In ak 419 haben wir über eine spontane Arbeitsniederlegung bei Opel Bochum berichtet, die uns deswegen bemerkenswert erschien, weil dort in erster Linie gegen eine zunehmend unerträgliche Arbeitshetze gekämpft wurde. Mittlerweile haben die ArbeiterInnen bei Opel weitere Aktionen gegen den Flexibilisierungsdruck und für Neueinstellungen durchgeführt. Der folgende Beitrag zeichnet diesen Kampf für mehr Arbeits- und Lebensqualität bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt nach.
Alle reden vom Bündnis für Arbeit und von fehlender "Beschäftigung". Eine radikale Arbeitszeitverkürzung mit Lohn- und Personalausgleich, ohne weitere Möglichkeiten zur Flexibilisierung der Arbeitszeit ist das einfachste Mittel zur Umverteilung des vorhandenen Volumens an bezahlter Arbeit auf alle, die diese wünschen. Dies wäre auch eine Lösung für ein anderes Problem, das viel weniger Beachtung findet. Ein immer größerer Anteil von Menschen, die (noch) einen Arbeitsplatz "besitzen", braucht dringend ein "Bündnis für Arbeits- und Lebensqualität". (1) Massive Arbeitsverdichtung, Streß und Überstunden bei wachsenden Freischichtkonten kennzeichnen die Situation vieler Beschäftigter. Viele klagen darnber, nach der Schicht einfach nur noch "platt" zu sein.
Ein gutes Beispiel für die aktuellen Arbeitsbedingungen ist die Automobilindustrie. Ein besonders gutes Beispiel für beginnende Gegenwehr - der Angst um den Arbeitsplatz zum Trotz - ist das Bochumer Werk von Opel. Seit dem Oktober letzten Jahres haben hier drei spontane Arbeitsniederlegungen für die Entfristung aller Verträge und für Neueinstellungen stattgefunden. Opel Bochum ist aber ebenfalls ein gutes Beispiel für die (noch wirksamen) Managementstrategien, den wachsenden Unmut der Belegschaften abzupuffern.
Schluß mit dem Streß!
Am 7. Oktober 1998 hatten ca. 1.800 KollegInnen des Werks 1 bei Opel Bochum die Arbeit für etwa 40 Minuten niedergelegt. (2) Über Vertrauensleute wurde der Werksleitung ein Ultimatum überbracht, bis zum Freitag, dem 9. Oktober, 11Uhr sollten 300 Neueinstellungen zugesagt werden. Bei Opel Bochum herrscht seit langem eine sehr angespannte Personalsituation. Der Unmut darüber, daß Freischichten und Pausen kaum noch wahrgenommen werden konnten, eine Ablösung durch sog. Springer nicht möglich war etc., hatte sich nun erstmals durch eine Arbeitsniederlegung geäußert, durchaus zum Schrecken des Managements. Doch nach Ablauf des Ultimatums hatte sich der Betriebsrat mit 50 befristeten Neueinstellungen und der Verlängerung von 35 Zeitverträgen um weitere sechs Monate zufrieden gegeben. Hierzu kam eine befristete Reduzierung der Bandgeschwindigkeiten. Faktisch ist es jedoch kaum möglich gewesen, die Einhaltung der Versprechen des Managements zu überprüfen. Ursache waren ständig wechselnde Produktionszahlen und Taktung der Bänder sowie massive, alltägliche Versetzungen.
Im wesentlichen hat sich an der beklagten Situation nichts geändert. Die hohe Arbeitsbelastung führt zu einem höheren Krankenstand, als er geplant und in der Personalplanung berücksichtigt wurde. Dadurch steigt wiederum die Arbeitsbelastung, und die KollegInnen können nicht vom Band abgelöst werden: weder für die Gänge zum Sanitäter, noch zur Toilette oder zum Betriebsrat. Auch wird immer wieder die Gewährung der persönlichen Verteilzeit (individuelle Pausen, für die dann eine Ablösung nötig ist) verweigert. In Einzelfällen wurden ArbeiterInnen bereits mündlich abgemahnt, nachdem sie aufgrund fehlender Ablösemöglichkeit das Band einfach abgestellt hatten, um zur Toilette zu gehen. Erzählt wird auch ein Fall, in dem ein Kollege mit einem Fieberanfall nicht zum Sani konnte. Der Meister hat diesen Gang für ihn erledigt, um Tabletten zu holen. Diese als Dauerstreß empfundene Situation ist auch das Ergebnis einer seit Jahren kontinuierlich wachsenden Arbeitsverdichtung durch "Standortsicherungsverträge" und Betriebsvereinbarungen über Personalabbau, Pausenkürzungen, Arbeitszeitflexibilisierung, Überstunden sowie Druck auf Kranke. (3)
Dennoch wurden die aktuell auslaufenden befristeten Verträge nur teilweise verlängert: 35 bis 31. Mai 1999, 50 bis 30. Juni 1999 und nochmal 50 bis 30. September 1999. Zur "personellen Entspannung" wurden zudem sofort 50 Studenten herangeholt. Die KollegInnen wissen aber, daß auch im Oktober, wenn alle Verträge ausgelaufen sind, mindestens gleich viele Autos produziert werden sollen und daß die Entlassenen dann bitter fehlen. Auch bekommen sie tagtäglich zu spüren, daß die "Stammleute" diejenigen sind, die "Neue" immer wieder anlernen müssen. Dies geschieht zudem nur für die einfachsten Arbeitsschritte, während die schwereren den "Stammleuten" "vorbehalten" bleiben. Ein Belastungsausgleich durch Rotation ist so kaum noch möglich.
Nicht unerwartet fand am 9. März diesen Jahres eine erneute spontane Arbeitsniederlegung statt, als die Verlängerungskonditionen bekannt wurden. Zwischen 10.45 und 11.50 Uhr sind gut 300 Beschäftigte aus der Fertigmontage und der Lackiererei im Werk I spontan von ihrem Arbeitsplatz zur Personalabteilung marschiert. Durch Vertrauensleute wurden gegenüber der Personalleitung des Werks folgende Forderungen gestellt:
- sofortige Entfristung aller Zeitverträge
- Freistellung aller Grupensprecher (Sie sollen eigentlich nur als "Springer" bereitstellen, können dies aber nicht, weil sie voll mitarbeiten müssen)
- 200 Neueinstellungen
- 2.000,- DM Bonus für alle als Sonderprämie zum 100sten Opel-Geburtstag
- besseres Material als Arbeitserleichterung.
Zusätzlichen Unmut riefen die unterschiedlichen Laufzeiten der Vertragsverlängerung (zwischen zwei und sechs Monaten) und die willkürliche Ungleichbehandlung hervor. Es ist jetzt schon absehbar, daß die abgestuften Laufzeiten einen Kampf gegen das Auslaufen dieser Verträge erschweren werden. Vielen ist klar, daß eine längerfristige und spürbare Entspannung der Situation nur über Festverträge und weitere Neueinstellungen möglich ist. Dies wird aber von der Werksleitung auch nach dieser Arbeitsniederlegung vehement abgelehnt.
Unmut wird kanalisiert
Demgegenüber schreibt eine Belegschaftszeitung: "Klar ist, daß die Programmzahlen mit der vorhandenen Belegschaftszahl nicht mehr zu schaffen sind. (...) Eine spürbare, längerfristige Entspannung der personellen Situation ist nur über Festverträge zu realisieren. Die temporäre Einstellung von 50 Studenten kann daher nur verstanden werden als Ausgleich für eine erhöhte Urlaubsgewährung während den Ferienzeiten. Inzwischen hat sich Opel an der Ruhruni (Ruhruniversität Bochum, ak) eine qualifizierte Reservearmee geschaffen, die je nach Bedarf Anwesenheits- und Absatzschwankungen ausgleichen soll. Damit werden auf Dauer Festarbeitsplätze verhindert und die Notwendigkeit von Neueinstellungen umgangen."(Standorte, Nr. 34, März 1999)
Bei der Arbeitsniederlegung vom 9. März ist kein Ultimatum gestellt und kein Erfolg erzielt worden. Der Unmut in der Belegschaft blieb. Er ist allerdings erfolgreich kanalisiert worden. Denn im Rahmen der Umsetzung des Tarifabschlusses hat der Gesamtbetriebsrat einen "Nachschlag" von 2.000 DM zum 100jährigen Opel-Bestehen für alle der ca. 40.000 Opel-Beschäftigten gefordert. Er hat damit den Unmut über das ohnehin magere Ergebnis, das bei Opel - entsprechend der geltenden Standortsicherungsvereinbarung - zusätzlich um 1,25% geschmählert wurde, aufgegriffen.. Die Verhandlungen zwischen der Konzernleitung und dem Gesamtbetriebsrat um die Zahlung dieser Sonderprämie - nur eine von mehreren Forderungen in Bochum - fanden in Rüsselsheim am 18.3.99 statt. An diesem Tag ruhte in Rüsselsheim, Kaiserslautern und in allen drei Werken von Opel Bochum knapp über eine Stunde lang die Arbeit. In Bochum marschierten zwischen 11 Uhr und 12.15 Uhr ca. 2.000 ArbeiterInnen zur Werksleitung, um den Stand der Verhandlungen in Rüsselsheim zu erfahren. (4) Zumindest in Bochum stellt das kategorische Nein der Unternehmensleitung zu der Bonus-Forderung lediglich den berühmten Tropfen dar, der das Faß in der Belegschaft zum Überlaufen brachte. So lautete auch an diesem Tag eine Transparentaufschrift: "Entfristung sofort!"
Die Arbeitsniederlegungen schienen die Unternehmensleitung unter Druck zu bringen. So wurde eine erneute Vorstandssitzung für Montag, den 22.3. einberaumt, während der Gesamtbetriebsratsvorsitzende ein Ultimatum stellte, bis Mittwoch, den 24.3. eine "angemessene Bonuszahlung" zu verkünden. Für den darauf folgenden Tag plante die Belegschaft in Bochum hinter vorgehaltener Hand bereits erneute Arbeitskämpfe. Hierfür gab es zwischenzeitlich einen zusätzlichen Grund, aber auch eine Abschreckung: Die Geschäftsleitung ließ an alle "lieben Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter", die sich am 18.3. an der Arbeitsniederlegung beteiligt hatten, Serienbriefe verschicken. Ihr Inhalt: Drohung einer Abmahnung im Wiederholungsfall.
Doch nach der Vorstandssitzung ließ sich der Betriebsrat auf einen erneuten Verhandlungstermin ein, der erst nach dem Ablauf des Ultimatums terminiert war, auf Freitag, den 26.3., 16.00 Uhr. Das ruhige Wochenende schien damit gerettet. Um den Betriebsfrieden auch bis zur Verhandlung zu retten, schwor die Betriebsratsmehrheit die Belegschaft die Belegschaft in Bochum darauf ein, bis dahin "einen kühlen Kopf zu bewahren".
Vielen hat dieses Vorgehen genausowenig gefallen wie die Absicht, in diesem Verhandlungen ausschließlich über die Bonuszahlung zu verhandeln, zumal selbst das sehr halbherzig erfolgte. So hat der Bochumer Betriebsratsvorsitzende bei der Belegschaftsversammlung am Samstag vor den Verhandlungen lautstark an die Geschäftsleitung appelliert: "Zahlen Sie einen Bonus, egal wieviel!" - um Tage später, nach den Verhandlungen, wieder vehement 2.000 DM zu fordern. Doch außer Unmutsäußerungen wie "Verarschung" ist nichts passiert. Dies wird im Nachhinein bei vielen in der Bochumer Belegschaft bereut. Denn während die für den 24.3. erfolgte Mobilisierung nun zu verpuffen droht, stellt das Verhandlungsergebnis allerhöchstens ein "Zuckerle" dar.
Trügerisches Vertrauen auf Betriebsräte
Das Ergebnis - vom Bochumer Betriebsratsvorsitzenden als "akzeptabel" bezeichnet - sieht vor, daß Opel zusätzlich 100 Jugendliche ausbildet - davon 40 in Bochum. In Bochum sollen 50 der derzeit befristeten KollegInnen eine Festanstellung bekommen, der 24. und 31. Dezember 1999 soll ohne Arbeitsleistung bezahlt werden, und die Androhungen von Abmahnung in Bochum kommen nicht in die Personalakte. Zwei weitere "Zuckerle" haben eher für Gelächter gesorgt: Freikarten für das Jubiläumsspektaker "Opel live" sowie 1.000,- DM Bonus in diesem Jahr - allerdings nur beim Autokauf.
Erneutes Murren geht durch die Bochumer Opel-Hallen: "Stinkesauer" sind die KollegInnen, einen "Trauerfall" nennen sie das Ergebnis. Auch wird bereits spekuliert, nach welchen Kriterien die 50 der aktuell 614 befristeten KollegInnen für die Festanstellung ausgewählt werden sollen. Breit bekannt ist, daß auch nur ein Tag krankheitsbedingte Abwesenheit eine Übernahme in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis verhindert. Freude über 50 zusätzliche neue Verträge kann ohnehin nicht aufkommen, denn das sind lediglich vorgezogene Übernahmen der 50 Einstellungen je Geltungsjahr, die im Standortsicherungsvertrag sowieso zugesagt waren.
Der Unmut richtet sich gegen den Betriebsrat. Viele der KollegInnen verkünden frustriert: "Ich geh hier nicht mehr raus!" (aus der Halle für eine erneute Arbeitsniederlegung), weil der Betriebsrat einen sowieso im Stich lasse. Bei der geschilderten "Konsequenz" der Interessensvertretung ist eine solche Haltung verständlich, und die Betriebsratsmehrheit steht aufgrund solcher Erfahrungen ohnehin in wachsender Kritik. Es muß aber auch angemerkt werden, daß zu dem beklagten Kniefall vor dem Management auch eine gute Portion des Frusts auf das Konto der - sagen wir mal - Naivität geht. Das Management hat es nämlich im geschilderten Fall wiederholt gut verstanden, den Betriebsrat als Puffer zwischen sich und die empörte Belegschaft zu schieben. Wer dies zuläßt, darf nicht über die Frontverschiebung klagen.
So entlädt sich der Frust bei der passiven Vertrauenskörperleitung und den Betriebsräten, von denen - ungeachtet der jeweiligen Fraktionen - die Organisation der Arbeitskämpfe und Unterstützung erwartet wird. Doch viele der Betriebsräte verfolgen andere Ziele, und einige sind überfordert - und dem Betriebsfrieden nach dem Betriebsverfassungsgesetz verpflichtet. Hier scheint sich zu rächen, sich auf der Zauberformel des "guten Betriebsrats" ausgeruht zu haben: "Ich regel das für Dich, Kollege!" So wurde in Bochum die nach wie vor dringende Frage der Entfristung und der notwendigen Neueinstellungen auf jeden Fall nicht gelöst.
"Unbefristete Neueinstellungen zu fordern ist eine Sache, sie durchzusetzen weitaus schwieriger. Wenn die abgeforderte Arbeitsleistung des/der Einzelnen und der Gruppe immer unerträglicher wird, ist es offensichtlich erforderlich, diese Arbeitsleistung zu verweigern um die Situation zu verändern." (Standorte, Nr. 34, März 1999) Denn es gilt auch nach den geschilderten Erfahrungen, daß wer nicht kämpft, schon verloren hat. Wer klagt, ohne sich selbst zu organisieren, eben oft auch.
Mag Wompel
Anmerkungen:
1) Siehe hierzu Mag Wompel: "Fetisch Arbeit und Gewerkschaftslinke. Anmerkungen zum neuen "Bündnis für Arbeit"", in: ak - analyse & kritik, Nr.422 , 21. Januar 1999, (Kurzfassung)
2) Die Hintergründe der Arbeitsniederlegung im Oktober 1998, aber auch derjenigen bei Mercedes Bremen und Opel Eisenach, sind nachzulesen in: Mag Wompel: "Ein Anfang vom Ende der Auspreßbarkeit? Zu den Hintergründen der jüngsten Arbeitsniederlegungen nicht nur bei Opel", in: express 10/1998, erhältlich auch unter http://www.germany.labournet.org/
3) Erzeugt wird dieser Druck, trotz stark gestiegener Belastungen krank zur Arbeit zu erscheinen, durch die kollektive Strafe eines reduzierten Weihnachtsgeldes bei einem durchschnittlichen Fehlstand von über 6 Prozent in Verbindung mit einem verringerten bis aufgehobenen Personalausgleich in den Arbeitsgruppen.
4) Unter Bezug auf die Wahrnehmung des Informationsrechtes wird momentan in Bochum über die Bezahlung dieser Zeit verhandelt.
Dieser Artikel ist erschienen im ak - Analyse & Kritik Nr. 425 vom 15. April 1999