letzte Änderung am 27. Sept. 2002

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Vorabdruck aus ila 259, Oktober 2002

Subversive Elemente im Betrieb ausschalten

Die Verschwundenen von Mercedes-Benz und ein brisanter Briefwechsel aus Deutschland

Seit über drei Jahren arbeitet die Journalistin Gaby Weber am Fall der "Verschwundenen von Mercedes-Benz". Wir haben schon des Öfteren darüber berichtet, dass 1977 14 Mitglieder des unabhängigen Betriebsrates von Mercedes-Benz Argentina von Militärs verschleppt und vermutlich ermordet wurden. Laut Aussagen eines Betriebsangehörigen, der ein Telefongespräch mit angehört hatte, wurden die Namen und Adressen der verschwundenen Kollegen von der Werksleitung an die Militärs weitergegeben. Seit drei Jahren ermittelt die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth gegen die Werksleitung von Mercedes-Benz Argentina wegen Beihilfe zum Mord in mindestens 14 Fällen. In Argentinien ermittelt das Wahrheitstribunal in La Plata. Das Gericht soll das Schicksal der während der Militärdiktatur (1976-83) in der Provinz Buenos Aires Verschwundenen aufklären, verurteilen kann es wegen der noch geltenden Amnestiegesetze niemanden. Dabei kam die zwielichtige Rolle des damaligen und heutigen Chefs der rechtsperonistischen Automobilarbeiter SMATA José Rodríguez ans Licht. Nun geriet durch einen Briefwechsel aus Deutschland auch Carlos Ruckauf, derzeit Außenminister und bis März 1976 Arbeitsminister Argentiniens unter Druck.

von Gaby Weber

Anfang September hatte das Wahrheitstribunal in La Plata Pedro Troiani, Vertrauensmann der Automobilarbeitergewerkschaft SMATA bei Ford, geladen. Er wurde wenige Tage nach dem Putsch am Arbeitsplatz verhaftet und verschleppt. Die Militärs misshandelten die Verhafteten auf dem Werksgelände und fuhren sie in Firmenwagen in die Folterzentren. Obwohl sie in Handschellen von der Werkbank abgeführt wurden, schickte ihnen die Firmenleitung Telegramme nach Hause mit der Aufforderung, sich sofort am Arbeitsplatz einzufinden, anderenfalls gingen ihre Ansprüche auf eine Abfindung verloren. Troiani blieb ein Jahr in Haft. Eine Abfindung hat er bis heute nicht erhalten, obwohl er sich später durch mehrere Instanzen klagte.

Wenige Tage vor dem Putsch, so Troiani vor Gericht, hatten sich die Ford-Betriebsräte mit SMATA-Chef José Rodriíguez getroffen. Rodríguez warnte: "Muchachos, macht euch auf harte Zeiten gefasst, es kommt der Putsch, der hatte eigentlich schon stattfinden sollen, ist aber verschoben worden. Bei Ford werden alle mittleren Kader verhaftet werden." Die Gewerkschafter, so der Zeuge, wussten nicht, wen Rodríguez mit "mittleren Kadern" meinte. Das merkten sie nach dem Putsch, als 26 Ford-Betriebsräte verhaftet wurden.[1] Gewerkschaftschef Rodríguez hatte dagegen wenig Probleme mit den Militärs, nicht zuletzt dank der Tatsache, dass er seit Anfang der siebziger Jahre – bis heute – Vizepräsident des Internationalen Metallarbeiterbundes (IMB) ist. Der IMB ist eine Unterorganisation des (sozialdemokratischen) Internationalen Bundes Freier Gewerkschaften für die Gewerkschaften der Metall- und Automobilindustrie.

Troiani erzählte den Richtern, dass nach seinen Informationen der IMB damals in Europa Geld für die verhafteten Gewerkschafter gesammelt habe, allerdings sei bei den Familien der Ford-Betriebsräte kein Peso angekommen.

Ich fragte per e-Mail Marcello Malentacchi, Generalsekretär des IMB in Genf, welche Spendengelder nach Argentinien geflossen seien und ob der IMB damals in Buenos Aires ein Büro eröffnet und Rodríguez bezahlt habe. Ich hatte Malentacchi bereits im Februar am Rande des Weltsozialforums in Porto Alegre gefragt, warum Rodríguez – der während der Diktatur nie etwas von Verschwundenen erfahren haben will[2] – immer noch IMB-Vize sei. Antwort: Wir können nicht ermitteln, dies müsste ein IMB-Mitglied, also eine Einzelgewerkschaft, fordern.[3]

Malentacchi antwortete auf meine Mail: Es habe Solidaritätsspenden nach Argentinien gegeben, die seien aber, aus verständlichen Gründen, "klandestin", also nicht über Banken, gelaufen und könnten heute nicht mehr rekonstruiert werden. Ein Büro in Buenos Aires habe es zu keinem Zeitpunkt gegeben und im Übrigen könnte ich mich an die Friedrich-Ebert-Stiftung in Bonn wenden, dort lagere das IMB-Archiv.

 

Der Briefwechsel Loderer-Schleyer

Dies tat ich, bzw. bat Gert Eisenbürger von der ila um Mithilfe, denn ich lebe und arbeite in Montevideo. Gert suchte also im Archiv der Ebert-Stiftung. Dort fand er – neben anderen Dokumenten – einen Briefwechsel zwischen Hanns-Martin Schleyer, Vorstandsmitglied von Daimler Benz, und Eugen Loderer, Vorsitzender der IG-Metall und Präsident des Internationalen Metallarbeiterbundes IMB. Der IG-Metallchef hatte sich am 8. März 1976 an Schleyer gewandt, ihm einen "Lagebericht Mercedes-Benz (Argentina)" aus Sicht des IMB, sprich von dessen Vizepräsident José Rodríguez, übersandt und ihn gebeten: "... möchte ich Sie ersuchen, auf Ihr Management in Argentinien hinzuwirken, dass es die Gespräche mit der SMATA wieder aufnimmt." Das argentinische Management hatte auch mit dem unabhängigen linken Betriebsrat verhandelt, der von der Belegschaft gewählt worden war. Dies rüttelte an der Macht von Rodríguez.

Schleyer antwortete Loderer am 19. Mai 1976, samt einer Stellungnahme der argentinischen Werksleitung. Darin heißt es: "Die ... Entlassungsmaßnahme vom 15. Oktober (1975 – im Rahmen eines wilden Streiks war 115 Arbeitern gekündigt worden, Anm. gw) entsprach einem dringenden Anraten des seinerzeitigen Arbeitsministers und der Führung von SMATA, die zahlenmäßig sogar ein größeres Entlassungsvolumen vorgesehen hatten. Die gesetzliche Grundlage war völlig einwandfrei, da das Arbeitsministerium am 14.10.75 auf Verlangen von SMATA den Streik nicht nur für illegal erklärt hatte, sondern für die Fabrik den Ausnahmezustand verhängte. Die Handlungsweise der Geschäftsleitung der MBA verdeutlicht zugleich, dass sie das Bestreben von Arbeitsministerium und SMATA, subversive Elemente aus den Fabriken auszuschalten, unterstützen wollte."

Wenige Wochen vor dem Schleyer-Brief, am 24. März 1976, hatten die Militärs die Macht ergriffen und taten nun das, was Arbeitsminister und SMATA zuvor gefordert hatten und was die Geschäftsleitung von Mercedes-Benz Argentina – laut Anlage des Briefs von Hanns-Martin Schleyer – "unterstützen wollte". Sie schalteten Elemente aus den Fabriken aus, die sie für subversiv hielten. Während ihrer Herrschaft verschwanden 30000 RegimegegnerInnen, die meisten waren ArbeiterInnen.

 

Rolle von José Rodríguez

Ich hatte die Archivleitung in Bonn um Quittungen für die Spendenzahlungen gebeten. Viel war dort nicht, hieß es, eigentlich lagern diese Unterlagen in Genf. Es tauchten aber schließlich doch Hinweise auf Zahlungen auf. 1977 etwa zahlte der IMB 79798 Schweizer Franken an José Rodríguez und seinen Vertreter für das IMB-Büro in Buenos Aires – dessen Existenz der heutige IMB-Chef verneint. In den beiden Folgejahren waren im Haushalt des IMB-Solidaritätsfonds jeweils 48000 SFr gezahlt "für die Unterstützung von zwei argentinischen Gewerkschaftern". Von verhafteten oder verschwundenen Betriebsräten ist nicht die Rede, weder bei Ford noch bei Mercedes-Benz.

Am 18. September war José Rodríguez erneut vor das Wahrheitstribunal geladen worden. Kurz zuvor hatte der damalige Verkaufschef von Mercedes zeugenschaftlich bekundet, dass seines Wissens Rodríguez während der Diktatur Schmiergelder von Waffengeschäften von Mercedes mit der argentinischen Armee erhalten hat.

Vor seiner Aussage meldete ich mich bei den Richtern und bat angehört zu werden. Meine Aussage löste eine Regierungskrise aus. Denn der damalige Arbeitsminister, der laut Schleyer-Brief die Entlassung der Arbeiter und die "Ausschaltung der Subversion aus den Betrieben" gefordert hat, ist derzeit Außenminister, Carlos Ruckauf. Der war am selben Tag in Paris gewesen, wo er mit einem "escrache", einer Protestdemonstration, empfangen wurde. Ein Richter untersucht die Ermordung eines französischen Staatsbürgers 1975 und hat ihn als Zeugen vorgeladen.

Am nächsten Tag klagte die Tageszeitung Página12 Ruckaufs "Feldzug gegen die Subversion" auf der Titelseite an, die Radios folgten, während sich die großen Zeitungen und das Fernsehen vornehm zurückhielten. Ruckauf erklärte, dass er nie die Entlassung von Arbeitern gefordert habe, und aus Regierungskreisen verlautbarte, so Página 12, dass hier ein "teutonischer Angriff auf Argentinien" stattfinde. Zuerst lasse IWF-Chef Horst Köhler das Land verhungern, dann kritisiere Bundesbankchef Tietmeyer die peronistische Regierung und nun ein internes Schreiben eines deutschen Großkonzerns. "Das kann kein Zufall sein", so ein Staatssekretär, der auch gleich die Erklärung nachschob. Die Regierung habe Siemens gerade einen Großauftrag von 800 Millionen Dollar für die Herstellung des neuen Personalausweises entzogen.

Der Menschenrechtsausschuss des argentinischen Parlaments will mich vorladen, um die Äußerungen Ruckaufs zu bestätigen. Die Opposition verlangt die Absetzung des Außenministers. Er habe sich moralisch diskreditiert und könne das argentinische Volk nicht im Ausland vertreten.

 

Anmerkungen:

1) zur Vernehmung Troiani siehe http://www.labournet.de/branchen/auto/ford/ar/laplata.html

2) Dies hatte Rodríguez im August 2001 vor dem Wahrheitstribunal ausgesagt.

3) Das ist inzwischen erfolgt, der österreichische Metallerverband hat das IMB-Sekretariat zu einer Untersuchung der Vorwürfe gegen José Rodríguez aufgefordert.

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