Verkehrspolitisches Zirkular, März 2000
Verkehrspolitische Positionen

Dieter Kaddoura, Mitarbeiter im Büro MdB Winfried Wolf

Quo Vadis Eisenbahn?

Ein Konzern mit 185 Töchtern

Ausbau und Erhalt der Infrastruktur sind bekanntlich eine Aufgabe der staatlichen Gemeinwohlvorsorge. Bundesländer, Kreise und Gemeinden teilen sich die Pflichten für den Nahverkehr, während der Bund für den Fernverkehr zuständig ist. Er finanziert den Neubau, Ausbau und Erhalt von Bundesstraßen, Bundeswasserstraßen und  Bundesschienen.
Wohin bei der Schiene die Reise geht, lässt sich an den Aktivitäten der Deutschen Bahn AG (DB AG) erkennen, in deren Hand der Bund die Entwicklung der Schiene maßgeblich gelegt hat.

 

Eigenständige Aktiongesellschaften

Ehemalige Geschäftsbereiche wurden im Rahmen einer breit angelegten Privatisierung zu selbstständigen Aktiengesellschaften innerhalb des DB-Konzerns. DB Regio AG ist in den Bundesländern Hauptaufgabenträger im Nah- und Regionalverkehr. Die DB Reise & Touristik AG hat den Reiseverkehr auf der Schiene übernommen und um den Güterverkehr soll sich die DB Cargo AG kümmern. Neben diesen "mobilen" Teilen bestehen weitere Aktiengesellschaften für die "stationären" Aufgaben: DB Netz AG für Gleisnetz und Bahnstrom und DB Station & Service AG für Bahnhöfe und Haltepunkte. Außerdem gibt es für die unterschiedlichsten Aufgaben des Konzerns zur Zeit etwa 185 weitere Konzerntöchter, wie regionale Eisenbahn- und Busfirmen und Zuliefer-, Reparatur- oder Planungsbetriebe. Mit dem "bahninternen Arbeitsamt" der DB Arbeit GmbH verfügt der Konzern sogar über einen "Verschiebebahnhof" der besonderen Art: – Eisenbahner, die durch falsche Sparmaßnahmen reichlich entbehrlich werden, sollen hier neue Jobs finden.

 

DB Immobilien

Eine etwas flottere Bahntochter ist die "DB Immobilien", zuständig für die Liegenschaften. Manche, die gehofft hatten, angehäufte Milliarden-Schulden wären der Bahn erlassen worden, weil die Erlöse für nicht genutzte Immobilien nach der Bahnreform über das Bundeseisenbahnvermögen dem Bund zufließen würden, sind heute ernüchtert. Es zeigte sich, dass die Spielräume eher gemäß dem Motto genutzt werden, jede Immobilie könnte der Bahn zunutze sein, und sei es zur Aufbesserung der Finanzen.

Besondere Kreativität bewies der Bahnkonzern, wenn es galt, beste Bahnhofslagen in Innenstädten futuristisch herauszuputzen; so in Leipzig, Berlin oder in Potsdam am neuen Hauptbahnhof, wo Reisende es nicht leicht haben, in den neu entstandenen Groß-Kaufhäusern zum Zuge zu kommen. Es gibt Umgestaltungen (21er-Projekte), die noch großspuriger sind und wo ganze Güterbahnhöfe und Abstellgleisflächen bahnfrei werden sollen. Doch beherzte Bürger leisten Widerstand: In Lindau am Bodensee oder in Stuttgart konnten sie vorrechnen, dass der gigantische Stadtumbau den Verkehrszweck verfehlen würde: Die Lindauer brachten den Nachweis, dass ein Rückzug des Bahnhofs von der Insel zum Festland völlig daneben wäre, weil die allermeisten direkt in die malerische Hafenstadt fahren. Und die Gegeninitiative zu Stuttgart 21 konnte zeigen, dass sich bei all dem geplanten Milliardenaufwand nicht einmal nennenswerte Zeitvorteile für die Bahnreisenden ergäben.

Nach seinem Amtsantritt argumentierte der neue Bahnchef Mehdorn zunächst, die vielfältigen Bahnstrukturen müssten (wieder) vereinheitlicht werden. Doch wenige Wochen später will er nicht nur die Grundstruktur der fünf Aktiengesellschaften beibehalten. Es soll sogar eine sechste, die DB Immobilien AG, gebildet werden. Damit ist zu befürchten, dass die Orientierung der Bahn auf Grundstücksverwertung – oder auch Ausverkauf von Bahngelände – beschleunigt wird.

 

Zu teure Neubauprojekte

Nackte Zahlen deuten an, dass auch andere Großversuche, der Bahn auf die Schiene des Erfolgs zu verhelfen, als gescheitert betrachtet werden können. Angesichts des in Anzahl und Reiseweite relativ geringen Reisefernverkehrs auf der Schiene (s. Zusatztext) ist der Einsatz von Milliardensummen für immer schnelleres Reisen fragwürdig. Das von der Bundesregierung im letzten Herbst vorgestellte Investitionsprogramm sieht für den Zeitraum der Jahre 1999 bis 2002 rund 14 Milliarden Mark zum Ausbau und Neubau von Bundesschienenwegen vor, wobei annähernd die Hälfte des Geldes von nur zwei Großprojekten "aufgefressen" wird: Der Neubau einer Hochgeschwindigkeitsstrecke zwischen Köln und Frankfurt/Main wird rund 3,4 Mrd. DM und die Fortführung der Bauten im Bahnknoten Berlin wird weitere 2,8 Mrd. DM beanspruchen. Pikanter noch: Für die Vollendung der vorgesehenen rund 50 Eisenbahn-Neubauprojekte sind dann ab 2003 nochmals weitere 50 Milliarden Mark draufzulegen! Damit sind die Bundesmittel zum Neubau von Schienen für die nächsten 16 Jahre maßgeblich festgelegt.

 

16 Milliarden für eine Hochgeschwindigkeitsstrecke

Allein die geplante Eisenbahn-Schnellstrecke zwischen Berlin und München stellt sich zur Zeit als viel zu teuer dar. Der Teilabschnitt zwischen Nürnberg und München kostet zwar "nur" 3,8 Milliarden Mark, aber weil dieses Projekt privat vorfinanziert wird, kostet es mit Zins und Zinseszins 9,3 Milliarden Mark, und damit eben etwas mehr.

Und weil schon das so sehr ins Geld geht, fällt es nicht leicht, für das Anschlussstück zwischen Erfurt und Nürnberg weitere sieben Milliarden Mark auszugeben. Erschwerend kommt hinzu, dass außer in Erfurt und in Nürnberg dann auch nur in Bamberg in die schnellen Züge aus- oder eingestiegen werden könnte. Die Bundesregierung hat das Projekt gestoppt - was von der PDS unterstützt wird - , jedoch  ohne alternative Streckenausbaumaßnahmen für die Regionen in Angriff zu nehmen, - was die PDS (Antrag, Bundestags-Drucksache 14/2525) fordert!

  • Der überwältigende Teil des Verkehrs findet im Entfernungsbereich bis zu 50 Kilometern statt.
  • Bei der Bahn entfallen 90 Prozent des Verkehrsaufkommens – der Bahnfahrten während eines Jahres! - auf den so definierten Nahverkehr.
  • Im  Schienenfernverkehr (das Segment unter 50 Kilometern bereits ausgeklammert) liegt die durchschnittliche Reiseweite bei 230 Kilometern, und sie sank in den letzten Jahren!
  • Die statistischen Ergebnisse des KfZ-Verkehrs ergeben ein vergleichbares Bild. Selbst im Güterverkehr ist eine vergleichbare Struktur zu beobachten.


 

Ersatz und Erhalt im Schienennetz

Vieles deutet darauf hin, dass in den nächsten Jahren ein Prioritätenwechsel fällig wäre: weg von den Mammutprojekten, hin zu kleinteiligen Maßnahmen. Schnelle Strecken bieten bei all dem Milliardenaufwand zwischen den wenigen ICE-Bahnhöfen zwar schnelle, aber eben nur sehr wenige Verbindungsmöglichkeiten. Käme die Bahnpolitik indessen zu der Erkenntnis, dass mit vielen Strecken und viel mehr Bahnstationen sehr, sehr viel mehr Verbindungsmöglichkeiten bestünden, - der Schienenverkehr könnte mit vielen neuen Zugangspunkten zur Bahn zu völlig neuer Blüte kommen!

Ersatz und Erhalt des bestehenden 38.000 Kilometer langen Netzes der Bundes-Schienenstrecken sollte die Hauptaufgabe der kommenden Jahre sein. Doch Ertüchtigungen und Investitionen sollen nach Plänen der Deutschen Bahn AG nur auf rund 27.000 Streckenkilometern stattfinden. Bleibt es dabei, dann wird auf einem Viertel aller Eisenbahnstrecken auf Verschleiß gefahren. Dann wäre für viele Nebenstrecken die Abbestellung der Regionalzüge zu befürchten.

In dieses Szenario passt, was der neue Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bahn AG, Hartmut Mehdorn, kaum vier Wochen im Chefsessel offenbarte: Bis zum Jahr 2004 soll im Regionalverkehr und bei der Belegschaft kräftig gespart werden. Nachdem die Bahn im letzten Jahrzehnt bereits das Personal von rund 480.000 Eisenbahnerinnen und Eisenbahnern auf heute etwa 240.000 verringert hat, sollen jetzt abermals 70.000 Beschäftigte gehen.

Vor dem Bundestags-Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen präzisierte der neue Bahnchef die Überlegungen des Bahn-Managements: Der Personalbestand sei um jährlich etwa 15.000 Beschäftigte zu reduzieren, damit die Zielgröße erreicht werden könne. 

 

Dieser Artikel ist im Februar 2000 unter der Überschrift "Wohin fährt die Deutsche Bahn AG" in leicht gekürzter Fassung im PDS-Info Reinblick 3/00 erschienen.



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