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Arbeitsgericht schlägt Vergleich vor...!?

Arbeitgebervertreter spricht mit Rückgriff auf das Wörterbuch des Unmenschen von "massiver Störung der Betriebsgemeinschaft"

Prozessbericht über den Kammertermin vor dem Arbeitsgericht in Lüdenscheid am 13. Februar 2002, von Andreas Buderus

Gestern, am 13. Februar 2002 fand in Lüdenscheid der 1. Kammertermin vor dem Arbeitsgericht im Kündigungsschutzverfahren des Kollegen Metin Serefoglu statt. Metin hatte gegen seine fristlose Kündigung geklagt, die sein Arbeitgeber KOSTAL in Lüdenscheid gegen ihn am 13. September 2001 ausgesprochen hatte. Metin hatte sich geweigert, an einer Schweigeminute für die Opfer der Terroranschläge des 11. September teilzunehmen und auf Nachfrage seine Position erläutert; u.a. wie folgt: Amerika habe die Terroristen, die den Anschlag auf Amerika ausgeübt hätten, im Zweifel selbst gefördert und ausgebildet. Amerika habe vielen Terroristen das notwendige Geld gegeben. Insbesondere seien die Taliban von Amerika finanziert worden. Es sei gut, dass Amerika jetzt einmal spüre, was es politisch falsch mache, wenn es Terroristen ausbilde und mit Waffen versehe. Insgesamt sei es aber traurig, dass darunter nun die amerikanischen Menschen leiden müssten. (Schriftsatz von Metins Anwalt)

Diese Haltung, die nicht der allgemeinen Betroffenheitsposition vieler Menschen in der Firma KOSTAL entsprach, löste dann (teilweise) heftige Reaktionen von KollegInnen aus, die den Betriebsrat (von einer Geburtstagsfeier in die Halle gerufen...) dazu veranlassten, beim Arbeitgeber umgehend und ohne weitere Anhörung von Metin durch das Gremium gem. § 104 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) die Entfernung des Kollegen Serefoglu aus dem Betrieb "wegen Störung des Betriebsfriedens" zu beantragen. Nachdem Metin umgehend nach den Ereignissen bereits des Betriebsgeländes verwiesen worden war, erhielt er keine drei Stunden später die fristlose Kündigung zugestellt.

Nachdem in der Güteverhandlung im Novemebr letzten Jahres die Arbeitgeberseite nicht bereit war, die Kündigung zurückzunehmen und Metin, sich nicht bereit fand, sich mit einer ordentlichen Kündigung abzufinden, kam es gestern im Ratssaal von Lüdenscheid in filmreifen Ambiente – zehn Meter lichter Höhe, dreißig Meter Länge, fünfzehn Meter Breite mit entsprechender Akustik - zur ersten Verhandlung vor einer Kammer des Arbeitsgerichtes Iserlohn.

Nach fast neunzigminütiger, teilweise recht scharf von den Prozessvertretern der Parteien geführten, Erörterung verschiedener Rechtsfragen, zogen sich die drei Richter zur Beratung zurück. Das Ergebnis dieser Beratung lautete:

  1. Das Gericht hat (zunächst) keine rechtliche Würdigung der vorgelegten Argumente vorgenommen, da vorderstes Ziel zunächst die einvernehmliche Beendigung des Rechtsstreites sein soll (so steht es auch im Arbeitsgerichtsgesetz)
  2. Das Gericht ist zu dem Eindruck gekommen, dass es bei einer Fortführung des Arbeitsverhältnisses, zu der es Im Falle einer rechtlichen Würdigung und eines Urteils eventuell kommen könnte, nur sehr schwer bis kaum erreichbar wäre, eine friedliche Wiedereingliederung des Kollegen Serefoglu in den Betrieb zu erreichen; insbesondre deshalb, weil sich einzelne KollegInnen von KOSTAL diesbezüglich offensichtlich eindeutig geäußert hätten und auch der Betriebsrat durch sein Verhalten einen solchen Schluss nahe lege.
  3. Unter Berücksichtigung der vorgetragenen Argumente und der dargestellten Einschätzung, dass eine Klärung des Falles eine sehr umfangreiche Beweisaufnahme unter Beteiligung vieler KollegInnen als Zeugen erforderlich machen würde, schlägt das Gericht die Umwandlung der fristlosen in eine fristgerechte Kündigung zum Januar 2002 unter Zahlung einer Abfindung von € 30.000,- vor.

Nach Verkündung dieses Vergleichsvorschlages berieten die Prozessvertreter mit ihren Mandanten und dann miteinander und kamen zu folgendem Ergebnis: Grundsätzlich stehen beide Seiten einem Vergleich positiv gegenüber. Die Einzelheiten sind allerdings nicht direkt vereinbar. In naher Zukunft soll versucht werden, eine gemeinsame Vereinbarung zu erreichen. Sollte dies nicht möglich sein, wird auf Antrag einer der beiden Seiten das Arbeitsgericht in die Beweisaufnahme eintreten. Unstimmigkeiten bestehen insbesondere über die Frage, ob KOSTAL im Falle der Annahme des Vergleiches neben der Abfindung für die Dauer der ordentlichen Kündigungsfrist auch noch ausstehenden Lohn zu zahlen hätte (eigentlich eine Selbstverständlichkeit...???!) . Dies lehnt KOSTAL allerdings momentan noch ab.

In der Verhandlung ging es im wesentlichen um zwei Punkte:

  1. Hatte die Anhörung und Beschlussfassung des Betriebsrates ordnungsgemäß, d.h. rechtmäßig stattgefunden?
  2. War es, wie von KOSTAL behauptet tatsächlich zu Störungen des Betriebsfriedens und zu konkreten Betriebsablaufstörungen gekommen?

Diese Fragen wurden deshalb zunächst erörtert, weil sich bei einer jeweils negativen Beantwortung eine Beweisaufnahme zur Klärung der konkreten Ereignisse von selbst erledigt hätte und zwar zu Gunsten von Metin.

Zum ersten Problem kristallisierte recht schnell die Position des Arbeitsgerichtes heraus, dass dem Arbeitgeber insofern "Vertrauensschutz" zuzusprechen sei, als es der Betriebsrat ist, der für die ordnungsgemäße Beschlussfassung verantwortlich ist. Insofern könne eine eventuell infolge "Geburtstagspartystimmung" fehlerhafte und damit nichtige Beschlussfassung des Betriebsrates nicht KOSTAL zuzurechnen sein. Außerdem sei ein Arbeitgeber im Falle eines betriebsratsseitigen Antrages auf Entfernung eines Arbeitnehmers aus dem Betrieb gem. § 104 BetrVG insofern von einer eigenen "Recherchepflicht" frei, als nicht offensichtlich deutlich werde, dass ein solcher Antrag aus der Luft gegriffen sei...

Zur zweiten Frage erhielt eine Einschätzung von Prof. Wolfgang Däubler (eines der führenden Arbeitsrechtler in der Bundesrepublik) erhebliche Bedeutung, die dieser in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung gemacht hatte, die in ihrer Ausgabe an diesem Tag über den Fall Serefoglu berichtete (s. Link zum Artikel):
"Dennoch ist zweifelhaft, ob die Kündigung rechtmäßig ist. Wolfgang Däubler, Professor für Arbeitsrecht an der Universität Bremen, sagt: "Selbst wenn die Schilderungen der Arbeitgeber zutreffen, reicht das nicht für eine fristlose Kündigung." Außenseitermeinungen, wie sie Serefoglu vorgeworfen werden, fehle der betriebliche Bezug. Auch verletze ein Arbeitnehmer nicht seine vertraglichen Pflichten, wenn er nicht an einer Gedenkminute teilnehme. Wer Politik in den Betrieb hineintrage, müsse sich nicht wundern, auch Ansichten zu hören, die ihm nicht gefallen."

Metins Anwalt, der Kollege Ingo Theissen, verdeutlichte eindrücklich und nachvollziehbar, dass es gerade nicht Metin war, der durch offene Agitation den Betriebsfrieden und schon gar nicht die Betriebsabläufe störte, sondern zunächst Arbeitgeber und Betriebsrat, die durch die Ausrufung der Schweigeminuten die betrieblichen Diskussionen "politisiert" hätten, und anschließend die KollegInnen, die den Kollegen Serefoglu zu seiner Weigerung, sich an dem kollektiven Schweigen zu beteiligen, befragten. Insofern entlarve sich das Verhalten des Arbeitgebers selbst als das, was es in Wahrheit sei, nämlich der Versuch, eine politisch unliebsame Meinung aus der betrieblichen Öffentlichkeit auszugrenzen und damit nicht weniger als ein Eingriff in die grundgesetzlich geschützte Meinungsäußerungsfreiheit.

Je länger die Erörterung dieses Komplexes dauerte, desto deutlicher wurde die Richtigkeit dieser Feststellungen des Kollegen Theissen. Dr. Otten, Vertreter des örtlichen Arbeitgeberverbandes und als Prozessvertreter für KOSTAL anwesend, verstieg sich zu der Feststellung, der Kläger (Kollege Serefoglu) habe "unerträgliche Äußerungen" gemacht, die "erhebliche Unruhe in die Betriebsgemeinschaft" getragen hätten. Damit griff er in das Wörterbuch des Unmenschen zurück, in dem Belegschaften als Teil der "Volksgemeinschaft" noch "Gefolgschaft", ArbeitnehmerInnen "Gefolgschaftsmitglieder" und Arbeitgeber "Betriebsführer" hießen...

Fazit:

Unabhängig davon, wie das weitere Verfahren ausgeht und ob der Kollege Serefoglu sich auf einen Vergleich mit dem Arbeitgeber KOSTAL einigen wird:

  1. Kein Betrag in € wird das dem Kollegen Serefoglu und seiner Familie zugefügte Unrecht wieder gut machen können.
  2. Vielleicht ist es tatsächlich so, wie das Gericht die Situation einschätzt, und eine Wiedereingliederung von Metin in den Betrieb würde sich schwierig gestalten. Bei gutem Willen aller Beteiligten, insbesondere auch des Betriebsrates und der zuständigen Ortsverwaltung der zuständigen Gewerkschaft IG Metall könnten diese Schwierigkeiten aber sicherlich konstruktiv und zukunftsorientiert beseitigt werden. Das setzte aber voraus, dass sich diese Akteure endlich bewegten und nicht weiterhin in bornierter Provinzialität verharrten und sich zum Werkzeug einer gesellschaftlichen Stimmung machten, zu dessen Exekutor sich KOSTAL aufgeschwungen hat.
  3. Überdeutlich wurde außerdem die überragende Bedeutung und Verantwortung des Betriebsrates zur Verteidigung der Grundrechte im Betrieb. Sowohl für das Verfahren selbst als auch für die Chancen des Kollegen Serefoglu auf Rückkehr war es wie dargestellt fatal, dass es der Betriebsrat war, der in dieser Sache den ersten Stein warf, durch seinen Antrag gem. § 104 BetrVG. Das einzelne Betriebsratsmitglieder gerade diesen Antrag aber noch am 25. Januar, bei der Flugblattaktion des Arbeitskreises gegen Rassismus und Rechtsextremismus des ver.di-Bezirks NRW-Süd vor den Werkstoren von KOSTAL bestritten, spricht entweder dafür, dass sich zumindest deren schlechtes Gewissen regt (was Hoffnung machen könnte) oder aber der Betriebsrat selbst - zumindest in Teilen – am eigentlichen Verfahren gar nicht beteiligt war. Aber genau dies, so zumindest die Ansicht des Arbeitsgerichts, könne dann nicht dem Arbeitgeber angerechnet werden...
    Deshalb an alle Betriebsratsmitglieder: Achtet darauf, das vorgeschriebene
    Verfahrensweisen genau eingehalten werden, gerade in Zeiten sich zuspitzender gesellschaftlicher Auseinandersetzungen.
  4. Die im Zusammenhang mit diesem Fall begonnene Diskussion um die Verantwortung gewerkschaftlich betrieblicher und gesetzlicher Interessenvertretungen bezüglich der Gestaltung einer interkulturellen Gesellschaft darf nicht beendet, sondern muss fortgeführt werden. Hierzu fordere ich alle Interessierten ausdrücklich auf.

 


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