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Updated: 18.12.2012 15:51
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RESIDEZPFLICHT VOR GERICHT – eine Rekonstruktion

„Ich kann dieses Gesetz leider nicht kippen. Sie sind jetzt frei, die Residenzpflicht bleibt aber für Sie auch in Zukunft ein Problem…“

Residenzpflicht-Prozess am Landgericht Erfurt in zweiter Instanz. Erster
Verhandlungstag, 13.12.2004

A.S. hat als erster das Wort, und darf circa 20 Min. frei reden. (Arabisch mit Übersetzung). Hier einige Punkte seiner Ausführungen :

A.S.: Ein Gesetz wie die Residezpflicht, welches die Bewegungsfreiheit extrem einschränkt, gibt’s es auch in Palästina. Nicht zuletzt deswegen habe ich mein Land verlassen, bzw. wurde ich von meinem Land vertrieben. Hier in Deutschland, wohin ich gekommen bin, um Asyl zu beantragen, muss ich mich mit einer der Besatzung ähnlichen Situation auseinandersetzen. Groß war mein Staunen, fast ein Schock habe ich gekriegt, als ich von der hohen Strafen erfahren habe. Deutschland ist sehr aktiv, um Frieden in anderen Ländern zu verbreiten und zu etablieren. Auf der anderen Seite werden hier grundsätzliche Rechte wie eben die Bewegungsfreiheit nicht respektiert. Die Richterin in erster Instanz am Amtsgericht meinte, sie hätte Respekt für meinen Fall und für meine Forderungen, ich würde aber das Problem von der falschen Seiten her angehen, nämlich vor Gericht.
Was sollte ich aber sonst als Flüchtling tun? Sollte ich vielleicht einfach darauf verzichten, hier Asyl zu bekommen und woanders ein friedliches freies Leben suchen? In den USA, oder sonst wo?
Kommen wir jetzt denn zu diesem Gesetz, die Residenzpflicht. Beantragt man einen `Urlaubsschein’, muss man damit rechnen, das eine Erlaubnis in der Regel nur einmal pro Monat und maximal für 2 oder 3 Tagen erteilt wird. In vielen, um nicht zu sagen in den meisten Fällen, wird es überhaupt verweigert, so dass Urlaubsscheine eher die Ausnahmen als die Regel darstellen. Sie können es selbst in den Papieren der Ausländerbehörde Gotha ohne große Aufwand nachforschen. Dann werden Sie selbst feststellen, es handelt sich um eine Form der Repression eines Teils der Bevölkerung nicht-deutscher Herkunft.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist die schon genannte Höhe der Geldstrafe. Die Residenzpflicht ist ein Sondergesetz für Asylbewerber. Diese, wie wohl bekannt, dürfen in Deutschland nicht arbeiten, und kriegen 40 Euro Bargeld monatlich. Wie sollte ein Asylbewerber die Strafe bezahlen? Geschweige denn die ganz alltäglichen Sachen, wie die medizinische Versorgung, den Bus und die U-Bahn, das Leben allgemein... Offensichtlich werden AsylbewerberInnen durch diese Politik zu Verbrechern gemacht. Ich habe persönlich den Prozess der Kriminalisierung von vielen Asylbewerber hier in Deutschland miterlebt; nur weil sie die Geldstrafe wegen Verletzung der Residenzplicht zahlen mussten. Außerdem: die Zahlen der von Ausländer begangenen Verbrechen steigt dadurch und wird von der deutschen Medien meist instrumentalisiert. Dabei reduziert sich dieses Verbrechen oft auf eine berechtigte Forderung nach Bewegungsfreiheit.
Ich bin hier seit länger als 2 Jahren und habe noch keinerlei Antwort auf meinen Asylantrag gekriegt. Die Anzahl der AsylbewerberInnen, die während ihrer Wartezeit diesem Gesetz und dessen Erniedrigung unterliegen, ist enorm. Wie kann es in einer demokratischen Gesellschaft bloß passieren, dass Unschuldige vor Gericht kommen und verurteilt werden? Damit verstößt Deutschland gegen die Internationalen Menschenrechtserklärung der UN, die es aber unterzeichnet hat. Da steht geschrieben, dass die Menschen frei sein sollen, sich zu bewegen. Heißt das denn überhaupt, dass Asylbewerber weniger menschenwürdig für dieses Land sind? Wenn alle Menschen gleich sind, warum muss ich um ein Erlaubnis bitten, um ich zu bewegen? Was habe ich denn getan? Einmal bin ich nach Frankreich wegen eines wichtigen internationalen Treffens gefahren. Ich hatte keine Papiere. Als die französische Polizei uns kontrolliert hat, und als sie dabei erfahren hat, worum es sich handelt, hat sie uns gleich ein 5-Tage-Visum erteilt. Ich verstehe nicht warum ausgesprochen das Land, wo ich Asyl suche, mich so diskriminiert. Dann denke ich, ich sollte vielleicht meinen Antrag zurückziehen und woanders Refugium suchen.
Mein letzte Frage an dieses Gericht lautet: ich hoffe, dass all die Strafen für die Verletzung der Residenzpflicht abgeschafft werden. Ich hoffe mein Recht, mich frei zu bewegen, wird mir zurückerstattet, so dass ich meinen politischen Aktivitäten nachgehen kann.

R.: Wir können aber nicht vergessen, dass Sie sich da befanden, wo sie nicht hätten sein sollen.

A.S.: Ich habe das Gesetz nicht verletzt, ich übte nur mein Recht auf politische Tätigkeit aus.

R.: Also, im Februar 2003 sind sie erwischt worden. (Richterin nennt Zeit und Ort der Polizeikontrolle) Stimmt das?

S.: Ja.

R.: Und bei dem zweiten Vorfall (Richterin nennt Zeit und Ort der Polizeikontrolle)?

A.S.: Sie brauchen Sich keine Mühe zu geben, die Daten stimmen ja alle.

R.: Gut, das ist die Feststellung des Sachverhalts. Weiter. Das Gesetz der Residenzpflicht, kennen Sie das?

A.S.: Ich bin gekommen um Asyl zu beantragen und nicht um diskriminiert zu werden und im Gefängnis zu landen.

R.: Die Frage ist: ist Ihnen das Gesetz bekannt?

A.S.: Ich kenne das Gesetz, anerkennen kann ich es aber nicht.

R.: Herr Sameer, das sind wohl zwei verschiedenen Sachen. Also Sie kennen das Gesetz. Gut. Auch dieses Gericht zeigt für Ihr Anliegen grundsätzlich Verständnis. Ich kann aber nur die Worte der ersten Richterin wiederholen: Sie sind hier an der falschen Adresse. Ein Strafgericht kann weder Gesetze ändern noch ein neues Gesetz schaffen. Das Gericht überwacht und wendet die Gesetze an. Z. B.: wenn Sie keinen Urlaubsschein bekommen, können Sie die Ablehnung vor dem Gericht beanstanden. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits vormalig eine Entscheidung getroffen, dass es sich um ein verfassungsmäßiges Gesetz handelt . Das heißt in anderen Worten, Herr Sameer, Sie sollten den politischen Weg wählen.

Verteidiger: Entschuldigen Sie, Frau Richterin, mein Mandat weiß genau, wie das Gericht funktioniert. Er möchte sich aber gegen diese rassistische und diskriminierende Gesetz zu Wehr setzen. Es geht hier um die Öffentlichkeit, um die Presse, um eine breite Mobilisierung der Zivilgesellschaft, die heute hier vertreten ist.
Die Residenzpflicht wurde eingeführt, um Asylanten und Flüchtlinge zu kontrollieren, außerdem soll sie der Beschleunigung der Asylverfahren und der Abschreckung dienen. Diese Gesetz sollte der Beschleunigung der Asylverfahren führen, es hat jedoch das Gegenteil bewirkt. Es zwingt die Menschen in die Illegalität, die Konfusion unter den Betroffenen steigt, es handelt sich also letztlich um ein kontraproduktives Gesetz.
Ich möchte auch drauf hinweisen, dass es einige glorreiche Beispiele gibt, in welchen in ähnlichen Fällen Freisprüche erfolgten. Beispielsweise gab es den Fall eines Priester, der aus religiösen Gründen freigesprochen wurde. Dieses Gesetz verletzt indirekt zwei Artikel der deutschen Verfassung: den Artikel 5, Meinungsfreiheit, und Artikel 8, Versammlungsfreiheit.

R.: Herr Sameer, erklären Sie uns bitte: warum haben Sie in den obengenannten Fällen noch nicht einmal versucht, Urlaubsscheine zu beantragen?

A.S.: Bewegungsfreiheit ist ein Grundrecht, daher weigere ich mich ein solches Gesetz zu befolgen.

R.: Haben Sie überhaupt schon mal einen Urlaubsschein beantragt?

A.S.: Ja, zweimal, ich bin sozusagen gezwungen worden, weil ich zum Bundesamt in Jena wollte, und ohne Genehmigung kommt man nicht rein.

R.: Aber Herr Sameer, ich bitte Sie, wie können Sie überhaupt über die Vergabepraxis reden, wenn Sie keine persönliche Erfahrung gemacht haben?

A.S.: Ich habe persönliche Erfahrungen gemacht. Auch das, was meinen Freunden und Bekannten ständig passiert, was ich von deren Erfahrungen mitbekomme, ist eine persönliche Erfahrung.

R.: Man muss aber schon erkennen, das kein System perfekt ist. Da Menschen es bestimmen, wird es immer Fehler geben.

A.S.: Es geht hier weder um Fehler noch um Ausnahmen. Das hier ist eine organisierte Repression. Ich habe z.B. neulich beantragt, nach Hamburg verlegen zu werden, damit ich mehr Freiraum für meine politische Tätigkeit hätte. Ich habe eine sofortige Ablehnung bekommen.

Die Richterin gibt der Staatsanwaltschaft das Wort.

S.: Sie machen also Politik. Wie heißt denn diese Gesellschaft, wo Sie politisch aktiv sind? Und wo sitzt sie?

A.S.: The Voice Refugee Forum, bundesweit tätig., mit Sitz in Jena.

S.: Wie oft finden da Sitzungen statt? Und wo?

A.S.: Jeden Tag, in ganz Deutschland

S.: Woraus bestehen solche Tätigkeiten?

A.S.: The Voice ist eine Flüchtlingsorganisation, die seit ihrer Gründung sehr viele Kampagne initiiert hat, um Sondergesetze wie die Residenzpflicht abzuschaffen und die allgemeine Lebensbedingungen von Flüchtlingen und MigrantInnen zu verbessern.

Die Zeugin wird aufgerufen: Frau Seidl (45), seit 1996 bei der Ausländerbehörde Gotha vertretungsweise für die Erteilung von Urlaubscheinen zuständig.

R.: Frau Seidl, wir wollen hier die Vergabepraxis der Urlaubsscheine verstehen. Wie geht denn das vor sich in der Ausländerbehörde?

Z..: Die Asylbewerber kommen zu uns, einfach zum Schalter. Unsere Schalter sind wie die einer Sparkasse. Er sagt dann, wohin er will, meistens hat er einen kleinen Zettel dabei, da stehen die Daten drauf. Die sofortige Ausstellung wird im Einzelfall entschieden. Meistens handelt es sich um eine Erlaubnis von drei Tagen, normalerweise für das Wochenende, da die Asylbewerber damit die Chance haben, mit dem Wochenendticket zu fahren.
Aber natürlich nur, wenn das dem Wunsch des Bewerbers entspricht.

R.: Gibt es die Möglichkeit, z.B. von Montag bis Freitag einen Schein zu bekommen, also für 5 Tage?

Z.: Nur in Ausnahmefällen.

R.: Und warum?

Z.: Aus Sicherheitsgründen.

R.: Gibt es denn hierzu eine Verwaltungsrichtlinie?

Z.: Nee, es wird nur empfohlen.

R.: Wäre es möglich, sagen wir mal, 3 mal pro Monat für zwei Tage einen Urlaubsschein zu kriegen?

Z.: Grundsätzlich wäre das kein Problem. Es gibt sogar die Gelegenheit auf einem einzigen Schein bis zu drei Genehmigungen zu bekommen. Natürlich nur innerhalb eines Monats.

R.: Gut, das ist also möglich. Wie funktioniert es aber in der Praxis?

Z.: In der Regel wird nur eine Erlaubnis pro Monat erteilt.

R.: Und was passiert, wenn eine Ablehnung erfolgt?

Z.: Das wird dann gleich am Schalter mitgeteilt.

R.: Wie mitgeteilt?

Z.: Mündlich, es wird einfach gleich entschieden und mitgeteilt.

R.: Heißt das denn, Frau Seidl, dass die Ablehnung ohne Begründung und ohne Vermerk erfolgt?

Z.: Ja.

R.: Warum?

Z.:..............

R.: Frau Seidl, das ist ein belastender Verwaltungsakt, wie kann es sein, dass er ohne Vermerk bleibt? Und was ist mit dem Recht, dagegen Einspruch zu erheben? Wie können die Asylbewerber sich gegen unberechtigte Entscheidungen denn wehren?

Z.:.........................

Im allgemein versucht die Zeugin, sich auf die wirklich Verantwortliche zu berufen, sie säße nur im Nebenzimmer, würde nur ab und zu bei der Vergabe helfen, sie würde schon wissen wie es funktioniert, hätte aber nicht für alles eine Antwort (parat).

Der Verteidiger bekommt das Wort.

V.: Ist die Praxis der Vergabe niedergeschrieben? Ist das irgendwo schriftlich verankert? Wie hat sich diese Praxis entwickelt?

Z.: So geht es schon ewig, das mit der 3-Tage-Regel, meine ich. Es existieren sozusagen interne Richtlinien. Es gibt aber auch eine ‚vereinheitliche Handakte’ des Thüringer Innenministeriums.

V.: Steht da diese 3-Tage-Regel dann auch?

Z.: Nee, das hat sich einfach mit den Jahren so durchgesetzt, es geht mindestens seit 10 Jahren so.

V.: Kennen Sie ein einzigen Fall, wo ein Asylbewerber die Ablehnung vor Gericht gebracht hat?

Z.: Nein. Meines Wissens gab es in acht Jahren keinen einzigen Widerspruch.

V.: Wissen Sie warum?

Z.:..........Ich kann, wie gesagt, nicht alle Infos über die Vergabepraxis geben. Meine Angabe stimmen zu etwa 70%.

V.: Das heißt aber schon, dass das, was Sie uns beschrieben haben die Situation der Asylbewerber wiederspiegelt?

Z.: Ja, so etwa.

Nach kurzer Pause wird der Prozess vertagt - auf Montag, den 13.12 um 9:00. Die Richterin erklärt, Sie möchte die Verantwortliche der Ausländerbehörde als weitere Zeugin laden. Sie solle die Handakte des Innenministerium als relevantes Dokument mitbringen.

Residenzpflicht-Prozess am Landgericht Erfurt in zweiter Instanz. Zweiter Verhandlungstag, 13.12.2002

9.00 Uhr: vor dem Gericht: ca. 30 AktivistInnen warten darauf, das Gerichtsgebäude betreten zu dürfen. Ca. 10 PolizistInnen bewachen/versperren den Eingang.
Im Gerichtssaal gibt es nur 22 Plätze, die Richterin hat angeordnet 22 Personen ohne Passkontrolle reinzulassen, die sich dann mit den übrigen AktivistInnen austauschen sollen.
Die Polizei will trotzdem zunächst nur 15 Personen reinlassen. Doch am Ende kommen alle ins Gebäude.

Anhörung der zweiten Zeugin Frau Steuer (47)

Richterin verliest zunächst Angaben zur Person.

Richterin: Es geht hier um die Praxis der Urlaubsscheinvergabe bei Asylbewerbern. Inwieweit sind sie damit befasst?

Sachbearbeiterin: Ja, also ich mache meistens die Sprechstunde, wo die Asylbewerber vorsprechen, wenn sie einen Urlaubsschein haben möchten. Ich frag dann, wo sie hinmöchten und aus welchem Grund. Und wir halten uns eigentlich an die Richtlinien der Handakte, die Sie einsehen können. Über Urlaub gibt es eigentlich keine konkrete rechtliche Festlegung, also darüber wie
viel Tage gegeben werden sollen. Wir erteilen die Urlaubsscheine je nach Fall.Und die Handakte sagt da einige ... Detailles aus, eine Kann-Bestimmung, dass wir einen Urlaub erteilen können. Wir handhaben das bei uns in der Regel so, das ist eine interne Vereinbarung, dass wir einmal im Monat drei Tage Urlaub geben, es sei denn es sind Vorsprachen vor Gericht oder für Behördengänge usw., dann gibt’s natürlich einen Urlaubsschein.

Richterin: ... dann brauchen sie ja auch keinen.

Sachbearbeiterin: Die meisten kommen dann trotzdem und wollen einen haben. Aber da gibt’s ja überhaupt keine Probleme.

Richterin: Warum machen sie einmal im Monat drei Tage, wer ist darauf gekommen?

Sachbearbeiterin: Das war eine interne Abmachung. Wir wollten die Asylbewerber gleichbehandeln. So können wir ungefähr sagen, nur die drei Tage. Weil, es steht ja im Gesetz nichts konkretes drin, wie wir das handhaben sollen.

Richterin: Aus welchem Grund wird nun abgelehnt?

Sachbearbeiterin: Abgelehnt wird z.B., wenn einer schon Urlaub gehabt hat, weil er einen Freund besuchen wollte und so, und er kommt acht Tage später und sagt, „ich möchte wieder einen Urlaubsschein haben“, dann sagen wir „nein, Sie haben schon“...., wenn er nur einen Freund besuchen will, oder so. ... Das ist Gesetz und wir müssen das Gesetz vertreten.

Richterin: Frau Steuer, wenn jetzt einer einen Freund besuchen war und möchte jetzt eine Woche später an einer politischen Versammlung teilnehmen, wie würden sie das jetzt handhaben, als Beispiel.

Sachbearbeiterin: Politische Versammlungen sollten eigentlich auch erst mal so gehandhabt werden, dass im Umkreis, also im Bezirk die Möglichkeit wahrgenommen wird. Ansonsten ist es auch so ne Entscheidungssache, die eigentlich ich mit meiner Fachdienstleiterin abspreche. Solche speziellen Sachen, über die drei Tage hinaus....., dann spreche ich das mit meiner Fachdienstleiterin ab... .

Richterin: Wie wird’s denn gehandhabt Frau Steuer. Wie würden sie denn entscheiden.

Sachbearbeiterin: In so einer speziellen Sache, wie gesagt, spreche ich das ab.

Richterin: Und was kommt dann da raus?

Sachbearbeiterin: Meistens ne Ablehnung. Das kann ich Ihnen sagen, die Fachdienstleiterin sagt nein...

Richterin: Also gut, es kommt jetzt also eine Ablehnung, ja....... . Wie erklären sie das den Asylbewerbern, warum?

Sachbearbeiterin: Einfach so: „Es wird abgelehnt“ .....wegen der politischen Sachen da eben.....
ja. Gerade sein Fall war, er wollte zum politischen Treffen nach Frankreich, damit hatte er vorgesprochen.

Richterin: Können Sie jetzt erst mal ganz kurz meine Frage beantworten. Auf ihn kommen wir gleich noch zu sprechen. Ich wollte fragen, wie sie das jetzt erklären, wenn es keinen Urlaub gibt. Wie machen sie das, jetzt rein technisch?

Sachbearbeiterin: Eine Ermessensentscheidung steht in den Richtlinien, da steht es, das politische Versammlungen nicht unterstützt werden dürfen.

Richterin: Ich glaube, wir müssen hier einfach mal zwei Schritte zurückgehen. Frau Steuer, was ist denn das, wenn Sie ihm sagen, er darf oder er darf nicht. Rein technisch gesehen. Ein
Verwaltungsakt, da sind wir uns doch beide einig. So, und wenn einer einen Verwaltungsakt, den er beantragt nicht bekommt, was steht ihm denn dann zu? Nicht nur dem Herrn Sameer, also mir und Ihnen, wenn Sie zum Bauamt gehen oder dem Herrn Staatsanwalt, also allen, das hat jetzt nichts mit Asylbewerbern zu tun. Was steht ihnen denn zu?

Sachbearbeiterin: (schweigt...)

Richterin: Kriegt er denn ne Rechtsmittelbelehrung in die Hand.

Nein. ....

Richterin: Woher soll er denn das dann wissen, erzählen Sie ihm das? Frau Steuer, sehen Sie nicht, dass das ein Widerspruch ist?! In den Richtlinien steht, dass man eine Ablehnung auch begründen soll.

Sachbearbeiterin:..........

Richterin: Aber einen Widerspruch haben sie noch nicht bekommen.

Sachbearbeiterin: Nein.

Richterin: Frau Steuer, womit ich ein bisschen ein Problem habe ist, dass Sie sagen – wir kommen gleich noch zur Handakte – aber eine Ermessensentscheidung, heißt schon, dass man in jedem Einzelfall dann auch prüfen muss, bevor man versagt oder gestattet. Es gibt ja Fälle, wo man
sagt „nein, es geht jetzt nicht“, aber dann muss man das ja irgendwie begründen.

Sachbearbeiterin: ......, man muss auch unterscheiden.... , es gibt nicht nur immer strikt die drei Tage.

Richterin: In welchen Fällen gibt man denn über drei Tage.

Sachbearbeiterin: Ja zum Beispiel ... bei Familien mit Kindern, Mutter oder Vater, wo die Kinder hier als Asylbewerber sind, oder eben überhaupt hier leben oder krank sind oder eben wirklich einen Grund haben. ....., dann sagen wir: „Menschliche Entscheidung.“ Und dann geben wir natürlich
auch mehr Urlaub.

Richterin: Sagen Sie das auch bei politischen Sachen, also, wenn sich jemand politisch betätigen will?

Sachbearbeiterin: ....... Er ist oftmals gekommen (spricht von Ahmed Sameer) und wollte einen Urlaubsschein haben...

Richterin: Sie kennen den Herrn Sameer. Und der ist öfter bei Ihnen.

Sachbearbeiterin: Ja.

Richterin: Also der Herr Sameer ist öfter zu Ihnen gekommen, um einen Urlaubsschein zu beantragen.

Sachbearbeiterin: ...... Das eine mal weiß ich ganz genau, weil, da wollte er nach Frankreich. Da habe ich auch bei Frau Seidl nachgefragt, weil die Fachdienstleiterin ist. Und da hat sie gesagt: „Ins Ausland das geht ja gar nicht, weil, wenn er wieder einreist, dann verliert er seine
Asylgrundlage.“

Richterin: Und erinnern Sie sich noch an andere Fälle?

Sachbearbeiterin: Nein. Man hat ja viele Leute und da erinnert man sich nicht an jeden einzelnen Fall... . Aber Sie erinnern sich, dass er öfter da war. Ja, er kommt ja immer, um seine Aufenthaltsgenehmigung zu verlängern.

Richterin: Stehen in der Handakte Richtlinien oder Empfehlungen: Frau Seidel (andere Sachbearbeiterin, Zeugin am ersten Verhandlungstag) sagte uns, dass seinen keine Richtlinien, sondern das seien Empfehlungen.

Sachbearbeiterin: Nein, also meiner Meinung nach sind das richtige Richtlinien... .

Richterin verliest Auszug aus der Handakte: Also, das ist die Anlage 6 zum Thema 5: ...Ausländerbehörden bei der Erteilung von Erlaubnissen beim Verlassen des Geltungsbereichs der Aufenthaltsgestattung.... (unverständlich) Blatt 3 zur politischen Betätigung (Ermessensentscheidung): Hier ist zwischen Artikel 5 Grundgesetz (Meinungsfreiheit) und der Gefahr der Schaffung nachträglicher Asylgründe abzuwägen. Nach § 37 Ausländergesetz besteht die Möglichkeit, politische Betätigung von Ausländern zu beschränken oder zu untersagen, wenn die Gesetze nicht beachtet werden. In der Regel wird eine politische Betätigung auch im Geltungsbereich der Aufenthaltsgestattung möglich sein. Während des Aufenthalts in der
Aufnahmeeinrichtung ist keine Verlassenserlaubnis zur politischen Betätigung zu erteilen, da der möglichen Schaffung von Nachfluchtgründen besonderes Gewicht zukommt. Eine solche Einschränkung während eines Zeitraumes von höchstens drei Monaten ist als verhältnismäßig anzusehen.

Richterin: Dass heißt, die politischen Betätigungen, wenn ich das jetzt richtig verstehe vom Lesen her wird eher abgelehnt. Ich meine in Waltershausen ist die Möglichkeit der politischen Betätigung nicht wirklich prickelnd, ne.

Sachbearbeiterin: Was soll ich jetzt dazu sagen?

Richterin: Ist nicht wichtig. Es gibt doch Orte, wo die politische Aktivitäten vielleicht größer sind, ob das nun Erfurt oder Jena ist.... . Bei der Ablehnung eines Urlaubsscheines muss es eine schriftliche Begründung geben. Sie müssen bei einer Ermessensentscheidung, den Grund wissen, warum der Herr A das bekommt und der Herr B nicht.... .

Befragung der Zeugin Steuer durch den Anwalt Klinggräff

Anwalt: Haben Sie überhaupt schon mal einem Ausländer, der nach einem sogenannten Urlaubsschein gefragt hat, um sich an einer politischen Aktion zu beteiligen, einen Urlaubsschein ausgestellt.

Zeugin: Kann ich nicht sagen.

Anwalt: Kann es sein, dass es das noch überhaupt nicht gegeben hat, dass ein Ausländer....

Zeugin unterbricht. Zeugin: Das möchte ich auch nicht sagen......

Anwalt: Kann ich daraus schließen, dass, wenn es das überhaupt jemals irgendwann gegeben haben sollte, dass es eine ganz extreme Ausnahme war ... also bei einer politischen Geschichte, also z.B. Beteiligung an einer Demonstration.

Zeugin: .... Einmal haben wir die Information vom Innenministerium bekommen ....z.B. für eine bestimmte Großdemonstration... wenn die Leute zu dieser politischen Veranstaltung wollen, dann könnten wir Urlaub geben.

Anwalt: Wann war das genau?

Zeugin: Das kann ich Ihnen jetzt aus dem Kopf nicht sagen, aber ich weiß, das war schon mal so.

Anwalt: Haben Sie denn eine Ahnung, welche Art von politischer Betätigung mein Mandant macht?

Zeugin: Nein.

Anwalt: Die Verwaltungsrichtlinie lautet: Abwägung zwischen auf der einen Seite "Recht auf freie Meinungsäußerung" und auf der anderen Seite "Schaffung von Nachfluchtgründen". Müssten Sie da nicht eigentlich, wenn sie über so einen Urlaubsscheinantrag entscheiden ... , genau kucken, was
ist das eigentlich für eine politische Aktion? Wissen Sie überhaupt....

Zeugin unterbricht

Sachbearbeiterin: Ich weiß sowieso nicht, was er macht ....

Anwalt: Zu Frankreich gab’s mal was... .

Sachbearbeiterin: Ja, da war was und da hab ich eben nachgefragt, weil es auch nicht in meinem Ermessen ist, das zu entscheiden.... .

Anwalt: Aber wenn die Entscheidung nach den Vorgaben des Innenministeriums sein sollte, zu verhindern, dass Nachfluchtgründe geschaffen werden, dann müssten Sie sich doch eigentlich fragen, was ist das für eine politische Aktion. .... . Anders gefragt, wissen Sie überhaupt, wann Nachfluchtgründe geschaffen werden?

Sachbearbeiterin: ... ich weiß nicht was Sie damit jetzt....

Anwalt: Zum Beispiel Beteiligung bei Aktionen gegen die sogenannte Residenzpflicht, ob ein Asylbewerber damit Nachfluchtgründe schafft oder nicht, dass ist Ihnen nicht klar, oder?

Sachbearbeiterin: Nein.

Anwalt: Ganz allgemein: Nachfluchtgründe werden im Verfahren dann angenommen, wenn jemand hier in besonders extremer ... Art und Weise politische Aktivitäten macht zum Ersten, und zum Zweiten, das Aktivitäten sind, wo man davon ausgehen muss, dass durch diese Aktivitäten bei einer Abschiebung die Personen dann in ihrer Heimat verfolgt werden könnten. Der Klassiker sind Demonstrationen, militante Demonstrationen vielleicht auch noch, vor der eigenen Botschaft... .

Sachbearbeiterin: Das ist mir klar.

Anwalt: Wo soll dann so eine beispielsweise bei Demonstrationen zur Abschaffung der Residenzpflicht sein?

Sachbearbeiterin: Das kann ich Ihnen nicht sagen.

Anwalt: Sie machen gar nicht so eine konkrete Abwägung. Sozusagen, hier ist mal eine politische Aktion, die könnte einen Nachfluchtgrund ergeben, und hier ist ne andere die....

Sachbearbeiterin: Er war eigentlich der Einzige, der danach gefragt hat, also, was mir bekannt ist. ..... können wir ja nicht nachvollziehen.

Anwalt: Die wissen, dass sie das (Anm.: Urlaubsschein wegen politischer Betätigung) nicht kriegen würden, wahrscheinlich. Wenn Sie selber sagen, das wird ausgesprochen restriktiv gehandhabt... .

Anwalt: Aber Sie unterscheiden doch bei der Urlaubsvergabe beispielsweise, ob jemand Freund/Freundin oder Familienangehörige besucht, wo Sie sagen, das würden Sie eher liberal handhaben, also da würden Sie diese drei Tage Monat potenziell geben. Und, wenn es dann beispielsweise um politische Aktivitäten geht eher zurückhaltend restriktiv, wenn überhaupt, dann
Erst mal mit Vorgesetzten sprechen. So sieht’s aus. Was ist eigentlich besser daran, einen Verwandten zu besuchen, als an einer Demonstration teilzunehmen. Wird das einfach nicht so gerne gesehen, dass sich Asylbewerber politisch betätigen?

Sachbearbeiterin: Das ist schon so.

Anwalt: Das ist nun der Hintergrund.

Sachbearbeiterin: Ja.

Anwalt: Es wird als Störung auch empfunden?

Sachbearbeiterin: Das ist schon so erst mal, ein bisschen .... .

Anwalt: Ich weiß, Sie sind in einer etwas unglücklichen Rolle hier heute, das seh ich ja auch ein, ja. Aber, diese Maßgaben, die vom Innenministerium gekommen sind, die würden Sie schlicht so verstehen, dass politische Aktivitäten von Asylbewerbern tendenziell unerwünscht sind. ...
Die dürfen vielleicht zur Woche des ausländischen Mitbürgers hingehen, wenn die ... im Landkreis stattfindet, aber Berlin z.B. das ist eher nicht so angesagt.

Sachbearbeiterin: Das kann zutreffen.

Anwalt: Wenn ich mir jetzt die Ausländerakte von meinem Mandanten angucken würde, wann und wie oft er Urlaubsscheine beantragt hat. Sie haben ja gesagt, es gibt keine schriftliche Ablehnung, machen Sie einen Vermerk in die Akte?

Sachbearbeiterin weist auf die Erwähnung der beantragten Frankreichreise hin.

Anwalt belehrt Sachbearbeiterin, dass es ein Irrtum sei, dass bei Auslandsreisen, Asylgründe in Deutschland aufgehoben würden, nennt das Beispiel von jugendlichen Mandanten, Asylbewerbern, denen Klassenfahrten ins Ausland genehmigt wurden, ohne dass deren Asylverfahren beeinträchtigt wurde.
Anwalt weist ebenfalls darauf hin, dass für die französischen Behörden die nichtgenehmigt Reise von Ahmed Sameer nach Frankreich keinerlei Problem darstellte: Er erhielt ein mehrtägiges Visum.

Verhandlungspause

Nach der Pause dürfen alle in den Verhandlungssaal rein, da es sich um die letzen fünf Minuten handelt und das Gericht seine Entscheidung treffen wird. Die zweite Zeugin, eine Sozialarbeiterin, die in dem Asylbewerberheim von A.S. gearbeitet hatte, wird nicht mehr gehört. Vermutlich werden weitere Aussagen für nicht erforderlich gehalten.

10.23 h

A.S. stimmt zu.

153 PO eingestellt. Die kosten des Verfahrens u. der notwendigen Unterlage werden von der Staatskasse getragen.

Das Verfahren ist damit eingestellt.

Richterin: Die Beweisaufnahme ist abgeschlossen. Das Gericht und die Staatsanwaltschaft konnten sich eine Idee machen, wie es im allgemeinen in Gotha und in dem spezifischen Fall funktioniert. Wir haben dabei festgestellt, dass es nicht so wie es sollte funktioniert. Das Gericht regt an Ihr Verfahren nach $153 StPO wegen geringer Schuld einzustellen. Die Staatsanwaltschaft würde einem solchen Verfahren zustimmen.

Anwalt: Auch mein Mandant stimmt dem zu.

Richterin: Dann ergeht folgender Beschluss. Das Verfahren wird gemäß $153 StPO wegen geringer Schuld eingestellt. Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten fallen der Staatskasse zur Last. ... Beschlossen und verkündet. Herr Sameer, damit sind sie nicht vorbestraft... Das Verfahren ist eingestellt. Und an Sie noch folgendes: Ich habe mit dem Bundesamt für Asyl telephoniert, Ihre Akten befinden sich nicht in Jena, sondern in Nürnberg, falls Sie die suchen... . Ich habe eine Zusage bekommen, binnen drei Wochen wird eine Entscheidung (über Ihr Asylverfahren) eintreffen. Wie die aussieht weiß ich nicht, dass darf er mir auch am Telephon nicht sagen......
Ich kann dieses Gesetz leider nicht kippen. Sie sind jetzt frei, die Residenzpflicht bleibt aber für Sie auch in Zukunft ein Problem. Dazu kann ich Sie nur darauf hinweisen, die entsprechende Verwaltungsschritte anzuleiten und sofort bei Ablehnung schriftlichen Eilantrag bei dem Verwaltungsgericht zu stellen. Nur wenn Mengen von solchen Reaktionen folgen werden, hat man die Chance, was zu verändern, ohne jemandem Argumentationen und Mittel gegen Sie anzubieten, ohne sich selbst strafbar zu machen, in anderen Worten. Es ist zwar ein schwieriger langwieriger Prozess, der aber Änderung herbeiführen kann. Der rechtsstaatliche Weg ist der einzige mögliche in diesem System.

Anwalt: .... lobt die Einsichtigkeit des Gerichtes in die Argumentationslinien der Verteidigung. Informiert über Notwendigkeit der Abschaffung des Gesetzes der Residenzpflicht. Erwähnt Aufbauschen der „Ausländer-Kriminalstatistik“ durch die Residenzpflicht. Erläutert die Entstehungsgeschichte des Gesetzes, die bis 1936 zurückgeht. Gesetz diene der Abschreckung von Asylbewerbern. Weist auf Stellungnahme UNHCR hin: „Der UNHCR hat, als dieses Gesetz im Jahre 1982 neu, in einem etwas anderes Wortlaut in Gesetzesform gegossen worden ist, folgendes gesagt: „In Deutschland gibt es ein System, dass durch Zwangsinternierung in Zentren, ernsthafte Beschränkungen der Bewegungsfreiheit, Arbeitsverbot bei gleichzeitiger Verpflichtung zu gemeinnützigen Diensten und Nichtanerkennung der Familieneinheit in Europa ein einzigartiges System zur Abschreckung von Asylbewerbern zu Tage gebracht hat.“

Dieses Protokoll wurde anhand mehrerer Mitschriften möglichst wahrheitsgetreu erstellt....


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