Vorab veröffentlichen wir den Wortlaut des Beitrags von Hannes Oberlindober (Ex-Betriebsrat "Citifinanzberatung", Sprecher der "Arbeitnehmerinitiative Citifinanzberatung") für die Pressekonferenz am 9.9.1999

 

Warum wir kämpfen

Die Durchhalteparole "warum noch" hätte ich gerne ersetzt durch "worum noch".

Als die Auseinandersetzung rund um die Schließung der Telecenter in Duisburg und Bochum und anderswo begann, war den Betriebsräten klar, daß diese Auseinandersetzung prinzipieller Natur und richtungsweisend für die generelle Entwicklung in der Call Center Branche ist.

Die Fragen lauteten:

Allen an der Auseinandersetzung von Beschäftigtenseite Beteiligten war durchaus bewußt, daß sich die Schließung der Telecenter in Bochum, Duisburg etc. wohl nur erschweren, aber nicht verhindern läßt: und zwar gerade wegen der prinzipiellen Natur der Auseinandersetzung, um die auch die Bank wußte. Ihnen war genauso bewußt, daß vor allem in dieser Auseinandersetzung Weichen gestellt werden, die bestimmend sind für die weiteren Machtverhältnisse zwischen Großkonzernen und Belegschaften in der uns erwartenden Arbeitswelt nicht nur in Deutschland.

Daher war klar, daß mit der Abwicklung die Auseinandersetzung nicht beendet sein durfte. Ohne jetzt das Bild vom vielzitierten "Gallischen Dorf" überstrapazieren zu wollen, ging es uns und geht es uns darum, eine weithin sichtbares Signal dahingehend zu geben, daß lokale Initiativen Einfluß nehmen können darauf, wie in Zukunft sich Globalisierung ereignet. Als Vorbild dient uns der erfolgreiche Widerstand gegen das MAI (Multilateral Agreement on Investments), daß Großkonzernen über Ländergrenzen hinweg sozusagen den Status von transnationalen Vefassungsorganen geben sollte, die nicht an nationale Gesetzgebungen gebunden sein sollten: der Traum von einer totalen unternehmerischen Freiheit, die weder durch Beschäftigteninteressen, noch durch die politisch souveräne Entscheidungen von Bevölkerungen beeinträchtigt werden soll.

Gelingt es Konzernen wie der Citibank – möglichst noch gefördert durch öffentliche Mittel, was einen politischen Kotau vor der Bankenmacht bedeuten würde – Geld und Macht bei gleichzeitigem Arbeitsplatzabbau weiter zu konzentrieren, ohne daß nennenswerter politischer Gegendruck erzeugt wird, dann wird denen Recht gegeben, die die Welt nur noch differenzieren in wenige Gewinner und viele Verlierer, denen gegenüber allenfalls einer Versorgungspflicht besteht (solange sie ihren Beitrag zum weiteren Profit der wenigen Gewinner leisten), deren Meinungen, Interessen, Lebensrhythmen aber zu vernachlässigende Größen sind.

Dem treten wir entgegen und orientieren uns in unseren Strategien am durchaus erfolgreichen Muster der Citigroup: das Erfolgsrezept globaler Konzerne sind Netzwerke, transnationale Kommunikation und Koordination. Denselben Weg sollten wir beschreiten: Gewerkschaften und Parteien stehen vor dem Problem, daß Sie aufgrund ihrer Pflicht zur Berücksichtigung vielfältiger Mitglieder- und Wählerinteressen nicht so schnell globale Strategien entwickeln können, wie Konzerne, deren Interesse einzig Machterweiterung durch Profit ist. Es ist auch gut und richtig so, daß Organisationen wie Gewerkschaften und Parteien nicht zugunsten schnellerer Entscheidungsfindungen ihre demokratischen Traditionen verraten.

Es ist an uns, globalpolitische Prozesse in Gang zu bringen und zu gestalten. Bei der häufig geäußerten Klage über Politikverdrossenheit vergessen wir häufig, daß diese Klage eher eine Selbstanklage ist. Regierungen und Gewerkschaften sollen den Willen Ihrer Mitglieder und Wähler erfüllen – das können Sie nur, wenn dieser Wille deutlich, präzise und mit Zielvorgaben formuliert wird. Unser Ziel ist präzise: wir wollen am Beispiel der Citigroup demonstrieren, wie auf Basis eines Netzwerkes von Interessenverbänden der scheinbar metaphysischen Übermacht von globalen Konzernen wirkungsvoll entgegengewirkt werden kann. Dies funktioniert zum Beispiel, indem die im Kapitalismus mächtigste Lobby – die der Konsumenten und Kunden – sich den Angeboten von Anbietern wie der Citibank verweigert und dieser Weigerung Publizität verschafft. Hier soll die Notwendigkeit von Banken nicht in Frage gestellt werden: der eigentliche Sinn von Banken sollte sein die Ankurbelung der Konjunktur durch Reinvestitionen des erwirtschafteten Kapitals in Unternehmen, die die Volkswirtschaft beleben, indem sie Arbeitsplatzeffekte erzeugen und Güter und Produkte mit guten Absatzmöglichkeiten erzeugen.

Die Frage ist nur: braucht die Welt, brauchen wir die Citigroup? Brauchen wir die Produkte von Banken, deren Kapital nicht in die Produktion reinvestiert wird, sondern auf den freien Finanzmärkten fluktiert und niemandem zugutekommt außer den Shareholdern? Können wir es verantworten, daß wir mit den Zinsen, die für unsere Kredite fällig werden, daß Kapital solcher Banken wie der Citigroup noch erhöhen, die widerum weltweit die Entlassung von mehr als 10000 Beschäftigten ankündigt? Sollen wir Kunden von Konzernen sein, die ihren Profit zu einem großen Teil aus der Verführung zur Verschuldung und damit zur Abhängigkeit von der Bank bezieht und ihre Chefmanager mit einem Jahresgehalt von 280 Millionen Dollar per annum entlohnt? Wir müssen all dies nicht, wir dürfen all dies nicht.

Weltweit – und dies entspricht den globalen Strategien von Konzernen wie der Citigroup – fließt 98.5 % des verfügbaren Kapitals auf den freien Finanzmärkten, nur 1.5 % fließen in die Produktion. Wir können uns nicht über Notstände wie Armut, die Verelendung von Volkswirtschaften, die Ignoranz von Beschäftigteninteressen mokieren und gleichzeitig als Kunden Geschäftsbeziehungen zu einem Finanzmogul unterhalten, der kein anderes Interesse hat, als reine Gewinnmaximierung.

Ich sage dies ausdrücklich auch als Unternehmer. Viele der Bochumer Beschäftigten der Citibank haben von sich aus den Entschluß gefaßt, dem Ruf der Citibank nach Duisburg nicht zu folgen, weil sie es nicht verantworten wollten, weiterhin für ein Unternehmen mit dieser Geld- und Personalpolitik zu arbeiten und sich in seinem Namen zu melden. Wir haben parallell zur Schließung der Citifinanzberatung in Bochum unser eigenes Unternehmen gegründet und dabei gelernt, daß auch auf dem freien Markt Begriffe wie Vertrauen, Integrität, Verantwortung einen hohen Rang haben. Als Geschäftsleute denken wir sehr genau darüber nach, mit wem wir zu welchen Konditionen kooperieren – und dabei ist nicht nur die reine Ertragsperspektive entscheidend. Gerade in der Wahl der Bank des Vertrauens hängt viel vom Image, von der Seriösität, von der generellen Unternehmensphilosophie des Bankinstitutes ab. Unser Unternehmen steht zur im Grundgesetz festgeschriebenen sozialen Verantwortung des Kapitals: sie besteht auch darin, daß Arbeitsplätze mit guten Arbeitsbedingungen, langfristigen Perspektiven und Gestaltungsmöglichkeiten für die Beschäftigten geschaffen werden und daß "Innovation" nicht nur ein technischer, sondern ein sozial positiv besetzter Begriff bleibt.. Ich sage bewußt Arbeitsplätze, nicht "jobs" – das Wort "job" kommt aus dem Bereich der Pferdezucht und bezeichnet einen Batzen Hafer, den man einem Pferd zur notdürftigen Sättigung zum Fressen gibt.

Als Privatperson treffe ich die Entscheidung, keine Geschäftsbeziehungen zur Citibank zu unterhalten - aus ähnlichen Gründen, aus denen ich unternehmerisch nur mit Partnern kooperiere, denen ich vertraue. Ich treffe ferner die Entscheidung, auch anderen zu empfehlen, nicht Kunde dieses Konzerns zu sein. Auch in der Geschäftswelt empfehlen wir die einen weiter, die anderen empfehlen wir nicht weiter. Dabei gilt die Regel: ein unzuriedener Kunde zieht 5 unzufriedene Kunden nach sich – und ich bin auf meine Art und Weise ein unzufriedener Kunde der Citibank.

Die Kampagne zur Korrektur der Geschäfts- und Personalpolitik der Citibank ist wichtig, weil sie dem einseitig ökonomisch besetzten Begriff "Globalisierung" an der richtigen und an einer empfindlichen Stelle eine soziale Komponente entgegensetzt: an der neuralgischen Schnittstelle der Kunden/Bank-Beziehung. Wie schnell ein Weltkonzern abstürzen kann, wenn er sich verspekuliert, hat die Citibank noch in äußerst guter Erinnerung: nachdem man sich mit einigen Großkreditgeschäften verspekuliert hatte, konnte im Jahr 1992 nur die Intervenierung des amerikanischen "Federal Reserve Bond" den Weltkonzern Citibank vor dem Konkurs retten. Ich bin der Auffassung, daß die Citibank sich mit ihrer Politik der Ausgrenzung von Arbeitnehmerinteressen, der Massenentlassungen und der Verschuldungsfallen gleichfalls verspekuliert, wenn wir entschieden genug gegen die Strategien dieses Konzerns vorgehen, der aus unserer Sicht keine Zier für die Bankenzunft ist und ein schlechtes Vorbild für andere Banken, die unter dem Wettbewerbsdruck gleichwohl ähnlich wie die Citibank agieren werden, wenn die mit ihren globalen Strategien Erfolg hat.

Unser Handeln sollte auch für Unternehmen und Unternehmer ein Denkanstoß sein, die betriebswirtschaftliche und volkswirtschaftliche Interessen nicht im Widerspruch zueinander definiert sehen – auch sie sollten überdenken, ob sie Geschäftsbeziehungen zur Citibank unterhalten. Auch die Bundesregierung, insbesondere die SPD, sollte unsere Kampagne eher unterstützen: in der Regierungserklärung zu multilateralen Handelsabkommen wird ausdrücklich darauf hingewiesen, daß Freihandelsabkommen über Ländergrenzen hinweg nur dann von der Bundesregierung unterstützt werden, wenn soziale Belange ausdrücklich berücksichtigt werden.

Im Interesse dieses Grundsatzes, daß unternehmerische Freiheit Ihre Grenzen da haben muß, wo sie offensichtlichen sozialen Schaden anrichtet, müßten eigentlich alle demokratischen Parteien Vorgehensweisen wie diejenige der Citibank in Nordrhein-Westfalen klar verurteilen, anstatt sich aus Angst vor weiterem (ohnehin geplanten) Personalabbau in einen Konkurrenzkampf der Länder und Kommunen um die Ansiedelung von Großkonzernen verwickeln zu lassen, in dem die Regierungen selber nur noch wie Unternehmer agieren, die um sich herum nur noch gnadenlosen Wettbewerb sehen und manchmal den Eindruck erwecken, als fänden Sie zunehmend Gefallen daran. Sie müßten öffentliche Kritik üben, statt wie im Falle der Citibank weiterhin stillezuschweigen, wenn Tarifflucht, Massenentlassungen und die gleichzeitige Beantragung öffentlicher Mittel und Massenentlassungen geradezu als ungenierte Provokation an eine Politik gerichtet werden, die sich immer noch sozialdemokratisch nennt.

Doch auch hier gilt: man kann an Politiker nicht den Anspruch stellen, daß sie bessere Menschen sind, als wir selbst. Sie sind nicht besser, nicht schlechter und nicht viel anders als der Durchschnitt der wählenden Bevölkerung. Wenn wir zuviel Angst haben, agieren auch die gewählten Volksvertreter ängstlich, wenn von uns keine Impulse kommen, haben wir nur bedingt das Recht, das Handeln der von uns Gewählten zu kritisieren, wenn es von Vorstellungen abweicht, die wir nicht deutlich genug artikulieren.

Wir handeln auch deswegen weiter politisch im Falle Citibank, damit die Politik und damit die uns Regierenden einen derartig kräftigen Schrittmacher haben – ob das Herz jetzt etwas weiter links oder etwas weiter in der Mitte schlägt.

Hannes Oberlindober