Neuere Trends der Modularisierung im Automobilbau

12-Wochen-Arbeit im Rahmen der Prüfung für Diplom Sozialwirte an der Universität Göttingen

1. Prüfer: Prof. Dr. Michael Schumann, Soziologisches Forschungsinstitut, Göttingen

2. Prüfer: Prof. Dr. Martin Baethge, Soziologisches Forschungsinstitut, Göttingen

 

vorgelegt am 09.10.1998
von Mathias Neumann
aus Hildesheim

 

 

Inhaltsverzeichnis

 

Inhaltsverzeichnis *

Abkürzungsverzeichnis *

0. Einleitung *

1. Entwicklungstendenzen in der deutschen Automobilindustrie und Herausforderungen der Automobilindustrie im Zusammenhang mit zunehmenden Varianten der Produkte *

1.1 Marktbedingte Flexibilitätsanforderungen an die Automobilhersteller *

2. Ausgewählte Lösungsstrategien der Automobilhersteller als Antwort auf die derzeitigen Herausforderungen *

2.1 Der Modularisierungsgedanke *

2.2 Der Kooperationsgedanke *

2.3 Der Vernetzungsgedanke als Koordinierungs- und Transparenzinstrument *

3. Brennpunkte und Problembereiche der Modularisierung für den Automobilhersteller und die Zulieferindustrie *

3.1 Bereich der Forschung und Entwicklung *

3.1.1 Zulieferer als Opfer in der Wertschöpfungskette? *

3.2 Bereich der Qualitätssicherung *

3.3 Bereich der Logistik *

4. Veränderungstendenzen der Automobilhersteller im Rahmen neuer Investitionen in der Automobilfertigung *

4.1 Die Skoda-Volkswagen Kooperation SKODA, automobilová a.s. im tschechischen Mladá Boleslav *

4.2 Das Montagewerk der Volkswagen do Brasil Ltda. im brasilianischen Resende *

4.3 Die MCC-Montagefabrik "Smart-Plus" im französischen Hambach *

5. Auswirkungen der Modularisierung auf Arbeitsbedingungen und Sozialbeziehungen sowie Handlungsmöglichkeiten der Interessenvertretungsorgane *

5.1 Auswirkungen auf Arbeitsbedingungen und Sozialbeziehungen *

5.2 Handlungsmöglichkeiten der Interessenvertretungsorgane *

6. Ausblick in die Zukunft *

7. Literaturverzeichnis *

8. Anhang 1: Durchgeführte Experteninterviews *

9. Anhang 2: Erklärung *

 

 

Abkürzungsverzeichnis

 

BNDES: Banco Nacional de Desenvolimento Economico e Social

bspw.: beispielsweise

ca.: circa

d.h.: das heißt

et al.: und andere

etc.: et cetera

IG Chemie: Industriegewerkschaft Chemie

IG Metall: Industriegewerkschaft Metall

LKW: Lastkraftwagen

O.V.: Ohne Verfasser

PKW: Personenkraftwagen

u.a.: und andere, unter anderem

u.ä.: und ähnliches

u.U.: unter Umständen

VDA: Verband der deutschen Automobilindustrie

vH.: vom Hundert

z.Z.: zur Zeit

 

 

0. Einleitung

Mein Erkenntnisinteresse, das im Rahmen dieser Arbeit untersucht werden soll, liegt in der These, daß es in der Automobilendmontage zukünftig verstärkt zu einer Modularisierung in der Montagebereichsorganisation sowie in der Automobilkonzeption kommen wird. Prozeßbegleitend werden neue Formen der inner- und überbetrieblichen Kooperation notwendig sein um unternehmensübergreifende "economys of scale" innerhalb der gesamten Wertschöpfungskette realisieren zu können.

In der Diplomarbeit werden Modularisierungstrends und -probleme sowie Auswirkungen auf Arbeits- und Sozialbeziehungen, die sich mit der Modularisierung für den Automobilhersteller, aber auch für den Zulieferer ergeben, dargestellt.

Die deutschen Automobilhersteller haben auf ihrer Suche nach Marktvorteilen durch die Einräumung vielfältiger Möglichkeiten bei der Auswahl von Varianten- und Ausstattungsmerkmalen der Fahrzeuge einen Weg beschritten, der mit einer Strategie der Kundenorientierung des Fahrzeugangebots beschrieben werden kann. Der Endverbraucher kann sich sein, im Grundsatz standardisiertes Fahrzeug aus unzähligen Ausstattungsvarianten so zusammenstellen, daß es ein individuelles Fahrzeug wird. Das stellt den Hersteller natürlich vor das Problem, daß diese Option innerbetrieblich mit möglichst geringen Kosten gesteuert werden muß.

Diese Option betrifft zunehmend auch den Bereich der zwischenbetrieblichen Zusammenarbeit, da die Abnehmer-Zulieferer-Beziehung der Vergangenheit, vereinfacht gesagt, aus der Lieferung von nach den Zeichnungsvorgaben der Abnehmer eigenständig produzierten, in ihrer Mehrzahl einfachen und nur wenig vormontierten Kfz-Teilen bestand. Ein weiteres Charakteristikum war die große Zahl von Direktlieferanten, so daß die Teile die Wareneingangskontrolle der Abnehmer durchlaufen mußten und ihre Preise in der Regel schon vor Abschluß der Liefervereinbarung feststanden. Es gab wenig Just-in-time Beziehungen und nur wenige Zulieferer konnten eigene Forschungs- und Entwicklungsleistungen erbringen. Die Anforderungen an eine effektive, und präventive Qualitätssicherung durch die Zulieferer wurden erst in Ansätzen durchgesetzt. Die datentechnische Vernetzung zwischen Abnehmern und Zulieferern befand sich noch in einem Anfangsstadium. Diese Ausgangslage gelangt zunehmend in den Strudel der Veränderung und gehört mit den beschriebenen Ausprägungen sicherlich der Vergangenheit an.

Den Konsequenzen, die sich aus der Kundenorientierung des Fahrzeugangebots einerseits für die Automobilhersteller, andererseits für die Zulieferindustrie ergeben, soll im Rahmen dieser Arbeit die Aufmerksamkeit geschenkt werden. Das Hauptaugenmerk wird dabei auf den Aspekt gelegt, die sich für die Automobilhersteller sowie auch für die Zulieferindustrie gleichermaßen ergibt: die zunehmende Problematik der Steuerung von variantenbedingten Flexibilitätsanforderungen im Automobilbau, bedingt durch die Wünsche der Kunden, die es zu bewältigen gilt, wenn man am Markt bestehen bleiben will.

Weitestgehend im Hintergrund stehen im Rahmen dieser Arbeit die Tendenzen der Vertriebsinternationalisierung sowie der Verkürzung von Modellzyklen.

Im ersten Teil wird auf die Entwicklungstendenzen in der deutschen Automobilindustrie und die daraus resultierenden Herausforderungen auf diese im Zusammenhang mit zunehmender Varianz der Produkte eingegangen.

Im zweiten Teil wird eine Auswahl von Lösungsstrategien der Automobilhersteller als Antwort auf die derzeitigen Herausforderungen dargestellt, wobei dem Modularisierungs-, Kooperations- und Vernetzungsgedanken als Koordinierungs- und Transparenzinstrument das Hauptaugenmerk geschenkt wird.

Der dritte Teil der Arbeit beschäftigt sich mit den Brennpunkten und Problembereichen der Umstrukturierung innerhalb der Wertschöpfungskette, die bei Automobilherstellern und der Zulieferindustrie im Bereich der Forschung und Entwicklung sowie der Qualitätssicherung und Logistik auftreten.

Neueste Reaktionen auf diese Anforderungen seitens der Automobilhersteller und Veränderungstendenzen in Form von modularisierten Produkt- und Fertigungskonzepten im Rahmen neuer Montagewerksinvestitionen in der Automobilfertigung werden im vierten Teil am Beispiel der Skoda-Volkswagen Kooperation SKODA, automobilová a.s. im tschechischen Mladá Boleslav, dem Montagewerk der Volkswagen do Brasil Ltda. im brasilianischen Resende sowie der MCC-Montagefabrik "Smart-Plus" im französischen Hambach dargestellt.

Im fünften Teil werden Auswirkungen der Modularisierung auf Arbeits- und Sozialbeziehungen sowie Handlungsmöglichkeiten der beteiligten Akteure dargestellt, um im abschließenden sechsten Teil den Versuch eines Ausblicks zu wagen.

In der gesamten Arbeit sind Beispiele aus der Praxis, die ich entweder im Rahmen meiner Expertengespräche erfahren oder im Zuge meiner Literaturrecherche gefunden habe, an den jeweilig passenden Stellen eingearbeitet. Diese sollen kein abschließendes Bild der Wirklichkeit darstellen, sondern nur die praktische Relevanz der Theoriediskussion vermitteln.

 

1. Entwicklungstendenzen in der deutschen Automobilindustrie und Herausforderungen der Automobilindustrie im Zusammenhang mit zunehmenden Varianten der Produkte

Die Automobilproduktionsbranche in Deutschland konnte im Jahr 1997 erstmals seit der Krise im Automobilbau von 1992/93 wieder den Erfolg verzeichnen, über 5 Millionen Kraftfahrzeuge hergestellt zu haben. 4,68 Millionen PKW und insgesamt 345 000 Nutzfahrzeuge verließen die deutschen Werkshallen. Seit 1993 ist eine kontinuierliche Steigerung der Produktionszahlen zu verzeichnen, die selbst die Prognosen des Verbandes der Automobilindustrie (VDA) noch übertrifft. Ist der VDA von einer Steigerung der deutschen Inland-PKW-Produktion um etwa 2 vH. ausgegangen, liegen die realisierten Werte bei der PKW Produktion um 50 vH. höher, nämlich bei genau 3 vH.. Die Nutzfahrzeugsparte konnte gegenüber dem Vorjahr ein Plus von 13,7 vH. aufweisen, so daß insgesamt eine erneute Produktionssteigerung in der Automobilindustrie von 3,7 vH. konstatiert werden kann. Auch in der Weltfahrzeugproduktion ist der Trend nach oben, seit dem Einbruch von 1992/93 nicht zu übersehen. Wurden 1996 weltweit ungefähr 52,3 Millionen Fahrzeuge (36,65 Mio. PKW, 15,65 Mio. LKW) produziert, wird für 1997 insgesamt von einer weiteren Steigerung von 2,2 vH.. ausgegangen.

Beschäftigungspolitisch hat dieses stetige Wachstum in der deutschen Automobilbranche keineswegs zu einem äquivalenten Wachstum der Arbeitnehmerzahlen in der Bundesrepublik geführt. Sank die Zahl der Beschäftigten in der deutschen Automobilindustrie von 1991 bis 1996 um 121 272 auf 659 015, kam es im Jahr 1997 erstmalig wieder zu einem Anstieg von 1,9 vH. im Jahresdurchschnitt auf insgesamt 671 350 Arbeitsplätze. Das dieser verhaltene Anstieg nicht in einen kontinuierlichen Beschäftigungsanstieg umgeschlagen ist, kann an der Tatsache festgemacht werden, daß die Mehrzahl der Einstellungen im Jahre 1997 nur befristet vorgenommen wurde und der Prognos World Report 1998 im Bereich des Straßenfahrzeugbaus (inkl. Automobilhersteller, -zulieferer sowie Reparaturgewerbe) von einem Arbeitsplatzabbau bis zum Jahr 2010 von 200 000 ausgeht. Es muß jedoch auch festgehalten werden, daß sich Interessenvertretungen sich dafür stark machen, daß in ihren Produktionsstätten die befristeten Arbeitsverträge nicht zu Kettenverträgen mißbraucht werden. "Wir machen keine Kettenvertäge", betonte der Gesamtbetriebsratsvorsitzende von Volkswagen, und die Geschäftsführung werde nach dem Auslaufen von 4800 18-monatigen befristeten Arbeitsverträgen nicht um Übernahmen in feste Arbeitsverhältnisse herumkommen. Angesichts der guten Autonachfrage und Gewinnentwicklung beim Volkswagen Konzern plädierte er sogar für weitere Neueinstellungen.

Die Automobilbranche ist aber dennoch nicht frei von Problemen.

Insbesondere die sich zunehmend verändernden Absatzmärkte und die damit verbundenen Flexibilitätsanforderungen an die Automobilproduzenten, stellen die Automobilindustrie vor Anforderungen, die es zu bewältigen gilt. "Traditionelle Rationalisierungsstrategien scheinen angesichts dieser Situation", da es sich um einen struktuellen Wandel der Märkte handelt, "zu kurz zu greifen."

Auf der einen Seite ist ein Trend der Verengung des Marktes zu erkennen, wodurch ein verstärkter Wettbewerb der Hersteller und Konjunktureinbrüche prognostiziert werden. So ist sich der Vorstandsvorsitzende der Volkswagen AG, Ferdinand Piech, sicher, daß von den derzeit fast 20 selbständigen Autounternehmen weltweit künftig acht oder neun Herstellergruppen übrigbleiben werden. Andererseits ist es innerhalb der Automobilbranche möglich, jedes Jahr Umsatzsteigerungen zu realisieren, obwohl die Zeiten in denen jedes neue Automodell mit einer hohen Preiserhöhung verbunden war, der Vergangenheit angehören. "Die Kunden verlangen wie selbstverständlich eine wesentlich verbesserte Ausstattung und wollen fürs Auto aber keinen Pfennig mehr bezahlen als vielleicht zwei Jahre zuvor."

Der Absatzmarkt für Automobile hat sich in den vergangenen Jahren zunehmend dahingehend verändert, daß ein Trend weg vom Verkäufermarkt hin zum Käufermarkt zu verzeichnen ist. Das impliziert natürlich auch, daß der marktstrategische Leitgedanke der Vergangenheit, der durch eine Dominanz der Preisgestaltungsmöglichkeit geprägt war, die letztlich auf einer Produktionsform beruhte, "die vorwiegend an der Erzielung skalenökonomischer Effekte orientiert war", in der Gegenwart so nicht mehr durchsetzbar ist.

Zu dem Preis, der weiterhin ein wichtiges Auswahl- und Entscheidungskriterium des Käufers ist, treten zunehmend neue Kriterien, wie beispielsweise Verarbeitungsqualität, Sicherheitsaspekte, Design, Ausstattungsmöglichkeiten, Individualität des Fahrzeugs sowie haptische Besonderheiten, die den Kauf eines Fahrzeugs entscheidend mitbeeinflussen.

Darüber hinaus ist ein weiterer struktureller Wandel der Absatzmärkte konstatierbar. Unübersehbar ist die stetig steigende Exportquote der Produktion deutscher Automobilhersteller. Bis zu zwei-Drittel der deutschen Fahrzeugproduktion wird unter veränderten Zulassungsbedingungen der Absatzländer und breiteren Kundenspezifika der Exportfahrzeuge in Deutschland hergestellt. So wurden im Jahr 1997 insgesamt drei Millionen Fahrzeuge exportiert, wovon 2,8 Millionen PKWs (60,2 vH.) die deutschen Produktionshallen direkt in Richtung Ausland verließen. 1996 waren es 200 000 PKWs weniger, was eine Exportquote im PKW-Bereich von 58,4 vH. bedeutet. Welche Dimensionen diese in- und ausländische kundenspezifische Varitantenvielfalt einnehmen kann, kann am Beispiel des Front-End-Moduls des neuen Golf A4 verdeutlicht werden. Dieses Modul umfaßt den vorderen Stoßfänger, die Scheinwerfer-Blinker-Einheiten und den Kühler incl. Lüfter und besteht aus 68 verschiedenen Einzelteilen und Baugruppen. Durch die Kombinationsmöglichkeiten die sich daraus ergeben, ist es möglich, 498 verschiedene Front-Ends zu produzieren. Wird die mögliche Farbpalette berücksichtigt, erhöht sich die Variantenvielfalt allein für dieses Modul auf 12 948. Der neue Golf A4 besteht ingesamt aus 31 Hauptmodulen und 54 Untermodulen, so daß insgesamt über drei Millionen individuell unterschiedliche Fahrzeuge gefertigt werden können.

Die Realisierung von skalenökonomischen Effekten ist weiterhin wichtig im Automobilbau, nur ist es angesichts der Neuausrichtung des Marktes sowie dessen zu bewältigende Anforderungen für die Hersteller unumgänglich, diese Effekte in veränderter Form zu realisieren. Die Anforderungen der Kunden können seitens der Automobilhersteller nicht ignoriert werden, welches zu dem Phänomen führt, daß sich die Skalenerträge der Vergangenheit, die bei hohen Stückzahlen zu einer Fixkostendegression und somit zu einer Senkung der Kosten für ein Fahrzeug führen, nicht mehr so einfach realisieren lassen. Die Automobilhersteller sehen sich gezwungen, auf den Käufermarkt zuzugehen und ihn in ihren Produkt-, aber auch Produktionsüberlegungen zu berücksichtigen. Die Folgen wären aber auf den ersten Blick gekennzeichnet durch die Segementierung der Märkte, der Verkleinerung der Seriengrößen und somit die Abnahme der skalenökonomischen Effekte. "In der gegenwärtigen Situation wissen wir ja, was auf uns zukommt. Die Automobilkonjunktur wird schon in diesem Jahr (1998, Anm. d. V.) zurückgehen. Ab dem Jahr 2000 wird es, sofern man den Einschätzungen Glauben schenken darf, auch in der Bundesrepublik abwärtsgehen." Das dieses weder von Management- noch von Interessenvertretungsseite gewünscht ist, versteht sich von selbst.

 

1.1 Marktbedingte Flexibilitätsanforderungen an die Automobilhersteller

Das Hauptaugenmerk der marktbedingten Flexibilitätsanforderungen der deutschen Automobilhersteller begründet sich durch die dominierende Marketingstrategie einer Kundenspezifizierung der Automobile. Dem Kunden werden sehr weitgehende Möglichkeiten eingeräumt, das Fahrzeug entsprechend seinem individuellen Anspruch zusammenzustellen. Dieser Strategie ist immanent, daß die Automobilhersteller vor strukturell neue Anforderungen gestellt werden, die sich auf den Gesamtkomplex Montageflexibilität beziehen und in vielen Bereichen eine tendentielle Abkehr von der standardisierten Massenfertigung bedeuten bzw. diesem Prinzip diametral entgegenstehen. Die Option hoher Varianten- und Ausstattungsvielfalt steht im Gegensatz zu dem tayloristisch geprägten Produktionssystem der standardisierten Massenfertigung und dem Erzielen von hohen Skalenerträgen eben gerade durch die hohen Stückzahlen. Die beiden angestrebten Zielpositionen stehen sich im betriebswirtschaftlichen Feld diametral entgegen, so daß Automobilhersteller vor dem Dilemma stehen, einerseits Flexibilisierungs- undÖkonomisierungsanforderungen andererseits gemeinsam und gleichzeitig bewältigen zu müssen. Stand also in der Vergangenheit die "Ausschöpfung von economies of scale (...) im Vordergrund, so rückt nunmehr die Verbesserung der Fertigung- oder Lieferflexibilität, d.h. die Fähigkeit kurzfristige Angebotsvariation zu gewährleisten, (...) (in den, Anm. d. V.) Mittelpunkt."

Ein Abschied von der Industriegesellschaft kann demzufolge nicht ausgemacht werden. Konstatiert werden kann lediglich eine fortschreitende Tertiarisierung industrieller Produktion; die traditionelle Massenfertigung wird nicht aufgegeben, sondern steht "nur" vor der Aufgabe, flexibler zu werden.

Schraysshuen unterscheidet in dem Zusammenhang der varianten- und ausstattungsbedingten Flexibilisierungsanprüche, deren Bewältigung durch die Automobilhersteller unterschiedliche Folgen implizieren, zwei Anforderungen: Quantitative und Qualitative Flexibilitätsanforderungen.

Quantitative Anforderungen der Automobilmontage liegen in der Tatsache begründet, daß einige Kunden Ausstattungsmerkmale wünschen und andere nicht. Diese von der deutschen Automobilindustrie gewünschte Option führt in der Auslastung in der Produktion, insbesondere in der Montage, zu Ungleichmäßigkeiten. Das Auffangen dieser Unregelmäßigkeiten im Produktionsprozeß war in der Vergangenheit in der Regel mit vermehrten Kosten und Aufwendungen verbunden:

a) wird an der Fließbandproduktion festgehalten, müßte die Kapazität auf das Maximalniveau angehoben werden, das notwendig sein würde, wenn alle Fahrzeuge voll ausgestattet werden würden. Diese Form der Anforderungsbewältigung ist aus Kostengründen abwegig.

b) Springerarbeitsplätze oder die Zwischenschaltung von Sequencingschritten (sog. Sortierpuffern), in denen die Fahrzeugfolge für den anschließenden Produktionsabschnitt optimiert wird, sind als eine Alternative zu betrachten, die auch in der gegenwärtigen Praxis der Automobilindustrie durchgeführt wird. Dennoch ist die Flexibilitätsanforderung im quantitativen Bereich bei weitem noch nicht zur Zufriedenheit der Erwirtschaftung hoher Skalenerträge gelöst, denn auch diese Alternativen beinhalten einen enormen Steuerungsaufwand und stehen damit dem Prinzip der geringen Kapitalbindung entgegen.

Qualitative Flexibilitätsanforderungen der Fahrzeugmontage ergeben sich für die Automobilhersteller, wenn dem Käufer ermöglicht wird, zwischen mehreren Varianten auszuwählen. Einerseits in der Grundausstattung (bspw. die Wahl der Wagenfarbe), andererseits Varianten der optionalen Zusatzausstattung (bspw. die Option eines Schiebedachs in Wagenfarbe, als Glasdach oder als Faltdach). Diese, seitens der deutschen Automobilhersteller gewünschte Wahlmöglichkeit des Kunden stellt den Fertigungsablauf vor das Problem des Vorhaltens und der exakten und sicheren Zusteuerung des jeweiligen korrekten Teils für das entsprechende Fahrzeug. Auch hier ist die Bevorratung der entsprechenden Teile oder Module von hoher Varianz technisch möglich, aber unter dem Gesichtspunkt der Kosteneffektivität ist diese Möglichkeit gänzlich auszuschließen.

Schraysshuen vergleicht hier, um mit einem Beispiel Transparenz zu ermöglichen, die Kraftstoffbehälter mit den Autositzen. Ist es seitens des Automobilherstellers möglich, erstere ohne größere Probleme in zwei Lagern vorzuhalten, da man davon ausgehen kann, daß es nur zwei Varianten (Diesel/Benzin) gibt, ist es unmöglich, dieses Verfahren auch bei den Autositzen anzuwenden. Die Variantenvielzahl von Farbmöglichkeiten, elekronische Zusatzausstattungen (wie Beheizbarkeit, Verstellbarkeit u.a.), Rechts- bzw. Links- Einbaumöglichkeit etc. machen es völlig unmöglich, eine Bevorratung vorzunehmen. So geht die Volkswagen AG beispielsweise davon aus, daß in Zukunft die Varianten im technologischen Bereich noch mehr zunehmen werden, da ein Umspringen von Systemen aktiver Sicherheit der Automobile gegenüber passiver Sicherheit zu verzeichnen ist. "Alle Situationen, die unfallgefährdet sein können zu erkennen und bevor ein Unfall passiert, etwas im Fahrzeug auszulösen um die Unfälle zu verhindern", wird zunehmend von variantenreicher Sensortechnik übernommen. Auch im Bereich der elektronischen Fahrwerksregelung, der On-Board-Diagnose, des Verkehrswegemanagements, der Verkehrslenkungssysteme wird "die Software im Fahrzeug eine immer stärkere Rolle spielen" und zu einer immer ausgefeilteren Elektronisierung der Fahrzeugkomponenten führen.

Die Bewältigung der Variantenanforderung in der Endmontage erschöpft sich sehr stark in der Anforderung der qualitativen Flexibilitätsanforderung, d.h. dem Verbau der richtigen Variante. Auf der vorgelagerten Stufe allerdings stellt sich die quantitative Anforderung der Herstellung dieser exakt bestimmten Variante. Spezifizierte Kundenwünsche wirken dementsprechend auf die quantitativen Flexibilitätsprobleme der den Endmontagebereichen vorgelagerten Stufen, und in den Endmontageprozessen muß das qualitative Flexibilitätsproblem bewältigt und gelöst werden.

Die notwendige Flexibilität soll nicht mehr aus der kostenintensiven Pufferung des technischen Kerns durch Vorratshaltung, sondern aus einer zeitgenau und auftragsgebunden gesteuerten Koppelung von Disposition, Zulieferung, Fertigung und Vertrieb resultieren, um der innerbetrieblichen Herausforderung der Ökonomisierung der Produktion gerecht zu werden. Logistik tritt in diesem Zusammenhang unternehmensstrategisch in den Vordergrund.

Der mögliche Ausweg für den Automobilhersteller kann demzufolge in der zeitpunktgenauen Anlieferung und Fertigung der jeweils benötigten Modellvariante in den Montagebereichen gesehen werden.

Somit ist die Möglichkeit eröffnet, einerseits weitestgehend an strukturierender und skalenökonomisch Vorteile bringender Fließbandproduktion festzuhalten. Andererseits können mögliche Unregelmäßigkeiten, die im Zuge der Automobilendmontage auftreten, begründet durch die Kundenspezialisierungs- und Spezifizierungswünsche, der Fließbandmontage weitestgehend ferngehalten werden. "Vollständige Module, in denen die kundenspezifischen Varianten aufgehen, können von externen Zulieferern bezogen werden, wodurch der eigene Montagefluß von diesen Flexibilitätsanforderungen weitgehend freigehalten werden kann."

Zusammenfassend kann festgehalten werden, daß sich die spezifische Problematik der Flexibilitätsanforderungen durch Varianten- und Ausstattungsvielfalt aus mehreren Gründen ergibt:

1. durch die Anforderung, gleichzeitig verschiedene Varianten in "chaotischer" Reihenfolge bereitzustellen.

2. durch Schwankungen in der Auslastung durch unterschiedliche Ausstattungen.

3. durch die Notwendigkeit, immer die richtige Variante im Fahrzeug zu verbauen.

 

 

2. Ausgewählte Lösungsstrategien der Automobilhersteller als Antwort auf die derzeitigen Herausforderungen

Die Automobilhersteller stehen vor der schwierigen Herausforderung, die Gleichzeitigkeit von Ökonomisierung und Flexibilisierung im Montagebereich zu gewährleisten. Gesucht wird in diesem Dilemma nach einem Königsweg. Keines der beiden Ziele soll in Vergessenheit geraten und muß, glaubt man den Aussagen von Vertretern der Automobilbranche, so bald als möglich realisiert werden um die Marktfähigkeit zu erhalten.

Die Strategien der Automobilhersteller sind sehr vielseitig und gehen von der Verringerung der Fertigungstiefe (out-sourcing), der weltweiten Beschaffung (global-sourcing) von Fahrzeugteilen, der Konzentration der Beschaffung von nur noch einem, maximal zwei Lieferanten (single-/double sourcing) in Verbindung mit dem Trend zur Beschaffung von komplexen Modulteilen (modular-sourcing), bis hin zu der Zulieferung von Teilen zum richtigen Zeitpunkt (Just-in-time-Strategien). Diese genannten Versatzstücke der Reorganisation sind in der industriesoziologischen Diskussion natürlich nicht neu und werden in der Automobilindustrie auch schon seit einigen Jahren praktiziert. Als das entscheidend Neue innerhalb der Automobilindustrie kann aber festgehalten werden, daß "eine mehr oder weniger systematische Integration aller Elemente in umfassende Reorganisationskonzepte" derzeit im Vordergrund steht.

Die Strategien der Automobilhersteller sind als prozessual Gemeinsames zu betrachten, in dessen Vordergrund nicht mehr die einzelfunktionsbezogene Kostensenkung an sich steht, sondern eine verbesserte Wertschöpfung und Optimierung des Gesamtprozesses verfolgt wird. Zeitgleich wird das Flexibilitätsziel mit einer über den ganzen Wertschöpfungsprozeß gestuften Standardisierung sowie der Verlagerung der Produktdifferenzierungsanforderungen in die letzte Wertschöpfungsstufe, den Endmontageprozess verfolgt, um so die Flexibilität des Gesamtprozesses zu verbessern.

Bei der Bewältigung der widersprüchlichen Anforderungen kommt der Reduktion der eigenen Fertigungstiefe und dem verstärkten Rückgriff auf den Bereich der Zulieferung eine wichtige Bedeutung zu. Einkaufsexperten machen dieses sogar zur Voraussetzung, um mit Hilfe der gemeinsamen Know-how-Synergien und den Produktionstechniken zur Optimierung der gesamten Wertschöpfungskette die Automobilindustrie in Europa zu erhalten. Somit ist der Bereich der zwischenbetrieblichen und unternehmensübergreifenden Arbeitsteilung angesprochen. Sie wird von den Automobilherstellern u.a. deshalb erwogen, da die Unternehmen der Zulieferbranche häufig ein niedrigeres Lohnniveau und geringere Overheadkosten aufzuweisen haben als die Automobilhersteller. "Implizit kommt natürlich auch die Hoffnung zum Ausdruck, daß der 'kleine' Partner die 'großen' Abstimmungsprobleme aufgrund bereits vorhandener lean-Strukturen besser löst."

In diesem Zusammenhang darf aber nicht übersehen werden, daß die Flexibilitätsvorteile der Zulieferbranche einerseits aus einem Zusammenspiel von "aktiver Beweglichkeit", in Form von kurzen Informations- und Entscheidungswegen und einer vielseitig einsetzbaren, qualifizierten Belegschaft sowie andererseits einem nicht unerheblichen Teil aus "passiver Beugsamkeit" in Form von einer in den Klein- und Mittelbetrieben eher vorzufindenden Bereitschaft zu einem Nachgeben gegenüber externen Anpassungszwängen unter Inkaufnahme langfristiger Risken, entstehen.

Das läßt die Vermutung zu, daß "(...) ein nicht unerheblicher Teil der Attraktivität kleinbetrieblicher Zulieferer in ihrer häufig größeren passiven Anpassungsbereitschaft (insbesondere hinsichtlich Auslastungsschwankungen und Preiszugeständnissen) besteht."

Insgesamt zielt die Auslagerungs- und Verbundstrategie der Automobilindustrie darauf, daß mit Hilfe der neuen Informations- und Kommunikationstechniken ein Zulieferungssystem bzw. -netzwerk aufgebaut werden kann, das die zunehmende Komplexität und Dynamik der Markt- und Produktionserfordernisse an vorgelagerte Unternehmen weiterreicht. Dadurch wird es möglich, daß die Automobilhersteller sich selbst eigene notwendige Flexibilitätsspielräume erhalten und schaffen, während sie gleichzeitig Flexibiltätszwänge und -risiken auf ihre Zulieferer abwälzen.

Sicherlich ist es in diesem Zusammenhang etwas weltfremd und fern der kaufmännischen Praxis, wenn man annimmt, daß sich die Automobilhersteller das explizite Ziel gesetzt haben, grundlegend neue unternehmerische Zusammenarbeitsstrukturen zu schaffen. Alle Unternehmen sind lediglich in der Lage, auf die unmittelbaren und scheinbar begrenzten Probleme, wie beispielsweise kürzer werdende Produktzyklen, einen immer dynamischer werdenden technologischen Wandel und somit steigende Entwicklungskosten etc. zu reagieren. So gesehen sind die Unternehmensentscheidungen auf den ersten Blick vielmehr als Reaktionen auf wegbrechende Märkte und mangelnde oder zu späte Innovationen interpretierbar. Auf den Punkt gebracht sind sie Ausdruck einer defensiven Unternehmenspolitik, die auf eine kurzfristige Überlebenssicherung abzielt. Daß die Entscheidungen zur Reorganisation in ihrer neueren Ausgestaltung in Form einer systematischen Integration aller Reorganisationselemente zur Bewältigung der marktbedingten Flexibilitäts- und Effizienzanforderungen systemisch gebündelt werden, um zu deren Lösung herangezogen werden zu können, gewinnt erst sekundär Bedeutung.

Genauer betrachtet werden sollen an dieser Stelle Reaktionen in Form des Modularisierungs-, Kooperations- und Vernetzungsgedankens, die genau das in Frage stellen, was Sabel/ Kern/ Herrigel als diejenigen Bereiche beschreiben, die eigentlich das verkörpern, was gesichert werden soll: die Autonomie des Unternehmens.

 

2.1 Der Modularisierungsgedanke

Wenn heute in den Montagelinien der Automobilhersteller kaum noch ein Fahrzeug dem darauffolgenden gleicht, dann sind die Bereitstellungsmuster, die eine ausreichende Vorhaltung der verschiedenen differenzierten Komponenten garantieren würden, bei der skizzierten Variantenvielfalt, mehr als überholt. Daraus resultierende hohe Kapitalbindung und mangelnde Platzressourcen sind ausschlaggebend für neue Überlegungen auf diesem Gebiet.

Automobilhersteller stehen vor der Aufgabe, Lösungen für die varianten- und ausstattungsbedingten Flexibilitätsanforderungen und somit Möglichkeiten, die zu einer Verringerung der Komplexität führen, zu finden. Neuere Marktanforderungen, wie die wichtigen Kriterien "Zeit" und "Qualität", erfordern eine beschleunigte Lösungsfindung innerhalb der Wertschöpfungskette.

Eine Lösung, die "die Flexibilität und (Bereichs-)Ökonomie entkoppelter Einheiten nutzt, ohne die (skalen-)ökonomischen und strukturstiftenden Vorteile (...) zu verlieren", wird scheinbar in der Grundidee verwirklicht, daß am Prinzip der Fließfertigung festgehalten wird. Diese muß aber von den Flexibilitätsanforderungen insoweit bereinigt werden, als daß alle den Grundbedingungen des Fließbandes und Fertigungsfluß behindernde Störungen ferngehalten werden. Möglich wird dieses, indem einerseits ausstattungs- und variantenerzeugende Fertigungsschritte möglichst weit an das Ende der Automobilfertigung, nämlich in die Endmontage verlagert werden, andererseits indem diese Fertigungsschritte in größere, baugruppen- und teileintegrierende Fertigungseinheiten, sogenannte Module zusammengefaßt werden. Realisierbar ist das aufgrund der Art der Flexibilitätsanforderung, die marktbedingt an die Automobilhersteller herangetragen werden. Nicht eine karosserieformbedingte Modellvielfalt gilt es vornehmlich zu bewältigen, sondern vielmehr Spezifikationen im Prinzip gleicher Montageteile, die verbaut werden müssen. Das impliziert für die Automobilfertigung, daß variantentypische Differenzierungen an das Ende des Fertigungsprozesses verlagert werden müssen, um weitestgehend homogene und identische Grundaufbauten kundenspezifisch zu individualisieren.

So plant der Volkswagen Konzern im Rahmen einer Plattformstrategie, bis kurz nach der Jahrtausendwende nur noch vier Plattformen für sämtliche Marken und Modelle zu fertigen. Derzeit 19 Fahrzeugplattformen, die für sich betrachtet alleine 60 vH. des Fahrzeugswerts ausmachen, werden durch die zukünftigen Überschneidungen, wie beispielsweise Audi A4 und Volkswagen Passat oder Volkswagen Golf A4, Audi A3 und Skoda Octavia, Entwicklungs- und Investitionseinsparungen von konzernweit drei Milliarden DM ermöglichen, wenn im Jahr 2001 lediglich noch vier konzernweite Plattformen existieren. Ziel ist eine konzernweite Standardisierung für das Grundelement "Plattform", ohne daß die differenzierte Markenvielfalt der Konzernunternehmen Volkswagen, Skoda, Seat und Audi aufgegeben wird.

Aus Sicht der Endmontage bei den Automobilherstellern schafft die Modularisierung und Verlagerung von varianten- und ausstattungsbedingten Flexibilitätsanforderungen in die Automobilendmontagebereiche, die Möglichkeit zu einer Komplexitätsreduktion. Durch diese Organisation der Montageprozesse erhält der Endmontageprozeß eine neue Qualität. Er kann als "flexibel standardisiert" betrachtet und bezeichnet werden. Mit Hilfe der Modularisierung "versuchen fokale Unternehmen die mit explodierender Variantenvielfalt und kundenspezifischer Produktgestaltung steigende Komplexität organisatorisch zu bewältigen." Modularisierung wird in diesem Zusammenhang als die Bündelung von Flexibilitätsanforderungen in in sich abgeschlossene Fahrzeugeinheiten (Module) verstanden, die unabhängig voneinander montierbare und prüfbare Fahrzeugkomponenten darstellen.

Dem Prinzip der Modularisierungsstrategie liegt zugrunde, daß Module so gestaltet sind, daß sie an standardisierten Schnittstellen, die sich am Modul und der Karosse sowie im Montageprozeß befinden, in den "beruhigten" Montagefluß eingegliedert werden können.

Durch die Tatsache, daß die teile-, baugruppen-, und fahrzeugsystemintegrierenden Module standardisierte Aggregierungen von Wertschöpfungsbereichen sind, ist es möglich, diese aus dem Hauptprozeß der Endmontage herauszunehmen.

Es kann unterschiedlich geregelt werden, wer diese Nebenmontageprozesse ausführt, da die Modulerstellungen außerhalb der Hauptfertigungslinie vorgenommen werden. Einerseits ist es möglich, diese Arbeitsprozesse als Schleife neben dem Hauptmontagebandes arbeitend im Automobilwerk zu belassen. Andererseits ist es möglich, diese Modulmontagebereiche zu externalisieren, d.h. auf Zulieferbetriebe zu verlagern.

Das Prinzip der modularisierten Produkt- und Produktionsplanung ist in der Fahrzeugfertigung nicht unbekannt. Beispielsweise ist es in der Nutzfahrzeugproduktion schon seit langer Zeit Praxis, daß große Module nicht innerhalb der Montagebereiche in den Montagewerken hergestellt, sondern komplett montiert angeliefert werden. Achsen, Motoren, ganze Kabinen oder Radsysteme sind Module, die geliefert werden können.

Die Modularisierung des Fahrzeugs im Sinne einer durchgängigen Modularisierung eines Fahrzeugs und deren organisatorischer Widerspiegelung in den Montagen, schafft erhebliche technische Abstimmungsprobleme, die für Hochpreisfahrzeuge vermutlich höher sind als für Fahrzeuge aus der Kompakt- und Mittelklasse. Sie bietet aber bei der Montage eine Reihe von Vorteilen in der Form, daß sie die Möglichkeit zur Einrichtung von Vormontagen eröffnet. Die so organisierten Vormontagen stehen allerdings im direkten Wettbewerb mit den Zulieferern, so daß die Gefahr des Outsourcings erheblich wächst.

Beide Formen, modularisierte Produktion innerhalb eines innerbetrieblichen Nebenmontageprozesses oder in externaliserter Form, beinhalten für den eigenen (End-) Montagefluß, daß dieser von den Flexibiltätsanforderungen weitgehend freigehalten wird. Außerdem schaffen sie eine wesentliche Voraussetzung für weitere Produktiviätsfortschritte, die mit Hilfe traditioneller Rationalisierungsmaßnahmen nur noch in geringem Maße zu erreichen gewesen wären, die Reduzierung des Umlaufvermögens betreffend. Das ungünstige Verhältnis zwischen (produktivem) Anlage- und (unproduktivem) Umlaufvermögen kann durch die Modularisierung entschieden verbessert werden, da die Vorratshaltung beim Automobilhersteller zunehmend verringert wird.

Die Besonderheit der heutigen Situation im Automobilbereich kann darin gesehen werden, daß mit der Nutzung des Prinzips der Modularisierung Marktanforderungen bewältigt werden können, die auf Flexibilitätsanforderungen beruhen, die durch die zunehmende Varianten- und Ausstattungsvielfalt entstanden sind. Die Tatsache, daß der Golf A4 letztendlich über drei Millionen individuell unterschiedliche Fahrzeugvarianten zuläßt, zeigt die Handlungsnotwendigkeit der Automobilindustrie, Sitze, Cockpit, Tür-Seitenverkleidung, Himmel, Front-End, Tank, Mittelkonsole, Abgasanlage, Aggregateträger-Tür und das Schiebedach zu Modulen zusammenzufassen. Die Automobilindustrie ist sich dessen bewußt, so daß die Trends dahingehend ausgerichtet sind, daß "bei künftigen Projekten (...) die Beschaffung von komplexen Umfängen und die Vergabe von Modulen an Bedeutung" gewinnen wird.

 

2.2 Der Kooperationsgedanke

Auch die Kooperation innerhalb der Automobilherstellung bekommt im Zuge der Umstrukturierung der Wertschöpfungskette ein neues Gewicht. Die Kooperation kann nach Umfang und Intensität der Zusammenarbeit sowie nach den Kooperationspartnern differenziert werden. Erstere reicht von der losen kontraktfreien Kooperation bis hin zu straffen kontraktgebundenen Kooperationen, während letztere einerseits Unternehmen der gleichen Wertschöpfungsstufe (horizontale Kooperation) und andererseits Unternehmen vor- und nachgelagerter Wertschöpfungsstufen (vertikale Kooperation) unterscheidet. Tendenziell wird es zu einer verstärkteren vertikalen wie auch horizontalen Kooperation in der Automobil- sowie der Zulieferindustrie kommen. Kooperation wird zukünftig zu einem wichtigen Produktivitätsfaktor. Durch diese Beziehungen wird es möglich, daß Unwägbarkeiten und Risiken zu deren Bewältigung keiner der beiden Akteure alleine in der Lage wäre, gemeinsam bewältigen werden können. Für die Partner, die in einem wechselseitigen Abhängigkeitsverhältnis stehen sollten, welches ein kooperatives, partnerschaftliches Verhalten auf beiden Seiten erforderlich macht, ist es im Zuge der Beziehung möglich, einen strategischen Mehrwert in Form von neuen Fähigkeiten, größeren Kapitalressourcen und besserem Zugang zu Märkten und Technologien unternehmensübergreifend zu ermöglichen.

Über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg gesehen, sollen insgesamt die Durchlaufzeiten verringert werden und die infolge der gewachsenen Modell- und Ausstattungsvielfalt gestiegene Variation im Arbeitsanfall besser bewältigt werden. Parallel dazu erfolgt eine Verringerung der Materialbestände bei den Automobilherstellern und Zulieferern, um so die Kapitalbindung und damit Risiken und Gemeinkosten zu reduzieren.

Immer mehr Produktionsprozesse werden unternehmens- und betriebsübergreifend organisiert, was zu einer Entstehung von Produktionsnetzwerken führt, deren Wachstum wiederum zu einer Reduzierung der Fertigungstiefe bei den Automobilherstellern, wie auch bei den großen Lieferanten führt, um die Nutzung von Produktivitätseffekten der Arbeitsteilung gewährleisten zu können. Global-, single/double- und modular-sourcing gekoppelt mit Just-in-time-Strategien, sind weitere Charakteristika der Entwicklungstendenzen der Montageunternehmen.

Zwischen autonomen Automobilherstellern und kooperativen Produzenten läßt sich relativ einfach eine Grenze ziehen, während sich viel schwieriger feststellen läßt, wann ein Unternehmen oder eine ganze regionale Branche diese Grenze überschreitet. "Kooperative Produktion beginnt da, wo der Informationsfluß von den wichtigsten Zulieferern zum Endfertiger solche Formen angenommen hat, daß letzterer nicht mehr imstande ist, sich in einer halbwegs vernünftigen Zeit das anzueignen, was ihm ersterer gerade beibringt."

Die Ausrichtung der Strategien auf den übergeordneten Prozeßzusammenhang von Produktions- und Wertschöpfungsketten ist selbst als ein Entwicklungsprozeß zu begreifen, der seinen Ausgangspunkt in den Unternehmen der Wertschöpfungskette manifestiert, die das auf dem Endverbrauchermarkt zu lancierende Produkt herstellen und die somit unmittelbar den Markterfordernissen ausgesetzt sind. Diese Unternehmen fungieren in den in der Entstehung begriffenen Produktions- und Wertschöpfungsnetzwerken als sogenannte fokale Unternehmen. Sie sind mittels ihrer Größe, Marktmacht und Transparenz über die Marktbedingungen des endverbrauchermarktfähigen Produkts in der Lage, ihr Interesse einer Produktivitätssteigerung in der Wertschöpfungskette sowie einer Verringerung der eigenen Risiken und somit an einer ökonomischeren Form der Flexibilisierung der Produktion durchzusetzen. Alle Bestrebungen sind darauf ausgerichtet, die Effizienz- und Flexibilitätsanforderungen der fokalen Unternehmen zu ihrer Zufriedenheit zu bewältigen. Aus Sicht der Abnehmer dient eine vertikale Kooperation mit Zulieferern darüber hinaus dem Zweck, "das Risiko einer Verringerung der eigenen Wertschöpfungstiefe zu reduzieren." Insofern sind alle Strategiebereiche sich bedingende und ergänzende Verfahren im Zusammenspiel von Reduktion der Komplexität sowie von Steigerung der ökonomischen Effizienz. "Veränderte Marktanforderungen und darauf gerichtete Marktstrategien lassen sich offensichtlich nur durch eine grundlegende Veränderung der Stoßrichtung produktionsökonomischer Strategien bewältigen, die auf eine enge Verknüpfung von inner- und überbetrieblichen Produktionssystemen zielen."

"Ein wichtiges, wenn nicht das entscheidende Aktionsfeld in diesem Zusammenhang stellt die strategische Einbindung und Beeinflussung der Zulieferer dar." Ursächlich hierfür ist einerseits, daß der Vision, mittels aufwendiger Technik den Zielkonflikt zwischen Produktivität und Flexibilität lösen zu können, auf breiter Linie ein Erfolg bislang versagt geblieben ist. Auch aufwendigste Technik war allein nicht in der Lage, die Beherrschung von Komplexität zu gewährleisten. Andererseits muß konstatiert werden, daß herkömmliche technische und organisatorische Rationalisierungsmaßnahmen nicht mehr bzw. immer weniger dazu geeignet sind, die Anforderungen, die aus der zunehmenden Sättigung von Absatzmärkten, bedingt durch die sich verschärfende Konkurrenz auf den nationalen und internationalen Märkten und durch den wachsenden internen Kostendruck resultieren, befriedigend zu lösen. Eine Zusammenarbeit zwischen Zulieferern und Automobilherstellern findet statt, obwohl beiden Seiten der Kooperation auch bewußt ist, daß sie nur insoweit ein gemeinsames Intersse aneinander haben, als daß sie beide vom Absatz des Endprodukts abhängig sind.

Insofern geht es in diesem Zusammenhang auch um eine neue Form der Balance von Autonomie und Kontrolle. "Kooperation" steht in der Neuausrichtung der Zulieferer-Abnehmer-Beziehung für eine spezifische Form der Zusammenarbeit, bei der die individuellen Leistungsbeiträge vorab nicht exakt vereinbart oder sonstwie festgeschrieben sind, sondern auf indirektem Wege durch Kontextsteuerung reguliert werden. "Der Aufbau der Kooperationsbeziehung ist somit ein 'strategisches Investment', das ausreichende finanzielle und organisatorische Kapazitäten, aber auch eine entsprechende strategische Herangehensweise und Kompetenz erfordert."

Pohlmann beschreibt dieses als das Prinzip der einseitigen Vorteilnahme soweit wie möglich und der Orientierung am gemeinsamen Nutzen soweit wie nötig.

Hirsch-Kreinsen sieht es in diesem Zusammenhang als problematisch an, daß die Effekte des "strukturellen Egoismus" der einzelnen dezentralen Unternehmenseinheiten ein Schlüsselproblem der Integration innerhalb der Wertschöpfungskette darstellen. Die Orientierung der Unternehmenseinheiten an ihrem eigenen Geschäftserfolg "vor allem durch die indirekte Kontrolle des Kennziffernvergleichs" und den dadurch bewußt hergestellten Konkurrenzmechanismus wird deren Zusammenhalt und Koordinierbarkeit insgesamt massiv erschwert. "Übersehen werden die konkurrenziellen Interessen der dezentralen Akteure im Unternehmen, die eben nur in langwierigen und aufwendigen Kommunikations- und Verhandlungsprozessen in Übereinstimmung gebracht werden können und die Anpassungs- und Steuerungsfähigkeit beträchtlich einschränken können."

 

2.3 Der Vernetzungsgedanke als Koordinierungs- und Transparenzinstrument

Die "fokalen Unternehmen" versuchen die desintegrierenden Unsicherheiten und die damit verbundenen Produktions-, Markt- und Profitrisiken zu beherrschen, indem sie strikte Formen und Verfahren der organisatorischen und steuerungstechnischen Einbindung der organisatorisch selbständigen Zulieferer entwickeln. Indem sie "technikgestützte Kontrollen durchführen und eine über FuE-Know-how, Kosten- und Prozeßtransparenz und spezifische Interventionsmechanismen vermittelte Abhängigkeit der Lieferanten herstellen", wird der Versuch unternommen, die von den fokalen Unternehmen anvisierten Produktivitäts- und Gewinnziele in der gesamten Wertschöpfungskette zu realisieren.

Die systemische, datentechnische Vernetzung, mit deren unternehmensübergreifender Standardisierung bereits in den 80er Jahren mit Pilotprojekten begonnen wurde und die Organisation der unternehmensübergreifenden Arbeitsteilung, ist Grundvoraussetzung für das Gelingen von wertschöpfungskettenübergreifenden Produktivitäts- und Profiteffektivierungen.

In dem Gesamtarrangement der Neuorientierung von Automobilherstellern wird der Zulieferung ein neuer Stellenwert beigemessen. Die Zulieferung, genauer gesagt die unternehmensübergreifende Arbeitsteilung, ist ein Phänomen, das bereits seit den 20er Jahren in der amerikanischen Automobilindustrie in Tochterunternehmen des jeweiligen Konzerns, praktiziert wurde. Auch in der Bundesrepublik wird dieses Prinzip u.a bei der Volkswagen AG praktiziert. Zulieferung in der heutigen Dimension geht aber noch einen Schritt weiter, indem sie die Arbeit nicht nur unternehmensübergreifend teilt, sondern diese auch auslagern kann. Die potentiellen Kostenvorteile, die sich dadurch ergeben, beruhen auf möglichen Flexibilitätsgewinnen, da beim Übergang von Eigenfertigung auf Zulieferung betriebswirtschaftliche Fixkosten zu variablen Kosten werden. "Auslagerungs- und Amortisationsrisiken insbesondere bei unsicherem, unstetigem, geringfügigem und/ oder zeitlich begrenztem Bedarf" können so vermieden werden.

Mit Hilfe von Informations- und Kommunikationstechnologien können technische Produktdaten, Plandaten der Produktionssteuerung und die relevanten Daten zur Transportabwicklung sowie die verfolgten Automobilherstellerstrategien im Zusammenspiel mit den Zulieferern im Rahmen der "systemischen Rationalisierung" gewährleistet und verwirklicht werden.

Sauer sieht durch diese Entwicklung nicht die menschliche Arbeitskraft, sei es durch neue Arbeitsorganisationen im Rahmen von Gruppenarbeitsprojekten oder durch neue Formen und Typen der Qualifizierung, sondern die Technik als das zentrale Flexibilitätspotential im Vordergrund der neuen Rationalisierungsstrategien. Die Technik ist hier zu verstehen als Systemtechnik, auf deren Basis technisch-organisatorische Systemlösungen eine prozeß- und betriebsübergreifende Reorganisation zur Überwindung der Massenproduktionsstarrheit gewährleisten können. Im Kontext dessen steht der Versuch, die Kostenproblematik von kleinbetrieblicher Produktionsweise, bedingt durch die individualisierte Einmaligkeit des Automobils, im Rahmen dieser Gesamtreorganisation zu lösen.

Dabei wird nicht ausgeschlossen, daß es im Zusammenhang mit dieser Neustrukturierung der zwischenbetrieblichen Kommunikationsstrukturen auch zu einer Neubestimmung im Umgang mit menschlicher Arbeitskraft kommt. Diese positiven Entwicklungen, besonders auch in solchen Bereichen, die bedingt durch die Installation der systemischen Informations- und Kommunikationsmedien, einen neuen Stellenwert erhalten, sind "als ein Derivat aus den primär auf den Einsatz von Technik gerichteten Strategien der Flexibilisierung und Ökonomisierung" zu begreifen.

Sauer sieht die Erschließung und Ausschöpfung von menschlichen Leistungsreserven unter Zuhilfenahme der Flexibilisierung des Fließbandes, Einführung von Montagegruppen, "U-line"-Prinzip u.ä., weniger eine Form "menschzentrierter", als eine Form "arbeitskraftzentrierter" Produktion, "die nicht die bisher vorherrschende technikzentrierte Produktionsweise ersetzt, sondern vielmehr dort zur Anwendung kommt, wo eine weitere Technisierung schwierig und deswegen noch sehr kostenaufwendig ist."

Schneider/ Strutynski versuchen diese Polarität aufzubrechen, indem sie die Ganzheitlichkeit der strukturellen Umstrukturierungs- und Rationalisierungsmaßnahmen auf die Technik, die menschliche Arbeitskraft und die Unternehmensorganisation als Ganzes bezogen wissen wollen.

Die Verringerung der Fertigungstiefe (out-sourcing), die weltweite Beschaffung (global-sourcing) von Fahrzeugteilen, die Konzentration der Beschaffung auf nur noch einen, maximal zwei Lieferanten (single-/double sourcing) in Verbindung mit dem Trend zur Beschaffung von komplexen Modulteilen (modular-sourcing) sowie die Zulieferung zum richtigen Zeitpunkt (JIT-Strategien) beinhalten große logistische Herausforderungen innerhalb der Wertschöpfungskette. Durch die neuen rechnergestützten, systemischen Netzwerke, mit deren Hilfe "ein einzelfunktions- und -prozeßübergreifender, erst recht, (...) ein betriebsübergreifender Datenaustausch bewerkstelligt werden kann", wird es möglich, diese logistischen Anforderungen steuerbar und beherrschbar zu machen. Somit ist die Möglichkeit gegeben, die betriebsexternen Prozesse unmittelbar, technisch organisatorisch mit innerbetrieblichen Arbeitsabläufen zu verknüpfen.

Auf der einen Seite liegen Gefahren in dieser informationstechnologischen Vernetzung ohne Pufferung des technischen Kerns. Sie können zweifelsohne für die Nachfrageorganisation ausgemacht werden, denn die enge, direkte Verknüpfung setzt eine hohe Primärdatenqualität, eine hohe zeitliche Spezifität und einen erfolgreichen Umgang der Zulieferer mit der Vorgabenrigidität voraus. Auf der anderen Seite sind die Risiken für den Nachfrager auch kalkulierbarer geworden, denn selbst bei kritischen Lieferanten kann durch die kurzen, direkten Verbindungen Berechenbarkeit erzeugt werden.

Im Zusammenhang mit Kontrolle und der Möglichkeit der Beeinflussung der Automobilhersteller in Bezug auf die Zulieferindustrie wächst durch die informationstechnologische systemische Vernetzungsstrategie die Möglichkeit, Kontrolle und Beeinflußbarkeit der Zulieferbranche nicht mehr durch ökonomische Abhängigkeit zu sichern, sondern durch Information, Wissen und direkten Zugriff auf unternehmerische Entscheidungen. Es kann sogar als ausgesprochene Zielsetzung der Automobilhersteller betrachtet werden, daß einerseits bei sogenannten "kritischen" Lieferanten, deren ökonomische Existenz nicht an der betreffenden Lieferbeziehung hängt, das Versorgungsrisiko mit Hilfe der systemischen Vernetzungsstrategie abzusichern und kalkulierbar zu machen, andererseits ein höheres Maß an wirtschaftlicher Autonomie des Zulieferers zu gewährleisten. "Von namhaften Großunternehmen ist denn auch zu hören, daß sie den Anteil ihres Abnahmevolumens am Umsatz eines Zulieferers auf 20-30% begrenzt wissen wollen, um nicht in eine direkte oder indirekte Auslastungsverantwortlichkeit zu geraten."

Da beispielsweise die Volkswagen AG bei der Produktion von weltweit ca. 3 500-4 000 VW Golf A4 Fahrzeugen täglich sehr große Zulieferungsvolumina benötigt, wäre eine Alleinbelieferung durch einen Zulieferer im Rahmen der single-sourcing-Strategie auch mit hohen Investitionen des Zulieferers verbunden. "Er würde sich in eine Abhängigkeit zu VW begeben. Ich halte es für ein ungesundes Verhältnis, wenn Lieferanten mehr als 30% ihres Umsatzes mit nur einem Hersteller erwirtschaften."

Für komplexe Module fertigende Lieferanten bedeutet die Vernetzungsstrategie, daß sie organisatorisch und produktionstechnisch in der Lage sein müssen, die Form der kurzzyklischen Variantenproduktion und -lieferung zu gewährleisten. Tendenziell wird es so sein, daß die Hersteller von Komplettlösungen in zunehmendem Maße in die Plan- und Lieferabrufdaten des gesamten Moduls von den Automobilherstellern eingebunden werden, jene überliefert bekommen und "ihrerseits selbstverantwortlich die Organisation und den Ablauf der (Sub-) Zulieferung von Einzelkomponenten bzw. Submodulen zu übernehmen haben." System- bzw. Modullieferanten und Logistikanbieter werden somit zunehmend über Direktkontakte mit den Abnehmern in der Automobilindustrie verbunden sein und mit Lieferanten, welche technisch einfache Einzelteile herstellen, eigenverantwortlich Kontakte aufnehmen. Systemintegrierende Lieferanten werden die traditionellen Zulieferer wohl kaum vom Markt verschwinden lassen, sondern können als eine neue Ebene innerhalb der gesamten Außenkontakte von Automobilherstellern angesehen werden. Auf dieser Ebene wird für den ökonomischen Erfolg weniger die wirtschaftliche Größe und Kapitalkraft eines Unternehmens entscheidend sein, als vielmehr die Fähigkeit und Kompetenz auf dem Tätigkeitsfeld der "Mobilisierung strategischer Potentiale und die Bereitschaft zum Betreten neuer Betätigungsfelder" sowie die Umsetzungsmöglichkeiten derer, mit Hilfe von systemisch angelegten Informations- und Kommunikationstechnologien. Diesem systemintegrierenden Trend immanent ist die Anforderung und das Hauptproblem des Anpassungsprozesses, daß die bestehenden Organisationsstrukturen es schaffen müssen, einen Lernprozess zu organisieren, um mit anderen Firmen zusammenzuarbeiten und auch deren Auswahl und Kontrolle zu übernehmen. Folge dieser Entwicklung ist, daß "nicht alle Zulieferer direkt in die Wertschöpfungspartnerschaft mit den Endproduktherstellern eingebunden werden können. Es bildet sich zwangsläufig eine mehrstufige Zuliefererpyramide (...)."

Trendbestimmend ist für Doleschal eine Zulieferpyramide, die 10-15 fertigungssynchron arbeitende Betriebe umfaßt, mit weiteren 800-1000 darunterliegenden Zulieferbetrieben, welche mit tages- und stundengenauen Feinabrufen insgesamt 90 vH. der Beschäftigung und des Umsatzes sowie 30 vH. der gesamten Zulieferer ausmachen.

So ist es nicht verwunderlich, daß 77,8 vH. der 1993 von Pohlmann im Rahmen des von der DFG geförderten Forschungsprojekts befragten Zulieferer angeben, daß sie bereits mit aufwendigem Technikeinsatz in Form standardisierter elektronischer Datenkommunikation mit Datenfernübertragungsverbindungen mit ihren wichtigsten Kunden verbunden sind. Somit besteht eine unmittelbare Einbindung in eine logistische Verkettung. Pohlmann konnte mit der Studie feststellen, daß der Einsatz von datenverarbeitungsgestützter Kommunikation mit der Verkürzung der Lieferintervalle zunimmt, da 54 vH. der Automobillieferanten mindestens einmal am Tag bei ihrem Kunden anliefern müssen.

Der Bundesverband der Deutschen Industrie e.V., in dem sich Abnehmer und Zulieferer in einem Arbeitskreis "Zulieferfragen" gemeinsame Fairneßregeln in Form von BDI-Leitsätzen für eine faire Zusammenarbeit zwischen Assemblern und Zulieferern gegeben haben, sieht aber in diesem Bereich noch erheblichen Nachholbedarf. Zielsetzung dieser Vereinbarungen ist, daß partnerschaftlich gestaltete Abnehmer-Zulieferer-Beziehungen auf einer Grundlage ermöglicht werden, die einen fairen Wettbewerb stärken und unbilliges Verhalten der Vertragspartner ausschließen sollen sowie eine Planungssicherheit der Zulieferer ermöglichen. Wenn durchgängige Datenkommunikationssysteme vom Vorlieferanten, Lieferanten bis hin zum Abnehmer einschließlich der zwischengeschalteten Logistikdienstleister gewährleistet sein sollen, dann muß die aus mittelständischen Unternehmen berichtete Praxis, daß "statt (mit Hilfe von, Anm. d. V.) EDV (...) alles immer mehr manuell 'zu Fuß'" geht, in absehbarer Zeit der Vergangenheit angehören.

 

 

3. Brennpunkte und Problembereiche der Modularisierung für den Automobilhersteller und die Zulieferindustrie

Automobilhersteller reagieren auf die marktbedingten Flexibiltätsanforderungen ihrer eigenen Produktionsstrukturen oftmals mit dem Versuch, die verschärften Anforderungen auf die Zulieferer zu verlagern. Dieses Phänomen ist einerseits eine neue Herangehensweise der Automobilhersteller im Problembereich der Varianz. Diese stellt einerseits Anforderungen an die Flexibilisierung und gleichzeitig an die Ökonomisierung der Produktion. Auf der anderen Seite führt diese Herangehensweise "jedoch zu erheblichen Umstrukturierungen in der Zulieferindustrie."

Die Zuliefererorganisation der Automobilbranche stellt eine sehr große und heterogene Gruppe dar, da ein Automobil in der Regel aus mehreren tausend Teilen besteht. Zuverlässige Daten und Zahlen über die Anzahl der Zulieferer und deren Beschäftigte sind nicht erhältlich bzw. widersprechen sich stark. Begründet ist dieses Phänomen u.a. darin, daß eine einheitlich abgrenzbare Zuliefererdefinition für die Automobilindustrie mehr oder weniger fehlt.

Betrachtet man Zulieferer als Lieferanten von Teilen und Zubehör, die für sich betrachtet nicht marktfähig sind, sondern zum Einbau in das Hauptprodukt - welches selbst auch ein Zwischenprodukt sein kann - bestimmt sind, nimmt die Zulieferindustrie derzeit in Deutschland eine Größenordnung von ungefähr 3 000 Unternehmen mit ca. 750 000 Beschäftigten ein. Im Land Niedersachsen sind von insgesamt 180 000 Mitarbeitern in der Automobilindustrie rund 70 000 bei den Zulieferern beschäftigt.

In einigen Branchen und Industriezweigen der bundesrepublikanischen Zulieferbranche kann beobachtet werden, daß sie nach wie vor nur von wenigen multinationalen Konzernen beherrscht werden und sich weiterhin konzentrieren. Beispielhaft sind hier die Bereiche der Autolacke, Reifen, Glasscheiben, Scheinwerfer, ABS-Bremssysteme zu nennen. Auf der anderen Seite kann beobachtet werden, daß beispielsweise Blech-, Schmiede- und Elektroteile überwiegend von einer großen Zahl klein- und mittelbetrieblich strukturierter Unternehmen hergestellt und an die Automobilindustrie geliefert werden. "Gemeinsam war bisher jedoch allen Zulieferbetrieben und -konzernen, daß sie sich zunächst primär zur jeweils heimischen Automobilindustrie hinorientieren."

Während die Automobilhersteller eher mit einer Sättigung des Marktes rechnen, ist für die Zulieferindustrie genau der gegenteilige Effekt zu konstatieren. Zulieferer erhalten verstärkte Wachstumsimpulse durch die Bestrebungen der Automobilhersteller, die Wertschöpfungskette weiterhin zu optimieren. So wird es seitens der Automobilhersteller geradezu als eine Verpflichtung angesehen, gemeinsam mit den Zulieferern effektiv zusammenzuarbeiten, um eine Optimierung der gesamten Wertschöpfungskette zu gewährleisten. In diesem Zusammenhang wird eine Absenkung der Fertigungstiefe im Automobilbau von derzeit 49 vH. auf 36 vH. wird für das Jahr 2000 prognostiziert.

Die meisten Teilezulieferer werden, wenn sie auch als Entwicklungs- oder Modullieferanten arbeiten, von dieser weiteren Reduzierung der Fertigungstiefe der Abnehmer profitieren können. Durch die Einbindung der Zulieferer in ein hochintegriertes, von den Abnehmern kontrolliertes, Informations- und Kontrollnetz wird es ihnen möglich sein, ihre Absätze weiterhin auszubauen.

Beipielsweise wird beim neuen Volkswagen Golf A4 die gesamte Modulverantwortung bis zum Einbauort durch die Zulieferer gewährleistet. "Es wird nicht mehr nur eine Schalttafel angeliefert, sondern ein komplettes, geprüftes und einbaufertiges Cockpit bereitgestellt." Auch bei den Türen wird in ähnlicher Weise verfahren, sie "werden in den ersten Montagetakten ausgebaut und in separaten Fertigungsinseln in Verantwortung der Komponentenfertigung ausgestattet. Nach einer 100 Prozent-Kontrolle werden sie dem zwischenzeitlich fertigmontierten Fahrzeug wieder zugeführt." Zukünftig wird aber diese Übernahme der Fertigungsverantwortung nicht ausreichen. "Mit vermehrter Forcierung der Modularisierung wird vom Zulieferer als Wertschöpfungspartner auch die Funktion als Entwicklungspartner verlangt."

In der von Pohlmann durchgeführten Untersuchung gaben 54,8 vH. der befragten Automobilzulieferer an, daß sie in enger Zusammenarbeit mit den Automobilherstellern ihre Entwicklungsaktivitäten durchführen.

Im Zuge der Neuformierung der Zuliefernetze sowie der Senkung der Fertigungstiefe der Automobilhersteller stehen alle zuliefernden Unternehmen unter einem erheblichen Anpassungsdruck, dessen (Nicht-)Bewältigung über ihre künftige Positionierung in den Zulieferhierarchien und über ihren Verbleib auf dem Markt der Zulieferindustrie entscheiden wird. Größere Unternehmen der Zulieferungsindustrie mit modernen Fertigungsverfahren übernehmen vor allem Montage- und Integrationsaufgaben. Sie werden zumeist mit langfristigen Verträgen an die Nachfrageorganisation gebunden. Ihnen ist somit die Möglichkeit gegeben hochwertige, komplexe Fahrzeugbausteine zu liefern.

Die neuen Lieferbeziehungen werden zukünftig nicht nur ein Mittel der Kostenreduktion eines herrschenden autonomen Automobilherstellers sein, sondern sich wandeln zu einem symbiotischen System, welches zwar noch schwer zu beschreiben und erfassen ist, aber in dem die Entwicklung und Herstellung eines Automobils die Zusammenarbeit und Kooperation vieler spezialisierter Unternehmen erfordert, von denen kein Unternehmen die hochqualifizierten und spezialisierten Anforderungen des Marktes alleine bewältigen kann.

Die Umstrukturierungen und Verlagerungen der Flexibilitätsanforderungen seitens der Automobilhersteller auf die Zulieferunternehmen hat für diese weitreichende Auswirkungen. Im Extremfall wird heute von einem Automobilzulieferer erwartet, daß er im Rahmen der single-sourcing-Strategie des Automobilherstellers für das Teil, bzw. die Baugruppe oder das Gesamtmodul wesentliche Entwicklungsarbeiten nach dem Lastenheft, d.h. nach den Spezifikationen und Anforderungen des Automobilherstellers und zeitgleich dessen Modellentwicklung übernimmt. Die Produktion erfolgt dann mit Hilfe eines sehr flexiblen Abrufplans ohne weitere Eingangskontrollen des Automobilherstellers (zero-defect-quality) produktionssynchron in die laufende Endmontage hinein (Just-in-sequence). Um diese enge Verschränkung der Entwicklungs- und Produktionsprozesse des Automobilherstellers und des Zulieferers zu ermöglichen, besteht eine unmittelbare informationstechnische Vernetzung zwischen den Produktionsstätten von Abnehmer und Zulieferer, die darüber hinaus möglichst nahe beieinander liegen müssen. Dieser Extremfall ist zwar sehr selten, dennoch hat diese bislang nur bei großvolumigen, werthaltigen und differenzierten Baugruppen realisierte Praxis, Ausstrahlungswirkungen auf die übrigen Zulieferbereiche.

Semlinger sieht in der Auslagerungs- und Verbundstrategie, die mit Hilfe der neuen Informations- und Kommunikationstechniken möglich ist, eine strategische Möglichkeit, ein Zulieferungssystem aufzubauen, das die Versorgungssicherheit vertikaler Konzentration mit den Vorteilen des marktvermittelten Austausches, in Form von Wettbewerbsdruck auf Leistung und Preise der Anbieter verbindet. Dazu kommt, daß die Automobilhersteller von den Erfordernissen zu eigenen riskanten Investitionen und Festlegungen entlastet werden. Im Ergebnis gelingt es damit den Modulabnehmern, die zunehmende Komplexität und Dynamik der Markt- und Produktionserfordernisse, wenn auch nur teilweise, an vorgelagerte Unternehmen weiterzureichen, wodurch die Automobilhersteller selbst eigene Flexibilitätsspielräume erhalten oder schaffen, während sie gleichzeitig Flexibilitätszwänge und Risiken auf ihre Zulieferer abwälzen.

Das bekannteste Beispiel in diesem Zusammenhang ist sicherlich das Verhältnis des Sitzeherstellers Keiper-Recaro und dem Daimler Benz Karosserie- und Montagewerk in Bremen. Hier hat nicht nur eine Ansiedlung des Zulieferers direkt vor den Türen des Automobilherstellers stattgefunden, sondern es ist über eine enge datentechnische Verbindung möglich, daß Keiper Recaro sequenzgenau die jeweils von Daimler Benz gewünschte Sitzvariante liefert. In der Realität sieht das so aus, daß, wenn die Kamera am Arm eines Roboters im Bremer Daimler-Benz Werk den Impuls "Innenmontage" auslöst, bei dem Sitzzulieferer der computergesteuerte Zusammenbau der benötigten Sitze anläuft. Genau 5 Stunden und 30 Minuten bleiben den Beschäftigten von Keiper Recaro dann noch, die gepolsterten Gestelle zu montieren und sie exakt 240 Sekunden vor dem geplanten Einbau abrufgemäß und rechtzeitig in die Daimler-Benz Fertigungsbänder einzuschleusen und abzugeben.

Da durch diese Veränderungen auch der Bereich der Forschung und Entwicklung von Fahrzeugkomponenten tangiert wird, werde ich im folgenden auf diesen Bereich und den der Qualitätssicherung und der Logistik eingehen, die aus meiner Sicht im Zusammenhang mit der Neubestimmung der Aufgaben und Verantwortlichkeiten innerhalb der gesamten Wertschöpfungskette unter verstärktem Veränderungsdruck stehen.

 

3.1 Bereich der Forschung und Entwicklung

"Die Modulentwicklung gewinnt in der Automobilindustrie zunehmend an Bedeutung." In diesem Zusammenhang wird vom Zulieferer als Wertschöpfungspartner auch die Funktion als Entwicklungspartner verlangt.

Die Organisation der Entwicklungsabteilungen in der Automobilindustrie ist der Komplexität der Produkte gefolgt, indem sie sich immer mehr von der funktionalen Gliederung (Design, Vorentwicklung, Entwicklung und Konstruktion, Versuch, Pilotfertigung) entfernt und sich nach Fahrzeugtypen, Plattformen oder Projekten organisiert. Die Aufteilung des Fahrzeugs in Module soll die Komplexität des Gesamtfahrzeuges auf Baugruppen reduzieren und damit besser steuerbar machen. Waren die Module anfänglich eher organisatorische Einheiten, die dazu dienten, den mehrjährigen Entwicklungsprozeß transparenter zu gestalten, so werden die Module immer mehr zu konkreten Objekten bzw. selbständig abgrenzbaren Bauteilen, die in verschiedenen Fahrzeugvarianten auf einer Plattform zum Einsatz kommen können. Innovationen in einzelnen Modulen tragen dazu bei, das Gesamtfahrzeug innovativ erscheinen zu lassen, ohne alle übrigen Fahrzeugkomponenten verändern zu müssen.

Größere Typen- und Variantenvielfalt und die verkürzten Produktlaufzeiten lassen den Forschungs- und Entwicklungsaufwand stark anwachsen. Diese Prämisse macht es notwendig, daß verstärkt im Forschungs- und Entwicklungsbereich parallel gearbeitet wird. In der Autommobilindustrie, wie auch in anderen Branchen, ist die Tendenz der Aufsplitterung der Märkte und der Verkürzung von Produktzyklen konstatierbar. Neue Fahrzeugmodelle müssen in immer kürzeren Abständen eingeführt werden, so daß die Automobilhersteller oftmals nicht mehr in der Lage sind, die damit verbundenen Aufwendungen - nicht nur auf dem Gebiet der Entwicklungskosten - alleine bereitzustellen und zu gewährleisten. Somit wird es für sie erforderlich, eine stärkere Beteiligung der Zulieferer in diesen Bereichen zu forcieren.

Die Lieferanten von komplexen Modulen mit eigenen Forschungs- und Entwicklungsanteilen übernehmen gegenüber konventionellen Lieferanten einen zunehmenden Anteil von "Black-Box-Teilen", während der Anteil der nach technischen Zeichnungen und strikten Anweisungen des Endproduktherstellers erstellten Komponenten, entsprechend stark abnimmt. Auf der anderen Seite werden die Entwicklungs- und Konstruktionsarbeiten von Endproduktherstellern und Zulieferern mit Forschungs- und Entwicklungskompetenzen so koordiniert, daß die bislang üblichen Entwicklungszeiten deutlich verringert werden können. So ist es im Rahmen des "Simultaneous Engineering" einerseits möglich die Fahrzeugneukreationen entscheidend zu beschleunigen, andererseits besteht die Chance der Reduktion von Entwicklungskosten für die Automobilhersteller. So ist es der Daimler Benz AG beispielsweise im Jahr 1996 nicht zuletzt aufgrund der konstruktiven Zusammenarbeit mit der Zulieferindustrie gelungen, die Kosten im Produktentstehungsprozeß um durchschnittlich 15 vH. zu verringern.

Da die Endprodukthersteller der Großserienfertigung auch weiterhin ihre Zulieferverbindungen straffen werden, wird es zu einer Beschränkung der direkten Zulieferer auf einen relativ kleinen Kreis leistungsfähiger Systemzulieferer, die über eigene Forschungs- und Entwicklungskompetenzen verfügen, kommen. Das bedeutet, daß die anderen ca. 80-90 vH. der Automobilzulieferer hinter diesen Direktzulieferern angesiedelt sind und in der entstehenden Hierarchie der Zulieferpyramide Subzulieferer für diese werden. Daraus kann geschlossen werden, daß derjenige, der heute nur Einzelteile oder einzelne Komponenten fertigt, im ganzen Zuliefergeschehen und in seiner Bedeutung für die gesamte Wertschöpfungskette noch weiter zurückfallen wird. "Wer die Technologiekompetenz als Zulieferer nicht besitzt und diese mit anbieten kann, hat im Grunde genommen als direkter Lieferant perspektivisch gesehen keine Chance mehr." Dies bedeutet einen Prozeß der Veränderung vom Teilefertiger zum System- und Modulentwickler und -lieferanten als Partner des Automobilherstellers und die Verdrängung des klassischen Einzelteilelieferanten in die zweite Reihe, als Zulieferer von Einzelteilen oder Untereinheiten von Modulen für sogenannte Systemlieferanten oder Modullieferanten.

In einer vom Transfer-Centrum für Produktionslogistik und Technologie-Management (TCW), München durchgeführten Studie zur Reaktion der Zulieferer auf die Herausforderungen der Automobilhersteller gehen über 75 vH. der befragten Unternehmen davon aus, daß komplexe Baugruppen und komplexe Teile diejenigen Produktarten sein werden, die bis zum Jahr 2000 verstärkt an Bedeutung gewinnen werden. Abnehmeranforderungen, wie beispielsweise die Erarbeitung von Vorschlägen für innovative Modulsysteme, werden zunehmend in den Vordergrund treten.

Auch Sauer beschreibt eine Dualisierung der Zulieferökonomie. Auf der einen Seite stehen starke Systemlieferanten, die aus der Reduzierung der Fertigungstiefe bei den Abnehmern profitieren. Mit ihrem hohen Grad an Innovationsfähigkeit und großem Know-how in bezug auf ihre Produktionsprozesse und einer großen Kapitalkraft ist es ihnen möglich, die Organisation der Sublieferanten zu übernehmen und systemintegrierend ein komplexes Modul zu erstellen. Dieses ist auch der ausdrückliche Wunsch der Automobilhersteller, da durch die frühzeitige Einbindung der Modul- und Systemlieferanten in den Entwicklungsprozeß die Chance besteht, die Grundlagen zu legen, die die Partnerschaft über den ganzen Lieferzeitraum formalisiert.

Die zumeist kleineren Unternehmen, die im Zuge des Prozesses der Umstrukturierung in der deutschen Automobilzulieferindustrie in die zweite Reihe abgedrängt werden, haben es dann auf der anderen Seite nur noch mit den Systemlieferanten zu tun, die den Druck ihrer Abnehmer, den Automobilherstellern, verstärkt weitergeben.

Somit geraten die Zulieferer, die nicht mit herausragenden Forschungs- und Entwicklungskompetenzen ausgestattet sind, zunehmend in eine Situation, die als "Sandwichposition" bezeichnet werden kann. Sie befinden sich zwischen unnachgiebigen Abnehmern, die Preissteigerungen nicht zulassen und eher weitere Preisreduktionen von den Zulieferern erwarten sowie ebenso unnachgiebigen Vorlieferanten aus der Stahlindustrie, der chemischen Industrie etc., die bei anziehender Nachfrage für die von ihnen gelieferten Vorprodukte höhere Preise verlangen.

Die Volkswagen AG ist im Nutzfahrzeugbereich von diesem beschriebenen Trend, im Hinblick auf die Frage der Entwicklungskooperation und -zusammenarbeit, in der Realität auf einem anderen Weg. "Es gibt darüber keine Beschußlage, aber die Tendenz zeichnet sich ab." Während in der Literatur von Entwicklungs- oder Systemlieferanten ausgegangen wird, die von der Entgegennahme des genau spezifizierten Auftrags des Automobilherstellers das Modul einerseits eigenverantwortlich entwickeln und anschließend auch produzieren, geht die Volkswagen AG im Nutzfahrzeugbereich den Weg, daß genau dieses nicht praktiziert wird. Weder die Interessenvertretung, noch das Management ist der Ansicht, daß dieses der Königsweg sein könne. "Auch das Management hat verstanden, daß auf diesem Wege jede Menge Geld verdient werden kann. Und daß dieses Geld andere verdienen und eben nicht Volkswagen." Insofern wird im Bereich der Volkswagen Nutzfahrzeuge Hannover, der aufgrund seiner Produktpalette - Transporter, Caravelle (Bully) und Volkswagen LT (1-3,3 t Nutzlast Transporter) - eine weitaus höhere Fahrzeugvarianz zu bewältigen hat, als beispielsweise im Bereich der Personenkraftwagen die Golf A4 Produktion, selbst in Form eines Systemintegrierers gearbeitet.

Technische Entwicklung ist im Bereich der Volkswagen Nutzfahrzeuge darüberhinaus in der Lage Kooperationen mit Zulieferern einzugehen. Ausschlaggebend dafür ist der Tatbestand, daß das Ziel der Entwicklung ein serienfertiges Modul und kein ganzes Auto ist. Das bedeutet, daß ein Bereich der technischen Entwicklung bei Volkswagen den Auftrag für ein bestimmtes Modul und die Federführung für das Geschäft bekommt. "Das ist auch das Verständnis von Systemintegrierer. D.h., wir wollen diese Bereiche nicht aus der Hand geben. Wir haben dabei gelernt, daß wenn man das aus der Hand gibt, verliert man mehr, als man gewinnt."

 

3.1.1 Zulieferer als Opfer in der Wertschöpfungskette?

Die Annahme, daß die Zulieferer zunehmend die Benachteiligten der Reorganisation der Lieferbeziehung sind, obwohl sie gemeinsam mit dem Automobilhersteller produzierend einen Profit erwirtschaften, der im Anschluß durch etwaige Machtasymetrien in der Kooperationsbeziehung ungleich, zu ihren Ungunsten verteilt wird, greift aus meiner Sicht zu kurz. Auch, die Argumentationslinie, daß die Zulieferer manchmal ausschließlich als "Mittel zur Kostenreduzierung" benutzt werden, ist zu eindimensional. Sicherlich kann die von Sauer beschriebene These der Machtasymetrie als gesamtwirtschaftliche Tendenz der Zulieferer-Abnehmer Beziehung stehen bleiben, dennoch ist es auf den ersten Blick nicht nachvollziehbar, aus welchen Beweggründen sich ein Wirtschaftsunternehmen aus seiner Sicht auf ein "Nullsummenspiel" oder sogar "Negativsummenspiel" einlassen sollte.

Pohlmann sieht ein Erklärungsmuster in der Sichtweise, daß man sich von dem Gedanken "Je mehr Abhängigkeit, desto weniger Unabhängigkeit" lösen müsse, um Zugang zu derartigen strategischen Lieferantenentscheidungen zu bekommen, sich in Abhängigkeiten mit Automobilherstellern zu begeben und solche Abhängigkeitsverhältnisse selbst auszubauen. Nicht unerheblich innerhalb der Zusammenarbeitsagglomeration wiegt die sich ergebende Sicherheit, bezüglich des Preises, der Menge und Dauerhaftigkeit des Absatzes für die Zulieferer.

Das Unsicherheitsproblem, das sich bei allen Marktbeziehungen ergibt, wird von bestimmten Zulieferern dadurch zu lösen versucht, indem sie sich durch die einmal mehr oder weniger etablierten Lieferbeziehungen zu den Automobilherstellern Folgeaufträge versprechen. Im Zuge einer Erhöhung der Verkaufsmenge und einer zu erwartenden Regelmäßigkeit der Produktion ist es möglich, Kostenschwankungen und zusätzliche Kosten durch Umstellungen zu vermeiden sowie Handlungsspielräume für Preisverhandlungen zu gewinnen. Die "Langfristigkeit der Beziehung sorgt für Transparenz und Kalkulierbarkeit in den Kostengrößen" und bietet dadurch die Chance für eine effizientere Organisation der Produktion. "Die für sie (die Zulieferer, Anm. d. V.) relevanten Zukunftsaussichten, nämlich die Möglichkeit, kurzfristige Marktunsicherheiten gegen langfristige Liefersicherheiten, die den Bestand der Organisation auch bei geringen Margen langfristig sicherstellen, eintauschen zu können, lassen enge, auf Abhängigkeit zielende Kooperation mit den wenigen marktstarken Endherstellern besonders vorteilhaft erscheinen."

Strategische Relevanz bekommen die Aktivitäten der Automobilhersteller und Zulieferer im Bereich der gemeinsamen Forschungs- und Entwicklungsarbeiten. Diese Zusammenarbeit stützt die Beziehung und bietet den Lieferanten einerseits die Möglichkeit relevante Informationen über die Produktentwicklung des Abnehmers zu erhalten. Auf der anderen Seite, kann diese Beziehung auch eine Maßnahme zur Absatzsicherung darstellen, dadurch, daß Lieferantenvorstellungen mit in das zu entwickelnde Produkt eingehen und bereits bei der Konstruktion und Entwicklung auf die Zukunftsfähigkeit der Kooperation geachtet wird. In diesem Zusammenhang kann die umfassende Beratungsleistung der Lieferanten, vor allem in Bereichen der technischen Fragen, für langfristige Chancen in der Zusammenarbeit genutzt werden. Zunehmend werden also die Zulieferer an Potential gewinnen, die neben ihrer Qualitätsfertigung auch innovative Beiträge bei der Gestaltung des Produkts und bei der anschließenden optimierten Herstellung mit in den Lieferkontakt einbringen können. "Der Lieferant, der bereits bei der Entwicklung mitwirkt, kann anschließend kaum noch aus dem Lieferkontrakt entlassen werden. Zu groß wäre der dabei entstehende 'Know-how'-Verlust." Somit bekommt die Zulieferer-Automobilhersteller Beziehung auch über die gemeinsamen Forschungs- und Entwicklungsbemühungen einen "symbiotischen Charakter", der auf einer engen, gegenseitigen Abhängigkeit beruht und in dessen Verlauf sich die Position des Zulieferers gegenüber der vorher gegebenen Situation eher verbessert, und zwar je erfolgreicher sich die gemeinsame Zusammenarbeit gestalten läßt.

 

3.2 Bereich der Qualitätssicherung

Neben den neuen Anforderungen an die Forschung- und Entwicklungsbereiche wird gerade in der letzten Zeit ebenfalls dem Bereich der Qualitätssicherung ganz besondere Aufmerksamkeit geschenkt. "Qualität ist nicht alles, aber ohne Qualität ist alles nichts", sagte der Werksleiter des Volkswagenwerks in Wolfsburg, dem weltweit viertgrößten Automobilhersteller.

Automobilhersteller vermindern zunehmend ihre Eingangskontrollen bei gleichzeitiger Auferlegung einer 100 vH. Qualitätsliefergüte und weitreichenden Qualitätssicherungsmaßnahmen an die Zulieferbranche.

Die Qualitätskontrollen der Zulieferteile sowie die Qualitätsverantwortung für die uneingeschränkte Verwendbarkeit der Teile in der Automobilproduktion sollen möglichst während des Produktionsprozesses beim Zulieferer und in dessen Verantwortung wahrgenommen werden. Die somit gewonnene Sicherheit der Automobilhersteller macht es in dessen Ablaufsteuerung im Wareneingang lediglich erforderlich, die eingehenden Zuliefermodule, -teile und -systeme einer Identitätsprüfung zu unterziehen, ohne dabei die dem Endabnehmer eines Automobils im Verkaufsprospekt beschriebenen Qualitätsstandards zu gefährden.

Beispielhaft ist die Anforderung des Automobilherstellers Daihatsu an seine ausländischen Zulieferer: "Jedes an Daihatsu gelieferte Teil muß zu hundert Prozent fehlerfrei sein. Dementsprechend verzichten wir im Regelfall auf eine Eingangskontrolle der Teile. Statt dessen hat jeder Lieferant sein eigenes Qualitätskontrollsystem aufzubauen, das es erlaubt, jeden Fehler während der Produktion in Übereinstimmung mit den gemeinsam vereinbarten Spezifikationen zu erkennen und zu überkommen (sic!). Wir glauben, daß das der einziges (sic!) Weg ist, eine hundertprozentig fehlerfrei (sic!) Zulieferung zu erhalten. Soweit Kunden von Daihatsu Mängel reklamieren und diese auf Zulieferungen zurückgehen, kann Daihatsu Schadensersatz verlangen."

Als Ursache für diese Verfahrensweise der Automobilhersteller kann konstatiert werden, daß Qualitätsmängel von Modulen oder fehlerhafte Teile in der Automobilendmontage, aufgrund der modularisierten zeitstringenten Fertigungsorganisation und der Verschlankung von Qualitätssicherungspersonal in den Wareneingangkontrollbereichen der Automobilindustrie, nur zufällig entdeckt werden können.

Neue Formen der logistischen Anbindung von Zulieferern und Abnehmern sowie die Reorganisation des innerbetrieblichen Materialtransfers setzen voraus, daß nur fehlerfreie Teile von einer Produktionsstufe zur nächsten gegeben werden. Niedriger Lagerbestand bei lagerfähigen Teilen machen einen Ersatz fehlerhafter Teile fast unmöglich. Darüber hinaus ist ein kurzfristiger Ersatz von u.U. großvolumigen Modulen, die in die laufende Automobilendmontage eingeschleust werden und organisations- und produktionstechnisch aufwendig hergestellt worden sind, unmöglich, wenn nicht ein Produktionsstillstand und/oder kostspielige Nacharbeiten in Form von zeitintensiven Demontagevorgängen vor der Behebung des eigentlichen Fehlers in Kauf genommen werden sollen.

In der Realität sind die "echten System- und Modullieferanten" rar gesät. Zu oft versteht sich der System- oder Modullieferant lediglich als derjenige, der das System montiert und bis zu einer bestimmten Schnittstelle anliefert und übergibt. "Es fehlt vielfach das Verantwortungsbewußtsein für die absolute Qualität und Funktionstüchtigkeit des Gesamtsystems." Zukünftige Modullieferanten müssen sämtliche erforderlichen Technologien beherrschen und die Qualität und Funktionstüchtigkeit des Gesamtsystems und der Einzelteile gegenüber dem Automobilhersteller garantieren. "Erst dann bekommen wir als Automobilhersteller den richtigen Synergieeffekt."

Auswege aus diesem Dilemma suchen die Automobilzulieferer zunehmend in dem Weg des verstärkten Einsatzes von Qualitätspersonal. "'In-process-Kontrollen' und erhöhte Sorgfalt bei der Arbeit werden von den Maschinen- und Montagearbeitern zwar abverlangt, die hohen Qualitätsnormen der Automobil-Hersteller lassen sich aber scheinbar dennoch (bislang, Anm. d. V.) nur mit zusätzlichen und besonders geschulten Qualitätsinspektoren sicherstellen." Auf jeden Fall müssen diejenigen, die an dem Modul arbeiten, auch ganz stark auf den Gesamtzusammenhang hin ausgebildet und orientiert werden. "Sie müssen schon kennen, worum es da geht und wissen, worauf zu achten ist. D.h., daß sie auch eine ganz andere Form der Qualifizierung machen müssen, um Qualitätsanforderungen systemisch begreifen zu können, anders als in einem rein tayloristischen Einzelbetrieb."

Der Qualitätsbegriff, der seinen Ursprung in der auf das Ergebnis des Produktionsprozesses bezogenen Produktqualität hat, muß unter heutigen Gesichtspunkten völlig anderen Bewertungsmaßstäben unterliegen. Im Zuge der Herausforderungen, die im Umstrukturierungsprozess zu bewältigen sind, wird deutlich, daß sich der Qualitätsbegriff auf das gesamte Zusammenwirken zwischen Automobilhersteller- und Zulieferindustrie erstreckt. "Qualitätsmanagement ist somit ein strategisches Handlungsfeld für die Unternehmen."

Die Anforderungen in dem Qualitätsbereich sind so gewachsen, daß beispielsweise in der Volkswagen AG auch verstärkt Zusammenarbeitsmöglichkeiten gesucht und genutzt werden.

Da bei künftigen Projekten zunehmend die Beschaffung von komplexen Umfängen und die Vergabe von Modulen an Bedeutung gewinnen wird und kurzfristig nicht erwartet werden kann, daß alle Lieferanten die Vielschichtigkeit und Problematik dieser neuen Anforderungen vollständig beherrschen, sieht sich die Volkswagen AG gezwungen, hier zu unterstützen.

In der Untersuchung von Pohlmann bestätigen 85,7 vH. der Automobilzulieferer, daß es eine Einmischung des Abnehmers in ihre Qualitätssicherungsverfahren gibt, wobei die geäußerten "Ratschläge" der Automobilproduzenten bei 42,9 vH. als absolut verbindlich angesehen werden.

 

3.3 Bereich der Logistik

Logistik, die im Zuge der Neugestaltung der Zusammenarbeit innerhalb der Wertschöpfungskette zunehmend dafür verantwortlich ist, daß die zeitpunkt- und fahrzeuggenaue Steuerung aller Kompenten und Fahrzeugmodule gewährleistet ist, bekommt im Zuge der Neustrukturierung der Wertschöpfungskette einen neuen Stellenwert. Im Zuge der verstärkten Umsetzung von Modularisierungskonzepten in der Produktgestaltung, wie auch der Fertigungsorganisation sowie der forcierten Umsetzung von unternehmensübergreifender Arbeitsteilung ist ein tendenzieller "Funktionsverlust des Fließbandes als organisationsstrukturierendes und -steuerndes Element" bei den Automobilherstellern zu verzeichnen. Da die überbetrieblich organisierte Wertschöpfungskettenproduktion zu ihrer Funktionssicherheit dennoch eine Stabilität benötigt, da zunehmend netzwerkförmig organisierte Produktionsprozesse bereits auf innerbetrieblicher Ebene nicht mehr funktionieren, wenn nicht alle vermittelnden Glieder in der logistischen Kette gut aufeinander abgestimmt arbeiten, wird es unabdingbar, dieses entstehende Vakuum der Unsicherheit mit avancierten Logistikkonzepten aufzufangen.

Die Anforderungen an die logistischen Bereiche noch verstärkend, kommt in der Automobilendmontage hinzu, daß eine Verringerung von Einzelkomponenteneinschleusung bei gleichzeitigem Anwachsen von Fahrzeugmodulzulieferung, bewältigt werden muß. Modularisierung und Ausgliederung der Modulherstellung aus der Automobilendmontage erfordert aber gleichzeitig eine verstärkte logistische Durchdringung der vertikalen Produktions- und Montagestufen, wobei die Betriebsgrenzen des Automobilherstellers immer stärker überschritten werden. Logistische Steuerung bewegt sich also weg von der eigenbetrieblichen stofflichen Kopplung der Fahrzeughersteller, die mit Hilfe des Fließbandes gegeben war, hin zu einer abstrakten Steuerung aller Produktionszusammenhänge, die im Zuge der neuen Einsatzformen von Daten- und Steuerungstechnologien ermöglicht wird.

Das bedeutet, daß Logistik zunehmend Strukturen zur Verfügung zu stellen hat, in denen die vom Markt vorgegebenen Anforderungen der Flexibilisierung und Ökonomisierung gleichermaßen Berücksichtigung finden. Der Logistik fällt in diesem Zusammenhang die Aufgabe zu, den Faktor Zeit möglichst niedrig zu halten. Transport-, Handlings- und Liegezeiten geraten zunehmend in den Vordergrund der Diskussion.

Transportzeiten, die ihren Ursprung in der Entfernung der innerbetrieblichen- oder überbetrieblichen Produktionsstandorte, dem Transportmittel und der Anzahl der Teile pro Transporteinheit haben, Handlingszeiten, die sich aus der Art und dem Umfang der Umpack- und Umladevorgänge ergeben sowie Lagerzeitenin Vorrats-, Sicherheits-, Puffer- oder Prüflägern stoßen bei ihrer Effektivierung mit Rationalisierungsansätzen, die auf Basis von traditionellen Lösungen als nicht überwindbar angesehen werden können, rasch an Grenzen.

Kundenspezifische Variantenproduktion und deren Unvorhersagbarkeit machen es quasi unmöglich, ohne den Aufbau von Lägern auszukommen. Bestimmte Teile oder Module sind aber aus organisationstechnischen oder wirtschaftlichen Gesichtspunkten aufgrund ihrer Varianten und/oder wegen ihres Wertes nicht lagerfähig.

Lösungstendenzen im Bereich der qualitativen Flexibilitätsanforderungen zeichnen sich in dem Versuch ab, daß bei der Produktion von varianten- und ausstattungsreichen Produkten im Rahmen einer Kombinationslösung von zentralen und dezentralen Steuerungsmomenten gearbeitet wird.

Die neuen Lösungen sollen auf der zentralen Planung und Stücklistenauflösung der Automobilhersteller beruhen, welche fortlaufend präzisiert und an die vorgelagerten Stellen übermittelt werden. Zugleich werden aber für die tatsächliche Ablaufsteuerung selbststeuernde, auf dem Hol-Prinzip aufbauende Regelkreise integriert und verbunden. Innerhalb dieser Verfahrensweise liegt eine spezifische Dynamik, da das hier realisierte sogenannte "Hol-Prinzip" nicht auf dem Austausch von Behältern und sogenannten Kanban-Karten liegt, "sondern auf einem datentechnisch organisierten Informationskreislauf in vernetzten Systemen."

Der Lieferabruf der Abnehmer erfolgt somit nicht mehr auf Basis des zentral erstellten Produktionsplans, sondern wird dezentral gesteuert durch den Produktionsfortschritt, der von der jeweilig verarbeitenden Stelle beim Automobilhersteller ausgelöst wird.

Möglich wird dieses, da einerseits zentral mit ca. einem halben Jahr Vorlauf sogenannte Programmvorschauen erstellt und den (Mit-)gliedern der Wertschöpfungskette mitgeteilt werden, so daß deren Kapazitätseinplanung und Materialdisposition etc. vorgenommen werden kann. Andererseits wird das dezentrale Moment durch die von den Zulieferern organisations- und produktionstechnisch zu bewältigende Komponente des letztendlichen Lieferabrufs der verarbeitenden Stelle beim Abnehmer beigesteuert.

 

 

4. Veränderungstendenzen der Automobilhersteller im Rahmen neuer Investitionen in der Automobilfertigung

Neuere Investitionsentscheidungen von europäischen Automobilherstellern geben Anlaß zu der Vermutung, daß sich die Fahrzeughersteller bemühen, die seitens des Käufermarktes verlangten Flexibilitätsanforderungen innerhalb der Wertschöpfungskette zu lösen. Die Konzepte, die dabei verfolgt werden, zielen im wesentlichen darauf ab, daß Zulieferfirmen und Hersteller am gleichen Ort zusammen produzieren und daß sich der Betrieb in seiner klassischen Einheit auflöst. "An die Stelle des geschlossenen, nach außen scharf abgegrenzten und nach innen hierarchisch gesteuerten Einzelunternehmens treten Unternehmensnetzwerke (...). (Der, Anm. d. Verf.) Extremfall einer solchen projektbezogenen Unternehmenskooperation (Kursiv im Original, Anm. d. V.) ist die 'fraktale Fabrik', in der die Zulieferfirmen am gleichen Ort zusammen produzieren, ohne ihre rechtliche Selbständigkeit zu verlieren."

 

4.1 Die Skoda-Volkswagen Kooperation SKODA, automobilová a.s. im tschechischen Mladá Boleslav

Zu den größten Projekten innerhalb der deutschen Volkswagen AG auf osteuropäischem Raum dürfte die Kooperation in Form eines Joint-Ventures mit Skoda in der Tschechischen Republik zählen.

Das neue Produktionsmodell, welches bei SKODA, automobilová a.s. entstanden ist, entspricht in seinen Grundzügen den Modellen, die in der westlichen Automobilindustrie allgemein verfolgt werden. Es zeigt sich, daß "mit dem Investitionsprojekt ein breites Restrukturierungskonzept verfolgt wurde, das neue Produktionsorganisation (...) mit Produktinnovation und einer weitreichenden Neuordnung der zwischenbetrieblichen Beziehungen" verbunden hat.

Auf zwischenbetrieblicher vertikaler Ausrichtung ist mit der seit 1991 bestehenden Zusammenarbeit mit einem heutigen 70 vH. Aktienanteil der Volkswagen AG ein Unternehmen entstanden, dem es gelungen ist, die Zulieferbranche sehr stark an das Unternehmen zu binden und teilweise sogar in das Werk einzubinden.

Neben der Produktion von Personenkraftwagen an drei Standorten in der Tschechischen Republik wurde in den Neubau einer Montagehalle auf der "grünen Wiese" neben dem Hauptwerk in Mladá Boleslav investiert. Der dort seit Herbst 1996, in Form des PKW Modells Octavia, produzierte Mittelklassewagen der Marke Skoda, ist das erste gemeinsame Ergebnis der Zusammenarbeit zwischen Skoda und Volkswagen.

Alle Elemente des Lean-Manufacturing-Konzepts wurden bei der Montage des neuen Octavia in Mladá Boleslav integriert. Dieses Konzept entspringt dem Gedanken, daß eine effiziente Organisation des gesamten Fertigungsablaufs umgesetzt wird. Besondere Bedeutung kommt der Weiterentwicklung der wirtschaftlich eigenverantwortlichen Unternehmenseinheiten sowie der Segmentierung der Fertigung, d.h. der Unterteilung des Werks in durchgängig eigenverantwortliche Einheiten, zu. Ziel ist es, mit Hilfe der betrieblichen Neustrukturierung die Voraussetzung "für hohe Verfügbarkeiten, Flexibilität und Effizienz" zu schaffen.

In der neu entstandenen Montagehalle werden derzeit etwa 1000 Mitarbeiter beschäftigt, die zu ca. 50 vH. mit einem Durchschnittsalter von 29 Jahren aus den anderen Skodabereichen rekrutiert wurden. Erstmals ist es bei Skoda, wo insgesamt 19 611 Mitarbeiter beschäftigt werden, gelungen, ein Fahrzeug stärker an die Produktstrategie des Volkswagen Konzerns zu binden. Das Modell Octavia ist auf der konzernweit geplanten Plattformstrategie aufgebaut, die eine Reduktion auf insgesamt vier Plattformen vorsieht, ohne die markenübergreifende Individualität und Vielfalt aufzugeben. Die Planung in der Octaviahalle geht von einer täglichen Produktion von 400 Fahrzeugen aus.

Die Strategie des modularen Aufbaus der Octaviafertigung beschränkt sich nicht nur auf die Produktion, sondern ist erstmals auch auf das Fahrzeug selbst ausgeweitet, das bereits im Planungsprozeß nach dem Modularprinzip konstruiert worden ist. Insofern ist das Fahrzeug "Skoda Octavia" und die Montagehalle des Unternehmens dem derzeitigen status quo innerhalb des Konzerns voraus, da erstmals "in der konsequenteren Anwendung der modularen Bauweise, die sowohl der Planung des Produkts als auch dem Aufbau der Produktion zugrunde liegt" ein Fahrzeug geplant wurde und hergestellt wird.

Bezüglich der Einbindung der Zulieferbranche in die Wertschöpfungskette ist in dem Unternehmen Skoda eine Integration der wichtigsten Zulieferer in das Unternehmen gelungen. Dabei geht der Grad der Integration von sogenannten Modullieferanten im Bereich Türen, Motorblöcke, Sitze, Cockpit, Front-End etc. so weit, daß einige Lieferanten die Fertigung ihrer Produkte vor Ort vornehmen und diese unter der Maßgabe "Just-in-sequence" direkt an die Produktlinie liefern und teilweise sogar eigenverantwortlich einbauen. In der alten und neuen Produktionsstätte in Mladá Boleslav sind bisher zehn Zulieferfirmen in dieser Form integriert.

Beispielsweise montieren Mitarbeiter von Lucas-Autobrzdy, der tschechischen Tochter des Zulieferers Lucas, das Modul 'Hinterachse' aus 42 Komponenten von insgesamt 18 Lieferanten in unmittelbarer Nähe des Endmontagebandes. Vom Ende des Zuliefererbandes wird das komplett fertiggestellte Modul direkt an das Skoda Montageband geliefert und unverzüglich eingebaut. Dem Zulieferer Lucas-Autobrzdy der wichtigste Bremsenzulieferer für Skoda ist die gesamte Systemverantwortung für das Modul 'Hinterachse' übertragen worden, so daß es auch zu dessen Aufgaben gehört, die Auswahl, Freigabe und den Einkauf von Komponenten zu organisieren. Lucas-Autobrzy bekommt mit seinen 850 Mitarbeitern durch seine Möglichkeiten als systemverantwortlicher Zulieferer aber auch die Aufgabe übertragen, "sein" Modul als Ganzes zu optimieren.

Die Verantwortung geht sogar soweit, daß der mit Forschungs- und Entwicklungs-Know-how ausgestattete Modullieferant auch konstruktive Veränderungen des Moduls 'Hinterachse' in Zusammenarbeit mit dem Abnehmer vornehmen kann, da er bereits sehr früh in den Entwicklungsprozeß des Moduls involviert ist.

Als direkter Partner gegenüber Skoda tritt nur der Direktzulieferer auf, da er die gesamte Verantwortung für die konstruktive Qualität von der gemeinsamen Konstruktion des Komplettmoduls über die Auswahl und Bezahlung der Sublieferanten bis hin zu dessen Qualitätsüberprüfung übernimmt. Lucas-Autobrzdy trägt somit die Gesamtverantwortung für Qualität, alle Modul-Kosten sowie die gesamte Logistik während der vertraglichen Laufzeit des Moduls, die in diesem Fall als Lifetime eingestuft worden ist. D.h., daß die beiden Partner bis zum Auslaufen dieses Fahrzeugmodells bezüglich dieses speziellen Moduls zusammenarbeiten werden.

Wie sich dieses Strukturprinzip der modularen Produktions- und Produktorganisation mit einer sehr starken Integration der Zulieferbereiche in Planungs- und Fertigungsabläufe auf den Arbeitsprozeß und die Arbeitsbeziehungen auswirken wird, ist noch nicht absehbar. Um das beurteilen zu können, "reichen die bisher gemachten Erfahrungen noch nicht aus", da das Produktionsmodell in dieser konsequenten Form erst seit September 1996 praktiziert wird. Fest steht nur, daß sich der Betrieb als organisatorische Einheit mit seinen klar erkennbaren und abgrenzbaren Außengrenzen, tendenziell auflöst.

Interessant ist jedoch, daß, obwohl sich die uns bekannten Mitbestimmungs- und Beteiligungsrechte einer Interessenvertretung bei Skoda auf die Informations- und Beratungsrechte beschränken, grundlegende Vereinbarungen, welche die Regulierung der Problematik der Lieferantenintegration betreffen, zwischen der Geschäftsführung Skoda und der Interessenvertretung getroffen worden sind.

Für das Werk in Mladá Boleslav wurde festgeschrieben, daß eine einheitliche Interessenvertretung für alle Beschäftigten im Werk zuständig ist und daß eine Lohnniveauangleichung aller Zulieferermitarbeiter an Skoda-Tarife bei Übernahme des gleichen Zeitsystems zu erfolgen hat. Darüber hinaus wird allen bei den Zulieferern im Werk beschäftigten Arbeitnehmern, die ehemals Skoda Beschäftigte waren, nach dem Ende des Lieferbeziehungsvertrages, die Option eines Rückkehrrechts zu Skoda offengehalten. Zu der Umstrukturierung bei Skoda berichtet der Referent des Gesamt- und Konzernbetriebsrates Werner Widukel: "Und das, was wir bei Skoda über den Eurobetriebsrat hinbekommen haben, ist ja nun nicht wenig. (...) Und ich bezweifle, daß die Interessenvertreter bei Skoda das so bei dem damaligen Mitbewerber um Skoda, Renault, hinbekommen hätten. (...) Auch in der Octavia-Halle werden von Zulieferern Module komplettiert und übergeben. Man muß sich aber auch einmal anschauen, wo das herkommt. Skoda ist 1990 als ein sozialistisches Kombinat mit einer irrsinnig hohen Fertigungstiefe übernommen worden. Und natürlich hat der Volkswagen Konzern damals begonnen, bestimmte Fertigungsumfänge, zum Beispiel Sitze oder Bremsen und Bremsleitungen, die früher selbst gefertigt wurden, an Lieferanten abzugeben. Unsere Kollegen in Mladá Boleslav haben gesagt, wenn wir die Fertigung von Lieferanten mit unseren alten Kollegen, da sie ja aus der alten Skodafertigung kamen, jetzt schon auf dem Werksgelände haben, warum sollen wir die jetzt alle vor dem Werksgelände ansiedeln. (...) Wir sagten uns, daß es aufgrund dieser Situation besser sei, sich darum zu kümmern, daß wir das entstandene Werk tariflich und gewerkschaftlich vernünftig organisieren, und daß wir eine vernünftige Schnittstelle zueinander haben, denn schließlich sind es ja die alten Kollegen."

Ob die Stellung und der Zusammenhalt der Mitarbeiter in Mladá Boleslav, sowohl der des "Stammbetriebes" als auch der der integrierten Zulieferer sich so günstig entwickeln werden, wie der Referent des Gesamt- und Konzernbetriebsrates VW Wolfsburg es hier beschreibt, wird sich in der zukünftigen Realität zeigen.

 

 

4.2 Das Montagewerk der Volkswagen do Brasil Ltda. im brasilianischen Resende

In Brasilien, einem Land 25 mal größer als die Bundesrepublik, ist der Volkswagen Konzern bereits seit 1953 mit der 100 vH. Konzerntochter Volkswagen do Brasil, seit 1958 auch mit einer eigenen Produktionsstätte aktiv. Heute arbeiten ca. 13 vH. der weltweit 243 000 beschäftigten Mitarbeiter des Volkswagenkonzerns im Verantwortungsbereich der Volkswagen do Brasil, dem größten Privatunternehmen in Brasilien mit einem Umsatz von rund 9 Milliarden US$.

Insgesamt 12,5 Milliarden US$ Investitionssumme fallen nach einer Unternehmensabfrage der 100 größten mulitnationalen Konzerne auf den Bereich der Automobilindustrie in Brasilien, wobei festgehalten werden muß, daß ein ausschlaggebendes Kriterium der Investitionsentscheidungen weniger die niedrigeren Kosten für die Ware Arbeitskraft sind. Vielmehr lassen die prognostizierten Wachstumsraten Brasiliens zwischen 4 und 6 vH. in den Jahren 1993 bis 1996 die Wirtschaftsvertreter für die Zukunft natürlich hoffen.

Gegenwärtig werden weltweit etwa 36 Millionen PKW im Jahr produziert. Bis zum Jahr 2005 werden es 53 Millionen jährlich sein. Aber das Wachstum findet nicht in Europa, Japan oder den USA statt, sondern, so schätzten es beispielsweise Wirtschaftsvertreter der Automobilindustrie ein, in Regionen wie Südostasien, Südamerika und China.

Im Bereich der Automobilwirtschaft werden in Brasilien derzeit ca. 2,067 Millionen Fahrzeuge jährlich produziert. 1996 waren es noch 1,804 Millionen und die Analysen gehen von Zielmargen um die 3 Millionen Fahrzeuge jährlich ab dem Jahr 2000 aus.

Der Volkswagen Konzern hat aufgrund dieser Planzahlen einen Investitionsplan über 5 Milliarden DM bis zum Jahr 2000 für den brasilianischen Raum ausgearbeitet. Der Motor des Wachstums der Volkswagen AG liegt in den letzten Jahren eindeutig in den Überseemärkten, die mittlerweile ein Drittel des gesamten Absatzes ausmachen. In den unternehmensspezifisch festgelegten Regionen Nordamerika, Südamerika/ Afrika (incl. Brasilien) sowie Asien-Pazifik wurden 1995 11,6 vH. mehr Fahrzeuge als im Vorjahr verkauft. Allein in Brasilien gab es eine Steigerung von 22,6 vH. auf 565 400 Stück und somit nimmt das Land 50 vH. des gesamten Überseegeschäfts des Volkswagenkonzerns ein. In diesem Zusammenhang fiel im Jahr 1995 die Entscheidung des Volkswagen Konzerns zum Aufbau einer neuen Fertigungsstätte in Brasilien. Die Volkswagen AG bezifferte seine Investitionensumme für das neue Montagewerk, das die weltweite LKW Produktion des Konzerns konzentrieren soll, auf 250 Millionen US$. Zusätzliche 50 Millionen US$ Investitionssumme sind von den Zulieferunternehmen aufgebracht worden.

Die Entscheidung für die Stadt Resende mit 120 000 Einwohnern fiel im Juli 1995 nach Abwägung von mehreren Standorten in den brasilianischen Bundesländern Minas Gerais, Sao Paulo und Rio de Janeiro. Die Stadt liegt 150 km südlich von Rio de Janeiro und 295 km nördlich von Sao Paulo. Auf dem "green-field" (2 Mio qm, incl. LKW Testgelände, davon 84 200 qm bebaute Fläche), in der "gewerkschaftlichen Diaspora" und in gebührender Entfernung zu dem für brasilianische Verhältnisse Hochlohngebiet Sao Paulo sollen mit einer Jahreskapazität von 30 000 Einheiten LKW und Busse der Gewichtsklassen 7-35 t produziert werden, wobei letztendlich ca. 200 Mitarbeiter bei Volkswagen do Brasil sowie 1500 bei Zulieferern im Werk beschäftigt werden sollen.

Am 01. November 1996 begann offiziell die Serienfertigung von Lastkraftwagen in einem Montagewerk von dem angenommen wird, daß es auf Grundlage einer Idee von José Ignacio López de Arriortúa, dem ehemaligen Einkaufschef von General Motors, entstanden ist. Seinerzeit arbeitete er im Volkswagen Konzern und merkte zu der Fertigungsphilosophie und dem -prinzip welches in dem Montagewerk Resende verwirklicht werden soll, an, daß "the concepts can easily be expended to large-production passenger cars." Und das wäre dann sicherlich der Durchbruch zu der sogenannten dritten Revolution in der Automobilindustrie, da die Umstrukturierung dann den gesamten Bereich der Personenkraftwagen umfassen würde.

Im Jahr 1996 wurden in Brasilien durchschnittlich ca. 3 500 Lastkraftwagen pro Monat hergestellt. Der für brasilianische Verhältnisse geplante hohe Output des Werk Resende von 100 Fahrzeugen täglich und einer Jahresmarge von 30 000 Fahrzeugen läßt nur die Intention einer weltweiten Vermarktung zu, zumal Volkswagen do Brasil den bisherigen Marktanteil von 16 vH. bei Lastkraftwagen und Bussen in Brasilien bis zum Jahr 2000 verdoppeln will. Weltweit plant der Volkswagen Konzern seinen Marktanteil bei der Produktion von Nutzfahrzeugen in den nächsten Jahren auf 10 vH. zu verdreifachen.

Nach Angaben der Konzernleitung verfolgt das Werk in Resende erstmals "eine starke Einbindung der Zulieferfirmen direkt in den Produktionsablauf", daß es innerbetrieblich als das Werk mit der stärksten Ausprägung des Modulgedankens bezeichnet wird. Die Produktionsplanung, die eine tiefgehende Integration der Zulieferer beinhaltet und zuläßt sowie die Modularisierung des Fahrzeugs selbst ist in Resende noch weitgehender und mit einer stärkeren Ausprägung als bei der letzten Investiton des Volkswagen Konzerns in Mladá Boleslav realisiert worden. Die Investition umfaßt ein neues, hocheffektives Montagewerk, in welchem "workers employed by suppliers do the assembly rather then workers employed by the automaker." Insgesamt sind die Zulieferer auf dem Werksgelände so angesiedelt, daß sie neben der Montagelinie die zu fertigenden Module erstellen, übergeben und sie mit ihren Mitarbeitern auch in das entstehende Fahrzeug einbauen.

Das in Resende verfolgte Fertigungsprinzip läßt die Schlußfolgerung zu, daß auch zukünftig von einem Verhältnis von einem Beschäftigten bei Volkswagen do Brasil und sieben bis acht Beschäftigten bei den Zulieferern auszugehen ist.

Salerno et al. bezeichnen diese Art der Zusammenarbeit als ein Konzept des "modular consortium", in Abgrenzung zu dem "concept of condominium", indem "the location of suppliers' productive facilities (are, Anm. d. V.) inside or in the same site of the assembly plant (...)" und beschreiben die Tendenzen der "new assembly plant organisation" der brasilianischen Automobilhersteller bezüglich der Zuliefererzusammenarbeit als sehr divergent.

Dementsprechend wird in dem modularisierten Montagewerk in Resende das fertiggestellte "Chassis-Modul" des brasilianischen Zulieferers Iochpe-Maxion an den amerikanischen Zulieferer Rockwell weitergeleitet, der das Modul "Achse-Bremse und Radaufhängungen" anmontiert. Mit dem Modul "Räder-Reifen" wird von einem brasilianisch-japanischen Konsortium Borlem/ Bridgestone das übernommene Chassis abschließend komplettiert und der Hauptmontagelinie zugeführt. Hier ist es nun möglich das Modul "Motor-Getriebe", das von dem deutschen Zulieferer Mannheimer Motoren Werke und der amerikanischen Cummins gefertigt wird, einzubauen. Das vom brasilianischen Zulieferer Tamet hergestellte Modul "Fahrerkabine", das von Eisenmann, einem deutschen Lackierspezialisten, in dessen Anlage die benötigte Farbe bekommen hat, wird von dem deutschen Zulieferer VDO mit dem Cockpit, den Sitzen sowie den restlichen Bestückungen im Fahrerhaus komplettiert und von eigenen Mitarbeitern auf bereits fertiggestellte "Chassis mit Motor" auf der Hauptmontagelinie montiert.

Die Qualitätskontrolle des Gesamtfahrzeugs wird am Schluß von Volkswagen do Brasil selbst mit eigenen Mitarbeitern durchgeführt. Volkswagen do Brasil zeichnet sich darüberhinaus für die Entwicklung der Fahrzeuge, die Logistik innerhalb der Fabrik sowie die Steuerung und Überwachung des Gesamtmontageprozesses und den Vertrieb und Service der Fahrzeuge verantwortlich.

Von allen Herstellern sind Lastkraftwagen schon viel hochgradiger modularisiert bzw. auch per se modular konzipiert. Sie sind bereits längere Zeit und viel besser, im Gegensatz zu PKWs, aus Einzelteilen zusammengesetzt die sich leichter organisatorisch voneinander trennen lassen. Darüberhinaus haben LKWs eine ganz spezifische, in der Regel eine geringere technische Komplexität als ein PKW.

Das Montagewerk Resende gewährleistet eine Fertigungslinie, die durch deutlich abgegrenzte Zuliefererbereiche hindurchdurchgeführt wird. Somit wird eine Fertigungsorganisation ermöglicht bei der die Zulieferer nicht mehr am Wareneingang oder an der Montagelinie ihr Zuliefermodul anliefern und von Beschäftigten des Automobilherstellers eine Qualitätskontrolle übernommen werden muß.

Die Zulieferer organisieren in eigener Regie die Fabrikation der Einzelteile und Komponenten sowie den Zusammenbau zu einem kompletten Modul völlig selbständig. Diese Herstellung vollzieht sich in unmittelbarer Nähe des späteren Einbauortes, der auch in ihren Verantwortungsbereich fällt, nämlich in der Fabrikhalle des Abnehmers.

Das bedeutet, daß die Zulieferer über die Lieferung des zu erstellenden Moduls darüber hinaus dafür zuständig sind, die Beschaffung sowie die Vormontage von Einzelteilen und Komponenten, die das zu fertigende Modul komplettieren, zu übernehmen und mit der gesamten Einbauleistung dem Abnehmer, Volkswagen do Brasil zur Verfügung stellen.

Es wird somit möglich, daß "Gruppen von Zulieferern verantwortlich und haftbar sind für die Montage von einem Teil des Fahrzeugs und für die Qualität des Einbaus garantieren."

Der Vorteil für Volkswagen do Brasil kann darin gesehen werden, daß der Konzern nur noch mit einem halben Dutzend Zulieferern, den Modulverantwortlichen, verhandeln muß. Dieser Tatbestand wirkt sich augenscheinlich weniger negativ auf die Beschäftigten aus als von deutschen Interessenvertretern erwartet. "Ich bin mit den Erwartungen nach Resende gefahren, eine Fabrik zu sehen, in der acht unterschiedliche Firmen arbeiten, die alle unterschiedliche Bedingungen und Bindungen haben. In der Realität ist es eine moderne Fabrik, jeder hat seinen Modulbereich, in dem das Modul erstellt wird und an das nächste Modul weitergegeben und/oder eingebaut wird. Aber man hat nichts davon gespürt, daß acht verschiedene Firmen zusammenarbeiten. Man kam sich wie in einer Firma vor."

Interessant in diesem Zusammenhang ist, daß Volkswagen do Brasil sich gegenwärtig mit einem Programm zur Beurteilung und Empfehlung bewährter und kreditwürdiger Zulieferer befaßt. Eine absolute Neuigkeit ist, daß diese Beurteilungen und Empfehlungen die Grundlage bilden sollen, um Kriterien festzulegen, die zu der Erlangung von Krediten des mit Vorzugskonditionen arbeitenden staatlichen BNDES Systems in Brasilien dienen. Der Volkswagen Konzern geht davon aus, daß auch neu ins Land kommende Firmen davon profitieren können.

Inwieweit die Fertigungsphilosophie, die hinter dem Werk Resende steht, in der Realität aufgegangen ist, kann abschließend an dieser Stelle nicht beantwortet werden. "Das Werk in Resende sollte die Rolle einnehmen, der Vorspieler von solchen Fabrikstrukturen zu sein. Dieses hat es meiner Ansicht nach noch nicht leisten können." Deutsche Gewerkschaftsvertreter, wie auch die befragten Experten der Volkswagen AG haben die Erfahrung und Einschätzung zur Montagefabrik in Resende, daß "wir ganz gezielt gesagt haben, daß wir diese Fertigungsorganisation doch mal als Freilandversuch zulassen. Mal schauen, ob das funktioniert. Und wir stellen heute fest, daß Resende weit hinter den Erwartungen zurückgeblieben ist, nicht weil das Fabriksystem nicht stimmt, sondern weil es das falsche Produkt war. Volkswagen sucht heute ja bekanntlich einen strategischen Partner für den Bereich der mittelschweren Nutzfahrzeuge, um die Fahrzeugpalette in diesem Segment abzurunden, und in diesem Zusammenhang wird auch entschieden werden, was mit Resende passiert und wie es dort weitergehen wird. So wie es zur Zeit läuft wird es sicherlich nicht bleiben können. (...)"

Wie sich dieses Strukturprinzip der modularen Produktions- und Produktorganisation mit einer sehr starken Integration der Zulieferbereiche in Planungs- und Fertigungsabläufe abschließend auf den Arbeitsprozeß und die Arbeitsbeziehungen in diesem Montagewerk des Volkswagenkonzerns auswirkt, ist an dieser Stelle noch nicht absehbar.

In dem Montagewerk in Resende, das fast zeitgleich auf Grundlage dieser neuen Produkt- und Produktionsorganisation seine Fertigung aufgenommen hat wie das Montagewerk in Mladá Boleslav, wird auch erst seit dem Herbst 1996 gearbeitet. Dennoch muß festgehalten werden, daß es in der Anlaufphase enorme qualitative Probleme gegeben hat, die sich eben gerade in den Zuständigkeitsbereichen der Zulieferer manifestieren lassen, so daß der Komplettanlauf des Montagewerks erst Ende 1997 stattgefunden hat.

Auch für dieses Werk kann festgehalten werden, daß sich der Betrieb als organisatorische Einheit mit seinen klar erkennbaren Außengrenzen tendenziell auflöst. Die Erosion der organisatorischen Einheit wäre aus meiner Sicht noch frappanter zu Tage getreten, wenn nicht die Interessenvertretung vor Ort entscheidende, gewerkschaftspolitische Errungenschaften durchgesetzt hätte. Einerseits ist für alle im Montagewerk beschäftigten Arbeitnehmer eine Interessenvertretung zuständig. Andererseits gelten für alle Beschäftigten aus den acht verschiedenen Unternehmen, die im Montagewerk Resende arbeiten, ein und dieselben arbeitszeitlichen und entgeltlichen Grundsätze und Rahmenbedingungen. "Ich glaube aber, wenn das bei uns wäre, würde es schon ganz schön Probleme geben. Dadurch, daß die Kollegen vor Ort das mit der Arbeitszeit und mit dem Lohn hingekriegt haben, ist es scheinbar auch egal, ob der Beschäftigte bei Firma A oder B arbeitet."

 

 

 

4.3 Die MCC-Montagefabrik "Smart-Plus" im französischen Hambach

"Der Wunsch nach flexiblen Montagewerken war ein Irrweg. Der Einzweckfabrik gehört im Automobilbau die Zukunft." Im Zuge dieser neu ausgerichteten Firmenphilosophie der Daimler Benz AG wurde im Oktober 1995 im französischen Hambach der Grundstein für ein Automobilwerk gelegt, das unter der mittlerweile 81 vH. Beteiligung der Daimler Benz AG und dem schweizer Uhrenkonzern SMH ab Herbst 1998 mit ca. 2000 Beschäftigten auf dem 100 000 qm großen Fabrikpark "Smart-ville" (MCC) jährlich 200 000 zweisitzige PKW Fahrzeuge herstellen wird. Insgesamt sieben Systempartner und drei Dienstleistungspartner werden sich mit eigenen Fertigungsstätten um die kreuzförmig angelegte Endmontage gruppieren.

Das Smart Montagewerk ist derzeit Dreh- und Angelpunkt eines weltweit einzigartigen Produktionsprozesses. Die insgesamt sieben Systempartner Bosch (Front-Modul), Dynamit Nobel (Body-Panel Werk), Eisenmann (Lackierwerk), Krupp Hoesch Automotive (Hinterachs-Modulwerk), Magna International (Safty-Bodyframe Werk), VDO (Cockpit-Modulwerk) und Ymos (Türen- und Klappenmodulwerk) liefern ihre in Hambach vorgefertigten Module direkt ans Band, bauen sie dort auch ein und haben ihre Sublieferanten eigenständig zu koordinieren, so daß für die Endmontage des Smart mit einer Fertigungstiefe von 25 vH. lediglich 4 1/2 Stunden benötigt werden. Von den anvisierten 2000 Beschäftigten in dem in "Smart-ville" aufgebauten Montagewerk werden ca. 50 vH. bei diesen sieben produktiven Systempartnern arbeiten.

Im Smart Montagewerk wurde die Optimierung der Wertschöpfungskette so weit fortgeführt, daß die zunehmende Leistungsfähigkeit und Prozeßsicherheit der Systemlieferanten bereits bei der gemeinsamen Produkt- und Prozeßentwicklung für den Smart genutzt wurde.

Sogenannte Modulteams, die sich interdisiplinär zusammensetzen und sich aus exakt abgrenzbaren Segmenten des Fahrzeugs ergeben, arbeiten so eng zusammen, "daß kaum mehr feststellbar ist, aus welchem Haus (des Zulieferers, Anm. d. V.) der einzelne (Mitarbeiter, Anm. d. V.) stammt." Die wichtigsten Partner wurden, da sie bereits in der Frühphase des Projektentstehungsprozesses an der Fahrzeug- und Produktionskonzeption mitgewirkt haben, auch zu maßgeblichen Mitgestaltern der Produkt- wie auch Produktionsorganisation.

Die aus der engen Zusammenarbeit der Zulieferer resultierende Reduzierung der Entwicklungs- und Fertigungstiefe ist beispielsweise im heutigen Geschäftsfeld Personenkraftwagen der Daimler Benz AG ungeschriebenes Gesetz, "wobei größere Umstellungen in der Regel im Rahmen von Neuproduktprojekten vorgenommen werden, was eine sehr frühzeitige Einbeziehung der geeigneten Zulieferer erforderlich macht."

Das MCC Werk ermöglicht den Modullieferanten eine Vormontage in unmittelbarer Nähe zum Endmontageband. Fertigungshallen werden jeweils dort an die Smart Montagehalle "angedockt", wo das Modul auch verbaut wird, und sorgen so für kurze und schnelle Kommunikationswege. Dabei stellt MCC die Hallen zur Verfügung, und die Einrichtungen können von jedem Zulieferer entsprechend seinen Aufgaben individuell vorgenommen werden. Somit ist gewährleistet, daß dem Zulieferer nicht nur die direkte "Andockung" an die Endmontagehalle ermöglicht wird, sondern ihm ist es auch möglich, die Infrastruktur des Abnehmers, in diesem Fall der MCC GmbH und der dahinterstehenden Daimler Benz AG, zu nutzen.

Dabei ist das Grundprinzip bei MCC folgendermaßen festgelegt:

a) MCC steuert die gesamte Prozeßkette des Projektes. Gelände und Infrastruktur werden, bestimmt durch die Anforderungen der Systempartner, von MCC aufgebaut.

b) Die Systempartner investieren in die zur Verfügung stehenden Gebäude, Maschinen, Einrichtungen und Werkzeuge und produzieren dort in eigener Verantwortung.

Insgesamt sechs Module (Bodengruppe, Dach, 2 Seitenteile, Heck und Vorderteil) werden im Montagewerk zum fertigen Fahrzeug zusammengefügt. Der Smart an sich ist als ein modulares Fahrzeug konzipiert, aber bereits in der Entwicklungs- und Planungsphase wurde darauf wert gelegt, daß auch die Fertigungsorganisation modular durchgeführt werden kann. Somit bestimmt das Produktkonzept entscheidend das daraus resultierende Produktionskonzept.

Der Zulieferer Ymos AG hat als Systemlieferant in einem Gemeinschaftskonsortium mit den Subzulieferern Brose (Fensterheber), Happich (Innenverkleidung) und Scharwächter (Scharniere) das Modul Türen übernommen. Ymos als Systemführer für das Modul Tür steuert lediglich den Türrahmen bei. Zielsetzung war, daß allen vier Unternehmen als Zulieferkonsortium die Aufgabe zufällt, Entwicklung, Fertigung und Montage der Seiten- und Rückwandtüren für den Smart zu übernehmen. Neu auf dem Gebiet der Türenfertigung ist die besondere Breite der Türen sowie die in der Automobilindustrie unübliche Praxis, daß die Aluminium-Leichtbautüren nicht an der Karosse vormontiert, mitlackiert und anschließend zur Fertigausrüstung wieder abmontiert werden, sondern komplett fertiggestellt, taktgenau, mit drei Stunden Bestellvorlauf zur Endmontage an das Montageband geliefert werden.

Vor dem Produktionsstart arbeiteten alle Unternehmen quasi vertragsfrei miteinander. Der Vorstandsvorsitzende des Systemführers Ymos, Gerhard Krischer, hat das Konsortium selbst als eine Art "virtuelles Unternehmen" beschrieben, das durch seine spezifischen, individuell einbringbaren Kompetenzen der Partner zusammengehalten wird. "Auf Dauer sei es tödlich, nur (an, Anm. d. V.) (...) Kostenführerschaft zu denken, ohne in Ideenkraft zu investieren. (...) Nur Ideen-Lieferanten sind gute Lieferanten."

Erst für den Herbst 1998 war ein gemeinsames Joint-Venture-Unternehmen, ein Türen- und Klappenmodulwerk, das die Montage und Lieferung der Türen sowie die gemeinsame Verwaltung und den Einkauf organisieren sollte, geplant. Letzteres wird jetzt so nicht in die Realität umgesetzt, da das ursprünglich anvisierte Gemeinschaftskonsortium aufgrund "nicht ausräumbarer Abstimmungsschwierigkeiten gescheitert" ist. Ymos wird zukünftig allein als Systempartner innerhalb des MCC Werks fungieren und die drei weiteren Unternehmen werden den Systempartner als traditionelle Subzulieferer versorgen.

Erstmals im europäischem Raum wird ein Automobilhersteller die Rohkarosse eines Fahrzeugs nicht mehr selbst lackieren. Die Karossen des Smart sollen in einer unmittelbar neben dem Werk gelegenen Einrichtung von einem "externen Unternehmen" lackiert werden.

Das Unternehmen Eisenmann Oberflächentechnik Holzgerlingen übernimmt die Rohkarosse von MCC und wird sie lackieren, um sie anschließend wieder an MCC zurückzugeben. Auch Eisenmann war als Systempartner schon sehr früh ab 1995 in die Planungen des MCC Werks integriert und bekam die Aufgabe, als Systemführer mit zwei weiteren Sublieferanten fertigungsoptimale Lackierlösungen für den Smart zu entwickeln. Technische und wirtschaftliche Einsatzmöglichkeiten von grundsätzlich zwei Beschichtungsprozessen, auf unterschiedlichen Werkstoffen mit diversen Untervarianten wurden in Eigenregie von Eisenmann und Sublieferanten geprüft und abschließend MCC vorgelegt. In diesem Stadium der Vorplanungsphase hatte seitens MCC noch keine endgültige Festlegung auf eine spezifische Fahrzeugkonstruktion stattgefunden. Erst nachdem von MCC entschieden wurde, daß das Fahrzeug einen "Safty-Bodyframe" mit sichtbaren, quasi täglich wechselbaren Bekleidungsstücken, sogenannten "Body Panel" Karosserieteilen und Beplankungen ausgestattet werden sollte, konnte sich der Zulieferer Eisenmann nach vorherigen, unverbindlichen Vorleistungen einer verläßlichen Planungsgrundlage für die zukünftige Fahrzeuglackierung sicher sein.

Die Investition in Hambach dient auch innerhalb der Daimler Benz AG als ein "Lernfeld für unsere traditionellen Produkte, laufende Prozesse und unser Tandem Konzept" und verfolgt den Gedanken der Reduzierung der Montagezeiten durch optimierte Produktgestaltung und Reduzierung der Fertigungstiefe sowie der Minimierung der Teilevielfalt und Teilekomplexität.

Es geht bei der Investition in Hambach um das Wie, die Methodik, das Experimentieren mit neuen Formen der Zusammenarbeit, die Logistik und die Ablauf- und Prozeßgestaltung, bei der die technischen Einrichtungen, insbesondere im Bereich der Montageanlagen wenig auf Automation setzten. "Hambach ist eine unkomplizierte Einzweckfabrik. Die Montageanlagen sind state-of-the-art, hier ein Hängeförderer, dort ein zweispuriger Bandförderer, insgesamt wenig Automation."

Sicherlich bleibt die Fragestellung im Raum stehen, inwieweit solche Konstellationen auch künftig erfolgreich arbeiten werden und ob der Smart sogar als Vorreiter einer Fahrzeuggeneration mit einer ähnlichen Fahrzeug- und Fertigungsorganisation von anderen Herstellern fungieren kann. Den Erfolg dieser Produktionsweise beweisen die prognostizierten ersten Auslieferungen im Oktober 1998, obwohl bei den produzierten Vorserienfahrzeugen Ende 1997 neben den bekannten "Elch-Test" Fahrwerksproblemen erhebliche Qualitätsmängel und -probleme offensichtlich wurden, die eine Verschiebung der Markteinführung von sechs Monaten, von März 1998 auf Oktober 1998 zur Folge hatten.

Wie sich dieses Strukturprinzip der modularen Produktions- und Produktorganisation mit einer sehr starken Integration der Systempartner in Planungs- und Fertigungsabläufe auf den Arbeitsprozeß und die Arbeitsbeziehungen auswirkt, ist noch nicht absehbar, da "freilich noch keine Planungsunterlagen verfügbar (sind, Anm. d. V.), die darüber genaueren Aufschluß geben." Darüber hinaus ist die Serienauslieferung des Fahrzeugs für den Herbst 1998 geplant, so daß hier nur Spekulationen über die möglichen Imponderabilien gemacht werden könnten.

Konstatierbar ist auch bei diesem Investitionsbeispiel, daß die beschriebenen Prozesse der Unternehmensreorganisation Tendenzen aufweisen, die in ihrer Konsequenz in die Richtung einer Auflösung von traditionellen Unternehmensgrenzen führen.

Ob durch die integrative Zusammenarbeit der Zulieferer, wie Schumann spekulativ befürchtet, "doch die automatisierte Endmontage ante portas" steht und eine ganzheitliche Arbeitsgestaltung durch innovative Arbeitspolitik, insbesondere im Bereich der qualifikationsrelevanten Aufgabenerweiterung der Beschäftigtenarbeitsplätze, ad acta gelegt worden ist, kann an dieser Stelle und zu einem so frühen Zeitpunkt der Montagerealität noch nicht endgültig beantwortet werden.

Für das gesamte Smart Projekt kann aber die von beteiligten Unternehmensvertretern geäußerte Signifikanz festgehalten werden, daß "schon allein wegen der Art seiner Fertigung (...) der Smart eine Signalwirkung haben (wird, Anm. d. V.), egal ob er im Markt Erfolg haben wird oder nicht."

 

 

5. Auswirkungen der Modularisierung auf Arbeitsbedingungen und Sozialbeziehungen sowie Handlungsmöglichkeiten der Interessenvertretungsorgane

Die Verringerung der Entwicklungs- und Fertigungstiefe, die zunehmend engere logistische Verknüpfung der Abläufe zwischen den Abnehmern und Zulieferern sowie die verstärkte Durchsetzung von präventiven Qualitätssicherungsmaßnahmen wirken sich ganz entscheidend auf das Ausmaß und die Strukturen von Beschäftigung und Qualifikation, von Arbeitszeit und Leistungspolitik in den Unternehmen der Automobilhersteller sowie der Zulieferer aus.

 

5.1 Auswirkungen auf Arbeitsbedingungen und Sozialbeziehungen

Die Erodierung der betriebsverfassungsrechtlich garantierten Mitbestimmungsmöglichkeiten ist sehr problematisch, da die Abhängigkeits- und/oder Symbiosestrukturen innerhalb logistisch-technischer Zulieferer-Abnehmer-Beziehungen weit in die eigentliche betriebliche Organisation im engeren Sinne hineinreichen. Es ist keineswegs mehr nur noch so, daß durch den Preisdruck Rationalisierungs- und Optimierungsimpulse beim Zulieferer ausgelöst werden. Vielmehr entstehen Vorgaben, die Kernbereiche der Arbeitszeitpolitik, der Personalpolitik und der Entlohnungspolitik sowie Fragen der Qualifizierung und Weiterbildung betreffen.

Der in der Literatur oftmals beschriebene faktische Zwang für den Betriebsrat eines taktsynchron produzierenden Zulieferunternehmens, Betriebsversammlungen, Werksurlaub, aber auch Überstunden und Kurzarbeit synchron mit dem Abnehmerbetrieb durchzuführen, bildet nur die "Spitze des Eisberges" der sich ergebenden Zwänge.

Diese Anforderungen an Disponibilität und Flexibilität von Arbeitskraft in Form einer umfassenden und jederzeitigen Verfügbarkeit von und über Arbeitskraft wachsen durch die eng vernetzten und ablaufoptimierten Produktionssysteme spürbar an.

Die verschiedenen Produktionssegmente innerhalb der Wertschöpfungskette bei Automobilherstellern wie auch bei Zulieferern müssen sich auf diese Verfügbarkeit stützen, "wenn ein optimales Ineinandergreifen hoch flexibel und fragil organisierter Prozesse in der Kette im Hinblick auf mengenmäßig, zeitlich und kostenbezogene Zielvorgaben sichergestellt werden soll."

Beschäftigungspolitische Folgen machen Altmann et al. in der Tendenz aus, daß "im Zuge der unternehmensübergreifenden Rationalisierung in der (gesamten, Anm. d. V.) Automobilindustrie ein schleichender Beschäftigungsabbau (Hervorhebung im Original)" sowie ein "permanent erhöhtes Beschäftigungsrisiko (Hervorhebung im Original) für einen Großteil der Beschäftigten in der gesamten Zulieferkette" erkennbar ist. Sicherlich ist es in diesem Zusammenhang schwierig, konkrete Konsequenzen und Auswirkungen auf die Situation der Beschäftigten zu skizzieren, nicht nur weil sie oftmals losgelöst sind von den konkreten Rationalisierungsmaßnahmen, sondern weil sie teilweise auch über verschiedenste Wirkungszusammenhänge und Reaktionsweisen der Zulieferbetriebe vermittelt und über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg manifestiert werden.

Gerade die auf die Zulieferer heruntergebrochene Herausforderung der dezentralen Lieferkomponente innerhalb der Logistikanforderung erfordert eine enorme Flexibilität der Zulieferer. In ihrer Auftragsabwicklung kommt es im Zuge der Umstrukturierung der Wertschöpfungskette weniger zu Kapazitätsengpässen als verstärkt um die Beherrschbarkeit und Organisation der "Feinabstimmungen" (nicht nur) von Lieferabrufen des Automobilhersteller.

Die Fertigungsstückzahl, die sich aus den einmal im Jahr zwischen Autoherstellern und Zulieferer ausgehandelten Lieferanteilen ergibt, ist nur als unpräzise Konstante anzusehen, da sie kurzfristig durch die individuelle Nachfrage des Autokäufers am Endverbrauchermarkt, der keine langen Lieferzeiten akzeptieren will, beeinflußt wird. Die Realität für Interessenvertretungen sieht dann in der Praxis oftmals so aus, daß Beschäftigte acht Stunden Akkord bei einem ausgeklügeltem System der Arbeitsplatzgestaltung arbeiten, und "wenn die Betriebsräte der Automobilwerke Überstunden und Sonderschichten zustimmen, dann haben sie das praktisch automatisch für die Beschäftigten der Zulieferindustrie mit getan."

Vor allem in der Automobilendmontage bestehen die traditionellen - technisch oder ökonomisch bedingten - Mechanisierungssperren. Durch die Kumulation von Varianten, die Anforderung von komplexen geometrischen Fügeoperationen, die Existenz von "biegeschlaffen" Teilen wie Kabeln, Textilien o.ä. in der Endmontage besteht ein großer Teil der anfallenden Arbeiten in manuellen Tätigkeiten. Schumann et al. beziffern den Anteil der Handarbeit am Produkt in der Automobilendmontage mit 94 vH., wobei die Qualifikationsanforderungen zu 91 vH. auf einfachen und gehobenen Angelerntenqualifikationen liegen.

Die mit der Umstrukturierung der Zulieferer-Abnehmerbeziehung einhergehende Modularisierung bietet die Chance, alte Forderungen aus Zusammenhängen der Diskussion um die Humanisierung der Arbeitswelt (HDA) weiterhin zu verfolgen, beispielsweise, daß arbeitsergonomische Gesichtpunkte gerade in diesen Bereichen ihre Berücksichtigung finden. Im Zuge der modularisierten Produkt- und Produktionsorganisation ist es möglich, im Bereich der manuellen und gering technisierten Arbeit das ausgebaute Modul Tür in einer ausgelagerten Montage zu bearbeiten, während die türlose Karosse weiter auf dem Hauptmontageband komplettiert wird. Nachdem die Karosse aus der Lackstraße kommt, wird das Modul Tür ausgebaut und in einer gesonderten Werkstatt oder Linie, die unabhängig vom Takt der Endmontage ist, bandendkoppelt weiterbearbeitet und nach Fertigstellung mit dem ohne Türen fertiggestellten Fahrzeug komplettiert.

"Indem die Varianz jetzt in bandentkoppelten Fertigungsabschnitten kleingearbeitet (im Betriebsjargon: "gleichgemacht") wird, kann das Hauptband für die Austaktung entzerrt und damit effektiviert werden. Neben der besseren Bewältigung der auf den Gesamtprozeß bezogenen Flexibiltätserfordernisse bieten sich die bandentkoppelten Bereiche als Experimentierfeld neuer Arbeitsformen an." Aus ergonomischer Sicht liegen die Vorteile der Türmodularisierung auf der Hand:

Einerseits ist es durch den Ausbau möglich, uneingeschränkte Zugänglichkeiten im Fahrzeuginnenraum zu ermöglichen, so daß Schwierigkeiten bei der Innenraummontage weitestgehend beseitigt werden können. Montagearbeitern ist es möglich ergonomisch günstiger zu arbeiten, und Schwierigkeiten bei Einschwenkvorgängen, beispielsweise beim Cockpit oder den Sitzen sind durch die "Offenheit" des Fahrzeugs weitestgehend ausgeräumt.

Für den Bereich der Türmodularisierung können der Raumgewinn in der Endmontage durch den Wegfall des zur Türenmontage nötigen Materials, die tendenziell steigende Qualitätserhöhung aufgrund des geringeren Mitarbeiterkontakts mit den Türen, die verringerte Beschädigungsgefahr durch Kratzer und Beulen sowie die bessere Zugänglichkeit der Fahrgastzelle für Montagearbeiten im Fahrzeuginnern konstatiert werden.

Andererseits bietet die Auslagerung der Flexibilitätsanforderungen aus dem Endmontageprozess Chancen, die Erhöhung der Ergonomiepotentiale im Bereich der Türenvormontage durch fahrzeugunabhängige Montagemöglichkeiten zu ermöglichen. Neu gestaltete Arbeitsorganisationsformen stellen somit die Möglichkeiten dar, günstigere Formen als eine "Montage am Fahrzeug" durchzuführen. Jede Art der Alternativfertigung, beispielsweise in Form der linienförmig, inselförmig oder boxenförmig, ausgelagerten Montage, bietet die Chance und Möglichkeit, mitarbeiterfreundlichere Arbeitssysteme unter dem Schlagwort "ganzheitliche Arbeitsgestaltung innovativer Arbeitspolitik" zu realisieren, und zwar von der ergonomischen Verbesserung über die Verlängerung der Taktzeiten bis hin zu der Möglichkeit, erweiterter Arbeitsinhalte.

Grundsätzlich kann für den Bereich der manuellen und gering technisierten Arbeit beispielsweise in der Automobilendmontage ausgemacht werden, daß sich im Rahmen der Neupositionierung und des Anforderungswandels der Teilnehmer innerhalb der Wertschöpfungskette Bestrebungen verbinden lassen, die Versuche darstellen, "traditionelle" Belastungen restriktiver Arbeit abzubauen.

Moldaschl führt die Bestrebungen und Maßnahmen, die die bekannten Gefährdungen und Belastungen der restriktiven Arbeit wie geringe Qualifikationsanforderungen, Monotonie, starke einseitige körperliche Beanspruchung, hohe Leistungsintensität, Zeitdruck und geringe Handlungsspielräume verbessern helfen, systematisiert in Form von vier Stoßrichtungen auf:

a) Entkopplung von Bandarbeit, etwa durch Pufferschleifen, flexible Förderschleifen oder Carrier-Systeme.

b) Auflösung von Fließarbeit durch Komplettmontagen an Einzelarbeitsplätzen oder in Montageinseln.

c) Flexibler Arbeitseinsatz und partielle Aufgabenintegration mit Einzel- oder Gruppenarbeit

d) Temporäre Kleingruppenkonzepte mit der Einführung von Qualitätszirkeln.

Die Argumente, die im Zuge der Neustrukturierung der Wertschöpfungskette für eine Modularisierung und Berücksichtigung von klein- und mittelbetrieblich strukturierten Zulieferern sprechen, sind oftmals die ihnen zugeschriebene hohe Flexibilität und ihre niedrigeren Gemeinkosten. Einerseits beruhen diese geringeren Kosten auf den niedrigeren Overhead-Kosten, andererseits "zu einem nicht unerheblichen Teil jedoch (...) (auf, Anm. d. Verf.) den niedrigeren Lohnnebenkosten." Dabei darf nicht übersehen werden, daß diese ihre Ursache in den normalerweise geringeren betrieblichen Sozialleistungen und schlechteren gesundheitlichen und sozialen Absicherungen der beschäftigten Arbeitnehmer haben, so daß die bei der Vergabe von Modulteilen an Zulieferer angeführten Vorteile bei der Gemeinkostenentwicklung nicht auf deren organisatorische oder technische Effizienz abzielen, sondern darauf, daß es den Arbeitnehmern in diesen Unternehmen eben noch nicht gelungen ist, am Ertrag dieser Effizienz zu partizipieren.

Das dieses natürlich nicht spurlos an der Ware Arbeitskraft vorbeigeht, versteht sich von selbst. Unter dem enormen Kostendruck ist es im Bereich der Klein- und Mittelbetriebe fast unmöglich, die Arbeitsbedingungen in irgendeinerweise zu verbessern. Belastend kommt hinzu, daß klein- und mittelständische Betriebe in der Vergangenheit keinesfalls die "Hochburgen" gewerkschaftlicher Interessenvertretungsarbeit gewesen sind. Das hatte zur Folge, daß die Arbeits- und Sozialbeziehungen in diesen Bereichen stark nach unten von denen der Automobilhersteller abwichen, was sicherlich auch in der sich verändernden Situation nur schwer verbessert werden kann.

Im Zuge des Reorganisationsprozesses verlagern sich demzufolge auch die Arbeitskräftprobleme und -risiken zunehmend von den Automobilherstellern auf die ihnen in der Wertschöpfungskette vorgelagerten Produktionsstufen und Produktionssegemente.

Dieser Prozeß trifft vor allem kleinere und mittlere Zulieferer, die den enorm gestiegenen Anforderungen nicht gewachsen sind. Da auch innerhalb der Zulieferbranche die Anforderungen des Aufbaus flexibler Fertigungsabläufe, perfektionierter Logistikstrukturen und ambitionierter Qualitätssicherungssysteme von den Modul- und Systemlieferanten an die eigenen vorgelagerten Teilezulieferer weitergegeben werden, verlagern sich die Problemschwerpunkte für die Arbeitskräfte auf diese Weise in weiter vorgelagerte Produktionsstufen. Un- und angelernte Arbeitskräfte, die in diesen Bereichen einen hohen Anteil der Beschäftigtenstruktur ausmachen, "tragen vergleichsweise das größte Risiko des gesamten Umstrukturierungsprozesses (Hervorhebung im Original) in der deutschen Automobilzulieferindustrie".

Die Arbeitsplätze in diesen Bereichen sind tendenziell unsicher, der Beschäftigtenstatus ist in Form von befristeten Arbeits- bzw. Leiharbeitsverhältnissen fragil. Darüber hinaus ist der Zeit- und Leistungsdruck für die Beschäftigten hoch ebenso wie andere Belastungen in ihrer Arbeit.

Für die Zulieferindustrie werden perspektivisch gesehen die mit der Umstrukturierung der Wertschöpfungskette verbundenen Gefahren die damit einhergehenden Chancen überwiegen. Der Leistungsdruck, der von den Großunternehmen der industriellen Massenproduktion auf die vorgelagerten Stufen ausgeübt wird, wird sich auf die gesamte Breite der Zulieferbranche auswirken, "ohne daß z.Z. angegeben werden kann, ob und wo dieser Prozeß haltmachen und wie groß der Druck an diesen Stellen noch sein wird." Bereits heute müssen die Zulieferer ihre defensiven Flexibilitätspotentiale mobilisieren und eine Intensivierung der Arbeit, eine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen und eine Auszehrung des Betriebskapitals in Kauf nehmen.

Auf den unteren Stufen der Zulieferhierarchie gibt es auch aufgrund der schlechten Etablierung von Interessenvertretungsorganen, keine Beschäftigungssicherung, die Löhne betragen teils weniger als die Hälfte der Entlohnungen bei den großen Abnehmern, die Arbeitszeiten sind exzessiv und schwanken stark, weil die Zulieferer als Konjunkturpuffer benutzt werden. Somit ist es nicht verwunderlich, daß die Renditen der kleineren Zulieferer minimal sind und die Chancen und Voraussetzungen für paritizipationsorientierte Organisationsformen (wie etwa Qualitätszirkel, qualifizierte Gruppenarbeit, Projektteams etc.) vergleichsweise eher bei den Automobilherstellern und bei den größeren Modul- und Systemlieferanten zu finden sind.

Ein Beispiel einer industriepolitischen Zuliefereransiedlung von Contitech am Volkswagenwerk Salzgitter soll die schlechteren Zuliefererarbeitsbedingungen, die allerdings bei weitem nicht so stark ausgeprägt sind wie oben geschildert, illustrieren.

Seit Mai 1995 hat sich am Volkswagenwerk Salzgitter die Firma Contitech, ein Tochterunternehmen der Continental AG, Hannover angesiedelt. Es handelte sich hier um ein Projekt der Unternehmensleitung der Volkswagen AG und des Gesamtbetriebsrats unter dem Oberbegriff "Regionalisierung und Regionalkonzept", welches zum Ziel hatte, positives Beschäftigungswachstum zu generieren, das weder bei anderen Contitechstandorten noch bei Volkswagen Salzitter negative Beschäftigungsauswirkungen hatte. Hergestellt werden in dem Unternehmen mit heute ca. 190 Mitarbeitern Schrumpfschläuche und andere Zubehörteile vornehmlich im Bereich der Klima- und Kältesystemtechnik für das Volkswagenwerk in Wolfsburg.

Die Interessenvertretung des Volkswagenwerks Salzgitter und die Gewerkschaftssekretäre der IG Metall Verwaltungsstelle in Salzgitter haben viel Kraft dafür aufgewendet, daß die Neuansiedlung des Unternehmens unter den gewerkschaftlichen Betreuungsbereich der IG Metall mit einem Arbeitszeitrahmen von 35 Stunden in der Woche fällt.

Das Mutterwerk der industriepolitischen Ansiedlung in Salzgitter befand sich zum damaligen Zeitpunkt in Kamen und war Mitglied im Arbeitgeberverband Metall.. Für die Mitarbeiter in Kamen galten somit die Tarifverträge der IG Metall für den Bezirk Nordrhein-Westfalen.

Ziel der gewerkschaftlichen und politischen Gremien vor Ort in Salzgitter war es, daß für den Tochterbetrieb des Contitech Betriebes aus Kamen, der in Salzgitter eröffnet werden sollte und in der Anfangsphase ernorme Schwierigkeiten bei der Mitarbeiterrekrutierung hatte, die Tarifverträge der IG Metall Geltung finden sollten.

Die Interessenvertretung des Volkswagenwerks in Salzgitter war aber nicht autonom in der Entscheidungskompetenz, um einerseits gegenüber der Contitech, andererseits gegenüber der Geschäftsleitung Volkswagen AG die Forderung durchsetzen zu können, daß seitens der Volkswagen AG die Bedingung gestellt wird, die Contitech Neuansiedlung auch innerhalb der Tarifbindung Metall zu verankern.

Außerdem war die Entscheidung, einen Zulieferer für Klima- und Kältesystemtechnik in der Region anzusiedeln, ein gemeinsames Projekt des Vorstandes der Volkswagen AG und des Gesamtbetriebsrates. "Wir hätten das auch durchgesetzt, wenn man uns gelassen hätte," ist unter der Hand von Betriebsratsmitgliedern vor Ort zu hören, aber letztendlich ist dem Betriebsrat des Volkswagenwerks Salzgitter damit gedroht worden, daß sich die Firma Contitech unter den gestellten Bedingungen dort nicht ansiedeln wird.

Einige Interessenvertreter vor Ort bewerteten diese Situation als zahnlose Drohung und sahen den einzig gangbaren Weg darin, daß man auf einem Verbleib der Neuansiedlung im Geltungsbereich der Metalltarifbindung beharrt, da es auch um 200, perspektivisch 400-500 neue Arbeitsplätze mit der dahinterstehenden Kaufkraft für die Stadt Salzgitter ging. Andere haben diesem Druck nicht standgehalten und gesagt, daß es vor Ort industriepolitisch wichtig sei Arbeitsplätze zu schaffen, und daß sie als Interessenvertreter nicht dafür verantwortlich gemacht werden möchten, wenn womöglich in der Bevölkerung noch das Bild entstünde, daß die IG Metall und/oder die innerbetriebliche Interessenvertretung die Ansiedlung von Contitech verhindert hätten.

Alle in diesen Konflikt involvierten Parteien einigten sich am Ende der kontroversen Diskussion auf den Kompromiß, daß es sich bei dem anzusiedelnden Betrieb um eine Fertigungsstätte mit einer entsprechenden Arbeitsgeberverbandverankerung und Tarifbindung handeln müsse, die mit einer Gewerkschaft des DGB Tarifverträge abschließt.

Das erzielte Ergebnis kann für alle beteiligten Parteien als "Positivsummenspiel" gewertet werden, denn die Interessenvertretung des Volkswagenwerks und die IG Metall vor Ort wollten einerseits die industriepolitisch wichtige Zuliefereransiedlung sowie die Einhaltung von Tarifverträgen, so daß die zu schützende Tarifautonomie nicht ausgehebelt wird.

Die Geschäftsführung des Volkswagenwerks hatte den Wunsch einer räumlich nahen und zügigen Ansiedlung des Zulieferers Contitech in einer strukturschwachen Region, auch um Arbeitsplätze zu schaffen. Der Zulieferer selber, in der Regel nicht ohne Grund in der Tarifbindung der IG Chemie, hatte starkes Interesse an zusätzlichem Wachstum und den regionalen Zusammenarbeitsmöglichkeiten mit dem Automobilhersteller. Auf der anderen Seite bekam er die Chance eingeräumt, die in bestimmten Bereichen günstigeren Tarifbindungsmöglichkeiten mit der IG Chemie zu wählen.

Im Zuge dieser Auseinandersetzung um die Zuliefereransiedlung Contitech in Salzgitter, mit der Möglichkeit Mitglied im Arbeitgeberverband Chemie zu werden und auch dieser Tarifbindung zu unterliegen, hat das Mutterwerk in Kamen die Chance genutzt, auch dort die Tarifbindung im Metallbereich aufzukündigen um jetzt im Arbeitgeberverband Chemie organisiert zu sein.

 

5.2 Handlungsmöglichkeiten der Interessenvertretungsorgane

Die Mitbestimmung in der Bundesrepublik orientiert sich recht eng am gesellschaftsrechtlichen Betriebs-, Unternehmens- und Konzernbegriff. Diese Orientierung führt dazu, daß Mitbestimmung "ins Leere läuft", wenn Entscheidungs- und Leitungsmacht entfaltet wird, die gesellschaftsrechtlich nicht vorgesehen ist, wie dies etwa bei der "logistischen Kette" der Fall sein kann. Dieses wird in der Regel durch die datentechnisch gestützte Vernetzung verschiedener Unternehmen realisiert. Die Folge, die sich daraus ergibt, ist, daß den Beschäftigten zwar Verhandlungspartner gegenüber stehen, die formal zuständig sind, die aber ihrerseits kaum mehr ernstzunehmende eigene Entscheidungsspielräume haben. Die Entscheidungsmacht verlagert sich noch stärker als bisher auf den Automobilhersteller.

Die zunehmende Externalisierung von Aktivitäten seitens der Automobilhersteller und der potenten Systemzulieferer sowie die Herausbildung von (Zulieferungs-)Netzwerken hat zur Folge, daß Unternehmen nicht mehr angemessen durch ihre Eigentumsgrenzen zu definieren sind, an welchen sich die Organisation der Interessenvertretung und der gesetzlichen Mitbestimmung orientiert. Man kann es auf den Punkt gebracht so bezeichnen, daß der "unternehmensrechtliche Überbau" nicht mehr seiner "technisch-organisatorischen Basis" entspricht. Diese beiden Bestandteile, im Betriebsverfassungsgesetz als zusammengehörige Mitbestimmungsgrundlagen vorgesehen, brechen im Zuge der Veränderungstendenzen innerhalb der Wertschöpfungskette zunehmend auseinander.

Das kann in der Praxis in einer sogenannten "fraktalen Fabrik" soweit gehen, daß das betriebsverfassungsrechtlich garantierte Interessenvertretungsorgan als ein gemeinsames nicht mehr existent ist. Statt dessen wird "ihre Belegschaft (...) von den Betriebsräten rechtlich voneinander unabhängiger Teilunternehmen vertreten", die faktisch ihrer Handlungsgrundlage entzogen sind.

Neue Logistikkonzepte, durch die Betriebe verschiedener Unternehmen auf das engste arbeitsteilig vernetzt werden können, erschweren die Zusammenfassung betriebsübergreifender Arbeitnehmerinteressen, wie sie traditionell durch Gesamt- oder Konzernbetriebsräte geleistet werden kann.

Breit formuliert das Dilemma so: "Dort, wo die grundlegenden Entscheidungen fallen, werden die Arbeitnehmer nicht beteiligt; dort, wo sie beteiligt sind, fallen immer weniger jene umfassenden und grundlegenden Entscheidungen, die dem Gesetzgeber bei Einführung der Mitbestimmung vorschwebten (an, Anm. d. Verf.)".

Beispielsweise hatten es Interessenvertretungen in einem Einzelbetrieb bei der Einführung neuer Technologien noch mit dem Problem zu tun, daß Schutz- und Gestaltungsmaßnahmen schwieriger wurden, weil Ursache (Planung und Installation von neuen Informantions- und Kommunikationsmedien) und Wirkung (veränderte Arbeitsbedingungen, negative Rationalisierungsauswirkungen in Form von Arbeitsplatzverlusten) zeitlich auseinanderlagen. Es fiel schwer, den innerbetrieblichen Zusammenhang herzustellen, und zu verstehen, daß bereits im Planungsstadium die maßgeblichen Entscheidungen für die entstehenden Ursachen getroffen wurden.

Im Zuge der Umstrukturierung der gesamten Wertschöpfungskette stellt sich die Situation für Interessenvertretungsorgane in rechtlich und organisatorisch voneinander getrennten Einzelbetrieben noch diffuser dar. Einerseits sind die Verknüpfungen und Zusammenarbeitsmöglichkeiten im voraus nicht so tiefgehend planbar, da Automobilhersteller sich keinesfalls das explizite Ziel gesetzt haben, grundlegend neue unternehmerische Zusammenarbeitsstrukturen zu schaffen. Ihre Strategien zur Bewältigung der unmittelbaren und scheinbar begrenzten Probleme haben aber auf der anderen Seite zur Folge, daß Ursachen und Wirkung nicht mehr nur zeitlich, sondern nun auch räumlich auseinanderfallen.

Sollte sich die Integration der Zulieferer soweit verwirklichen lassen, daß Lieferanten voll in den Entwicklungsprozeß involviert sind und sich eine gemeinsame Zusammenarbeit über einen längeren Zeitraum entwickelt, so wird das sowohl Informations- und Beratungsrechte, als auch die Mitbestimmungsrechte der Betriebsräte tangieren. Neue Formen der Arbeitsorganisation und Aufgabenverteilung, bedingen neben Fragen anderer Einsatzorte auch Fragen der tarifvertraglichen Einstufung in Endgeltlohngruppen. "Spätestens hier müßte der Zusammenarbeit der Geschäftsleitung mit einem Lieferanten auch die Zusammenarbeit der entsprechenden Arbeitnehmervertreter folgen."

Durch Abhängigkeiten zwischen rechtlich und finanziell eigenständigen Unternehmen, etwa im Rahmen von Zulieferbeziehungen, tritt die Unzulänglichkeit der unternehmensbezogenen Interessenvertretung immer deutlicher hervor.

Aus diesem Grund ist es notwendig, daß die Mitbestimmungsrechte sich nicht mehr an den starren, rechtlich eindimensionalen Betriebs- und Unternehmensstrukturen orientieren, sondern "von einer institutionellen in eine bereichsübergreifende Mitbestimmung übergehen, die sich stärker an der Reichweite der Systemwirkungen und -zusammenhänge orientiert." In diesem Zusammenhang ist zu beachten, daß Zulieferstrukturen in der Regel erheblich von der Annahme abweichen, daß sie als ein einbetriebliches autonomes Zulieferunternehmen betrachtet werden können. Die Mitbestimmung steht gerade vor der Herausforderung, Mehrbetrieblichkeit zu überschauen, zu bündeln und interessenpolitisch zu vertreten.

In der gewerkschaftlichen Organisation gibt es nach Einschätzung von Sabel/ Kern/ Herrigel derzeit keine Institution, die den sich herausbildenden kooperativen Produzenten als Gegenpart gegenüberstehen könnte. Ursache dafür ist sicherlich, daß sich das Hauptinteresse der Gewerkschaften auf eine Stabilisierung der Beschäftigung bezieht, die jegliches Umstrukturierungsrisiko ausschießen. Somit ist es nicht verwunderlich, daß sie den neuen Entwicklungen einheitlich negativer gegenüberstehen als das Management von Unternehmen der Automobilindustrie. Für Gewerkschaften sind die aktuellen Restrukturierungsmaßnahmen nichts anderes, "als ein neuerlicher Versuch der Autofirmen Kosten zu sparen, vor allem Lohnkosten." Sie werden daher viel eher als Bedrohung wahrgenommen, denn als Chance.

Bestätigt wird aber auch von Betriebsräten der Automobilhersteller, daß die Ausgangslage für eine Interessenvertretungsarbeit durch die Neuorientierung der Geschäftsleitung schwieriger geworden ist. "Was gestaltest du denn im Endeffekt mit? Im Grunde genommen gestaltest du doch die Deregulierung mit, um überhaupt noch beschäftigungswirksame Produkte hier vor Ort zu haben. Das Problem ist, machen wir es nicht, dann verlieren wir das Produkt ganz oder kriegen keine neuen rein."

"Da wir uns als Gewerkschaften darüber hinaus auf die Kostendiskussion der Unternehmen auch noch eingelassen haben und mittlerweile in unseren Köpfen nur noch in Kosten denken, werden wir auch aus dieser, nach unten mitzugestaltenden Spirale nicht herauskommen."

In diesem Zusammenhang sollte die Ursache solchen Verhaltens nicht außer acht gelassen werden. Schumann beschreibt sie als einen immer deutlicher werdenden Umschwung im Kräfteverhältnis auf den Arbeitsmärkten. Die Arbeitsangebotsseite habe viel Marktkraft durch die entgrenzte Globalisierung, den Zusammenbruch des Ostblocks und die erfolgreichen Produktivitätsoffensiven der Unternehmen verloren und sei zu in der Vergangenheit undenkbaren Konzessionen gezwungen. "Wer um Beschäftigung kämpft, macht Zugeständnisse bei den Arbeitsbedingungen."

Die Perspektive der Arbeitslosigkeit, die auch die in der täglichen Praxis stehenden Betriebsräte und Gewerkschaftsvertreter vor Ort vor Augen haben, wiegen im Zweifel mehr, als die Erduldung der Verschlechterung der ehemals erkämpften Erfolge sowie die Inkaufnahme des gestiegenen Arbeitsleids oder verschlechterter Arbeitsbedingungen.

Sabel/ Kern/ Herrigel sehen die Chancen und längerfristigen Perspektiven, die sich die Gewerkschaften mit dieser Art der Verteidigungshaltung verbauen, in den Entwicklungspotentialen der Bereiche mit höherwertigen Arbeitsplätzen, die sich in den zunehmenden Produktionsbereichen mit Entwicklungsleistung entwickeln. Eine Gewerkschaftspolitik der Verteidigung des Status quo zielt in letzter Konsequenz auf ein Ergebnis ab, das die schlechter qualifizierten Arbeitsplätze hausintern schützt und gleichzeitig einen Anreiz schafft, riskante Entwicklungsprojekte von externen Firmen durchführen zu lassen so daß auch hochqualifizierte Arbeitsplätze nach außen verlagert werden.

Das Verkennen der Tatsache, daß die Umstrukturierung der gesamten Automobilproduktionswertschöpfungskette nicht nur als bloße Kosteneinsparungsmaßnahme zu verstehen ist, verstellt den Blick auf die langfristige Chance der Gewerkschaften, an einer Umverteilung der Qualifikationsstruktur der Beschäftigten zu arbeiten.

Die Interessenvertretungen der Volkswagen AG sehen durchaus diese Chance, machen aber eine tarifpolitisch wichtige Einschränkung. "Wer auf Managementseite meint, der Vorteil der Modularisierung oder Fraktalisierung der Fertigung läge ausschließlich darin, durch Herausnehmen von Leistungen und durch Absenkung des Lohnes die Arbeitskosten zu senken, wird auf unseren härtesten Widerstand stoßen. Wer andere Versuche unternimmt, um die zweifelsfrei vorhandenen Produktivitätsvorteile zu erschließen, der kann mit uns reden. D.h., wir sind der Auffassung, daß wir uns ganz viele Fraktalisierungen und Modularisierungen vorstellen können, auch als sogenannte interne Fraktale, solange auf seiten der Geschäftsführung klar ist, daß der ungangbare Weg für uns die Aushebelung des Tarifvertrages innerhalb der Volkswagen AG ist." Wie diese Chance zur Integration und Förderung von hochqualifizierten Arbeitsplätzen seitens der Interessenvertretung des Volkswagenwerks Salzgitter genutzt werden konnte, soll anhand eines Beispiels illustriert werden.

Die Interessenvertretung des Volkswagenwerks für Motoren und Komponenten hat sich vehement dafür eingesetzt, daß bei mehreren Produkten Partnerschaften mit Lieferanten aufgebaut werden, da innerbetrieblich das entsprechende Know-how nicht vorhanden ist und nur im Rahmen von strategischen Allianzen seitens der Volkswagen AG beschäftigungssichernd aufgebaut werden kann.

Seit mittlerweile drei Jahren wird in diesem Rahmen der kontinuierliche Aufbau einer eigenständigen Entwicklung für Komponenten vorangetrieben. "Das geht alles sehr schleppend. Du mußt dir das Know-how ja auch erst einmal erarbeiten bzw. die Kooperation mit anderen Firmen suchen, die dieses besitzen, um es bei uns aufbauen zu können."

Vielleicht geht es an dieser Stelle auch um ein Stück Rücknahme der zu weit getriebenen Dezentralisierung und um die Stärkung des ganzheitlichen Auftretens eines Automobilherstellers, bei dem, wie Hirsch-Kreinsen es beschreibt, Profit-Center wieder zusammengelegt werden und ganze Unternehmensfunktionen wie beispielsweise die Forschung und Entwicklung wieder in die Zentrale zurückverlagert werden. "Nicht überraschend ist daher der empirische Befund, daß (...) in einigen (...) der untersuchten Unternehmen weitergehende Re-Zentralisierungstendenzen unübersehbar sind. Diese zielen (...) darauf, durch Dezentralisierung entstandene unübersichtliche und schwer koordinierbare Strukturen zu bereinigen. (...) Das betrifft beispielsweise in einem Unternehmen die Produktentwicklung (...)."

Die Interessenvertretung schätzt ihre derzeitige Situation so ein, daß der Mitbewerber in der Automobilbranche General Motors mit seiner konzerninternen Komponentensparte Delphi Automotive Systems mit einem Umsatzvolumen von 31,4 Milliarden US$ und einem Gewinn von 1,2 Milliarden US$ vor Sonderbelastungen sowie dem Know-how, was von 200 000 Beschäftigten im Entwicklungsbereich aufgebaut werden konnte, ganz klar die Vorreiterrolle belegt. "Und wenn man da nicht mithalten kann, ist man aus dem Geschäft raus."

Es wird dementsprechend konkret der Versuch unternommen, innerbetrieblich einen Forschungs- und Entwicklungsbereich aufzubauen, der in der Vergangenheit im Komponentenbereich der Volkswagen AG so tiefgehend nicht ausgeprägt war, und "solange wir es nicht haben, werden wir mit anderen zusammenarbeiten."

Die Auseinandersetzung bezüglich der Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten der Interessenvertretung im Volkswagenwerk Salzgitter mit seinen ca. 7 500 Beschäftigten hat unter der Maßgabe gestanden, daß mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen ist: "Wenn wir das nicht machen, wir auch keine Teile bekommen."

Das würde bedeuten, daß innerhalb des Komponentenwerks Salzgitter die Gefahr bestehen würde, daß ein Teil nach dem anderen an externe Lieferanten vergeben werden würde und somit auch die beschäftigungswirksame Teileentwicklung und -produktion innerhalb der Produktionsstätte verloren wäre.

Die aktuellste Errungenschaft der Interessenvertretung ist der Zuschlag, nach Aussagen des Betriebsratsvorsitzenden eigentlich gegen den Willen der Werkleitung, für ein Bauteil, nämlich den sogenannten "Kompakthalter". Dieser Einsatz, der mit positivem Erfolg abgeschlossen werden konnte, ist von besonderer Brisanz und Importanz für die Interessenvertretung. Einerseits war dieses Teil in der Anfangsphase sehr kompliziert zu bauen, da es viele Änderungen gab und der "Kompakthalter" somit sehr teuer wurde. Andererseits geht die Interessenvertretung davon aus, daß dieses Teil in absehbarer Zeit ein gesamtes Modul umfassen wird. "Und wenn wir den Kompakthalter in Salzgitter nicht hätten, dann hätten wir die Komponenten, die an ihn angebaut werden, wie die Ölpumpe oder die Wasserpumpe auch nicht. Da muß man schon weit im voraus darauf achten, daß man sich Teile sichert. (...) Bisher ist es noch kein Modul, aber tendenziell ist das abzusehen, so daß alle Teile, die wir bisher auch bei uns bauen, in Salzitter gesichert sind. Auch wir verstehen uns als Systemintegrierer und aus diesem Grunde war es für uns wichtig diesen Kompakthalter zu bekommen." "Hätten wir diesen 'Kompakthalter' nämlich hier nicht bekommen, hätte es sein können, daß wir ein Anbauteil nach dem anderen, wenn es erstmal als Modul zusammengefaßt ist, an denjenigen verloren hätten, der den Kompakthalter baut."

Es bleibt für die betroffenen Beschäftigten nur zu hoffen, daß diejenigen Unternehmens-, aber auch Interessenvertreter der Automobilhersteller und Zulieferunternehmen, die sich mit dem Gedanken der "kooperativen Produktion" und der neuen Partnerschaftlichkeit und mit den dazugehörigen realen Umsetzungen beispielsweise in Form der Modularisierung, Just-in-sequence Produktion etc. angefreundet haben, um darin eventuell einen Ausweg aus den Flexibilisierungs- und gleichzeitigen Ökonomisierungsanforderung zu suchen, auch die entsprechende "kooperative Mitbestimmung" über die gesamte value chain hinweg als notwendige Ergänzung ansehen und sich dieser Aufgabe stellen.

Innerhalb der Automobilindustrie zeigt die Auseinandersetzung des Gesamt-, Euro- und Weltkonzernbetriebsratsgremiums des Volkswagenkonzerns mit der Geschäftsführung, daß durchaus nutzbare Möglichkeiten bestehen, im Bereich der Mitbestimmung und Zuliefererintegration "kooperative Mitbestimmung" zu gewährleisten.

Die Errungenschaften der Interessenvertretungen im Bereich der tarifvertraglichen Regelungen bezüglich der Homogenisierung von Arbeits- und Leistungsbedingungen in den Montagewerken Mladá Boleslav und Resende führten innerhalb der sechs westdeutschen Volkswagen AG Standorte zu einer Auseinandersetzung mit der Fragestellung, inwieweit Interessenvertretungen einerseits Modularisierung mitgestalten und andererseits die Aushöhlung von Tarifverträgen verhindern können. "Wir haben etwas dagegen, daß andere unter anderen Konditionen hier Arbeit machen, die für bisher bessere Konditionen an unsere Beschäftigten vergeben wurden. Wir haben etwas dagegen, daß tarifvertragliche Leistungen und damit Standards für die Beschäftigten abgesenkt werden."

Da die Interessenvertretungen der Volkswagen AG Standorte der Modularisierung und Umstrukturierung innerhalb der gesamten Wertschöpfungskette nicht völlig ablehnend oder sogar blockierend gegenüberstehen, ist es erforderlich, strategisch notwendige Positionen zu formulieren, wo sich Grenzen der "Mitgestaltung" aufzeigen.

Die Betriebsräte haben die Verabredung getroffen, daß sie in den Unternehmen der Volkswagen AG die Einbauverantwortung der Module sowie die gesamte Endmontage am Komplettprodukt bei Beschäftigten von Volkswagen liegen muß, obwohl sie wissen, daß sie bei der Konstruktion und Planung eines neuen Fahrzeugs und dessen Module und Teile, "wir sprechen da von Taufe eines Teiles", ohne erzwingbare Mitbestimmung sind und die Geschäftsführung autonom entscheiden kann.

Das Markenvorstandsmitglied Folker Weißgerber, zuständig für den Geschäftsbereich Produktion und Logistik des Unternehmens Volkswagen, formuliert es folgendermaßen: "Mit den Arbeitnehmern der VW AG haben wir vereinbart, daß ein Lieferant bis ans Band anliefern darf. Eine direkte Kette bis ans Band ist auch unser Ziel."

Das dieses in der Vorstellung der Werksleitung auch bedeuten kann, daß die Lieferanten direkt an der Montagelinie stehen und ihre Module dort herstellen und komplettieren, um sie an fest umrissenen Schnittstellen an die Endmontagelinie des Volkswagenwerks zu übergeben, kann in diesem Zusammenhang für die Kapitalseite nicht ausgeschlossen werden. Die Leitung des Volkswagenwerks Wolfsburg bezeichnet es als "Just in time der dritten Generation".

Die Geschäftsführung könnte zwar, wenn sie auch die Idee des Moduleinbaus durch den Lieferanten weiterverfolgen würde, die Prozeßverantwortung für das Modul lückenlos bis zum Endprodukt schließen, gleichzeitig würde aber eine Reihe neuer Probleme im rechtlichen Bereich, beispielsweise bei der Produkthaftung im Schadensfall oder auch in arbeitsorganisatorischer Hinsicht, entstehen. Gruppenarbeitsprojekte, Tarifunterschiede und Sicherheitsstandards bedürften bei ihrer Steuerung neuer Herangehensweisen, deren Reichweite zum heutigen Zeitpunkt überhaupt nicht absehbar ist.

 

 

6. Ausblick in die Zukunft

In der gegenwärtigen Situation gibt es keine Anzeichen dafür, daß sich die Gleichzeitigkeit der Flexibilitäts- und Effektivitätsanforderungen bei sich verstärkender und wichtiger werdender Zeit- und Qualitätskomponente, die darüberhinaus durch verschärften Wettbewerb, Globalisierung und Krisen gekennzeichnet ist, in den nächsten Jahren grundlegend ändern wird. Langfristig ist eher davon auszugehen, daß sich die ökonomische Situation in der Automobilbranche weiter zuspitzen wird. Ein sich alltäglich entfaltender und umfassender werdender Kapitalismus, losgelöst von Ort und Zeit, wird innnerhalb der Restrukturierung der Wertschöpfungskette weiterhin für "Wirbel" sorgen. Die Verschärfung des Wettbewerbs liegt aber nicht nur innerhalb des veränderten Käufermarktes, sondern kann auch zusätzlich unter den Anbietern konstatiert werden. Konzentrationsprozesse, wie beispielsweise der jüngste Zusammenschluß der Chrysler Corp. mit der Daimler Benz AG oder die Übernahme von Rolls-Royce im Juli 1998 für umgerechnet 1,4 Milliarden DM durch den Volkswagen-Konzern, könnten auf der einen Seite zu dem Schluß führen, daß sich die Konkurrenzfaktoren, die den Automobilherstellern ihre individuelle Wettbewerbsfähigkeit sicherten, sich zunehmend angleichen und "daß nur noch radikaler Konfrontationskurs ihr Überleben sichert."

Auf der anderen Seite sind einheitliche Trends zur "Produktion in Netzwerken" mit dem Trendsetter der Automobilindustrie empirisch äußerst fragwürdig. Organisatorische Verengungen sind aber in größerem Ausmaß nur in der Automobilindustrie vorhanden, da die Abnehmerpolitk in dieser Branche sehr stark auf eine kontrollierte organisatorische Anbindung ausgerichtet ist.

Die besonderen Gegebenheiten der Automobilindustrie sind durchaus nicht als allgemeingültig zu betrachten. Hervorzuheben bleibt der exemplarische Charakter der hier beschriebenen Prozesse der verstärkteren Verlagerung der Flexiblitätsanforderungen auf Bereiche, die aus den Automobilendmontagebereichen ausgelagert sind. Dennoch sollte die nicht nur in der Vergangenheit prägende Vorreiterrolle der Automobilbranche für andere Industrie- und Dienstleistungsbereiche nicht unterschätzt werden.

Möglicherweise wird seitens der Automobilhersteller mit der Installation von Fertigungsorganisationen in Montagewerken, die nach dem Prinzip des Modularkonsortiums aufgebaut sind wie sie in den drei beschriebenen Fertigungsstätten Mladá Boleslav, Resende oder Hambach verwirklicht wurden, die Erwartung verbunden, daß sie sich erst in der Praxis bewähren müssen, ehe von einem fertigungsorganisatorischen Paradigmenwechsel gesprochen werden kann. "In der Branche warten jetzt alle darauf, ob Hambach und Resende funktionieren, bevor man weitere Fabriken nach dem Muster hochzieht." Zumal sowohl der Volkswagen-Konzern als auch die Daimler Benz AG sich nicht sicher sind, ob diese Investitionsentscheidungen als "sichere", bezüglich der Frage, welche Zukunftsaussichten diese Art der Fertigungsorganisation habe, einzustufen sind. Das Werk in Resende sollte beispielsweise die Rolle eines Vorspielers von solchen neuen Fabrikstrukturen übernehmen. Dieses hat nach Ansicht des Betriebsratsvorsitzenden Blechner nicht eingenommen. Bezüglich des Montagewerks im französischen Hambach wurde in einer Mercedes Benz Kundenzeitschrift veröffentlicht, daß bei einer etwaigen Nichtrealisierbarkeit der hohen Erwartungen, die seitens der Daimler Benz AG mit dem Fahrzeug und der Fertigungsorganisation verbunden werden, "Daimler Benz eine neue Fabrik, eine außerplanmäßige Verlustabschreibung von rund 200 Millionen Mark und einen erweiterten Horizont" hätte.

Der Bezirksleiter der IG Metall Hannover für Niedersachsen und Sachsen-Anhalt geht sogar weiter: "Wenn es Werke wie Resende oder Hambach mit der Einbauverantwortung von Zulieferern und alles was dazugehört in dem ein oder anderen Fall gibt, dann muß man in diesem Zusammenhang schon heute attestieren, daß jedenfalls Überragendes nicht publiziert wird. Als den großen Schlager herausgebracht hat es bisher keiner. Dessen ungeachtet wird es immer wieder das ein oder andere Mal Versuche geben, die Zulieferer direkt mit der Einbauverantwortung des Moduls zu betrauen. Dennoch wird das für jedes Unternehmen ein Risiko darstellen. Und an dieser Stelle glaube ich nicht, daß das Risiko eingegangen wird. In der letzten Konsequenz wird bei einer Schadensersatzforderung nicht derjenige, der das Modul eingebaut hat, verantwortlich gemacht, sondern immer der, der das Auto bzw. die Automarke nach außen vertritt und verkauft. Und ich glaube, daß an dieser Stelle das Risiko für Automobilhersteller zu groß sein wird, wenn man die Theorie großflächig auch in der Praxis durchführen würde."

Sicherlich kann in der deutschen Automobilindustrie das traditionelle einstufige System der Zulieferbeziehungen, in dem die Endprodukthersteller mit unzähligen Zulieferern zusammenarbeiten, die auf Grundlage von Blaupausen der Entwicklungs- und Kostruktionsabteilungen der Endprodukthersteller produzieren, ad acta gelegt werden.

Zulieferer als kompetente Problemlöser mit eigenem Profil werden tendenziell das neue Modell der Zulieferbeziehungen prägen. In ihm wird der Endprodukthersteller nur mit einer begrenzten Zahl von kompetenten und entwicklungsstarken Zulieferern direkt zusammenarbeiten, die ihre "Unterzulieferer" eigenständig zu koordinieren haben.

Dieser bereits eingeschlagene Prozeß steht noch am Anfang der Veränderung und in der deutschen Automobilindustrie ist noch nicht abzusehen, wer die ausgewählten System- und Entwicklungslieferanten sein werden. Hinzu kommt die Problematik, daß Module und Systeme von den Automobilherstellern unterschiedlich definiert werden. Ebenso sind konkrete Fragen der Arbeits- und Risikoverteilung sowie der Vertragsgestaltung innerhalb der Lieferantenpyramide noch offen. Es darf angenommen werden, daß völlig veränderte Konzepte der Automobilproduktion erst nach einer Experimentierphase mit einer neuen Fahrzeuggeneration und Fertigungsorganisation realisiert werden. Gleichwohl mangelt es nicht an Verlautbarungen aus der Automobilindustrie über ihre zukünftige Lieferantenpolitik. "Wir werden mittelfristig nur noch mit 200 bis 300 Zulieferern direkt zusammenarbeiten. 200 davon sind heute schon die besten der Welt. (...) Auch wenn, was realistisch sein dürfte, alles in allem rund 50 000 Firmen an VW liefern, wird sich an dieser Zahl wenig ändern. Gravierend aber ist, daß unsere Direktlieferanten dafür sorgen müssen, daß alle (ihre, Anm. d. Verf.) Sublieferanten ebenfalls die besten in ihrer Klasse sind."

Der IMB-Auto-Report 1997 beschreibt die zukünftige Entwicklung der Automobilindustrie und der Zuliefererzusammenarbeit als einen Prozeß, der insgesamt sieben Stufen durchläuft:

1. Stabile und enge Beziehungen zwischen Montagewerken und Zulieferern. Hier entwickeln sich mehrstufige Zuliefererpyramiden, in denen nur noch der Zulieferer der ersten Stufe Kontakt mit den Automobilherstellern hat.

2. Just-in-time Lieferung mit der Aufgabe für die Zulieferer, die Verantwortung für Logistik und Qualitätskontrolle zu übernehmen.

3. Nähe der Zulieferbetriebe zu den Montagewerken oder die Ansiedlung der Zulieferer in besonders ausgeschriebenen Zulieferparks.

4. Module und Modularzubehörteile werden von den Direktzulieferern auf Just-in-time oder sogar sequenzgenauer Basis angeliefert.

5. Zulieferer in Montagewerken (Integration 1. Phase): Beschäftigte des Zulieferers übernehmen Modulmontagen des Automobilherstellers, die nicht mehr auf dessen Montagebändern durchgeführt werden, auf dem Betriebsgelände des Fahrzeugbauers und investieren dabei in die Ausrüstung.

6. Zulieferer nehmen die Endmontage vor (Integration 2. Phase): Module, die nicht direkt am Montageband des Automobilherstellers in dessen Verantwortung montiert wurden, werden durch die Beschäftigten des Zulieferbetriebes hergestellt und durch sie im Fahrzeugchassis installiert.

7. Montagewerk-Zulieferer-Konsortium (Integration 3. Phase): Zulieferer investieren in die Montagehallen, wirken am Management mit und haben einen hohen Anteil an den Gewinnen.

In der Praxis kann kein einheitlicher Trend ausgemacht werden, der den "Königsweg" bei der Lösung der Frage darstellen könnte, wie man die Flexibilisierungsanforderungen bei gleichzeitiger Ökonomisierung der Prozeßkette bewältigt. Unübersehbar ist aber, daß bei Neuinvestitionen weitgehende Zuliefererintegrationen, wie sich auch der IMB-Auto-Report 1997 beschreibt, vorgenommen werden. Automobilhersteller befinden sich aus meiner Sicht in einem Suchprozeß, der in der heutigen Situation noch nicht abschließend beurteilt werden kann. Einerseits fehlen grundlegende, wissenschaftlich zugängliche, empirische Untersuchungen, die beispielsweise in den drei genannten Montagewerken durchgeführt werden müssen und weitgehend über die Deskription der Fertigungsorganisation hinausgehen sollten. Andererseits hat jedes Automobilunternehmen seine eigene Stategie, um im Wettbewerbsmarkt innovativ aufzutreten.

Das dominante Ziel aller bisherigen Restrukturierungsmaßnahmen setzt auf eine prozeßübergreifende Kosteneinsparung und eine ballastfreie Gestaltung kleiner, überschaubarer und steuerbarer Einheiten. "Dazu gehört die maximale Ausschöpfung der Potentiale und Ressourcen, insbesondere (auch, Anm. d. V.) von Leistungsfähigkeit und Bereitschaft der Mitarbeiter durch höhere Handlungsspielräume und Eigenverantwortlichkeit."

Auch Gewerkschaftsvertreter schätzen die zukünftige Entwicklung so ein, daß die Hauptfrage sein wird, wie man Autos bei einer gleichzeitigen Neubestimmung des Verhältnisses von Geschäftsführung zu Belegschaft produzieren kann. "Nach dem Motto: Wir, als Automobilfirma, haben ein Fahrzeug oder ein Teil konzipiert und möchten jetzt von der Belegschaft, daß eine bestimmte Menge X am Ende herauskommt. Wie das letztendlich von den Belegschaften gemacht wird, ist deren Sache. Aber die Frage wird sein: Wie kann man das am stärksten nutzen, was die Menschen können. (...) Daß das natürlich viel Arbeit bedeutet, gerade für Gewerkschaften, ist klar."

Dabei ist unübersehbar, daß das Problem der Überkapazitäten im Automobilbau, das bereits 1985 mit fünf Millionen eine ernstzunehmende Größe erreicht hatte, zunehmend erhebliche Beschäftigungsprobleme mit sich bringen wird. Derzeit könnten weltweit jährlich ungefähr 12 Millionen Autos mehr hergestellt werden, wobei die anhaltende Entwicklung tendenziell zur Folge hat, daß die Auslastungen der Automobilfirmen drastisch sinken werden und dies weiterhin für eine angespannte Situation im Bereich der Beschäftigung in der Automobilbranche sorgen wird.

Es ist aus meiner Sicht nur schwer vorstellbar, daß der Übergang zu einer kooperativen Produktionsweise in einer gewerkschaftlich so stark organisierten Industrie wie der Automobilbranche erfolgt, ohne daß es eine offene Debatte über neue Formen der Arbeitsbeziehungen und neue Formen der Kooperation gibt.

Vorstellbare Grenzen der Neuorganisation der Wertschöpfungskette beinhaltet beispielsweise die von Sauer/ Döhl geäußerte Vermutung, daß die gesellschaftlichen Probleme und steigenden Sozialkosten als externe Größen einer weitgehend marktgesteuerten Umstrukturierung der Abnehmer-Zulieferer-Beziehung sowie der damit einhergehenden Dezentralisierung mit ausschließlich kapitalmarktorientierter Sicht auf shareholder value Erfolge, gesellschaftspolitisch überwiegen werden. Ein grundlegend in der kapitalistischen Ökonomie angelegter Gegensatz zwischen ökonomischen und gesellschaftlichen Interessen tritt zunehmend offen zu Tage. Bei aller Ambivalenz sei absehbar, daß gesellschaftspolitisch die negativen Effekte hinsichtlich der Qualifikationsentwicklung, der Leistungsfähigkeit, der Gesundheit etc. überwiegen werden und sich auch hieraus weitere Belastungen für die Gesellschaft sowie erhebliche Sozialkosten ergeben werden. "Inwieweit diese Grenzen faktisch wirksam werden, hängt jedoch auch davon ab, ob gesellschaftliche Akteure auf den Plan treten, die sie in Gestalt politischer Regulierungsanforderungen formulieren und durchsetzen." In diesem Zusammenhang stehen auch die industriepolitischen Kernforderungen der Industriegewerkschaft Metall, die sich an die Unternehmen sowie die Politik richten, da die konjunkturellen Höhenflüge der deutschen Automobilindustrie nicht darüber hinwegtäuschen dürfen, "daß sich die Automobilbranche in einem strukturellen Wandel befindet", der nach Ansicht der IG Metall "mit dramatischen Arbeitsplatzverlusten" verbunden sein wird. Neueinstellungen statt weiterer Überstunden, Innovation statt Lohnkostensenkungen, frühzeitige Einbeziehung der Arbeitnehmer bei weiteren Restrukturierungsmaßnahmen, Wertschöpfungspartnerschaften statt Zulieferpyramiden, Verringerung der weltweiten Überkapazitäten sowie die Forderung nach der Einführung eines ökologisch zukunftsfähigen Autos umfassen den Bereich der Anforderungen an Unternehmen.

Belebung der Binnennachfrage, Vorstoß für eine neue Industrie- und Beschäftigungspoltik, Unterstützung der Zulieferindustrie im Internationalisierungsprozeß, Festlegung langfristiger Rahmenbedingungen für ökologische Standards und Förderung von ökologisch sinnvollen Verkehrsprojekten sowie die Restrukturierung statt Förderung neuer Überkapazitäten umfassen den Anforderungskatalog der IG Metall, der den Bereich der aktiven Industriepolitik umfaßt. Perspektivisch werden im Rahmen des strukturellen Umstrukturierungsprozesses der Zulieferer-Abnehmer-Beziehung im Automobilbau all diejenigen gefordert sein diesen mitzugestalten, die die Auffassung vertreten, daß ohne eine humane Arbeitswelt ein sozialer und demokratischer Staat nicht möglich ist.

 

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O.V.: Automobilbranche sieht Brasilien als "Land der Zukunft", in: Süddeutsche Zeitung vom 08.02.1996, S. 16

O.V.: Brasilien ist für deutsche Investoren eine Niedriglohn-Oase, in: Handelsblatt vom 19.03.1996, S. 3

O.V.: Brasilien will mit VW Hilfe Autoproduktion ausweiten, in: Braunschweiger Zeitung vom 19.09.95

O.V.: Brasiliens BNDES geht an den deutschen Kapitalmarkt, in: Handesblatt vom 19.02.1996, S. 32

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O.V.: Daimler-Benz erlebt sein zweites Kleinwagen-Debakel, in: Frankfurter Rundschau vom 19.12.1997, S. 15

O.V.: Der Weg ist das Ziel, in: Automobil-Produktion, Landsberg Dezember 1997, S. 48-52

O.V.: Die dritte Revolution, in: Automobil-Produktion, Landsberg Februar 1997, S. 108-109

O.V.: Die segmentierte Fabrik, in: Automobil-Produktion, Sonderausgabe VW Golf, Landsberg Oktober 1997, S. 60-67

O.V.: Ein Riese räkelt sich, in: Automobil-Produktion, Landsberg Juni 1995, S. 44-50

O.V.: Fit für den globalen Wettbewerb, in: Automobil-Produktion, Landsberg Februar 1998, S. 68-72

O.V.: Flexible Montagen sind zu teuer, in: Automobil-Produktion, Landsberg Oktober 1996, S. 56-60

O.V.: Fusionswelle setzt Zulieferer stark unter Druck, in: Handelsblatt vom 14.05.1998, S. 16

O.V.: Ganz nah beim Kunden, in: Automobil-Produktion, Landsberg Februar 1995, S. 50-54

O.V.: Geflecht zum Überleben, in: Automobil-Produktion, Landsberg Oktober 1997, S. 70

O.V.: Gefragt sind Anbieter von Komplettlösungen, in: Handelsblatt vom 05.09.1996, S. 23

O.V.: GM will Delphi abkoppeln, in: Frankfurter Rundschau vom 05.08.1998, S. 14

O.V. GM will den Zulieferer Delphi 1999 an die Börse bringen, in: Handelsblatt vom 05.08.1998, S. 11

O.V.: Helmut Werner wirft hin, in: Frankfurter Rundschau vom 17.01.1997, S. 11

O.V.: Komponenten und Module aus Wolfsburg, in: Automobil-Produktion, Sonderausgabe VW Golf, Landsberg Oktober 1997, S. 44-45

O.V.: Kooperation mit Haken und Ösen, in: Handelsblatt vom 03.09.1996, S. 15

O.V.: Mehr Auto für die Mark, in: Automobil-Produktion, Landsberg Februar 1995, S. 26-34

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O.V. : "Nicht in Europa", Interview mit dem Mercedes Benz Vorstandsvorsitzenden bis 31.01.1997, in: Der Spiegel Nr. 17-1996 vom 22.04.1996, S. 109-110

O.V.: Paralleler Anlauf in vier Werken, Interview mit Folker Weißgerber (Markenvorstand Volkswagen, Geschäftsbereich Produktion und Logistik), in: Automobil-Produktion Sonderausgabe VW Golf, Landsberg Oktober 1997, S. 52-58

O.V.: Partnerschaft oder Ausverkauf?, in: Automobil-Produktion, Landsberg August 1996, S. 50-54

O.V.: Reduzierung der Fertigungstiefe durch engere Kooperation mit den Zulieferern, in: Handelsblatt vom 21.07.1993, S. 13

O.V.: Rekorde auf allen Ebenen, in: Automobil-Produktion, Landsberg August 1995, S. 32

O.V.: Sicherheit á la A-Klasse zu teuer, in: Handelsblatt vom 05.03.1998, S. 55

O.V.: Smart: Nicht nur beim Fahrwerk gibt es Probleme, in: Welt am Sonntag vom 21.12.1997, S. 65

O.V.: Stopp des Smart-Projekts gefordert, in: Handelsblatt vom 28.05.1998, S. 15

O.V.: Strategie-Check für Zulieferer, in: Automobil-Produktion, Jubiläumsausgabe, Landsberg 12-1996, S. 52-58

O.V.: Volks comeca a produzir caminhoes em Resende, in: Transporte Online 2 vom 06.09.1996

O.V.: Volkswagen Lkw aus Brasilien, in: Handelsblatt vom 24/25.5.96, S. 20

O.V.: Volkswagen: Motor des Wachstums in Übersee, in: Süddeutsche Zeitung vom 30.01.1996, S. 22

O.V.: VW fährt bei BMW an die Wand, in: Frankfurter Rundschau vom 03.08.1998, S. 8

O.V.: VW mit Milliarden-Projekt für Brasilien, in: Handelsblatt vom 22.01.1998, S. 17

O.V.: VW monta concórcio da fábrica de Resende, in: Transporte Online 4 vom 20.09.1996

O.V.: VW-Betriebsrat macht Druck, in: Frankfurter Rundschau vom 16.07.1998, S. 14

O.V.: Zulieferer beklagen Zahlungsmoral, in: Handelsblatt vom 24.06.98, S. 13

O.V.: Zulieferer können es billiger, in: Automobil-Produktion, Landsberg Februar 1995, S. 64

Odrich, Peter: Qualität und Preis stehen stets an erster Stelle, in: Blick durch die Wirtschaft vom 11.06.1996, S. 11

Phillip, Mathias: Die Zukunft gehört dem "Systemintegrator", in: Hannoversche Allgemeine Zeitung vom 05.09.1998, S. 5

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Streek, Wolfgang: Mitbestimmung: offene Fragen, Gütersloh 1996

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Tomforde, Johann (damaliger Geschäftsführer Technik und Design der MCC Entwicklungsgesellschaft): Ungewöhnliche Lösungen nur im Team, in: Automobil-Produktion, Landsberg Oktober 1995, S. 77-79

Universität Hannover/ Institut für Fabrikanlagen/ Institut für Qualitätssicherung: Machbarkeitsstudie, Beschäftigungsorientierte Rationalisierung, Hans-Böckler-Stiftungsprojekt Nr. 97-917-2, Hannover 1997

Verband der Automobilindustrie e.V. (VDA): Die Automobilindustrie in Zahlen, Frankfurt 1998

Verband der Automobilindustrie e.V.: Jahresbericht Auto 1997, Frankfurt 1997

Volkswagen AG: Das Engagement der Volkswagen Gruppe in Brasilien und Argentinien, Wolfsburg o.J., S. A 37

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Volkswagen AG: Geschäftsbericht 1996, Wolfsburg 1997

Volkswagen AG: Geschäftsbericht 1997, Wolfsburg 1998

Wagner, Joachim: "Auf die kleinen Schritte kommt es an!" Rechtliche Handlungsstrategien für Betriebsräte unter "Just-in-time"-Bedingungen, in: Mendius, Hans Gerhard/ Wendeling-Schröder, Ulrike: Zulieferer im Netz - zwischen Abhängigkeit und Partnerschaft, Köln 1991, S. 304-320

Warnecke, Hans-Jürgen: Die Fraktale Fabrik, in: Corsten, Hans (Hrsg.): Produktion als Wettbewerbsfaktor, Beiträge zur Wettbewerbs- und Produktionsstrategie, Wiesbaden 1995, S. 211-222

Weber, Gerald (Werkleiter des Volkswagenwerks Wolfsburg): Schlüssel zum Erfolg sind die Mitarbeiter, in: Automobil-Produktion Sonderausgabe VW Golf, Landsberg Oktober 1997, S. 64-66

Wendeling-Schröder, Ulrike: "Neue Partnerschaftlichkeit", in: Die Mitbestimmung, Düsseldorf 6-7/1990, S. 405

Wendeling-Schröder, Ulrike: Die schwächsten Glieder der logistischen Kette, in: Mendius, Hans Gerhard/ Wendeling-Schröder, Ulrike: Zulieferer im Netz - zwischen Abhängigkeit und Partnerschaft, Köln 1991, S. 332-345

Wildemann, Horst: Die modulare Fabrik - Kundennahe Produktion durch Fertigungssegmentierung, München 1988

Wildemann, Horst: Entwicklungs-, Produktions- und Vertriebsnetzwerke in der Zulieferindustrie, München 1997 (Delphi-Studie)

Wildemann, Horst: Hersteller und Lieferanten sitzen in einem Boot, in: Blick durch die Wirtschaft vom 27.10.1993, S. 7

Winter, Martin: Der Arbeitskampf bei General Motors eskaliert zur finalen Machtprobe, in: Frankfurter Rundschau vom 25.07.1998, S. 13

Winter, Stefan: Alles läuft in nächster Zeit auf Kooperation zu, in: Handelsblatt vom 31.08.1998, S. 20

Winterkorn, Martin (Entwicklungsvorstand der VW AG): Entwickler müssen ihr Fahrzeug lieben, in: Automobil-Produktion, Sonderausgabe VW Golf, Landsberg Oktober 1997, S. 22-26

Wittke, Volker: Systemische Rationalisierung - zur Analyse aktueller Umbruchprozesse in der industriellen Produktion, in: SOFI-Mitteilungen Nr. 17, Göttingen 1989, S. 41-52

Wolters, Heiko: Produktion wird verlagert, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 17.09.1996, S. B7

Wolters, Heiko: Vertikale Kooperation zwischen Hersteller- und Zulieferunternehmen in der europäischen Automobilzulieferindustrie - Das Beispiel der Modul- und Systembeschaffung, Wiesbaden 1995

Woodruff, David/ Katz, Ian/ Naughton, Keith: VW's factory of the future, in: Business Week vom 07.10.1996

Wuppertaler Kreis e.V. (Hrsg.): Internationalisierung - Chancen und Risiken für die Zulieferindustrie, Köln 1995

Zimmermann, Gerd: Das Erbe des Herrn López, in: Rheinischer Merkur vom 06.12.1996, S. 17

 

8. Anhang 1: Durchgeführte Experteninterviews

Expertengespräch Heiko Spiker, Referent des Betriebsrats beim Volkswagenwerk Hannover vom 11.06.1998

Expertengespräch Andreas Blechner, Betriebsratsvorsitzender des Volkswagenwerks Salzgitter vom 18.06.1998

Expertengespräch Wolfgang Räschke, Gewerkschaftssekretär der IG Metall, Verwaltungsstelle Salzgitter vom 18.06.1998

Expertengespräch Werner Widuckel, Referent des Gesamt- und Konzernbetriebsrates VW Wolfsburg vom 07.07.1998

Expertengespräch Jürgen Peters, Bezirksleiter der IG Metall Hannover für Niedersachsen und Sachsen-Anhalt vom 03.08.1998

 

9. Anhang 2: Erklärung

Ich versichere, daß ich die Arbeit selbständig und ohne Benutzung anderer als der angegebenen Hilfsmittel angefertigt habe. Alle Stellen, die wörtlich oder sinngemäß aus Veröffentlichungen entnommen sind, sind als solche kenntlich gemacht.

 

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(Mathias Neumann)

Albrecht Thaer Weg 24F

37075 Göttingen

Tel. 0551-34770