Ein Vorschlag
Die Arbeitgeber führen seit einigen Jahren zielstrebig und gut koordiniert in vielen Firmen Entlohnungssysteme ein, die nur noch wenig mit unseren bisherigen Lohnsystemen zu tun haben. Bisher kämpften die Gewerkschaften recht erfolgreich für stärkeren Schutz vor finanzieller Willkür und gegen unbezahlte Leistungsabpressung.
Mit einer Menge neuer Lohnsysteme steigern Unternehmen in den letzten Jahren ihre Gewinne enorm zu Lasten der Einkommen und des Wohlbefindens der Arbeitnehmer.
Zwei Beispiele:
In anderen Firmen schlagen sich z.B. Materialfehler der Zulieferer lohnmindernd bei den Arbeitnehmern nieder. Lohnschwankungen von bis zu 1.000,- DM von Monat zu Monat schaffen soziale Probleme und wälzen das unternehmerische Risiko skrupellos auf die Belegschaft ab. Damit bauen sich zunehmend Zustände auf, wie sie in der Zeit vor den ersten Tarifverträgen, also vor über 100 Jahren der Arbeiterklasse das Leben zu einem riskanten Lotto machten.
Wenn Unternehmer solche aberwitzigen Lohnsysteme aushecken und sie bei willigen Vollstreckern in den Betriebsräten oder Einigungsstellen durchpauken, wird es Zeit die Lohn-Leistungs-Problematik etwas grundsätzlicher und radikaler zu durchdenken. Dazu sei hiermit einen Beitrag versucht der keineswegs Satire ist. Grundüberlegung ist, dabei daß jeder Mensch einen Anspruch auf ein menschenwürdiges Leben hat mit netter großzügig bemessener Wohnung in schöner Umgebung, bei kulturvoller Lebensweise der ganzen Familie, er sich dabei ausschließlich von hochwertigen Nahrungsmitteln ernähren kann, mit einer größeren Zahl von nicht zu billigen Hobbies, nebst einer genügenden Serie großzügiger Feste pro Jahr, einschließlich ein paar interessanter großer Reisen im Leben und mit einer guten und teuren Ausbildung für alle Kinder. Das ist doch nicht zuviel verlangt. Bis auf kaum zählbare Ausnahmen ist so ein Leben ohne unwürdige Einschränkungen bisher aber nur durch ein sehr gutes, meist weit übertariflich bezahltes Arbeitsverhältnis erreichbar. Jeder Mensch sollte deshalb ein Recht auf eine gute, interessante, qualifizierte, eigenverantwortliche, angenehme, saubere, vielseitige, gesundheitlich unbedenkliche, schöne Arbeit haben. Bekanntlich gibt es solche Arbeit
zur Zeit nur in den höchsten tariflichen (meist aber eben erst in den weit übertariflichen) Einkommensbereichen. Mit dem Anspruch auf einen solchen Arbeitsplatz sollte allen dieses höchste Tarifentgelt gezahlt werden.
Es ist sinnvoll an Arbeitsplätzen, wo der Arbeitgeber noch nicht gute, interessante, angenehme, vielseitige Arbeitsbedingungen mit den entsprechenden kostenlosen betrieblichen Qualifizierungsmaßnahmen geschaffen hat, einen Prämie zu zahlen, die den Arbeitnehmern für die fehlenden guten Bedingungen gerechten Ausgleich bringt. Diese Prämie muß um so höher sein, je entfernter die tatsächlichen Arbeitsbedingungen von denen sind, die höchsten Tarif erhalten. Wer also einen niedrig bewerteten Arbeitsplatz bekommt, erhält den entsprechenden niedrigen Lohn plus einer Prämie, die ihm das hohe Einkommen sichert.
Für die Defizite zum guten Arbeitsplatz mit hoher Bezahlung muß der Arbeitgeber folglich zum Ausgleich für die Widerwärtigkeit einer schlechten, langweiligen, dreckigen, monotonen, gesundheitbelastenden Arbeit eine Prämie an das Opfer bezahlen, so daß dieses durch die Widerwärtigkeit des Arbeitsplatzes nicht noch zusätzlich mit niedrigem Lohn bestraft wird. So geben wir auch dem Arbeitgeber einen Anreiz die Defizite eines miesen, niedrig bewerteten Arbeitsplatzes abzubauen indem die Widerwärtigkeitprämie verringert oder ganz eingespart werden kann, miese Arbeitsplätze brächten dem Arbeitgeber keine Vorteile mehr.
Ein solches Entlohnungssystem hat sicherlich unendlich mehr Vernünftigkeit - und Gerechtigkeit! - auf seiner Seite, als die Lohnsysteme, die clevere Arbeitgeber in den letzten Jahren schon durchgesetzt haben, wie zum Beispiel im Chemiebereich, wo zum Teil 25 % des Lohnes völlig individuell bestimmt werden, oft durch vom Betroffenen nicht beeinflußbaren betrieblichen Kennziffern, in der Metallbranche, wo es den Arbeitgebern zum Teil gelang durch neue Lohnsysteme den Lohnanteil am Produktwert von 28 % auf 18 % zu senken.
Besser dieser Traum-Tarif wird Wirklichkeit, als ausgerechnet jene Tarif-Träume der Unternehmer. Ob ein Mensch mit seiner Familie ein materiell erträgliches Leben führen kann, darf nicht von der Willkür der vom Arbeitgeber angebotenen Arbeitsplätze und nicht vom Zufall des gerade ergatterten Jobs abhängen. Solche Willkür und solche Zufälle für die persönlichen Entfaltungsmöglichkeiten sollten wir doch endlich in einer hinter uns liegenden Zivilisationsstufe zurücklassen. Bei einem wie in unserer Zeit explosiv gesteigertem Reichtum in der Gesellschaft steht die Entkoppelung von Arbeitsbedingungen und Verteilung auf der Tagesordnung. Bei dem etwas besser Gestellten gab es diese Entkoppelung von Leistung und Einkommen schon immer: von den Abgeordneten bis zu den Milliardärskindern. Es ist höchste Zeit diese Entkoppelung für alle Menschen zu praktizieren.
Und die ins Haus stehenden Vorschläge unserer Lenkungs-Geschäftsführung zu einem neuen Entgeltsystem sollten wir an diesem Vorschlag messen: Einkommen unter 6.000,- DM sollten dann der Vergangenheit angehören. Wo scheinbar grenzenlose Finanzmittel zu laufenden Etablierung neuer Tochtergesellschaften vorhanden sind, die allesamt in der Düsseldorfer Lenkung erarbeitet wurden, ist auch für hohe Löhne genug vorgearbeitet.
Alle sind aufgerufen diese Diskussion mit allem Für und Wider und Kritik und Ergänzungen zu führen. Die VAZ steht dazu allen offen!
März 1999