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Ein Nürnberger Trauerspiel

Kommentar zur Rolle der IG Metall Nürnberg im Solidaritätsfall Josef Lutz

 

Josef Lutz, Betriebsrat und VKL-Mitglied bei Semikron im Nürnberg, soll gekündigt werden. Er wird verdächtigt, eine Solidaritätserklärung des IGM VK Semikron mit den von der Betriebsschließung bedrohten ADtranz-Kollegen und eine Protesterklärung des IGM VK Semikron gegen den Krieg im Kosovo ins Internet gestellt zu haben. Wir, LabourNet Germany, berichten darüber unter "Solidarität gefragt!".

Bei dieser versuchten außerordentlichen Kündigung des Kollegen Lutz sind zwei Aspekte bis jetzt unterbelichtet geblieben:

Im wesentlichen wirft die Semikroner-Geschäftsleitung Kollegen Lutz vor, er habe veranlaßt, daß eine Solidaritätserklärung mit der Adtranz-Belegschaft und ein Brief des IGM-Vertrauenkörpers von Semikron gegen den Kosovo-Krieg ins Internet gestellt wurden. (Der Brief wurde 1999 bei uns auf der Kosovo-Seite reingestellt und ist einer von vielen gewerkschaftlichen Protesten gegen den damaligen Krieg).

Durch diese zwei Veröffentlichungen, so die Geschäftsleitung von Semikron, könnte die Firma erheblichen geschäftlichen Schaden erleiden, da sie mit "Linksextremismus" in Verbindung gebracht werden könne.

Sollte Semikron mit dieser Argumentation vor Gericht recht bekommen, würde dies einen gefährlichen Präzidenzfall bedeuten. Die bloße Erwähnung eines Firmennamens bei gewerkschaftlichen Veröffentlichungen im Internet oder gar der bloße Verdacht, dies veranlaßt zu haben, würde vollkommen für eine Kündigung ausreichen.

Welche Firma würde dann nicht so argumentieren, um unbequeme Gewerkschafter oder Betriebsräte loszuwerden? Dazu könnte dieses Gerichtsurteil auf andere Medien übertragen werden (Presse, Fernsehen, usw.).

Ein dritter Punkt spielt bei der beabsichtigten Kündigung von Kollegen Lutz eine Rolle: seine angebliche Mitgliedschaft in der MLPD.

Man kann zur MLPD stehen, wie man will - Fans deren Politik sind wir auch nicht. Dennoch teilen wir die Meinung, die bei der letzten Vertreterversammlung der Nürnberger IGM dazu geäußert wurde: Über die Politik könne man anschließend in der Kneipe reden. Hier geht es aber um die Kündigung eines Gewerkschafters.

Anscheinend ist dieses politische Verständnis in der Nürnberger IGM nicht so weit verbreitet, wie es sein müßte.

Nachdem die Geschäftsleitung von Semikron ein Verfahren gemäß §103 BetrVG eingeleitet hat, denn Kollege Lutz ist ein gewähltes Betriebsratsmitglied, hat ein IGM-Mitglied beantragt, ein Untersuchungsverfahren gegen Kollege Lutz auch wegen des Verdachts auf Mitgliedschaft in einer politischen Organisation, die mit den Zielen der IGM unvereinbar sei, einzuleiten.

Der Unvereinbarkeitsbeschluß, der aus den 80er Jahren stammt, wurde schon 1999 durch den 19. Ordentlichen Gewerkschaftstag per Beschluß in Frage gestellt.

Ungeachtet dessen sind wir der Meinung, daß abweichende bzw. "unangenehme" gewerkschaftliche oder politische Meinungen nicht mit einem Ausschluß aus der Welt geschafft werden können. Es gibt bestimmt erschreckend viele Gewerkschaftsmitglieder, die mit einer rechtsextremistischen Gesinnung herumlaufen und bei denen seitens der IGM nichts unternommen wird. Gegen einen Linken wird die IG Metall Nürnberg nun aktiv...

Nicht, daß wir hier mißverstanden werden. Wir sind generell gegen Ausschlüsse. Man muß sich mit solchen Ideen politisch auseinandersetzen. Ansonsten kann in Zukunft jede "Mehrheit" beschließen, daß die Meinung der "Minderheit" "unvereinbar" mit den Zielen der Organisation sei. Aus der Welt und aus den Köpfen sind solche Meinungen dadurch ohnehin nicht.

Doch am Montag, den 18. Dezember 2000 beschloß der Nürnberger IGM-Ortsvorstand mit wenigen Gegenstimmen, das Verfahren gegen Kollegen Lutz weiterzutreiben. Dies tat er auch gegen den Beschluß des Semikroner Vertrauenkörpers.

Obwohl allein dieser Beschluß des Ortsvorstandes traurig genug ist, hat er ein Vorspiel, bei dem manche Funktionäre sich nicht gerade mit Ruhm gekleckert haben. In einem offiziellen Flugblatt der IG Metall Nürnberg von 14.11.2000 an die Belegschaft von Semikron wurde Kollegen Lutz über eine Seite gewidmet. Zwei Absätze möchten wir daraus zitieren:

"Die IG Metall Nürnberg und der VK bei Semikron können sich nicht erklären, wie die Schreiben an die Adressen der MLPD gelangen. Einige Vorgänge aus der Vergangenheit lassen vermuten, dass die Dokumente von Dr. Josef Lutz weiter gegeben wurden. Bewiesen ist das jedoch nicht.

Dies nun zu klären ist Sache des Gerichtes. Und bis zum Beweis des Gegenteils geht die IG Metall von dem Grundsatz aus, das im Zweifel für den Beschuldigten zu entscheiden ist. Deshalb gewährt die IG Metall Josef Lutz den Rechtsschutz, der ihm als Mitglied der IG Metall zusteht."

Nachdem die IG Metall in diesem Flugblatt Kollegen Lutz öffentlich verdächtigt hat, Information an die MLPD weiter gegeben zu haben, hätte sie den letzten Absatz sparen können. "Zum Abschuß freigegeben" wäre eine bessere Überschrift als "IG Metall informiert" gewesen. Sollte dies nicht schon schlimm genug gewesen sein, hat der 2. Bevollmächtigte bei der letzten Betriebsversammlung von Semikron die Belegschaft informiert, daß die IG Metall ein Untersuchensverfahren gegen Kollegen Lutz eingeleitet habe.

Mittlerweile muß Kollege Lutz an zwei Fronten kämpfen - gegen die Geschäftsleitung und gegen seine eigene Gewerkschaft. Erst recht ist Solidarität notwendig!

Dave Hollis
für LabourNet Germany
22.12.2000


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