"il manifesto" 5.4.2000:

Mit erloschenem Motor

Das Abkommen zwischen FIAT und General Motors versetzt die Autostadt in Angst. Marco Revelli sieht schwarz für die Zukunft von Turin.

Loris Campetti

Verbündete bei den Kosten, Konkurrenten auf den Märkten. So ist die Philosophie, die dem Abkommen zwischen FIAT und General Motors (genauer gesagt zwischen GM und FIAT, da GM in der Rangliste der Großen des Automobilsektors in der poll position ist, während die Turiner auf dem 6.Platz rangieren) innewohnt, von den Protagonisten erklärt worden. Es ist kein Joint Venture, sondern eine Allianz mit Aktientausch – den 20% Beteiligung von GM an FIAT (zumindest vorläufig, präzisieren sie in Detroit) entsprechen die 5% Beteiligung des italienischen Multinationalen an dem US-amerikanischen – bei der jeder die eigenen Marken behält. Von einem Finanz- und Image-Gesichtspunkt aus ein gutes Abkommen für FIAT. Es gibt sogar solche, die sagen, daß der alte Turiner Patriarch, der Advokat Gianni Agnelli, ein Ergebnis herausgeholt hätte, das jenseits aller Erwartungen liegt. Aber eines der Fragezeichen betrifft gerade diesen Aspekt: Wenn wir den alten Ford paragraphieren, dem zufolge das "was für Ford gut ist, auch für Amerika gut ist", können wir dann sagen, daß das was für den Advokaten gut ist, auch für Italien oder genauer gesagt für Turin gut ist ?

Beginnen wir bei den verbündeten Konkurrenten. Der Punto und der Corsa oder, wenn man die vorzieht, Bravo und Astra werden gleiche Motoren und Komponenten montieren, um sich auf denselben Märkten Konkurrenz zu machen. Mehr als das Design werden es die Dienstleistungen, die Optionen und die Preise sein, die über den Sieger entscheiden. Aber welches Interesse hätten die Amerikaner die Italiener, deren Verbündete sie im übrigen sind, aus dem Markt zu schmeißen ? So tröstet sich in Turin zumindest das Topmanagement von FIAT, das über die Zukunft besorgt, aber endlich <auch /d.Ü.> von der quälenden Frage befreit ist, die das Ende des 20.Jahrhunderts charakterisiert hat: Wer wird uns kaufen ?

Aber das GM-Interesse ist es, eine angemessene Strategie zu entwickeln, um den größtmöglichen Anteil auf den Weltmärkten zu erobern ehe sie dafür sorgt, daß ihre Beteiligung an FIAT Früchte trägt. Von diesem Gesichtspunkt aus ist die Zukunft von FIAT in der Politik des Giganten aus Detroit eine abhängige Variable. Gerade so wie es die Arbeit für FIAT und für GM ist. Das Abkommen ist vor zwei Tagen vom designierten GM-Präsidenten Richard Wagoner präzisiert worden: Die Benzinmotoren für die obengenannten Wagen sowohl von Opel (der deutschen GM) als auch für FIAT werden von GM produziert, während FIAT die Dieselmotorisierung obliegt. Da die benzinbetriebenen Wagen mehr als 2/3 der Gesamtheit darstellen, versteht es sich von selbst, daß der Großteil der OPEL-FIAT-Motorenproduktion in Deutschland stattfinden wird. Aber es gibt einen weiteren Aspekt, der die italienischen Gewerkschaften beunruhigt: GM und FIAT operieren in denselben Marktsegmenten (und laut bösen Zungen mit denselben Mängeln). Über die Kannibalisierung hinaus riskiert man den "Synergie"effekt (eine andere Art, um Rationalisierung alias Reduzierung der Produktion und damit der Arbeiter zu sagen), denn man spricht derzeit nicht von expandierenden Märkten und von der Notwendigkeit die Produktion zu erhöhen, sondern von einer Überproduktionskrise, die alle Automobilunternhemen trifft. In wenigen Worten: Die Werke sind zu sehr bzw. unterausgelastet und die Produktion muß reduziert werden. Es gewinnt nicht derjenige, der mehr Fahrzeuge produziert, sondern derjenige, der mehr verkauft, indem er den Konkurrenten (die verbündeten Konkurrenten eingeschlossen) Marktanteile abnimmt.

Laut Marco Revelli, einem aufmerksamen Wissenschaftler was FIAT und Turin angeht, wäre ein Abkommen des savoyischen Unternehmens mit Daimler-Chrysler etwas anderes gewesen, da dies ein Koloss ist, der in höheren Marktsegmenten stark ist, was eine optimale Integration mit FIAT ergeben hätte. Für Revelli ist die Zukunft Turins in Gefahr – einer Stadt, in der, "trotz der Flucht der Produktion nach Süditalien und der Globalisierung noch 130 000 im Autosektor beschäftigt sind. Das ist ein Drittel der Beschäftigung im verarbeitenden Gewerbe" <Turins /d.Ü.>. Er präzisiert, daß die anderen 2/3 zersplittert sind. Der einzige Pol, der überlebt hat, ist hier "der des Autos". In Turin blieb das Systemnetz, der Kopf und ein bißchen von der Montage. Das Abkommen mit GM zerbricht dieses System und verlagert den Schwerpunkt anderswohin.

Wenn der Kopf und das Netz aus Turin weg sind, was kann GM dann an der Produktionsorganisation FIAT <noch /d.Ü.> interessieren ? "Vielleicht Melfi, sicherlich aber Polen und Brasilien." Aber ist das Abkommen mit GM dann ein Geschäft gewesen ? "Das hängt davon ab, für wen", antwortet Revelli. "Sicherlich ein Geschäft für den alten Autokraten Agnelli. Eine Lösung nach Maß für den Advokaten, seinen Hof und die Manager, die auf ehrenhafte Weise aus einer Krisensituation herauskommen. Agnelli ist für 2 oder 3 Jahre abgesichert. Dann wird er die Bühne verlassen und die als Finanzabkommen entstandene Übereinkunft wird mit Blick auf die industrielle Seite vollständig überprüft werden. FIAT hat 3 Jahre, um die Konten in Ordnung zu bringen, d.h. um die Beschäftigung zu reduzieren. Vorläufig hat GM eine Anzahlung auf FIAT geleistet. Das was für den Advokaten gut ist, tötet Turin."

Übersetzung: Antifa-AG der Uni Hannover und Gewerkschaftsforum Hannover


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