Frankreich

Streik legte Smart-Produktion lahm

Immer deutlicher zeichnet sich ab, dass Just-in-Time und Modular-Produktion für die Unternehmen nicht nur große technisch-logistische Risiken birgt. Denn dass auch für die Beschäftigten einer "Wertschöpfungskette", also entlang "logistischer Produktionsbeziehungen" die Möglichkeit besteht, auf die neuen Organisationsformen mit neuen Formen von Widerstand und praktischer Kooperation zu reagieren, zeigen nicht nur amerikanische Beispiele aus dem letzten Jahr, sondern auch der jüngste Streik bei Smart. Voraussetzung dafür ist aller-dings ein hohes Maß an Mut und Zivilcourage vor Ort. Diesen hatten Smart-Beschäftigte Mitte November bewiesen, als sie mit teilweise nur 40 Beschäftigten qua Straßensperren das Werk und die Stadt lahmlegten und schließlich in einem einwöchigen, werksweiten Streik für einen Produktionsausfall von rund 900 Autos sorgten.

Die Produktionsverlagerung ins benachbarte Frankreich hatte der damals noch unter dem Namen Daimler-Benz firmierende Automobilhersteller mit günstigen Standortbedingungen begründet. Gemeint waren damit weniger restriktive Steuersätze sowie hohe Subventionen für Neuansiedlungen von Unternehmen. An die Bereitschaft französischer Belegschaften, ihren Unmut häufig per Streik kundzutun, dachte man weniger.

Mitte November war es soweit. In Sarreguemines (auch Smartville getauft, weil die Ansiedlung des Benz-Ablegers offensichtlich der letzte Strohhalm des Städtchens war, das auf Arbeitsplätze dringend angewiesen ist) standen die Bänder der Smart-Produktion still, weil beim kanadisch-österreichischen Zulieferer und Karosseriehersteller Magna ein Streik ausgebrochen war. Bei Magna gingen die Meinungen von Management und Belegschaft/Gewerkschaft hinsichtlich anstehender Neuverhandlungen über Lohnerhöhungen deutlich auseinander. Während die Gewerkschaften eine Bruttoerhöhung von umgerechnet 450 DM forderten, stand das letzte Angebot der Geschäftsleitung bei lediglich 60 DM. Um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen, blockierte die Belegschaft die Fabriktore und verhinderte die Auslieferung von Autoteilen. Schon kurze Zeit später setzte der Schneeballeffekt ein: Zwei weitere Zulieferer konnten nicht mehr arbeiten, bis schließlich auch bei Smart der Materialmangel ausbrach.

Das Konzept, die neue Fabrik in einer wirtschaftlichen Krisenregion anzusiedeln, könnte sich somit als das erweisen, was es von vornherein war: prekär. Das Kalkül beinhaltete die Annahme, dass die Beschäftigten sich aufgrund der wirtschaftlichen Situation in der Region relativ friedlich und nachgiebig zeigen würden. Die Skepsis gegenüber dem Unternehmen Smart wird jedoch immer größer. Während man zunächst begeistert war von den Aussichten auf neue, ‘krisensichere’ Arbeitsplätze, ist mittlerweile Ernüchterung eingekehrt. Die Arbeitsbedingungen tun ein Übriges: Die meisten der gegenwärtig 1.700 Beschäftigten sind über Programme der Arbeitsämter nach Sarreguemines gekommen. Als Ungelernte haben sie sechs Ausbildungsmonate zu absolvieren, in denen sie aus der Arbeitslosenkasse bezahlt werden. An schlie ßend erhalten sie Löhne, die in der Regel unter 2.100 DM brutto liegen. Bei diesem Entgelt ist es nicht verwunderlich, dass erst jüngst die Mehrzahl von jüngeren Bergarbeitern, denen eine Umschulung in der Smart-Fabrik angeboten worden war, diese dankend ablehnten.

So bescheiden sich dieser Streik zunächst ausnimmt, so weitreichend könnten seine Konsequenzen sein. Denn erstmals haben hier die Gewerkschaften, allen voran die CGT und die Force Ouvrier, einen Fuß in die Tür gestellt. Die Hoffnung darauf, dass die in der Mehrzahl nicht-organisierten Beschäftigten auch künftig die Gewerkschaften meiden, kann das Unternehmen nach derzeitigem Stand fahren lassen. Erste Schritte der Gewerkschaften zur Anerkennung bei Smart sowie den umliegenden Zulieferer-Werken und eine umfassende Informationskampagne über Löhne und Arbeitsbedingungen sind verabredet. Dies wird dazu beitragen, dass Sarreguemines nicht länger befriedetes, quasi extra-terrestrisches Terrain sein wird, sondern zumindest politisch mitten in Frankreich liegt.

U.W.

Erschienen in: express – Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit Nr. 11-12/199