USA/Kanada

Tarifabschlüsse bei DaimlerChrysIer und Ford

Auf den ersten Blick wirken die soeben getroffenen Vereinbarungen über einen neuen Haustarif bei DaimlerChrysler als klarer Punktsieg für die Gewerkschaften. Doch der Abschluss hat Haken, eine interessante Vorgeschichte, und diese deutet auf problematische Tendenzen zum künftigen Regelungs- und Geltungsbereich von Tarifverträgen hin:

Bei DaimlerChrysler wird es Lohnerhöhungen von drei Prozent jährlich zuzüglich Inflationsausgleich geben. Der bis 2003 gültige Tarifvertrag sieht zwingend Neueinstellungen vor, wenn innerhalb aller Werke die Belegschaft um mehr als fünf Prozent sinkt. Diese Regelung tritt nur dann nicht in Kraft, wenn es zu einem Rückgang beim Automobilverkauf käme. Da DaimlerChrysler eine im Durchschnitt sehr junge Belegschaft hat, ist das Unternehmen im Gegensatz zu Ford und GM mit ihren älteren Belegschaften nicht gezwungen, übermäßig viele Vorruhestandsregelungen zu treffen. Deshalb war es für DaimlerChrysler auch nicht schwer, die von GM zuvor in den Verhandlungen angebotene lebenslange Jobgarantie für Beschäftigte mit zehn Jahren Betriebserfahrung zu übernehmen. An dieser Stelle konnte die UAW nun verhindern, dass die im abgelaufenen Kontrakt festgeschriebene Regelung zu Neueinstellungen, mit der der Erhalt von mindestens 95 Prozent der Belegschaft gewährleistet werden sollte, gestrichen wurde – allerdings auf Kosten der Jobgarantie.

Sehr positiv – aus Sicht der UAW – lesen sich auch die Nebenvereinbarungen ("side letters"). Dort wurde zum einen festgehalten, dass bei eventuellen Produktionsauslagerungen identische Arbeitsverträge für die betroffenen Beschäftigten gelten. Ebenso bedeutsam ist das Zugeständnis des Managements, nicht länger nicht-gewerkschaftlich organisierte Betriebe zu unterstützen: Das Management betonte, dass ihm an einer guten Kooperation mit der UAW gelegen sei. So könnte hier ein wichtiger Einstieg für die UAW in den bisher schwach organisierten Süden gegeben sein, denn in Alabama betreibt DaimlerChrysler seine Mercedes-Benz-Produktion. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass ein gewisser Dominoeffekt eintritt, der auch GM und Ford zwingen wird, in ihren Südstaaten-Werken keine Anti-Gewerkschaftspolitik zu machen. DaimlerChrysler betonte zudem, dass in nächster Zeit keine Produktionsauslagerung oder Fusion geplant sei.

Muss das Management von DaimlerChrysler nun als eindeutiger Verlierer gelten? Da die Vereinbarungen sehr kompliziert sind und an vielen Stellen eine hohe Interpretationsbreite aufweisen, wäre ein diesbezügliches Resümee voreilig. Außerdem gibt es auch für das Unternehmen erfreuliche Regelungen. So müssen die geforderten Neueinstellungen zum Erhalt von mindestens 95 Prozent der Belegschaft nicht sofort, sondern erst nach Ablauf der vier jährigen Laufzeit des Kontrakts erfolgen. DaimlerChrysler und die UAW vereinbarten, dass eine Reduktion der Belegschaft an einem Standort um mindestens 10 Prozent zwingend Neueinstellungen nach sich ziehen muss. Während DaimlerChrysler hier wenig Probleme sieht, kommen Schwierigkeiten auf Ford und GM zu. Aufgrund ihrer durchschnittlich älterer Belegschaften wird hier mit massen-haften Vorruhestandsregelungen gerechnet, die ihrerseits zu Neueinstellungen verpflichten. Die Strategie von Ford zielt darauf ab, die Belegschaften in älteren, unproduktiveren Fabriken abzubauen und Neueinstellungen in den neuen lean factories vorzunehmen. Da sich aber der Belegschaftsabbau langsamer vollzog als geplant, musste bereits ein Teil der Belegschaft eines unproduktiveren Werkes unter Zahlung einer Kopfprämie von bis zu 45.000 Dollar in ein neues Werk übernommen werden.

Es wird nun für die UAW darauf ankommen, die anderen beiden Unternehmen zur Übernahme des Kontraktergebnisses zu bewegen. Bisher gelang der UAW dies weitgehend, was Löhne und Prämienregelungen betraf. Sie konnte aber andererseits nicht verhindern, dass mittels der Nebenabsprachen das Management für sich maßgeschneiderte Lösungen durchdrücken konnte, deren Umsetzung sich für die anderen Automobiluntemehmen als schwieriger erweisen dürfte.

Von GM wird eine weitgehende Übernahme erwartet – nicht zuletzt deshalb, weil die Geschäftsführungen von GM und DaimlerChrysler im Vorfeld mit nahezu identischen Forderungen in die Verhandlungen mit der UAW eingestiegen waren. Es wird vermutet, dass beide Unternehmen verhindern wollten, dass die Erstverhandlung zwischen einem der drei großen Automobilkonzerne und der Gewerkschaft – wie oft in den letzten Verhandlungsrunden – wieder zwischen UAW und Ford stattfinden.

Ford ging diesmal – im Gegensatz zu GM und DaimlerChrysler – stärker auf Konfrontationskurs zur UAW. Dies hängt primär mit der geplanten Produktionsauslagerung beim Zulieferer Visteon Automotive Systems zusammen, die eine ähnliche Größenordnung erreichen könnte wie die im Mai dieses Jahres erfolgte Auflösung von Produktionsbereichen beim GM-Zulieferer Delphi Automotive Systems. Die Gewerkschaften sind gespalten, wie sie das Thema Visteon in den Verhandlungen mit Ford ansprechen sollen. So hoffen viele – wie die Gegenseite – auf einen konkreten Niederschlag der traditionell guten Beziehungen zum Ford-Management und wollen das Thema hintenanstellen. Das Beispiel Delphi habe gezeigt, dass Produktionsauslagerungen auch ohne gewerkschaftliche Zustimmung vollzogen werden. Andere betonen, dass man die Auslagerungen unbedingt verhindern müsse, sie seien ein wesentliches Faustpfand in den anstehenden Verhandlungen.

In Kanada legten sich die Canadian Automobile Workers (CAW) schon sehr früh darauf fest, wie bereits in der Vergangenheit mit Ford die Erstverhandlungen über den neuen Haustarif zu führen. Nach zunächst zähen Verhandlungen und dürftigen Angeboten seitens des Managements, die eine Streikdrohung provozierten, wurde knapp vor der Ankündigung der Urabstimmung für einen Streik doch noch eine Vereinbarung abgeschlossen. Mitverantwortlich dafür war sicherlich der kurz zuvor erfolgte DaimlerChrysler-Deal in den USA.

Herausragendes Resultat sind die jeweils jährlichen Lohnerhöhungen von 4,5 Prozent. Angesichts der in anderen Branchen erzielten 1 – 2 Prozent und der Erhöhung der Pensionszuschüsse um 25 Prozent darf das Ergebnis unbestreitbar als Erfolg gewertet werden. Lediglich in der High-Tech-Industrie wurden ähnlich hohe Abschlüsse erzielt. Außerdem zahlt das Unternehmen noch in diverse Sozialfonds (für Erziehungsgeld und Kinderbetreuung).

Mit der 25-prozentigen Erhöhung des Vorruhestandsgeldes kann es der CAW nun gelingen, zahlreiche ältere Beschäftigte mit deren Einverständnis vor möglichen Entlassungen zu bewahren und stattdessen Neueinstellungen zu erzwingen. Außerdem könnte damit ein Puffer für Krisenzeiten, wenn es zu Verkaufsrückgängen kommt, geschaffen werden. In einem "neutrality letter" bekannte sich Ford außerdem zu einer Verbesserung der Arbeitsverträge in den Zuliefererfirmen. Man wolle in Zukunft die diesbezüglichen Ängste der Gewerkschaften ernster nehmen als bisher.

CAW-Präsident Hargrove zeigte sich mit dem Ergebnis hochzufrieden. Es habe nur selten in der kanadischen Gewerkschaftsgeschichte einen so ausgezeichneten Abschluss gegeben wie diesen. Sein enger Mitarbeiter Sam Gindin schätzt, dass 17.000 Arbeiter bei den drei großen Automobilkonzemen von der Pensionsregelung innerhalb der nächsten sechs Jahre profitieren werden.

Mit dieser Lohnerhöhung setzt Ford zugleich Zeichen für die Verhandlungen von GM, DaimlerChrysler und anderen Automobilkonzernen und bringt die Gewerkschaft in eine ausgezeichnete Verhandlungsposition. Darüber hinaus könnten auch Impulse für die Verhandlungen der verbleibenden Big Two mit der UAW in den Vereinigten Staaten gegeben werden.

Uwe Wolf

Quellen: Robyn Meredith/Keith Bradsher, New York Times (USA); Dawn Walton, The Globe and Mail (Kanada); labomews@igc.apc.org; www.laboumet.de

erschienen in: Express 9/1999