letzte Änderung am 26. März 2004

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Volker Gernhardt: Erklärung zum Rücktritt von der Position des Betriebsratsvorsitzenden

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
nach intensiven Diskussionen habe ich die Entscheidung getroffen, von meiner Position als Vorsitzender des unternehmenseinheitlichen Betriebsrates zurückzutreten. Diese Entscheidung habe ich mir nicht leicht gemacht. Ich habe mich bemüht, die Konsequenzen meines Rücktritts abzuwägen gegen die Konsequenzen eines Verbleibens in diesem Amt. Ich bin gegen den Verzicht auf Weihnachts- und Urlaubsgeld sowie weitere Tarifabsenkungen und plädiere für eine bindende Beschäftigtenbefragung in dieser Angelegenheit. In beiden Fragen gab es eine andere Mehrheit im Betriebsrat. Ich will und kann in dieser zentralen Frage nicht länger gegen meine innerste Überzeugung in der Öffentlichkeit auftreten. Im Oktober letzten Jahres bin ich als Spitzenkandidat der Liste "Gegen den Strom" in den Betriebsrat gewählt worden. Eine zentrale Forderung unserer Liste war und ist der Erhalt des Flächentarifvertrages für die Beschäftigten von Vivantes. Zur Durchsetzung auch dieser Forderung bin ich gewählt worden und nach meiner Auffassung bin ich durch dieses Mandat gebunden. Etwas anderes zu vertreten, ist mit diesem Mandat nicht vereinbar.

Der "Notlagentarifvertrag" führt zwangsläufig in den Haustarifvertrag

Schon mit Gründung des Unternehmens war die Verschuldung so hoch, daß es keine Perspektive aus der Abhängigkeit des Senatswillens gab. Vivantes hing und hängt am Tropf des Senats, der jederzeit den Hahn zudrehen kann. Der Senat diktiert als Eigentümer des Unternehmens die Betriebspolitik und will nunmehr, mit der Drohung der Insolvenz verbunden, den Ausstieg aus dem Flächentarifvertrag durchsetzen. Verunsicherung und Misstrauen prägen die Gefühlslage der Beschäftigten, begleitet von einer scharfen Arbeitsverdichtung durch den Abbau von 2000 Vollstellen seit Unter-nehmensgründung. In den meisten Bereichen ist weiterer Personalabbau nicht zu verantworten. Ein Notlagentarifvertag mit einmaligem Verzicht auf Weihnachts- und Urlaubsgeld ist aus meiner Sicht betriebswirtschaftlich unwirksam und kann von daher ein Scheitern des Unternehmens bestenfalls kurzfristig verzögern, jedoch nicht verhindern. Die Geschäftsführung ist in ihrem Sprachgebrauch auch bereits bei einem Vertrag bis 2007 angekommen - und was ist dann? Soll dann auf einen Schlag die Summe von 34 Mio. Euro in 2008 zusätzlich eingespart werden? Wir werden dann wohl wieder über die Konsequenzen einer Insolvenz reden müssen. Die "räuberische Erpressung" mit den Folgen einer Insolvenz wird zum Dauerzustand und einmal als Druckmittel akzeptiert, werden weitere Verschlechterungen damit durchgesetzt. Wenn also weitere Einsparungen nicht mehr durch Personalabbau zustande kommen können, so werden die Kosten pro Beschäftigtem durch Tarifabsenkungen verringert.

Das ist im Kern das ganze Sanierungskonzept der Geschäftsführung

Damit landen wir bei einem Haustarifvertrag. Dafür arbeiten Senat und Geschäftsführung Hand in Hand. Bereits der derzeit diskutierte "Notlagentarifvertrag" unterschreitet in seinem Volumen den Bundesmanteltarifvertrag und ist damit nicht mehr als Variante des Flächentarifvertrages zu bezeichnen, die die kurzfristigen Liquiditätsprobleme des Unternehmens berücksichtigt Diese Abkehr vom Flächentarifvertrag kann und will ich nicht mit tragen! Wenn eine Mehrheit im Betriebsrat sich über Drohungen des Senats und der Geschäftsführung auf diesen Weg zwingen läßt, dann kann ich diesen Betriebsrat in dieser zentralen Frage nicht als Vorsitzender vertreten. Dazu habe ich nicht das Mandat der Kolleginnen und Kollegen, die mich und meine Liste gewählt haben.

Wie soll das Sanierungskonzept der Geschäftsführung aussehen

Nach offizieller Darstellung waren die ehemals Städtischen Krankenhäuser ein Sanierungs-fall. Der Zusammenschluß der Krankenhäuser in eine GmbH sollte das Sanierungskonzept sein. Der Senat hat sich damals entlastet, indem er die gesamten Schulden der Städtischen Krankenhäuser (190 Mio Euro) in das neue Unternehmen einbrachte. Wir müssen heute jährlich mindesten 5 Mio. Euro nur für die Zinsen dieser Kredite aufbringen. Das allein sind schon 100 Krankenschwestern, die uns fehlen. Seit Unternehmensgründung sind über 2000 Vollstellen des Unternehmens weggefallen. Damit liegen wir beim Personalabbau im damals vorgesehenen Plan. Die resultierende Arbeitsverdichtung spüren die Kolleginnen und Kollegen jeden Tag in aller Schärfe. Es handelt sich um ein hartes und für die Beschäftigten höchst unangenehmes Sanierungskonzept, in dem wir uns derzeit bereits befinden. Nach nahezu einhelliger Meinung aller Beteiligten, selbst der Geschäftsführung, ist eine weitere Verdichtung der Arbeit durch Personalabbau kaum mehr denkbar. Nun soll dieses Sanierungskonzept, welches ja den weiteren Abbau von Personal bis 2006 bereits enthält, nochmals einem Sanierungskonzept unterworfen werden. Es soll also eine Verschärfung der Sanierung über die bekannten Planzahlen hinaus durchgeführt werden, obwohl alle meinen, daß die logisch damit verbundene Arbeitsverdichtung nicht mehr möglich ist. Wie soll das gehen? Bereits Mitte letzten Jahres hat der Arbeitsdirektor des Unternehmens, Ernst-Otto Kock, in einer Gesprächsrunde erklärt, daß es zwei Möglichkeiten der Einsparung von Personalkosten ­ "zwei Stellschrauben" ­ gibt. Einmal die Arbeitsverdichtung durch Personalabbau und zum Anderen die Senkung der Kosten pro Beschäftigtem. Da die Arbeitsverdichtung ausgeschöpft ist, müssen nunmehr zwangsläufig die Kosten pro Kopf gesenkt werden, wenn man das Unternehmen weiter sanieren will. Damit ist das Versprechen der Geschäftsführung, ein realistisches Sanierungskonzept vorzulegen, welches nennenswerte Summen einspart ohne Tarifabsenkungen dabei einzuplanen, nicht einzuhalten.

Der Senat will die Privatisierung

Für den Senat ist die Tarifverschlechterung in den landeseigenen Betrieben auch nur ein Schritt auf das Gesamtziel, den Verkauf aller bislang öffentlichen Dienstleistungen. In Bezug auf die Krankenhäuser und nach deren möglichen Verkauf gefragt, antwortete Finanzsenator Sarrazin sinngemäß: "Die Braut ist noch nicht geschmückt". Der "Schmuck", der uns zugedacht ist, ist eine höchstmögliche Arbeitsverdichtung, Outsourcing aller sogenannten "nicht rentablen" Betriebsteile, verbunden mit der Absenkung der Löhne dort um etwa 30 Prozent und die möglichst weitgehende Absenkung unserer Tarife. Wir sind auf dem "besten" Weg. Wenn wir es dann geschafft haben, ein profitables und marktgerechtes Unternehmen zu werden und unseren Kunden, den Patienten, unsere Ware, die Gesundheit, zu optimalem Preis verkaufen, dann ist "die Braut geschmückt". Ein Zynismus ohne Gleichen.
In der Konsequenz werden die Beschäftigten in den ehemals Städtischen Krankenhäusern im Lohn- und Gehaltsgefüge unter das Niveau der Landesbediensteten abgesenkt, allerdings dauerhaft - ohne Ausgleich über Arbeitszeitreduzierung. Damit sinkt im Weiteren die Kaufkraft der Berliner Bevölkerung und natürlich die Menge an Steuerabgaben und Sozialabgaben. Stadt und Land verfügen über weniger Geld, ebenso die Kranken-, Renten- und Sozialversicherung und die Nettokaufkraft wird so verringert, daß weitere Betriebe in die Insolvenz gehen werden. Eine Schraube in die Verelendung der Stadt. Da ist dann die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung genau so schlecht wie die allgemeinen Lebensbedingungen. Die enorme Arbeitsverdichtung in den Krankenhäusern durch Schließung von ganzen Standorten, Abteilungen und Stationen, obwohl die stets nahezu konstante Anzahl von Patienten zu versorgen ist, ist nicht ausgeglichen worden durch mehr Personal, sondern ist von weiterem Personalabbau begleitet worden. In allen Krankenhäusern Berlins und darüber hinaus wird heute eine in höchstem Maße zweifelhafte Patientenversorgung durchgeführt. Schon lange steht der Patient nicht mehr im Mittelpunkt der Versorgung, sondern das betriebswirtschaftliche Ergebnis eines Krankenhauses. Das gesellschaftliche Problem, sinkende finanzielle Mittel für soziale und damit auch gesundheitliche Ansprüche zur Verfügung zu stellen, sollen die einzelnen Krankenhäuser mit betriebswirtschaftlichen Mitteln lösen. Dies ist zum Scheitern verurteilt und führt zur Schlechterversorgung unserer Patienten, zu Fehl- und Falschbehandlungen, zur Entwicklung von chronischen Krankheiten und im schlimmsten Falle auch zum vermeidbaren Tod von Patienten.

Der Notlagentarifvertrag ist ein Signal ­ die Weigerung ihn abzuschließen ebenfalls

Unter Androhung, das Unternehmen Vivantes in die Insolvenz zu schicken, zwingt der Senat den Betriebsrat, die Beschäftigten zum Lohnverzicht zu bewegen. Dieser Weg führt über einen windigen "Notlagentarifvertrag" in den Ausstieg aus dem Flächentarifvertrag. Dies ist Ziel des Senats, da unser landeseigenes Unternehmen noch eines der wenigen im Land Berlin ist, welches bislang im Flächentarif verblieben ist. Auch bei der BVG und der BSR wird versucht, die Tarife kräftig zu senken. Auf alle wird nunmehr gnadenlos Druck ausgeübt und jedes Nachgeben in einem Betrieb verschlechtert die Chancen in den anderen Betrieben, dem Druck standzuhalten. Es ist an der Zeit, sich solidarisch zusammenzuschließen. Die gemeinsam zuständige Gewerkschaft Verdi muß die Verant-wortung jetzt in die Hand nehmen. Ich fordere meine Gewerkschaft Verdi auf, endlich die betroffenen Kolleginnen und Kollegen zusammenzuschließen und gemeinsam den Kampf um den Erhalt des Flächentarifvertrages zu führen. Die Gewerkschaft muß führend und konsequent in diese Auseinandersetzung eingreifen, damit sie für die Kolleginnen und Kollegen erkennbar zu einer bedeutenden und notwendigen Kraft wird im Kampf um deren Interessen. Der Senat muß gezwungen werden, seiner gesetzlichen Verantwortung nachzukommen, das Gesundheitswesen dieser Stadt im Interesse der Bevölkerung zu organisieren. Die Sicherstellung der stationären Krankenhausversorgung muß vorgehen. Die Sicherung eines betriebswirtschaftlich auf Profiterwirtschaftung ausgelegten Betriebes Krankenhaus ist von nachrangiger Bedeutung.

Die Geschäftsführung hat das Vertrauen der Beschäftigten verspielt

Die Vivantes Geschäftsführung hat außer der geplanten Tarifabsenkung und den resultierenden weiteren tariflichen Verschlechterungen bis hin zum Abschluss eines Haustarifvertrages kein Sanierungskonzept zur Hand, welches die Aussicht auf nennenswerte Einsparungen durch Strukturveränderungen weisen könnte. Durch die Art der Umsetzung des Strategiekonzeptes bis zum heutigen Tage hat die Geschäftsführung das Vertrauen der Beschäftigten verloren. Statt die Probleme der Beschäftigten ernst zu nehmen, wurde mit Drohungen und Arroganz Flexibilität in unangemessener Weise erzwungen. Die Beschäftigten wurden nicht mitgenommen und an Prozessveränderungen beteiligt, sondern stehengelassen und Veränderungen wurden ihnen übergestülpt. Angst, Resignation und Demotivation sind die Folgen dieser Betriebspolitik und werden damit jede Form von Sanierungspolitik, die auf die Beteiligung der Beschäftigten setzt, scheitern lassen. Zudem scheint die Geschäftsführung in sich uneins über selbstverschuldete Fehler und damit natürlich auch über einen gangbaren Weg aus der Finanzkrise. Daran hat auch der vierte Geschäftsführer nichts geändert. Das einzige, was die Geschäftsführung einigt, ist die Entschiedenheit, alle Probleme auf dem Rücken der Beschäftigten zu lösen und dabei selbst an den komfortablen Hebeln der Macht zu bleiben sowie die Privilegien ihrer Position zu genießen. Hartnäckig halten sich die Gerüchte über Erfolgsprämien für Leitungskräfte im fünfstelligen Bereich Mitte bis Ende letzten Jahres. Zu einem Zeitpunkt also, zu dem bereits über die Möglichkeit einer Insolvenz gesprochen wurde. Wenn es sich so verhalten sollte, handelte es sich um einen Skandal und die Geschäftsführung täte gut daran, sofort alle Karten auf den Tisch zu legen. Die Geschäftsführung muß nun beweisen, daß diese Gerüchte nicht stimmen. Sollte der Eigentümer wirklich entschlossen sein, Vivantes wieder auf den Weg zu bringen, dann braucht es einen Neuanfang, auch mit einer neuen Geschäftsführung.

Wie soll es weitergehen

An dieser Stelle will ich an die Versprechungen und Drohungen erinnern, mit denen es dem damaligen Senat gelungen ist, uns in die Rechtsformänderung einer GmbH hinein zu zwingen. Wer den Betriebsübergang nicht mitmachen wollte, dem wurde mit der betriebsbedingten Kündigung gedroht. Denen, die sich dieser Erpressung beugten, wurde unter anderem der Verbleib im Flächentarifvertrag versprochen. Auch der Verkauf des Unternehmens oder Teilen davon wurde ausgeschlossen, und es wurde zugesagt, im Falle eines Scheiterns der Rechtsformänderung die einzelnen Krankenhäuser selbstverständlich an das Land zurückfallen zu lassen. Das Scheitern des Unternehmens Vivantes wird immer offensichtlicher, also müßten nunmehr die ehemals Städtischen Krankenhäuser an das Land Berlin zurückfallen. Warum eigentlich nicht? Angesichts der Arbeitsintensivierung durch Abbau von Personal in den Krankenhäusern, verbunden mit erheblichen Einsparungen im Personalkostensektor sollte geprüft werden, wie die Bilanz der einzelnen Häuser heute aussehen würde. Dabei müßte man sich allerdings unsere recht aufwendige Zentrale einmal wegdenken. Ginge es nach den Versprechungen des Senats, so drohte uns nicht die Insolvenz, sondern die Rückkehr in den öffentlichen Dienst des Landes Berlin. Eine Drohung, über die wir wohlwollend nachdenken sollten. Sollten wir jedoch zu dem Ergebnis kommen, daß man den Versprechungen des Senats nicht glauben kann, dann stellt sich die Frage, warum wir dem Senat gerade jetzt glauben sollen. Werden die Altschulden in Eigenkapital umgewandelt, wird die Insolvenz dauerhaft verhindert und wird das Unternehmen Vivantes nicht doch verkauft oder zumindest Teile davon ?

Ich für meine Person traue dem Senat nicht. Er handelt nach dem Prinzip "damit ihr mich wählt, verspreche ich Euch alles" und wenn diese Versprechungen eingelöst werden sollen, dann setzt die Erinnerung aus. Als Betriebsrat möchte ich mich nicht an diesem Verhalten der Politiker orientieren, sondern die Forderungen, mit denen ich im Wahlkampf angetreten bin, ernsthaft weiter vertreten. Zumindest muß dies für den Betriebsrat bedeuten, die Frage, ob ein "Notlagentarifvertrag" abgeschlossen werden sollte oder nicht, nach eingehender Beratung in den Bereichen (unter Einschluß von Bereichsversammlungen) des Unternehmens allen Beschäftigten schriftlich zur Abstimmung vorzulegen. Ich werde dieses Vorgehen auf der Betriebsversammlung am Donnerstag, den 29.Januar, zur Abstimmung bringen und fordere alle Kolleginnen und Kollegen auf, sich an der Betriebsversammlung zu beteiligen und diesen Vorschlag zu unterstützen.

gez.
Volker Gernhardt
Berlin, den 26. Januar 2004
Volker.Gernhardt@web.de

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