliziert macht. Zwar haben die Gewerkschaften "Teamsters" und "United Transportation Union" angekuendigt, die Streikposten zu unterestuetzen, und auch der Gewerkschaftsverband AFL-CIO hat Unterstuetzung zugesagt. Doch es ist unklar, wie ein laengerfristiger Ausstand ueberhaupt finanziert werden soll. Denn die SPEEA hat keinen Streikfonds, und sie ruft bereits ueber das Internet zu Spenden fuer minderbemittelte Mitglieder auf. Ein weiteres Problem: der unguenstige Streik-Zeitpunkt. Denn Boeing ist derzeit nicht unbedingt auf die Entwicklung von Neumodellen angewiesen. Und: der wissenschaftlichen Abteilung, die in langfristige Projekte involviert ist, wird schon seit Wochen mit Entlassungen gedroht.

Deshalb ist man sich einig, dass ein lange angelegter Streik wenig Sinn macht. An einem zeitaubenden Patt hat selbst Boeing kein Interesse, weil die Firma dann sinkende Boersenwerte und Abwerbungen ihrer hochqualifizierten Arbeitskraefte befuerchten muss. Die Produktion in den Boeing-Werken in Washington State, Kansas, Florida, Kalifornien, Oregon, Texas und Utah laeuft unterdessen trotz des Streiks der Ingenieure und Wissenschaftler weiter.

Schnellen und massiven Druck koennte, so meinen Gewerkschaftsexperten, nur aus den Produktionshallen kommen. Doch die 46.000 Montage-Arbeiter, die von der "International Association of Machinists and Aerospace Workers" vertreten werden, duerfen aus vertraglichen Gruenden keinen Solidaritaetsstreik eingehen. Sie hatten im vergangenen Jahr Arbeitsvertrage mit den entsprechenden Klauseln erkaempft, an die sie gebunden sind. Trotzdem soll noch diese Woche bei einem Treffen der AFL-CIO-Spitze eroertert werden, ob es rechtliche Auswege gibt.

Waehrend sich Gewerkschafter und Maganement jeweils intern warmlaufen, um ihre Verhandlungspositionen zu staerken, haben sie ihre Propagandamaschinen schon in Stellung gebracht. Die "Seattle Times" berichtete, dass es bereits voellig kontraere Einschaetzungen darueber gebe, ob der Streik zum jetzigen Zeitpunkt Schaden angerichtet habe. Die Endabnahme der Jets, und damit ihre Auslieferung, macht Boeing jedenfalls bereits grosse Sorgen. Denn von den rund 500 Abnehmern, die die Maschinen in einer letzten Stufe sonst auf ihre Flugtauglichkeit hin pruefen, streiken rund 95 Prozent.

Max Boehnel, New York

 


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