Dieter Kaddoura, Mitarbeiter im Büro MdB Winfried Wolf
Nur wenige Wochen im Chefsessel, und schon verkündete Hartmut Mehdorn, der neue Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bahn AG, eine Hiobsbotschaft. Er schrieb seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern: "Wir halten ... nichts von dem rein theoretischen Ansatz, einen Personalabbau in einer Größenordnung von 70.000 Stellen bis 2004 zu unterstellen. ... Wir (müssen) über die Weiterführung der Altersteilzeit, die Vorruhestandsregelung für Beamte und freiwilliges Ausscheiden von Mitarbeitern mit Einmalzahlung ebenso reden ... , wie über das vollständige Ausnutzen der natürlichen Fluktuation zur Reduzierung der Personalzahlen." Angesichts des drastischen Arbeitsplatzabbaus im zuende gehenden Jahrzehnt erscheinen Mehdorns Pläne, die Personalkosten abermals um jährlich 3,6 Milliarden Mark zu senken, eher als Dolchstoß denn als Rettungsanker.
Die Zusammenführung der Bahnen in Ost und West brachte schubweise betriebliche Umstrukturierungen sowie die Integration der östlichen Betriebsteile in die westlichen Organisationsformen.
Personen-, Eil-, Schnell- oder D-Züge erhielten klingende "Produktnamen" wie Regionalbahn/-Express, InterRegio, InterCity oder "ICE". Morgen-, Mittags- oder Abendzüge waren passé, und integrierte Taktfahrpläne sorgten mit abgestimmten Fahrzeiten der Züge für bessere Anschlüsse. "Menschlich nicht beherrschbare" höhere Geschwindigkeiten bis zu 300 Kilometern pro Stunde brachten mit rechnergestützten Leit- und Sicherungssystemen erhöhte "technische Sicherheit" zum Zuge. Doch führte die "Hochrüstung" der Bahn zu massiver "Abrüstung" bei der Belegschaft; von knapp 500.000 Eisenbahnerinnen und Eisenbahnern (Ost und West im Jahre 1989) blieben nur rund 240.000 bei der Bahn AG heute übrig.
Aus Management-Sicht dürfte dieser Personalabbau die Kosten um derzeit jährlich etwa 14 Milliarden D-Mark "gedrückt" haben.
"Bedrückend" die Kehrseite dessen: Der Abbau öffentlicher Beschäftigung im Sektor Bahn trug gravierend bei zu hoher Arbeitslosigkeit, zu Verwerfungen sozialer Strukturen oder zu finanziellen Verlusten bei Handel oder öffentlicher Hand. Indessen ist es bisher nicht gelungen, die Bahn am Verkehrsmarkt nennenswert besser zu stellen.
Ob Bundeszuschuss (jährlich rund 20 Mrd. DM), Bahnreform oder Gründung von rund 185 Bahn-Tochterunternehmen - das "Unternehmen Zukunft" zeigt Schwächen: Während im Güterverkehr die Transportleistung (Tonnen mal Kilometer) auf der Straße verdoppelt wurde, verzeichnet die Schiene im letzten Jahrzehnt (trotz leichtem Aufwärtstrend seit 1994) eine grobe Halbierung. Warum aber zielt die Bahn auf das Befördern großer Mengen über möglichst weite Strecken, wenn erstens LKW-Fahrten zu 80 Prozent im Entfernungsbereich unter hundert Kilometern stattfinden, und zweitens auch die Struktur des bestehenden Güterverkehrs der Bahn durch einer mittlere Versandweite von rund 200 Kilometern gekennzeichnet ist?
Ähnlich ist die Situation im Fernreiseverkehr: Auch hier wird offenbar viel öfter "Kurzstrecke" gefahren, als es sich Bahn und Bundesverkehrsministerium angesichts all der Investitionen in den hochgeschwinden aber teuren Zugverkehr einzugestehen scheinen: 90 Prozent aller Bahnfahrten eines Jahres finden im Bereich unter 50 Kilometern statt, und die übrigen zehn Prozent verzeichnen Reiseweiten von durchschnittlich nur etwa 220 Kilometern.
Weshalb denkt der Bahnchef über den Verzicht auf weitere 70.000 Beschäftigte nach?
Will er im Fernreiseverkehr tatsächlich per Rundkurs acht oder neun Großstädte als "Knoten" in halbstündiger Taktfolge bedienen? Will er beim Regionalverkehr allen Ernstes Züge sparen?
Angenommen, weitere Streckenäste des verzweigten Bahnnetzes würden abgeschnitten. Dann gäbe es weniger Orte zum Ein- oder Aussteigen bzw. -laden. Die Zahl der Orte, zwischen denen Züge fahren, würde verringert, so dass bei Bahnfahrten oder -transporten ein statistischer Rückgang in Anzahl und Weite die unweigerliche Folge wäre! Und würde Mehdorns "ICE-Knotenring" im Fernverkehr Realität, dann würden viele Fernreisende auf diesen Umsteigeknoten zusätzliche Zeit verlieren.
Möglicherweise würden dann Viele auf die Bahn verzichten und Autos kaufen. Die Bahn wäre erneut ein Sanierungsfall, und spätestens dann wäre für den Bahnchef die "Abfindung" fällig.
Ein neuer müsste her! Der darf dann wiederum überlegen, wie weiter "gespart" werden kann.
Der Artikel erschien im Februar 2000 leicht gekürzt in der Zeitung wsw Nr.15.
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