Ford-gesetztes Unrecht

Auch der US-Automobilkonzern nutzte die Repressionsstrukturen der argentinischen Diktatur

In der ila 229 und 230 hatten wir über das "Verschwinden" und die vermutliche Ermordung von mehreren Mitglieder des unabhängigen Betriebsrates von Mercedes-Benz während der argentinischen Militärdiktatur und die diesbezügliche Strafanzeige gegen die Geschäftsleitung von Daimler-Chrysler berichtet. Wie inzwischen deutlich wird, war die argentinische Mercedes-Niederlassung kein Einzelfall, auch andere Konzerne hatten keine Berührungsängste mit den Repressionsorganen von Diktaturen oder machten sich deren Strukturen zunutze. So sollen die Geschäftsleitungen von VW und Mercedes in Brasilien "in ähnliche Verbrechen verstrickt gewesen sein" (epd-entwicklungspolitik 1/2000). Auch die argentinische Ford-Niederlassung nutzte offensichtlich die Diktatur, um sich ihrer Betriebsräte zu entledigen

von Gaby Weber

Mitte der siebziger Jahre beschäftigte der Automobilkonzern Ford in seiner argentinischen Niederlassung über siebentausend Arbeiter. Ihre Interessen wurden von sechzig Betriebsräten vertreten. Einer von ihnen war Pedro Troiani. Der heute 58-Jährige war 13 Jahre lang bei der Firma, sechs Jahre als Betriebsrat. Es waren damals bewegte Zeiten in Argentinien, Aufbruchstimmung. Eine Diktatur war gerade vorbei und an den Universitäten und in den Betrieben wurde heftig über eine gerechtere Gesellschaft diskutiert. Auch bei Ford. Dort gaben indes innerhalb des Betriebsrates nicht "linke Kampfgruppen" den Ton an, erinnert sich Troiani, seine Mitglieder gehörten der rechts-peronistischen Gewerkschaft SMATA an. Sie grenzten sich von linken Aktivisten ab, die versuchten, im Werk Fuß zu fassen. Die Betriebsräte setzten sich für Gesundheitsschutz, bessere Arbeitsbedingungen und höhere Löhne ein, wollten aber frontale Auseinandersetzungen mit der Werksleitung vermeiden. Als ein Manager von Guerilleros erschossen wurde, organisierten sie Beileidsbekundungen und forderten ein hartes Durchgreifen gegen die Subversion.

Kurze Zeit später putschten die Militärs. Sie gingen nicht nur gegen bewaffnete Gruppen vor. Ihr erklärtes Ziel war die Zerstörung der gesamten Arbeiterbewegung. Unbequeme Gewerkschafter verschwanden aus den Betrieben. Wie dies bei Ford geschah, beschreibt der in den achtziger Jahren veröffentlichte Regierungsbericht Nunca Mas. Danach habe kurz nach dem Putsch der Personalchef von Ford den Betriebsrat zu sich zitiert und ihm mitgeteilt, dass es fortan im Werk keinen Betriebsrat mehr gebe. Er verabschiedete ihn mit einem Scherz: "Grüßt meinen Freund Camps von mir."

Die Arbeiter wussten zu diesem Zeitpunkt nicht, wer "Camps" war. Kurze Zeit später machten sie mit seinem Namen Bekanntschaft: Ramón Camps, Polizeichef von Buenos Aires, ein berüchtigter Folterer.

Einen Tag nach dem Militärputsch, am 24. März 1976, begannen bei Ford die Verhaftungen. Jeden Tag wurden zwei, drei Gewerkschafter verschleppt. Das geschah, so der frühere Betriebsrat, "normalerweise am Werkstor: Der Werkschutz kontrollierte, wer rein und raus ging, und teilte die Namen den Militärs mit, die daneben standen. Die Soldaten packten die Leute und warfen sie auf Lastwagen. Auf Firmenwagen von Ford." Der Betriebsrat wurde täglich kleiner, Kollegen verschwanden und niemand wusste, was mit ihnen geschehen war. Die Militärs konnten sich auf dem Werksgelände frei bewegen. Ein Schuppen auf dem Werksgelände war in ein Internierungslager umfunktioniert worden.

Am 13. April war Troiani dran. Am Morgen tauchte der Vorarbeiter an seinem Arbeitsplatz auf und sagte: "Troiani, entfernen Sie sich nicht von Ihrem Platz, ich brauche Sie gleich." Ihm war klar, dass nun er an der Reihe war. Um halb zehn führten ihn die Soldaten vor den Augen aller ab. Sie fesselten seine Hände mit Draht und sperrten ihn, mit anderen Gefangenen, in den Schuppen. Am Abend wurden sie auf einem Lastwagen der Firma abtransportiert.

Kollegen informierten seine Frau. Sie versuchte, seinen Aufenthaltsort herauszufinden, doch ohne Erfolg. Statt einer Nachricht über seinen Verbleib erhielt sie einen Tag nach seiner Verschleppung ein Telegramm seines Arbeitgebers. Darin forderte Ford Troiani auf, innerhalb von 24 Stunden seine Arbeit wieder aufzunehmen. Anderenfalls sei er entlassen. Seine Frau antwortete der Firma. Der Personalabteilung müsse doch bekannt sein, dass ihr Mann von seinem Arbeitsplatz weg verhaftet worden sei. Doch die Firma verweigert die Annahme des Telegramms.

Troiani und die anderen Betriebsräte kamen zunächst in Polizeihaft. Die Militärs wussten nicht, was sie mit ihnen machen sollten. Sie schlugen sie, bedrohten sie und stellten sie gegen eine Wand – so als ob sie erschossen würden. Aber auch den Militärs war klar, dass sie keine linken Betriebskämpfer, sondern Mitglieder einer rechten Gewerkschaft vor sich hatten. Nach ein paar Wochen wurden sie aus der Polizeihaft in ein Gefängnis überführt und nach einem Jahr kommentarlos entlassen. Ihre Arbeit beim Autobauer bekamen sie nicht zurück.

Troiani musste für seine Familie sorgen, er brauchte dringend einen Job. In seiner Not rief er den Vorsitzenden seiner rechten Gewerkschaft SMATA an, dem während der Diktatur kein Haar gekrümmt worden war und der in einem Nobelvorort von Buenos Aires residierte. Von ihm bekam Troiani den Tip, er könne es doch einmal bei Mercedes Benz probieren, dort seien gerade mehrere Stellen frei geworden. In der Tat, die linken Betriebsräte von Mercedes, mindestens 14, wahrscheinlich aber über zwanzig, waren gerade "verschwunden". Sie waren verschleppt und ermordet worden. Mit der Empfehlung seines Gewerkschaftsbosses stellte sich Troiani bei Mercedes vor. Doch dort, so erinnert er sich, sei er über seine gewerkschaftlichen Aktivitäten ausgefragt worden. Leute wie ihn wollten sie nicht.

Es dauerte noch Jahre, bis sich die Militärs in die Kasernen zurückzogen und Argentinien wieder demokratisch wurde. Erst ab diesem Zeitpunkt konnten die Ford-Arbeiter an gerichtliche Schritte denken. Sie sind davon überzeugt, dass die Werksleitung den Militärs die Namen der Betriebsräte ausgehändigt und sie damit zum Abschuss freigegeben hatte. "Ein Kollege wurde zu Hause verhaftet, die Soldaten hatten seinen Werksausweis in der Hand, der beim Verlassen der Fabrik an der Pforte abgegeben wird. Sie können ihn nur von der Firma erhalten haben", erinnert sich Ismael Portillo. Auch er hat früher bei Ford gearbeitet, auch er ist damals verschleppt worden.

Von der neuen, demokratischen Regierung forderte Troiani Entschädigung für die zu Unrecht erlittene Haft. Sein Ansinnen hatte Erfolg. Die Politiker verabschiedeten ein Gesetz, nach dem den früheren Gefangenen Haftentschädigungen zu zahlen waren. Troiani bekam für das in illegaler Haft verbrachte Jahr einen Betrag von umgerechnet 23 000 Mark ausgezahlt. Fast alle seine Kollegen beantragten und erhielten diese Haftentschädigung.

Doch von den insgesamt 24 verhafteten Betriebsräten der Firma Ford wagten nur fünf auch den Gang zum Arbeitsgericht und klagten auf Zahlung einer Abfindung. Als Betriebsräte hatten sie einen besonderen Kündigungsschutz. Die Firma bestreitet die Existenz eines Gefangenenlagers auf Betriebsgelände, gibt aber zu, dass das Werk schon ab 1975, also noch vor dem Militärputsch, von den Streitkräften gegen Attentate gesichert worden sei.

Ansprüche seiner Mitarbeiter auf Zahlung einer Abfindung lehnte Ford als "verjährt" ab. Das Arbeitsrecht räume für solche Forderungen eine Frist von zwei Jahren ein.

Troiani und seine Anwälte konterten und verwiesen auf die internationale Rechtsprechung. Die Generäle waren sieben Jahre an der Macht, in dieser Zeit war der Rechtsweg nicht zu beschreiten. Die Frist laufe erst mit dem Amtsantritt der zivilen Regierung.

Troiani verlor in erster und zweiter Instanz, seine Ansprüche seien verjährt, begründeten die Richter. Er legte Berufung ein, zusammen mit seinem Kollegen Conti. Die beiden Fälle sind identisch. Auch Conti war Betriebsrat, wurde am selben Tag verhaftet und saß dieselbe Zeit im selben Gefängnis. Troiani und Conti ließen sich vom selben Anwalt vertreten. Doch während Conti vor dem Obersten Gerichtshof gewann, lehnte die gleiche Kammer Troianis Berufung ab. Ob der negative Richterspruch in seiner Sache auf Korruption zurückzuführen sei? Er zuckt die Achseln. Beweise hat er für diese Annahme nicht.

Das Urteil des Obersten Gerichtshofes erging vor 13 Jahren, doch Troiani hat sich damit nicht abgefunden. Er zog zum Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte, nach Costa Rica. Dort entschied man, dass das Urteil des argentinischen Obersten Gerichtshofs rechtswidrig sei, die Ansprüche seien nicht verjährt. Die Richter in Costa Rica forderten die argentinische Regierung auf, Abhilfe zu schaffen.

Auf die Entschädigung wartet der frühere Betriebsrat immer noch. Mit Interesse hat er die Verhandlungen über die Entschädigung der Zwangsarbeiter während der Nazi-Zeit verfolgt. Dieses Abkommen kam Jahre nach Kriegsende zu Stande und die Verjährung spielte keine Rolle mehr. Wie können da seine Ansprüche gegen Ford verjährt sein, fragt Troiani. Ihm ist bekannt, dass sich die US-Regierung für die Sklavenarbeiter eingesetzt und der deutschen Industrie mit Nachteilen gedroht hat. Und er weiß auch, dass sich die argentinische Regierung kaum für ihn in Washington verwenden wird. Und selbst wenn sich argentinische Diplomaten einsetzen würden – wird das die US-Regierung und den Automobilkonzern in Detroit beeindrucken? Trotzdem wittert Troiani Morgenluft und will, wenn er in seinem Heimatland kein Recht bekommt, vor US-Gerichten gegen Ford klagen.

Seine Sache hat durch die Entscheidung in Deutschland Auftrieb erhalten. Denn es hat sich bis an den Rio de la Plata herumgesprochen, dass nicht nur deutsche Firmen ihre Sklavenarbeiter entschädigen werden. Auch Ford wird wohl zur Kasse gebeten werden. Der US-Konzern hatte 1925 in Berlin eine Tochtergesellschaft gegründet und seit 1931 in Köln produziert. Von 1943 an waren mehr als vierzig Prozent der Ford-Beschäftigten Zwangs- und Sklavenarbeiter, schrieb die Süddeutsche Zeitung. Klagen gegen das Unternehmen waren noch bis vor wenigen Jahren erfolglos. Die Gerichte hatten sich für "nicht zuständig" erklärt oder die Ansprüche als "verjährt" abgelehnt. Dieses Argument ist nunmehr endgültig vom Tisch.


Kasten: Klage gegen Mercedes

Die Strafsache wegen des Verschwindenlassens von ehemaligen Mercedes- Gewerkschaftern durch die argentinische Militärdiktatur 1976/1977 gegen den ehemaligen Werksleiter des Mercedes Werkes Gonzales Catan/Argentinien, den Deutschen Juan Tasselkraut (heute tätig in der argentinischen Zentrale von Daimler Chrysler) wurde von der Staatsanwaltschaft Berlin an die Staatsanwaltschaft Stuttgart abgegeben. Aufgrund der Recherchen von Gaby Weber hatte RA Wolfgang Kaleck im September 1999 Strafanzeige erstattet. Die endgültige Entscheidung darüber, wo die Ermittlungen geführt werden, wird der Bundesgerichtshof in Karlsruhe treffen. Dieser hatte die bislang zehn Fälle von deutschen und deutschstämmigen Verschwundenen alle der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth übertragen, wo die Ermittlungen andauern. RA Kaleck erhofft sich von der Bearbeitung in Stuttgart, dass "von der mit den personellen und sachlichen Verhältnissen bei Mercedes bestens vertrauten Staatsanwaltschaft die Ermittlungen endlich aufgenommen und vor allem die Firmenleitung dazu gezwungen wird, das vorliegende Wissen und Aktenmaterial preiszugeben."

Weitere Informationen zur Anzeige gegen Mercedes-Benz (Text der Anzeige, Pressedokumentation) findet sich auf der Website des LabourNet Germany (www. labournet.de).

Die Klage gegen die Werksführung von Mercedes/Argentinien kostet Geld. Darum hat das LabourNet Germany ein Konto für einen Rechtshilfefond eingerichtet:

Konto M. Wompel, Rechtshilfefond Mercedes-Gewerkschafter
Postbank Dortmund
BLZ: 44010046
Kto.-Nr.: 263442-469


Erschienen in: ila - Zeitschrift der Informationsstelle Lateinamerika 232 vom Febraur 2000

 


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