Schweden: Chaos im öffentlichen Dienst durch Lohndiskriminierung.

Krankenschwestern kämpfen für "Gleichen Lohn für gleiche Arbeit"

 

Die Schweden sind ein diszipliniertes Volk. Deshalb zeigen sich erst jetzt, Jahre nach der Einführung der Lohndiskriminierung als arbeitsrechtliches Prinzip, die ersten Protestbewegungen und Arbeitskonflikte und zwar beim gesundheitlichen Pflegepersonal.

Nachdem sich die Berichte häufen, daß die staatlichen Arbeitgeber neuangestellten Krankenschwestern für die gleiche Arbeit ein bis zu 2000 SEK(ca. 400 DM) höheres Monatsgehalt zahlen als den bereits seit vielen Jahren tätigen, begann der Becher des Unmuts überzulaufen. An der Intensivstation der Neurochirurgie der Universitätsklinik in Lund kündigten 25 von 45 Krankenschwestern aus Protest gegen die Diskriminierung, weil der Arbeitgeber ihrer Forderung "Gleicher Lohn für gleiche Arbeit" nicht nachgeben wollte. Im Hinblick auf das Arbeitsklima und aus Sorge um die Patienten forderte der leitende Oberarzt die Gleichbehandlung seiner Krankenschwestern. Die Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes hingegen können der Lohn-Diskriminierung nichts entgegensetzen, weil ihre Führung sich auf die "individuelle Lohnzumessung" - wie die Diskriminierung verschönernd genannt wird - unter staatlichem Druck gegen den Willen ihrer Mitglieder eingelassen hatte.

Grundlage ist die zentrale Richtlinie:
"Die Lohnzumessung soll ermuntern zur gesteigerten Effektivität, Produktivität und Qualität. Deshalb soll der Lohn des einzelnen Arbeitnehmers sowohl individualisiert als auch differenziert sein. Die Zumessung soll von seinem Beitrag zu den Verbesserungen des Betriebes, seiner Verantwortung, seinen Befugnissen, Leistungen und Fähigkeiten bestimmt werden."

Wie das Beispiel der Krankenschwestern zeigt, führen diese Richtlinien zur vollkommenen Willkür bei der Lohnzumessung innerhalb derselben Berufsgruppe. Denn wer kann die Erfüllung dieser Kriterien sachlich beurteilen? Ohne jederlei Einsichtnahme erfolgen die Zumessungen durch einen kleinen Bürokratenklüngel; statt Zusammenarbeit werden Abgunst und Rivalität gefördert. Unkontrollierte Verleumdungen dienen als Entscheidungsgrundlage. Durch einen "Unglücksfall" in der Geheimhaltung wurde z.B. bekannt, daß bei einer Zentralbehörde Mitarbeiter für die Lohnzumessung als "Psychopathen", "Nörgler" u.s.w. bezeichnet wurden.

Tatsächlich werden insbesondere Frauen, Einwanderer und Andersdenkende von dieser Lohndiskriminierung betroffen. Gefördert werden der Konformismus,die Untertänigkeit, politische Gefälligkeit und Korruption. Dieses System der Lohndiskriminierung im gesamten Öffentlichen Dienst wurde von der Regierung kurz vor dem EU-Anschluß Schwedens zur Unterlaufung des Diskriminierungsverbotes der EU eingeführt. In ihren Ministerien werden die Frauen im Durchschnitt mit 20 % geringerem Gehalt entlohnt als ihre männlichen Kollegen mit gleichen Aufgaben. Das System sollte sogar für Richter gelten. "Gute" Urteile: höheres Gehalt, "schlechte": Gehaltssenkung!

Auch der Verfall des Schulwesens, das vor einigen Jahren kommunalisiert wurde, wird durch "ungleichen Lohn für gleiche Arbeit" beschleunigt. "Loyalität zur Gemeinde"(d.h. zu den Kommunalpolitikern) sollte nach einer Initiative des Kommunalverbandes für Anstellungen und Entlohnungen von Lehrern Richtlinie werden. In den Lehrerzimmern breitet sich die Mißstimmung aus. An den Hochschulen und Universitäten wurde die Lohndiskriminierung unter Beifall des reaktionären Akademikerverbandes SACO zuerst eingeführt. Hier werden die der Bürokratie gefälligen Wissenschaftler begünstigt, Außenseiter und Kritiker diskriminiert. Auch Feindschaften unter Hochschullehrern werden von der Bürokratie durch Gehaltssenkungen entschieden. An der eh schon konformen schwedischen Universität erstarb die notwendige Diskussion zur Erneuerung und Reform des Hochschulwesens.

Eine Vertreterin des SACO-Syndikates erklärte im Zusammenhang mit dem Arbeitskampf der Krankenschwestern: "Angebot und Nachfrage bestimmen die Lohnzumessung und so muß es bleiben, wenn wir nicht zu Tarifverträgen zurückkehren wollen". (Angebot und Nachfrage können bei manchen Behördenchefs durchaus privater Natur sein!)

Während die Reichstagsabgeordneten sich kürzlich eine 19 %-ige, generelle Gehaltserhöhung bewilligten, hat die staatliche Lohnpolitik des "Teile und herrsche" im Öffentlichen Dienst zu einer Stimmung des "Alle gegen Alle" und damit zu einer vermehrten Ineffektivität geführt.

INTERNATIONALES ARBEITSRECHT

Sowohl das I.L.O.-Statut als auch das EG-Arbeitsrecht mit mehreren Urteilen des Europäischen Gerichtshofes statuieren das Prinzip "Gleicher Lohn für gleiche Arbeit". Vor einer Verurteilung durch die Instanzen der Europäischen Union hat die schwedische Regierung sich jedoch geschützt: Den für die Lohndiskriminierung verantwortlichen ehem.Minister Allan Larsson hat sie in das für das EU-Arbeitsrecht zuständige Generaldirektorat V geschleust. Dort kann er die Beschwerden gegen die Diskriminierung als "Experte" töten und unterschlagen. Ihm scheint sogar die Aufgabe zugeteilt zu sein, dieses neues "Schwedische Modell" für die gesamte EU zur Nachahmung zu propagieren. Auch in Deutschland gibt es Kreise, die das System der Tariflöhne zugunsten einer Willkür abschaffen möchten.

REINHARD HELMERS,
Lund/Schweden Februar 1999