Mehrarbeit am Bau

Beschäftigte sollen mit Überstunden Holzmann-Konzern sanieren

Gerhard Schröder klingen wahrscheinlich immer noch die Jubelschreie der Kollegen der Holzmann AG in den Ohren. Er wird als der große Retter des Bauriesens, mancher Orts gar als Retter des Modells des rheinischen Kapitalismus gefeiert. Der Konsum teurer Zigarren und das Tragen hochwertiger Designermode wird gerne verziehen, seit Gerhard sich für den Erhalt von Arbeitsplätzen auf dem Bau einsetzte. Wie hoch der Anteil des Kanzlers bei der Abwendung des Konkurses wirklich war, bleibt vorläufig im unklaren.

Die Silvesterausgabe des Handelsblatt bringt mögliche Erklärungen für den Sinneswandel der Banken ins Spiel: "Böse Zungen behaupten, dass die Pläne zur Steuererleichterung bei der Auflösung der stillen Reserven ein Angebot der Bundesregierung waren, um die Gläubigerbanken zur Rettung des Baukonzerns Holzmann zu bewegen". Vor nicht allzu langer Zeit wäre diesen "bösen Zungen" entgegen gehalten worden, dass Politik in solcher Plumpheit nicht abläuft. Durch die gestiegene Wahrnehmung der Bedeutung von Geldkoffern in der Politik rückte ins Bewusstsein, dass bürgerliche Politik immer auch diese Verlaufsform annehmen kann.

Neben den sozialdemokratischen Steuergeschenken an die Banken hatte Krisenmanager Schröder noch satte 100 Millionen Mark als Bürgschaft und 150 Millionen Mark als Darlehen der Kreditanstalt für Wiederaufbau in seinem Geldkoffer. Die Kombination aus staatlicher Finanzspritze und versprochenen Steuergeschenken bewog die Banken, dem Holzmann Konzern weitere Mittel zur Verfügung zu stellen.

 

Gemeinsame Geschichte rettet nicht vor Konkurs

Trotz der langen gemeinsamen Geschichte war kein Platz für Sentimentalitäten, geschweige denn für Millionen an Krediten. Die Deutsche Bank als Haupanteilseigner und das 150-jährige Holzmann-Unternehmen haben Projekte in der Phase der Industrialisierung ebenso gemeinsam durchgezogen wie koloniale Projekte (Bagdad-Bahn) oder die Arisierung des Unternehmens. Die Entlassung aller Juden aus dem Konzern wurde von den Nazis mit der besonderen Berücksichtigung beim Autobahnbau und anderen Staatsaufträgen belohnt. Genau wie die Deutsche Bank hat Holzmann die Beteiligung am Faschismus vollkommen unbeschadet überstanden. Diese gemeinsame Geschichte stand im November 1999 knapp vor dem Ende, denn solche gewachsenen Verbindungen spielen angesichts der großen Konkurrenz in der Baubranche und den Fehlinvestitionen des Holzmann-Konzerns im Osten Deutschlands und in Ostasien keine Rolle.

Trotz der jetzt zugesagten Kredite wird Holzmann als nicht mehr sanierungsfähig eingeschätzt. Vieles spricht dafür, dass das Unternehmen Schritt für Schritt zerlegt und die Filetstücke an andere Unternehmen verkauft werden. Aus Kreisen der EU-Wettbewerbskommission, die über die Rechtmäßigkeit der staatlichen Beihilfen zu befinden hat, ist zu hören, dass Holzmann nur überleben darf, "wenn es klein überlebt" (Wirtschaftswoche, 13.1. 2000). Die Kommission trifft damit die Interessen der Konkurrenten, die auf wesentlich tiefere Sanierungsschnitte drängen. Während die Banken mit Sicherheit nicht zu den Verlierern gehören werden, geht der Sanierungsplan voll auf Kosten der Beschäftigten.

Wie immer in solchen Fällen - selbst wenn die Bild am 26. November titelte: "Auch die Bosse müssen bluten!". Der eine oder andere aus dem Vorstandsbereich ist bereits gegangen oder wird demnächst seinen Hut nehmen müssen. Hintergrund der Bild-Headline war ein anderer: Den KollegInnen sollte der von Konzernleitung und Betriebsrat in einer Rahmenvereinbarung beschlossene Sanierungsbeitrag der Beschäftigten schmackhaft gemacht werden, der einen Lohnverzicht von sechs Prozent bei gleichzeitiger Erhöhung der wöchentlichen Arbeitszeit von 39 auf 44 Stunden vorsah. Die zusätzlich vorgesehenen Kürzungen beim Weihnachts- und Urlaubsgeld waren da fast nur noch Marginalien.

Nicht ganz ohne Charme ist der Passus 2.1. der sehr knapp gehaltenen Vereinbarung, die eine Reduzierung der Personalkosten innerhalb von 18 Monaten um 245 Millionen DM vorsah: "Die (Holzmann-) Gesellschaften verpflichten sich in diesem Zusammenhang und stellen durch geeignete Maßnahmen sicher, dass diese Reduktion der Personalkosten nicht in wettbewerbsverzerrender Weise bei Preiskalkulationen zu Grunde gelegt wird." Dass Konzernleitung und Konzernbetriebsrat mit der Unterzeichnung einer solchen Vereinbarung jegliches Tarifrecht unterlaufen, dürfte beiden Parteien klar gewesen sein. Nichtsdestotrotz wurde dieser Versuch unternommen; ein in der Baubranche nicht unübliches Unterfangen. Ein Vorgang, der zeigt, wie erpressbar Betriebsräte sind und warum Gewerkschaften und nicht betriebliche Interessenvertreter Tarifverhandlungen führen. Welche Rolle die IG BAU (Bau, Agrar, Umwelt) in diesem Konflikt spielte und spielt ist allerdings unklar. Das Dilemma, in dem sie steckt, ist offenkundig.

Folgendes Szenario während des Holzmann-Konfliktes wäre denkbar gewesen: Die Konzernleitung konfrontierte den Vorsitzenden des Gesamtbetriebsrates (GBR) angesichts des drohenden Konkurses mit der Forderung tarifwidriger Sanierungsbeiträge der Belegschaft oder dem Verlust aller Arbeitsplätze. Der betriebsrätliche Sozialpartner (Jürgen Mahneke, Vorsitzender des Gesamt- und Konzernbetriebsrates) wird, eventuell mit Bauchschmerzen, das Wohl des Unternehmens und den Erhalt von "eigenen" Arbeitsplätzen im Auge gehabt haben. Diesen Druck wird er an die Gewerkschaft weitergeben und für die Akzeptanz der tarifwidrigen Rahmenvereinbarung geworben haben.

 

Der Eiertanz der IG BAU

Hätte die IG BAU auf der Einhaltung der Tarifverträge beharrt, wäre ihr die Rolle des Verweigeres und Konkursverursachers angehängt worden. Ein durchaus kluger Schachzug des Managements, um von der eigenen Verantwortung abzulenken und sich aus der Schusslinie zu nehmen.

Die IG BAU agierte dementsprechend eher zurückhaltend und stellte sich nicht in direkte Konfrontation zur Position des GBR. Hätte sie dies getan wären ihr die Mitglieder bei Holzmann scharenweise davon gelaufen. Erst nachdem sich die erste Rettungseuphorie gelegt hatte, lancierte Klaus Wiesehügel (IG BAU-Vorsitzender und SPD-MdB) erste Hinweise, dass seine Gewerkschaft diesen Bruch des Tarifrechts nicht mittragen würde. Einen Monat nach der Verzichtserklärung durch den GBR gab die IG BAU eine offizielle Stellungnahme zum Holzmann-Konflikt ab, in der der GBR der Kompetenzüberschreitung geziehen und offiziell mitgeteilt wurde, dass die IG BAU "den Weg tarifwidriger Vereinbarungen nicht mitgehen könne".

Dass aber nicht die IG BAU, sondern das Arbeitgeberlager maßgeblich für diese gewerkschaftliche Position verantwortlich zeichnet, zeigt der folgende Absatz aus der Stellungnahme: "Durch den massiven Druck, den einzelne Bauunternehmen in den letzten Wochen mit Verweis auf Holzmann auf ihre Betriebsräte ausgeübt haben, ist die Möglichkeit einer stillschweigenden Duldung, wie sie in anderen Branchen durchaus üblich ist, völlig unmöglich geworden. Die Meldungen über angeblich nachkalkulierte Submissionsangebote der Philipp Holzmann AG sind in der hart umkämpften Branche wie eine Bombe eingeschlagen. Die medienwirksam in Szene gesetzten wütenden Attacken des Hauptverbandspräsidenten Walter haben das Terrain dann völlig verbrannt." Im Klartext: Hätten die Holzmann-Konkurrenten still gehalten und keine eigenen Begehrlichkeiten in Richtung Tarifunterschreitungen gezeigt, hätte die IG BAU stillschweigend den Tarifbruch akzeptiert.

Vieles im Ablauf des Konfliktes deutet darauf hin, dass die Gewerkschaft bei Holzmann wirklich außen vor gehalten wurde. Aber schon aus reinem Eigeninteresse musste die IG BAU gegen den Tarifbruch eintreten. Hätte sie die Rahmenvereinbarung akzeptiert, wären ab diesem Zeitpunkt Flächentarifverträge im Baugewerbe keinen Pfifferling mehr wert und ein weiteres Drehen an der Spirale nach unten vorgezeichnet gewesen. Die Baugewerkschaft wäre fortan kein ernst zu nehmender Verhandlungspartner, sondern nur noch ein Abnicker von Unternehmerforderungen gewesen.

Die Drohung mit einer Klage bei Anwendung der Rahmenvereinbarung führte dazu, dass die IG BAU an den Verhandlungstisch geholt wurde. Ziel dieser Verhandlungen war "zu überlegen, inwieweit der Personalkostenanteil, den der Betriebsrat zugesagt hat, in irgendeiner Form gewährleistet werden kann, ohne dass die Tarifverträge gebrochen werden". (Wiesehügel im Freitag vom 3.12.1999)

Dieser Weg scheint jetzt gefunden: Die verbleibenden Holzmann-Beschäftigten arbeiten vom 1. Januar 2000 bis zum 30. Juni 2001 pro Woche fünf Stunden mehr, bei gleichem Lohn - versteht sich. Diese Mehrarbeitszeit wird auf Arbeitszeitkonten verbucht und bis zum Jahr 2008 als Freizeit abgegolten, vorausgesetzt der Holzmann AG geht es dann finanziell besser

Diese drastische, unbezahlte Arbeitszeitverlängerung führt aktuell schon dazu, dass 500 KollegInnen mehr als die bisher angekündigten 3.000 der noch verbliebenen 17.000 entlassen werden. Die Auswirkungen auf die gesamte Branche lässt sich zur Zeit noch nicht spezifizieren. Klar ist nur, dass mit dieser Vereinbarung Begehrlichkeiten geweckt wurden. Die Forderungen der anderen Unternehmen nach verlängerten Arbeitszeiten sind bereits angekündigt. Angesichts dieser Vorzeichen wird die Arbeitslosigkeit in der Baubranche weiter steigen. Zu den in der Bauwirtschaft im letzten Jahrzehnt 800.000 Entlassenen werden weitere Zehntausende zu addieren sein. Für die Deutsche Bank haben diese Menschen allerdings nur den Stellenwert von Peanuts.

GW

aus: ak - analyse & kritik, Zeitung für linke Debatte und Praxis, 434 vom 20.01.2000
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