Die Tarifpolitik der JENOPTIK AG: Chronologie des Vertragsbruchs

 

1995: Die JENOPTIK tritt mit großem Medienecho aus dem "Verband der Metall- und Elektroindustrie Thüringen e.V." aus. Die veröffentlichte Begründung: Unzufriedenheit mit der Tarifpolitik des Verbandes.
29.04.1996: IG Metall und JENOPTIK vereinbaren einen Anerkennungstarifvertrag: Die in Thüringen geltenden Tarifverträge werden damit anerkannt, eine Sonderregelung vereinbart: Die Leistungszulage wird, befristet bis 31.12.1998, um sieben Prozent abgesenkt, im Gegenzug eine Beschäftigungssicherung gegeben.
10.09.1997: Der Zweite Vorsitzende der IG Metall, Walter Riester, besucht die JENOPTIK. Im Rahmen eines anschließenden Gesprächs mit Vertretern des Konzern-Vorstandes wird auch über die Möglichkeiten diskutiert, einen modernen Haustarifvertrag mit speziellem Zuschnitt auf die JENOPTIK zu verhandeln. Eine wichtige Rolle spielt dabei die Frage der Rückkehr der JENOPTIK in den Arbeitgeberverband.
6./17.02.1998: Die Betriebsräte der JENOPTIK AG und die IG Metall beraten darüber, wie ein Haustarifvertrag aussehen kann, vor allem darüber, wo konkret Modernisierungsbedarf besteht.
15.05.1998: Die "Christliche Gewerkschaft Metall" (CGM) und Arbeitgeberverbandsvertreter aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen vereinbaren den "Phönix-Tarifvertrag". Mit diesem Tarif werden tariflich gesicherte Einkommen gekürzt, Arbeitszeiten verlängert und flexibilisiert sowie viele andere tarifpolitische Errungenschaften abgebaut. Die Hoffnungen erfüllen sich nicht: "Phönix" findet in den Betrieben keine Resonanz, ebenso ergeht es der CGM.
11./12.06.1998: Der Arbeitsdirektor der JENOPTIK AG, Herr Heinz Schleef, bittet zu Tisch: Er legt den Betriebsräten "seinen" Haustarifvertragsentwurf vor und bittet um Zu-stimmung. Da es sich dabei im Großen und Ganzen um eine Kopie von "Phönix" handelt, lehnen die Betriebsräte ab. Sie weisen zudem darauf hin, daß sie vom Betriebsverfassungsgesetz her überhaupt nicht berechtigt sind, Tarifverhandlungen zu führen.
23.07.1998: Herr Schleef erläutert der Deutschen Angestellten-Gewerkschaft (DAG) "sein" Tarifmodell. Deren Votum: Ein Tarifergebnis müsse kompatibel zu den Flächen-tarifverträgen sein, außerdem werde sie nur gemeinsam mit der IG Metall Tarif-verhandlungen führen.
15.09.1998: Die JENOPTIK AG kündigt den Anerkennungstarifvertrag zum Jahresende. Damit beginnt ab 1. Januar 1999 die tarifvertragsrechtliche Nachwirkung des Anerkennungstarifvertrages.
16.09.1998: IG Metall und DAG erhalten erstmals den Entwurf der Jenoptik AG für einen Tarifvertrag. Kernelemente: Abbau der tariflich gesicherten Einkommen, Ausweitung und diffuse Flexibilisierung der Arbeitszeiten, kurzum: eine Kopie von "Phönix", die mit der spezifischen Situation des JENOPTIK-Konzerns nichts zu tun hat - wohl aber damit, daß die Arbeitgeberverbände die tarifvertraglichen Sicherungen zerstören möchten.
07.10.1998: Die gewählte Tarifkommission der IG Metall und der DAG für die JENOPTIK AG tritt erstmals zusammen. Einhellig lehnt sie das von Herrn Schleef vorgelegte Tarifmodell ab und beschließt, einen eigenständigen Tarifentwurf zu erarbeiten.
24.11.1998: IG Metall und DAG legen der JENOPTIK AG den Entwurf eines Tarifvertrages vor. Dazu der Vorschlag, rasch den Termin für ein erstes Gespräch zu vereinbaren.
25.11.1998: Für die JENOPTIK AG lehnt Herr Schleef den Tarifvertragsentwurf ab. Er sieht sich "nicht in der Lage, auf das Angebot einzugehen und insofern auf der ... vor-geschlagenen Basis Verhandlungen zu führen." Wie sich später herausstellt, laufen statt dessen schon seit Wochen Gespräche mit der CGM
01.01.1999: Die tarifvertragsrechtliche Nachwirkung des Anerkennungstarifvertrages beginnt. Mit dem heutigen Datum ist die Kappung der Entgelte (Leistungszulagen) durch den Anerkennungstarif beendet, für die meisten Beschäftigten bedeutet dies, daß die Einkommen um sieben Prozent erhöht werden müssen.
26.01.1999: Es findet ein Gespräch zwischen Vertretern der IG Metall, der DAG und des JENOPTIK-Vorstandes statt. Dabei wird deutlich, daß JENOPTIK den von den Gewerkschaften vorgelegten Tarifentwurf für nicht verhandelbar hält und nur über ihren eigenen Entwurf verhandeln will.
11.02.1999: Herr Schleef bekräftigt seine starre Haltung in einem Schreiben an alle JENOPTIK-Beschäftigten. Gleichzeitig macht er deutlich, was er von Vertragstreue und vom bundesdeutschen Recht hält, nämlich nichts: Die zum 31.12.1998 ohne Nachwirkung ausgelaufene Kappung der Einkommen (Leistungszulagen) um bis zu sieben Prozent wird nicht aufgehoben. Viele Beschäftigte machen das ihnen zustehende Geld mit Hilfe der Betriebsräte geltend.
01.03.1999: Die IG Metall fordert den Vorstand der JENOPTIK AG auf, endlich in Tarifverhandlungen einzutreten. Noch am gleichen Tag reagiert Herr Schleef und bietet vier Verhandlungstermine an, beginnend mit dem 10. März 1999, aber schon am:
06.03.1999:

In Stuttgart (!) unterzeichnet der Vorstand der JENOPTIK AG den sattsam bekannten Gefälligkeitstarif mit der CGM. Darin wird:

  • eine diffuse Arbeitszeitregelung getroffen, mit der die bestehende 38-Stunden-Woche aufgehoben und auf bis zu 44 Stunden erhöht wird,
  • ein Teil des Jahresurlaubs zum "Verkaufsobjekt" gemacht,
  • das Einkommen der Beschäftigten durch Einführung neuer Entgeltgruppen so geregelt, daß für viele Arbeitnehmer zum Teil hohe Verluste auftreten würden, die über unklar geregelte Besitzstandsicherungen kaum ausgeglichen werden können,
  • die bisher tarifvertraglich gesicherten Leistungszulagen, Urlaubs- und Weihnachtsgelder abgeschafft, an ihre Stelle sollen diffus geregelte Zielvereinbarungen und Ergebnisbeteiligungen treten, mit denen der bisherige Standard nicht abgesichert wird.
09.03.1999: Die Betriebsräte der JENOPTIK AG werden vom Abschluss des Gefälligkeitstarifvertrages unterrichtet.
12.03.1999: Im Rahmen einer außerordentlichen Betriebsversammlung im "Cinedome" werden die JENOPTIK-Beschäftigten informiert. Ihre Reaktion: Empörung und spontane Demonstration. Eine Woche später, am 19. März: Warnstreik.
März/April 1999: In insgesamt sechs Verhandlungsrunden versuchen IG Metall und DAG, zu einem vertretbaren Tarifkompromiss mit der JENOPTIK AG zu kommen - vergeblich: Herr Schleef beharrt auf den Eckpunkten des CGM-Gefälligkeitstarifvertrages, vor allem auf der Ausweitung der Arbeitszeiten..
26.04.1999: Die IG Metall legt noch einmal einen Tarifvertragsentwurf vor, der versucht, auf die von Herrn Schleef geäußerten spezifischen Bedürfnisse der JENOPTIK AG einzugehen. Auch dieser Entwurf wird von Arbeitgeberseite umgehend zurück-gewiesen und auf die Regelungen des CGM-Vertrages verwiesen.
29.04.1999: Auch die vorerst letzte Tarifverhandlung endet ergebnislos. Auf Seiten der IG Metall wird sie vom Bezirksleiter, Dr. Klaus Mehrens auf Grundlage eines Dis-kussionspapiers "Reformthemen für einen Haustarifvertrag JENOPTIK" geführt. Herr Schleef fordert, daß die DAG und die IG Metall sich selbst einen Maulkorb umhängen: Er droht mit dem Abbruch der Verhandlungen für den Fall, daß die JENOPTIK zum Thema der Maifeiern wird oder Klagen auf Einhaltung des Tarifvertrages bei ihm eingehen.
04.05.1999: Ein für den Konzernbetriebsrat erstelltes Gutachten von Prof. Dr. Oetker wird vorgelegt und von Arbeitgeberseite umgehend zu ihren Gunsten interpretiert. Nur: Es enth„lt keine Aussage darüber, ob der CGM-Vertrag für Beschäftigte der JENOPTIK AG gilt.
19.05.1999: Ein weiterer Warnstreik. Unter diesem Eindruck bietet die JENOPTIK AG eine Erhöhung der Leistungszulagen um 2,5 Prozent an. Bedingung: Die Betriebsräte sollen an der Umsetzung des CGM-Vertrages mitarbeiten. Dies wird abgelehnt, bei der JENOPTIK-Automatisierungstechnik nach einer entsprechenden Abstimmung der Beschäftigten. Dabei ergibt sich ein Votum von fast siebzig Prozent gegen entsprechende Verhandlungen und damit gegen den CGM.
26. 05. 1999: Im Rahmen einer Betriebsversammlung und anschließend einer Pressekonferenz droht Herr Schleef die Aussperrung bei der JENOPTIK AG an. Es ist das erste Mal seit der Wiedervereinigung, daß diese Drohung in den fünf neuen Bundesländern ausgesprochen wird.
28. 05. 1999: Die Öffentlichkeit wird über die angebliche "Neuordnung" der JENOPTIK-Automatisierungstechnik GmbH informiert. Tatsächlich ist die Zerschlagung der Gesellschaft geplant, vielen Beschäftigten droht die Arbeitslosigkeit.
31.05.1999: Die erste Hauptversammlung der JENOPTIK-Aktionäre wird von einem weiteren Warnstreik begleitet. Dieser findet ein bundesweites Medienecho. Auch in den Diskussionen der Aktionäre wird der Tarifstreit aufgegriffen und der Vorstand der JENOPTIK dafür kritisiert. Die Geschäftsberichte der AG enthüllen die Entwicklung der Gehälter der fünf bzw. sechs Vorstandsmitglieder: 1996 = DM 2,7 Millionen, 1997 = 4,3 Millionen, 1998 = 5,9 Millionen (einschließlich Abfindungen).
Die Fortsetzung schreiben die JENOPTIK-Beschäftigten, die den Druck auf den Konzernvorstand mit Hilfe von IG Metall und DAG aufrechterhalten und ausweiten.