Jürgen Drieling

Betriebsversammlungsrede bei DaimlerChrysler, Werk Bremen, am 30.11.99

 

Kolleginnen und Kollegen,

DaimlerChrysler will überall superlativ sein. In bisher nicht gekannter Arroganz wird alles vorhandene in Frage gestellt. Arbeitnehmern wird, wie kann es anders sein, unternehmerisches denken und handeln abverlangt. Wir als Belegschaft haben allerdings andere Traditionen und Wurzeln.

Unsere Arbeitskraft an DaimlerChrysler zu verkaufen basiert auf Abhängigkeit für die wir nicht verantwortlich sind! Wir sind bestrebt den für uns größten Nutzen daraus zu ziehen. Umgekehrt versuchen es die Arbeitgeber übrigens genauso mit uns. Es ist also nur legitim, wenn wir als Belegschaft erkennen, daß wir unsere Arbeitskraft schützen müssen! Unser kostbarstes Gut ist unsere Gesundheit. Wer nicht gesund ist, kann nicht arbeiten. Wer nicht gesund ist, der ist zwangsläufig krank!

Darüber ob das so ist, entscheiden Mediziner, und keine Werkleiter! An dieser Tatsache gibt es nichts zu rütteln!

Wer Kollegen abmahnen läßt weil sie statt um 5.50 Uhr, um 5.48 Uhr den Arbeitsplatz verlassen haben, übrigens mit ertönen der Hallensirene, diese Kollegen ins Personalbüro zitiert, und jene Vorgänge in die Personalakte vermerkt werden, - derjenige verursacht Kranke!

Wer die so wichtige Rotation wegen Personalmangel aussetzt und von Einsatzeingeschränkten über Tage und Wochen körperlich einseitige Arbeiten abverlangt, - derjenige verursacht Kranke!

Wer arbeitswillige Kollegen, die aus der Krankheit zurück gekehrt sind, wieder nach Hause schickt, weil diese angeblich nicht produktiv einsetzbar sind und keine 100% bringen können, - derjenige verursacht Kranke! *

Wer mit einer Fehlstandsplanung aufwartet, gepaart mit chronischen Personalmangel, die es unmöglich macht kurzfristig Urlaub zu bekommen, - derjenige verursacht Kranke!

Wer ständig das Gespenst der sogenannten Standortfrage an die Wand malt, und Kollegen droht, sie könnten ihren Arbeitsplatz verlieren oder gekündigt werden, - derjenige ist vielleicht auch selber schon krank und hat es am Ende gar nicht bemerkt!

Nicht wir als Belegschaft sind hier die Schuldigen, sondern verantwortlich ist die Werkleitung mit ihren Führungskräften hier in der Fabrik! Sie sind die Verantwortlichen für Arbeitsorganisation, Personalbevorratung, Rotation am Arbeitsplatz, dem Abbau krankmachender Umstände an den Arbeitsplätzen, Motivation und Leistungsbereitschaft in dieser Belegschaft! Sie sind auch verantwortlich für eine Gesundheitsförderung, die es der Belegschaft leicht machen sollte gesund zu bleiben!

Als Betriebsräte stehen wir in Verantwortung zum Betriebsverfassungsgesetz, als gewählte Arbeitnehmervertreter nehmen wir unsere Mitbestimmungsrechte wahr und müssen diese oft genug gegen den Widerstand Ihrer Führungskräfte durchsetzen. Im Rahmen dieses Amtes können auch wir den hohen Krankenstand bedauern,

aber wir werden nicht drohen, Angst verbreiten und unsere Belegschaft mit verbalen Rundumschlägen mies machen!

Diese Mittel halten wir für ungeeignet.

Mitbestimmung kann nicht heissen, daß wir mit Ihnen zusammen ins gleiche Horn stoßen, sondern vielmehr, die schutzwürdigen Belange dieser Belegschaft, im Interesse von gesunden Arbeitsplätzen zu sichern und durch zu setzen.

Mitbestimmung heißt eben auch den Widerspruch zu wagen, gegen eine schlechte Arbeitsorganisation, einem schlechten Führungsstil, gegen Mißachtung von Gesetzen und Verordnungen die zum Schutze der Beschäftigten in diesem Lande verabschiedet und erlassen wurden, vorzugehen!

Und da sind wir gar nicht schlecht. Dieser Betriebsrat hat unter anderem die Umsetzung des neuen Arbeitsschutzgesetzes, der Gefahrstoffverordnung, der Bildschirmrichtlinie, der Richtlinie "schweres heben und tragen", die Umsetzung der Unfallverhütungsvorschriften und mehr erreicht. Wir haben nicht erst seit gestern eine Asbestfreie Fabrik. Wir haben im Rahmen der Gruppenarbeit dafür gesorgt, daß eine Rotation stattfinden kann mit unterschiedlichen körperlichen Belastungen, einseitige Belastungen konnten somit vielfach reduziert oder teilweise ganz vermieden werden.

Dieser Betriebsrat zusammen mit den Vertrauensleuten und der Bremer Belegschaft, braucht sich vor Ihnen als Werkleitung nicht zu verstecken.

Dieses Werk steht nicht ohne Grund für einen fortschrittlichen Umwelt – und Gesundheitsschutz. Ebenso ist es ein besonderes Prädikat dieses Werkes einen Arbeitsschutz zu besitzen, der immerhin mit den geringsten Arbeitsunfällen in diesem Lande aufwarten kann. Auch hier leisten Sicherheitsbeauftragte und die Betriebsräte eine konstruktive Arbeit zum Wohle der Belegschaft!

Als Kollegengruppe schließlich, können wir getrost sagen, wir haben schon oft genug auf den hohen Krankenstand hingewiesen. Zuletzt im Info 414 vom 27.10.99. Dort konnte gelesen werden:

Uns als Kollegengruppe ist der Krankenstand zu hoch und wir finden diesen sehr bedenklich, nicht in erster Linie aus wirtschaftlichen Erwägungen, sondern aus dem Wissen heraus, daß krank sein ein unschöner Zustand ist, der die Lebensqualität beeinträchtigt und wenn er nicht behoben wird, die Existenz bedroht, denn es ist noch immer so, daß wir nichts anderes besitzen, als unsere Arbeitskraft zu verkaufen, um leben zu können!

Wir müssen uns hier nicht anbiedern, irgend etwas zurück nehmen oder relativieren. Die Kollegengruppe steht zu dem was sie äußert und das seit über 22 Jahren in dieser Fabrik!

Krankheitsbedingte Fehlzeiten zu senken, so haben wir bereits 1996 gesagt, bedeutet vor allem, Freiräume zu schaffen für die Arbeiter und Angestellten!

Eine ständig zu knappe Personalbemessung, zu geringe Fehlstandsplanung, das permanente Abverlangen von olympiareifen Höchstleistungen, bis zu 105 Stunden Betriebsnutzungszeit im 3 – Schichtbetrieb, sind eine schwere Hypothek wenn es darum geht, diese Krankenfehlzeiten zu senken.

Hier gilt es an zu setzen. Hier gilt es zu verändern. Meister die keine Freiräume bekommen Kollegen auch mal unter 100% ein setzen zu dürfen, meinetwegen mit nur 50% Auslastung und entsprechendem Personalersatz, denen kann hier kein Vorwurf gemacht werden! Vorwürfe müssen denen gemacht werden, die seit Jahren predigen wir seien zu teuer, zu verschwenderisch, die an den Fließbändern weiße Striche ziehen lassen, Abmahnungen veranlassen und uns mit Arbeitslosigkeit drohen! Das sind die eigentlichen Verursacher des zu hohen Krankenstandes. Diese Führungskräfte sind es, die eben nicht helfen, unterstützen, betreuen und motivieren. Sie sind es, die unsere Arbeitskultur und Traditionen zerstören und uns als arbeitende Menschen zum Kostenfaktor degradieren.

Eine solche Arbeitsunkultur macht krank!

Wer krankheitsbedingte Fehlzeiten reduzieren will, muß also Geld in die Hand nehmen. Wer hier etwas verändern will, der muß Freiräume zulassen, hier in der Fabrik! Der muß auch in Verbindung mit externen Möglichkeiten etwas tun, für eine gesundheitliche Erholung und Rehabilitation dieser Belegschaft!

Derjenige darf nicht zulassen, daß der Begriff der Gesundheitsförderung, zum Etikettenschwindel verkommt!

Vielen Dank für Eure Aufmerksamkeit!

* Dieser Satz ist im Zusammenhang zu sehen mit Äußerungen der Werkleitung vor mehreren Hundert Führungskräften, die u.a. beinhalteten: Beschäftigte, die sich nach Ablauf der Arbeitsunfähigkeit arbeitsfähig und arbeitswillig an den Arbeitsplatz zurückmelden, sind auch dann zu beschäftigen, wenn sie noch nicht in der Lage sind, eine Akkordleistung von 100% zu erbringen.
Dieses geschieht im betrieblichen Arbeitsalltag nicht, da es keine Arbeitsplätze für Leistungsgewandelte gibt. Dieser Leistungsdruck erhöht somit den Krankenstand, der dann wiederum von der Werkleitung angeprangert wird.