Ein langer Arbeitskampf ist zu Ende: Nach sieben Wochen Streik kehrten am vergangenen Mittwoch Nordrhein-Westfalens Bahnreinigungsarbeiter zurück an ihre Arbeit. Allerdings stimmten gerade mal 26,12 Prozent in der Urabstimmung für den für sie von der Gewerkschaft deutscher Bahnangestellter und -arbeiter (GDBA) ausgehandelten Tarifvertrag.
Das Quorum von 25 Prozent für die Beendigung des Streiks wurde somit denkbar knapp erreicht. "Die Urabstimmung ist deswegen so ausgefallen, weil wir dem Arbeitgeber nur wenig abtrotzen konnten", konstatiert Müjdat Özgül. Trotzdem ist sich der Betriebsrat im Bahn-Betriebshof Köln-Deutz sicher: "Unser Streik ist nicht gescheitert. Wir haben uns selber gezeigt, daß wir einen Zusammenhalt haben."
4,5 Prozent mehr Lohn hatten die rund 500 Bahnreiniger gefordert. Das ist nicht viel, gerade mal 70 Pfennig pro Stunde. Denn ihren Job verrichten sie zu Hungerlöhnen: Wer bereits vor dem 1. September 1994 angestellt worden ist, verdient spärliche 14,20 Mark pro Stunde. Arbeiter, die später angefangen haben, erhalten sogar nur 13,85 Mark. Daran wird sich nicht viel ändern: Zehn Pfennig erhalten die Bahnreiniger jetzt mehr und dazu im November eine einmalige Zahlung von 100 Mark. Außerdem sollen die Überstunden nun doch nicht halbjährlich, wie vom Arbeitgeber gewünscht, sondern weiter monatlich vergütet werden. "Das ist verdammt wichtig für uns", bemerkt Özgül. Denn wenn halbjährlich oder jährlich abgerechnet würde, erhöhe das die Gefahr, daß Überstunden nicht ausbezahlt, sondern durch Urlaub abgebaut werden müssen.
"Mit den Gehältern, die wir kriegen, können wir alleine schlecht auskommen". Bezahlte Überstunden seien da unumgänglich. Zehn Pfennig nach sieben Wochen Streik? Mehr war ihrem Arbeitgeber, der Bahnreinigungs-Gesellschaft (BRG), nicht abzuringen. Die BRG ist für die Reinigung der Fern-, Nahverkehrs- und S-Bahn-Züge zuständig. Die Bahnreinigung war 1990 aus der damaligen Deutschen Bundesbahn formell "ausgegliedert" und als BRG privatisiert worden. Sie ist eine Tochtergesellschaft der Deutschen Bahn AG. Die "Privatisierung" hatte den drastischen Abbau sozialer Leistungen und Rechte der "alten Bahn" zur Folge wie Betriebswohnungen, Betriebsrente, Kündigungsschutz. Nicht einmal den Bundesbahnfreifahrtsschein gibt's mehr für die Mitarbeiter. Gearbeitet wird im Dreischichtbetrieb.
Die Beschäftigten sind zu 99 Prozent Menschen ohne deutsche Staatsbürgerschaft, vor allem Türken. "Wir machen den Deutschen den Dreck weg und werden von den Deutschen wie Dreck behandelt", kommentiert bitter einer der bis letzte Woche Streikenden. Die BRG hatte auf den Streik mit dem Einsatz von Streikbrechern aus Leiharbeitsfirmen reagiert. "Bei diesem Streik hat niemand gewonnen - alle haben verloren", stellt Betriebsrat Özgül fest.
Das gilt nicht zuletzt für die Gewerkschaft, der Özgül und die Mehrzahl seiner Kollegen noch bis Anfang des Jahres angehört hatte: die traditionsreiche Gewerkschaft der Eisenbahner Deutschlands (GdED). Die Bahnreiniger machen die DGB-Gewerkschaft für den schlechten Abschluß verantwortlich. Die GdED-Führung hatte im April einen Tarifvertrag unterschrieben, der nur eine Lohnerhöhung um jene zehn Pfennig vorsah, und damit Fakten gesetzt.
"Hätte die GdED diesen zehn Pfennig-Lohnzuschlag nicht unterschrieben, hätten wir auf jeden Fall mehr herausgeholt", so Betriebsrat Özgül, "die GdED wußte ganz genau, daß wir dieses Angebot nicht akzeptieren. Sie hätte mit uns in den Streik gehen müssen."
Die Bahnreiniger hatten schon vor den Tarifverhandlungen genug von den DGB-Eisenbahnern: "Die Kollegen waren einfach wütend über die GdED", berichtet Özgul. Er wolle zwar keine Vermutungen anstellen, ob die seit Jahren schlechten Tarifabschlüsse der GdED mit der BRG etwas damit zu tun haben könnten, daß es sich bei den Bahnreinigungsarbeitern überwiegend um Nicht-Deutsche handelt: "Aber es fällt doch auf, daß die GdED für die Bahnbeschäftigten bessere Tarifverträge abgeschlossen hat als für die Kollegen bei der BRG. Also: Man macht da wohl schon Unterschiede."
Für die Beschäftigten der Bahn AG hatte die GdED zwar auch nicht viel, aber immerhin einen 1,5-Prozent-Abschluß erreicht - doppelt soviel wie für die Bahnreiniger. Die Konsequenz für Özgül und seine Kollegen: "Egal, in welcher Gewerkschaft ich organisiert bin: Sobald ich sehe, die tut für uns nichts mehr, vertritt nicht mehr unsere Interessen, dann muß ich da austreten. Das haben wir gemacht." Sie schlossen sich der kleinen, aber ebenfalls tarifvertragsberechtigten "Verkehrsgewerkschaft" GDBA im Deutschen Beamtenbund an und traten mit ihr am 13. Mai in den Streik.
Für Özgül auch im nachhinein eine richtige Entscheidung: "Die GDBA hat bis jetzt für den Streik um die 1,5 Millionen Mark ausgegeben, obwohl wir erst vor drei Monaten beigetreten sind. Normalerweise hätte das die GdED machen müssen, weil wir zum Teil seit mehr als neun Jahren dort Mitglied waren." Doch die GdED stellte sich gegen den Streik.
Sieben Wochen haben sie gestreikt - weitgehend unter Ausschluß der Öffentlichkeit. Der größten Kölner Tageszeitung, dem Kölner Stadt-Anzeiger, war der Streik nicht einmal eine kleine Notiz wert. Als die Bahnreiniger ihr zentrales "Streiklager" vor dem Bahnbetriebshof in Köln-Deutz Mitte letzter Woche räumten, wußten sie, daß sie wenig erreicht haben. "Weder Politik noch Medien kümmern sich um Menschen, die dieser Gesellschaft den Dreck wegmachen", sagt Müjdat Özgül. Resignieren will er jedoch nicht: "Trotzdem darf der Streik nicht als Niederlage gesehen werden. Der Kampf geht weiter. Wir müssen die Kollegen davon überzeugen, daß wir auf dem richtigen Wege waren, aber diesmal halt nicht mehr durchsetzen konnten."