letzte Änderung am 2.April 2003

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"Ich glaube der Krieg hat angefangen..."

"Ich glaube der Krieg hat angefangen, aber nicht nur gestern im Irak, sondern auch hier bei uns."

Mit diesen Worten drückte der Kollege P. auf einer kurzfristig einberufenen Betriebsversammlung am 21.3 seine Empörung über die Umstände der ersten betriebsbedingten Kündigung bei der deutschen Tochter eines globalen Telekommunikationausrüsters aus. Tags zuvor war der Kollege Z. zur Personalabteilung gerufen worden, wo ihm die Kündigung überreicht wurde. Dann wurde er vom Bearbeiter der Personalabteilung zu seinem Arbeitsplatz begleitet, nachdem ihm seine Zutrittskarte abgenommen wurde, ohne die man sich auf dem Gelände nicht bewegen kann. Er sollte seine Sachen zusammenpacken und innerhalb von 10 Minuten die Firma verlassen ­ nach über 16 Jahren Betriebszugehörigkeit. Erst als sich P. einmischte, durfte er wenigstens in Ruhe seine persönlichen Sachen packen. Die Reaktion des Geschäftsführers F. auf die Rede von P. war bezeichnend. Er stellte sich vor seine Personaler, das sei alles formal korrekt gewesen. Man könne keineswegs von einem "Abführen" sprechen. Nach dieser Äußerung meldeten sich viele Kolleg/innen zu Wort und erstmals entstand eine lebhafte Diskussion auf einer Betriebsversammlung, die das sonst übliche Frage-Antwort Ritual durchbrach. So in die Defensive geraten, blieb F. nichts anders übrig, als tief in die Trickkiste zu greifen. Leider hatte er einen wichtigen Kundentermin für die Versammlung unterbrochen und könne jetzt wirklich nicht länger bleiben. Darauf entgegnete ein Betriebsrat, dass ja dann der Personalleiter G., ebenfalls Geschäftsführer ,ihn weiter vertreten könne. Der so aufgeschreckte G. wechselte die Gesichtsfarbe von purpurrot auf leichenblass, um dann fluchtartig dem Ausgang zuzustreben, nicht ohne durch heftiges Kopfschütteln seinen Unwillen zum Ausdruck zu bringen.

Die IT Branche galt bisher weder als Gewerkschaftshochburg noch gar als Hort des Klassenkampfes. Umso bemerkenswerter sind die Denkprozesse, die die tiefste Krise in der Industriegeschichte langsam aber sicher bei den Beschäftigen der "new economy" auslöst. Besagter Netzwerkausrüster mit Stammsitz in Nürnberg schien die perfekte Verkörperung des amerikanischen Traumes der "new economy" von dem immerwährenden, krisenfreien Kapitalismus in Verbindung mit einem unbegrenzten Selbstbewusstsein. Nachdem man die bankrotte Philipps Tochter PKI 1996 günstig erworben hatte, verdoppelte sich der Umsatz bis 2000 jedes Jahr. Auf dem Höhepunkt des Goldrausches im Frühsommer 2001 beschäftigte der Konzern in Deutschland zwischen 2500 und 3000 Mitarbeiter.

Dann kam der Crash mit einer Geschwindigkeit, die ohne historisches Vorbild ist. 2002 schrumpfte der Weltmarkt für Netzwerkausrüster um 40%. Der Aktienkurs fiel vom Höchststand bei 80 $ auf zeitweise unter 60 Cent und von 150.000 bis 200.000 Mitarbeitern weltweit auf dem Höhepunkt schrumpfte das Management in nackter Panik den Personalbestand auf derzeit ca. 37.000 Mitarbeiter/innen runter. Das aktuelle Quartal läuft auch schlecht und so werden wohl im April die nächsten Massenentlassungen bekannt gegeben werden.

In Deutschland wurden offiziell (ohne die Scheinselbstständigen, Leasingkräfte und befristeten Kolleg/innen, die in keiner Statistik mitgezählt werden!) bisher ca. 800 Kolleg/innen "sozialverträglich" abgebaut. Das lief vor allem über Geld und einen Sozialplan, der ­ rein finanziell betrachtet ­ zu den lukrativsten gehört, der jemals in Deutschland unterzeichnet wurde. 12 Monate Beschäftigungsgesellschaft bei 80% vom letzten Gehalt und Abfindungen, die durchaus 6 stellige Eurosummen bei "normalen" Angestellten erreichen, lassen vorläufig keine/n in Armut fallen. Allerdings sollte man hier auch die Relationen sehen. Ein ehemaliger Geschäftsführer klagt vor Arbeitsgericht Nürnberg gerade auf 2 Millionen ¤ Abfindung. Aber Geld allein macht nicht glücklich, zumindest wenn es nicht genug ist, um damit den Rest seines Lebens bestreiten zu können. Das genau ist nämlich die Situation für viele ältere Kolleg/innen zwischen 40 und 55, die zu jung für Vorruhestand und Rente, aber zu alt für den Arbeitsmarkt des 21. Jahrhunderts sind.

Mehrere Kolleg/innen in dieser Situation haben sich zusammen getan und kamen für sich zum Schluss, dass sie nicht "freiwillig" gehen wollen. Das wäre auch kein Problem, wenn die Firma sich an den von ihr vereinbarten Sozialplan halten würde. Der sieht nämlich eine Sozialauswahl vor, bei deren Anwendung die Betroffenen älteren Kolleg/innen bleiben könnten. Über sonstige Alternativen zum kaltschnäuzigen Personalabbau verweigert die Geschäftsführung von vornherein jeden Dialog. Stattdessen wird massiver Psychodruck ausgeübt. Da kann es schon mal vorkommen, dass Kolleg/innen das e-mail gekappt wird, nachdem sie auf die Unterzeichnung des Aufhebungsvertrages angesprochen wurden. Wo der Vorgesetzte nicht weiterkommt, bemüht sich der Leiter der Personalabteilung höchstpersönlich um Überzeugungsarbeit. Ganz Verstockte durften schon kurzfristig beim Geschäftsführer antreten. Häufig wird mit Zuckerbrot und Peitsche gearbeitet: da wird noch Geld draufgelegt verbunden mit der Drohung bis morgen zu unterschreiben, sonst würde man kündigen. Das viele Betroffene dem Psychoterror nicht standhalten und dann "freiwillig" den Aufhebungsvertrag unterschreiben, wird von der Geschäftsleitung als Beleg für ihr soziales Engagement und ihrer Fürsorge für die Mitarbeiter/innen verkauft.

Die Betroffenen sehen das anders: die ersten haben inzwischen beim Betriebsrat Beschwerde wegen Mobbing erhoben.

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