Mit dem DGB gegen den Mainstream?

Ein Bericht vom Forum "Reform der Mitbestimmung und der Betriebsverfassung"

 

Unbemerkt auch von einem Teil der gewerkschaftslinken Öffentlichkeit steht im nächsten Jahr ein Entwurf des Riester-Ministeriums zur Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes an. Angesichts der sich bisher abzeichnenden Tendenzen, so Ewald Wehner in seiner Einleitung, stehe zu befürchten, dass diese Novellierung weit eher in einer substantiellen Verschlechterung des Betriebsverfassungsgesetzes enden werde als in einer Reform. Zur Zeit werde die Diskussion, so sie überhaupt stattfände, von zwei Positionen bestimmt. Zum einen von dem Entwurf des DGB und zum anderen von dem gemeinsam von Bertelsmann- und Hans-Böckler-Stiftung erarbeiteten Kommissionsbericht zur Mitbestimmung.

Der DGB-Entwurf, so Wehner, bezöge seinen Charme bei allen Mängeln aus dem prinzipiellen Festhalten an einer konfliktorientierten Auffassung von Interessenvertretung. Ausdruck dessen sei, dass der Wegfall der Verpflichtung der Betriebsräte auf die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den Unternehmen vorgeschlagen werde.

Die Bertelsmann/Böckler-Position beraube dagegen die Unternehmensmitbestimmung völlig ihres ehemals politischen Begründungszusammenhangs. Es werde entsprechend auch nicht mehr der Mitbestimmung, sondern einer "Mitgestaltung" das Wort geredet.

Als bemerkenswert bezeichnete Wehner es, dass zum einen der DGB-Entwurf zur Betriebsverfassung einstimmig im Bundesvorstand abgesegnet worden sei, zum anderen aber auch der Bertelsmann/Böckler-Bericht von zahlreichen Gewerkschaftsvorsitzenden unterschrieben und von Schulte dem Bundes präsidenten als die Position der deutschen Gewerkschaften empfohlen worden sei. Mit der Übernahme dieser Vorstellungen durch einige Gewerkschaftsvorsitzenden werde die Option der demokratischen Umwandlung der Gesellschaft, wie sie die deutsche Mitbestimmungsdiskussion der Nachkriegszeit geprägt habe, endgültig und vollständig aufgegeben.

Diese Nachkriegsposition sei nicht zuletzt von dem Willen geprägt gewesen, eine Dominanz der Wirtschaft über die Politik zu verhindern.

In der angeregten Diskussion wurde zum Thema Unternehmensmitbestimmung angemerkt, dass die volle Mitbestimmung als ernstgemeinte strategische Option einerseits auf die faktische Enteignung hinausliefe, da jede Veto-Position der Gewerkschaften die letztliche Verfügungsgewalt der Unternehmen beseitigen würde. Andererseits sei aber – gesetzt der Fall, dies käme so – kaum damit zu rechnen, dass die Gewerkschaften in den Aufsichtsräten angesichts der weiter vorhandenen kapitalistischen Konkurrenz substantiell anders entschieden als die jetzigen Kapitaleigner. Worauf ein anderer Diskussionsteilnehmer auf die Einbindungsfunktion hinwies, die gerade auch die Montanmitbestimmung bis heute gekennzeichnet habe. Insgesamt war das Interesse an der Unternehmensmitbestimmung unter den DiskussionsteilnehmerInnen jedoch eher gering. Die Diskussion verlagerte sich hauptsächlich auf die Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes. Hier wurde von mehreren Diskutierenden auf die Notwendigkeit insbesondere auch der Neufassung des Betriebs- und des Arbeitnehmerbegriffes im BetrVG hingewiesen. Die gegenwärtigen Definitionen treffen immer weniger die Realität vor allem auch in den privaten Dienstleistungsbranchen. Gerade die fortschreitende Unternehmensteilung und -aufspaltung verunmöglicht zunehmend eine einheitliche Interessenvertretung.

Als brisanter Punkt gilt auch die Kompetenzverteilung zwischen Betriebsrat und Gewerkschaft. Befürchtet wird, dass die Bundesregierung insbesondere den Betriebsräten Gestaltungsspielräume bezüglich der Aushandlung tariflicher Regelungen einräumen könnte. Angesichts der Erpressbarkeit der Betriebsräte werde damit flächentariflichen Regelungen endgültig der Boden entzogen. Hier wurde in der Diskussion allerdings auch angemerkt, dass eine entsprechende Novellierung die Kodifizierung der bereits bestehenden Praxis bedeuten würde und Regelungen à la Holzmann in Zukunft wesentlich umstandsloser ermöglichen würden. Im Übrigen seien auch die Vorstellungen aus der Bertelsmann/Böckler-Kommission in Diskussionen mit BetriebsrätInnen gerade deshalb auf teilweise freundliche Aufnahme gestossen, weil sie im Gegensatz zum DGB-Entwurf viel näher an der gegenwärtig geübten Praxis seien.

Schließlich wurde auch noch angemerkt, dass die Bundesregierung die strittigen Punkte der Novellierung des BetrVG voraussichtlich im Rahmen des Bündnisses für Arbeit und Wettbewerbsfähigkeit einbringen werde, wobei damit zu rechnen sei, dass auch hier die Bertelsmann/Böckler-Positionen eher als die DGB-Position zum Zuge kommen werde.

Ob dies aber dazu führen soll, nun weitgehend kritiklos den DGB-Entwurf als kleineres Übel zu unterstützen, darüber gingen die Meinungen auseinander.

Nicht widersprochen wurde am Ende dem Vorschlag, ein noch zu gründender Arbeitskreis solle im Rahmen der Initiative zur Vernetzung der Gewerkschaftslinken zusammenkommen und möglichst bald ein politisches Papier zum Thema Mitbestimmung und Betriebsverfassung vorbereiten.

Ein Verdienst des Forums bestand in jedem Fall darin, darauf aufmerksam gemacht zu haben, dass im Windschatten der rot-grünen Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik auch auf dem Gebiet der Betriebsverfassung wettbewerbs orientierte Anpassungen zu erwarten sind. Insofern ist der Bericht der Bertelsmann/Böckler-Kommission als "Schröder/Blair-Papier der Mitbestimmungsdiskussion" zu lesen.

H.D.

Erschienen in: express – Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit Nr. 11-12/1999