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Updated: 18.12.2012 15:51
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Eigentor – Zum Kampf des Vorstands der Bankgesellschaft Berlin AG gegen den Betriebrat Heiko Barten

Alle sind Mitglieder einer Werks-Gemeinschaft, die sich in den Schützengräben des `Weltwirtschaftskrieges´ zu bewähren haben“, machte 1996 die Geschäftsleitung des Mercedeswerkes in Gaggenau ihren Arbeitern und Angestellten klar [1]. Ein solche Verbindung von Krieg und Werks-Gemeinschaft weckt ungute Gefühle. Hatten wir das nicht alles schon einmal? Und um Gefühle über dieses „hochtraumatisierte“(2) Thema der deutschen Vergangenheit ging es auch in der Auseinandersetzung vor dem Arbeitsgericht Berlin – zumindest auf der einen Seite. Auf der anderen stand der Frieden, konkret der gesetzlich verordnete Betriebsfrieden im Inneren zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat für den Sieg im äußeren Wirtschaftskrieg. Die Berlin Bankgesellschaft hat mit beiden akute Schwierigkeiten. Zum Verlust ihres Ansehenin der Öffentlichkeit wegen eines fragwürdigen Umgangs mit Steuergeldern, kam die Niederlage in ihrem Kampf gegen den unliebsamen Betriebsrat Heiko Barten. Er gewann seine Kündigungsschutzklage mit Teilurteil vom 13.02.2004 und die Weiterbeschäftigungsklage mit Schlussurteil vom 26.03.2004. Ein verdienter - aber auch hart erkämpfter Sieg.

Armin Kammrad, 19.04.2004 (für diesen Beitrag verantwortlich im Sinne des Presserechts[2])

Wie alles begann

Es fing nicht im Betrieb an. Heiko, welcher bei der Berlin Bankgesellschaft seit ihrer Entstehung 1994 angestellt ist, war ursprünglich gar nicht bei der Berlin Bankgesellschaft tätig. Im Begeisterungstaumel der Wiedervereinigung kam der frühere CDU-Bürgermeister Eberhard Diepgen auf die Idee verschiedene Kreditinstitute zusammenzuführen. Es entstand die Bankgesellschaft Berlin AG mit über 50 Prozent Aktienanteile des Berliner Senats. Mit übernommen wurde auch Heiko.

Leider lief es dann nicht so gut wie ursprünglich erhofft. Die Gesellschaft machte hohe Verluste. Es wurden insbesondere bei den Immobiliengeschäfte die Vorwürfe der Misswirtschaft laut. Finanziert wurden diese Fehlinvestitionen durch Fonds zu außergewöhnlich lukrativen Bedingungen. Und hier begann das eigentliche Drama:. Denn die Kapitalanleger wollten ihr versprochenes Geld. Deshalb sprang der Senat ein. Er beschloss April 2002 ein sog. „Risikoabschirmungsgesetz“ – und das kostete und kostet immer noch. Allein 2003 zahlte das Land Berlin 300 Millionen Euro zur Sicherung der Kredite und garantierte weitere 21,6 Milliarden. Anbetracht von 52,2 Milliarden Euro Schulden im Haushalt ein mehr als gewagter Betrag.

Woher das Geld also nehmen? Der Fall der Bankgesellschaft Berlin wurde zu einem bilderbuchhaften Beispiel der Umverteilung von unten nach oben. Was den Reichen gegeben wird, wird den anderen, dem ärmeren Teil der Bevölkerung Berlins - durch Kürzungen und Einsparungen - genommen. Das Resultat sind Proteste bis hin zur Forderung nach einem Volksbegehren. Nach Angaben der Initiative für ein „Volksbegehren gegen den Berliner-Bankenskandal“ haben sich mittlerweile 37.000 Menschen in Berlin für die Aufhebung des Risikoabschirmgesetzes und für eine ordentliche Auflösung der Bankgesellschaft Berlin AG ausgesprochen. Doch was hat damit Heiko zu tun?

Nichts - und doch besteht zugleich ein - wenn auch unausgesprochener - wirtschaftspolitischer Zusammenhang. Nach geltender Rechtsauffassung darf hier nichts vermengt werden. Heiko ist seit 2000 Betriebsrat bei der Bankgesellschaft Berlin AG und nach dem BetrVG § 74 zum sog. „Kooperationsgebot“ verpflichtet. Danach müssen beide Betriebsparteien vertrauensvoll zum Wohl des Unternehmens zusammenarbeiten, auch wenn das Wohl - wie bei der Bankgesellschaft - auf äußerst kritikwürdiger Basis beruht. Die Auseinandersetzung zwischen dem Vorstand der Bankgesellschaft und dem Betriebsrat Heiko Barten, die nach Willen des Vorstandes mit einer fristlosen Kündigung enden sollte, ist auch Ausdruck davon, dass der äußere Kampf im inneren nicht immer den Frieden bringt, welche das Betriebsverfassungsrecht fordert.

Neben der staatlichen Reichtumssicherung durch Umschichtung von Steuergeldern, sind Rationalisierungen ein naheliegendes Mittel Verluste zu mildern. So setzte sich der Vorstand das Ziel bis 2005 rund 4.000 Stellen einzusparen. Damit war der innere Betriebsfrieden nun aufs nachhaltigste gestört. Und hier trat auch Heiko engagiert hervor. Im Unterschied zur Mehrheit des Betriebsrates, trat er mit noch einigen anderen Betriebsräten, gegen die Entlassungspläne zur Sanierung der maroden Bankgesellschaft auf. Vor allem kritikwürdig ist die Methode mit welcher die Bankgesellschaft ihr Rationalisierungsziel erreichen will.

2.500 Arbeitsverhältnisse beendete sie bereits 2002 mit sog. „SEV-Maßnahmen“. Darunter verstehen die Verantwortlichen der Bankgesellschaft Aufhebungsverträge, Vorruhestands- und Altersteilzeitregelungen. Diese Maßnahmen zeichnen sich alle dadurch aus, dass man die ausgewählten Mitarbeiter in Gesprächen eine Kündigung oder Umwandlung nahe legt. Heiko und andere Betriebsräte deuteten diese Trennungsgespräche als akute Mobbinggefahr – im Unterschied zur Mehrheit des Betriebsrates.

August 2003 kündigte die Bankgesellschaft erneut an, weitere Stellen abzubauen. Um erfolgreich zu sein, führte sie Schulungen mit den Verantwortlichen durch. Aus dem Schulungstext geht eindeutig hervor, dass der oder die Betroffene zur etwas bewegt werden soll, was er oder sie selbst nicht will – die Aufgabe des Arbeitsplatzes. Selbst Tränen sollten nicht der Absicht des Überredens zur Annahme des „Trennungsangebotes“ zuwiderlaufen. Wenn es auch nicht zum direkten Gegenstand der Verhandlung wurde, so stand auch das Gericht dieser Praxis der Trennungsgespräche sehr kritisch gegenüber.

Heiko stellte im Sommer letzten Jahres auf der Homepage von „FrischerWind!“ eine Präsentation von insgesamt 62 Text- und Bildmotiven ein, die vor dem Auge des Betrachters abliefen. Schematisch betrachtet wurden unter den Themen „Trennungsgespräche“ und „Meinungsfreiheit“ die Problembereiche „Ohnmacht“, „Missstände“, „Trennungssituationen“, „Höhere Gewalt“ und „Hoffnung“ künstlerisch dargestellt. Bei den benutzen Motiven fand sich unter dem Bereich „Missstände“ auch ein Bild mit der Eingangstorinschrift „Arbeit macht frei“ der KZ-Gedenkstätte Dachau. Die Verwendung dieses Bilds sollte, nach Willen des Vorstandes, Heikos fristlose Kündigung rechtskräftig begründen.

Um des lieben Friedens willen?

Was bezweckte Heiko eigentlich mit dieser Kollage? Warum verwendete er gerade auch dieses Bild? Nun, die Antwort von Heiko war entsprechend seinem Hauptthema, der Meinungsfreiheit. Es war seine Absicht, dass sich jeder von seiner Präsentation sein eigenes Bild machen soll. Das Gericht konnte sich mit dieser Präsentation nicht so recht anfreunden, es empfand sie als „dunkel“. Allerdings betonte es zugleich die Subjektivität der Wahrnehmung, welche natürlich auch ganz anders ausfallen kann. Subjektive Wahrnehmungen können folglich auch nicht Gegenstand rechtlicher Wertung sein, welcher das Gericht als von Rationalität und Objektivität geprägt bezeichnete. Und was war mit dem Bezug zur Bankgesellschaft, die als „Betroffene“ auftrat?

Der direkte Bezug zur Bankgesellschaft“ könne „aus der Bildfolge (...) nicht zwingend abgeleitet werden“, erklärte der Betriebsrat mehrheitlich in seiner Ablehnung der fristlosen Kündigung, der ersten Reaktion auf die brodelnde Auseinandersetzung im Betrieb. Gleichzeitig kritisierte er jedoch, dass Heiko sich „nicht korrekt verhalten hat und distanziert sich deutlich von dieser Veröffentlichung“. Unverständlich, warum hier ein unkorrektes Verhalten vorgelegen haben soll, wenn gleichzeitig kein direkter Bezug zur Bankgesellschaft besteht. Tatsächlich hat Heiko seine Präsentationen ziemlich bald nach Kritik zurückgezogen und sein Bedauern über die nicht beabsichtigte Betroffenheit einiger Personen öffentlich zum Ausdruck gebracht. Das Gericht wertete dies positiv. Einen Wiederholungsfall schloss es ausdrücklich aus. Es betonte darüber hinaus recht progressiv die Notwendigkeit von produktiven Auseinandersetzungen zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber. In Anlehnung an eine Entscheidung des Arbeitsgerichtes Hamburgs stellte es sogar fest, dass „die Aufrechterhaltung von belasteten und gestörten Beziehungen..... produktiver als ihr Abbruch sein kann.“ Wie produktiv war diese Auseinandersetzung aber wirklich?

Heiko stellte eindeutig klar, dass seine Präsentationen zur Bankgesellschaft keinen Bezug hat. Seine künstlerische Darstellung der Trennungsgespräche sei allgemeiner und gesamtgesellschaftlicher Natur, gerade in Zeiten von Massenentlassungensei eine Auseinandersetzung darüber notwendig. Tatsächlich sind es zwei verschiedene Dinge, ob eine künstlerische Darstellung sich auf konkrete Vorgänge bezieht oder ob irgendein konkreter Vorgang nur den Anstoß gibt, etwas, was einem schon länger beschäftigt. nun zu realisieren. Dem inneren Zwang eine Verbindung herzustellen unterlagen nun einige Kräfte der Bankgesellschaft, womit sie letztlich auch die Frage aufwarfen, warum sie sich eigentlich betroffen fühlten?

Das Gericht nahm diese Betroffenheit den Verantwortlichen in der Bankgesellschaft nicht ab. Schließlich bezog sie sich auf nur ein Gestaltungsmittel der Präsentation, die KZ-Inschrift. Deshalb habe Heiko, behauptete der Vorstand, „seine Verpflichtung zur vertrauensvollen Zusammenarbeit mit ihr und ihren Mitarbeitern in äußerst schwerwiegender Weise verletzt (und) den Betriebsfrieden empfindlich gestört“. Dabei bezog sie sich auf das Strafrecht, konkret auf: „Beleidigung ihres Führungspersonals und der mit Trennungsgesprächen befassten Mitarbeiter sowie (....) Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener“. Das Gericht nahm nichts von diesen Vorwürfen an. Und dies aus gutem Grund nicht:

Nach der Veröffentlichung der umstrittenen Präsentation auf der Homepage von „Frischer Wind“, erregte besonders ein ehemaliger Betriebsrat (und jetzt weiterhin freigestelltes Mitglied einer sog. „Integrationsgruppe“) Aufsehen, in dem er die Animation in Einzelbilder zerlegte, einige wegließ und von seinem neuen Werk die verantwortliche Personalleitung gleich zweimal in Kenntnis setzte. Sein Vorgehen begründete er mit der nicht nachvollziehbaren Behauptung: „Wir alle, also Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertreter, bemühen uns, betriebsbedingte Kündigungen zu vermeiden. In den Trennungsgesprächen sehen wir ein geeignetes Mittel zu diesem Ziel. Als Arbeitnehmervertreter kann ich es nicht schweigend hinnehmen, wenn alle, die an diesen Gesprächen beteiligt sind, mit Tätern und Opfer des Holocaust verglichen werden.“ Die von Heikos völlig abweichende Haltung zu den Trennungsgesprächen ist offensichtlich. Die Gründe für die Betroffenheit sind es nicht. Wieso Trennungsgespräche Kündigungen vermeiden, bleibt das Rätsel des beispielhaften Sozialpartners. Allerdings hatte dieses „Petzen aus Betroffenheit“ – zumindest zunächst - Erfolg.

Heiko bekam den blauen Brief, obwohl der Betriebsrat zuerst widersprach (vgl. oben). Die Bankgesellschaft ging vor Gericht und dieses entsprach deren Antrag auf Ersetzung der Zustimmung des beklagten Betriebsrates, der noch nicht einmal einen Rechtsbeistand hatte. Zwischenzeitlich wurde Heiko sogar zum Betriebsratsvorsitzenden gewählt. Nachdem das Gericht dem Ersetzungsantrag stattgab, kam es im Betriebsrat zur 180-Grad-Wende. Der Betriebsrat stimmte kurz darauf der außerordentlichen Kündigung seines Vorsitzenden zu. Heiko musste nun, derart in Stich gelassen, zwangsläufig Kündigungsschutzklage einlegen.

Dieser Zickzack-Kurs hatte, meinem Eindruck nach, mehre Ursachen, die allerdings in der Praxis vermengt wurden:

Einmal steht da das gesetzliche Gebot des Betriebsfriedens, was die Arbeitnehmervertretung unter Druck setzt. Dies drückt sich u.a. darin aus, dass die Trennungsgespräche nicht konsequent abgelehnt wurden. Eine solche Gefährdung des lieben Friedens – und hier widersprach das Gericht in keiner Weise – wäre betriebsverfassungsrechtlich jedoch zulässig. Denn die Art der Gespräche sind eng mit Mobbing verwandt, weil versucht wird durch psychologisch einstudierte Tricks, den Willen der oder des Betroffenen zu unterlaufen. Ein Teil des Betriebsrates scheint hier eher zwischen Betriebswohl und Wohl der Arbeitnehmer hin und her zu schwimmen und das Ufer völlig aus dem Auge verloren zu haben.

Zweitens wurde unterschätzt bzw. ignoriert, dass Heiko deshalb in die Betroffenheitsdiskussion verwickelt wurde, weil er konsequent gegen die Trennungsgespräche auftrat. Der Vorstand der Bankgesellschaft wählte offensichtlich nur deshalb diesen Weg, weil er meinte, dass Heikos Verwendung der KZ-Inschrift „Arbeit macht frei“ einen juristischen Volltreffer abgibt. Es wurde jedoch ein Eigentor.

Zu diesem Eigentor kam es bei der Bankgesellschaft auch, weil allgemein in Deutschland jegliche Kollage von aktuellen wirtschaftlichen und politischen Geschehen mit Aspekten der deutschen Vergangenheit oft ungute Gefühle auslöst. Der ungelösten Vergangenheit konnte Heiko deshalb gar nicht entkommen. Er hätte die Gestaltung wählen können wie er wollte. In unguter Weise ungelöst scheint diese Vergangenheit schon deshalb zu sein, weil sich offenbar so schnell manche Leute betroffen fühlen oder so tun können, als wären sie tief betroffen. Die für die Kündigung Verantwortlichen der Bankgesellschaft agierten in ihrem Bestreben Heiko loszuwerden, also auf einer weitverbreiteten Basis häufig anzutreffender Psychologie.

Deshalb stellt sich mir am Schluss die Frage: Warum der Vorstand der Bankgesellschaft Berlin AG nicht so reagierte wie er erklärte: Wenn bei ihr alles mit völlig rechten Dingen zugeht, muss die völlig berechtigte Auseinandersetzung seines Betriebsrates mit der deutschen Vergangenheit und Gegenwart doch kein Stein des Anstoßes sein. Schließlich sollen sich sogar die Schüler laut den meisten Lehrplänen mit der faschistischen Vergangenheit auseinandersetzen. Unbestreitbar – Probleme damit hat nicht nur der Vorstand der Bankgesellschaft. Probleme sollten deshalb in jedem Fall gelöst und nicht verdrängt werden. Worin besteht eigentlich der aktuelle Grund, dass Heikos Präsentationen so traumatisierte Reaktionen auslösen können?

Was noch zu tun bleibt

Das Gericht hat beispielhaft auf Grundlage der bestehenden Gesetzeslage gegen Heikos Kündigung entschieden. Nur sind nicht immer alle bestehenden Gesetze noch zeitgemäß. Damit meine ich, dass die gesellschaftliche Realität ein modifiziertes Rechtsverständnis erfordern kann. Geschieht dies nicht, kommt es u.U. zwischen Einzelgesetz und Grundgesetz zu Widersprüchen. Das gesetzliche, noch von Adenauer stammende Gebot des Betriebsfriedens für Arbeitnehmervertreter, ausgerichtet am Betriebswohl, was wohl immer mit den Interessen des Arbeitgebers identisch zu setzen ist, wird mehr und mehr zum verfassungsrechtlichen Problem. Auch dies zeigt anschaulich der hier dargestellte Konflikt in und um die Bankgesellschaft Berlin AG.

Für den Vorstand stellt sich das Wohl des Betriebes sowohl in steuerlichen Maßnahmen als auch in Rationalisierungsmaßnahmen dar. Die Arbeitnehmer erfahren diese Art Betriebspolitik einmal durch Umschichtung von sozialen Belangen hin zu Belangen der Kreditsicherung des kapitalstärkren Teils der Bevölkerung und zum anderen u.U. auch als Verlust des Arbeitsplatzes. Dies trennt nicht nur in unakzeptabler Weise die Interessen der Arbeitnehmerseite, sondern stellt auch keine Gleichbehandlung dar. Denn von der Steuerumschichtung betroffener Arbeitnehmer verbiet das Betriebsverfassungsgesetz im Betrieb als Arbeitnehmer gegen diese Umschichtung zu kämpfen. Hier soll, laut Gesetz, dieser Nachteil ein Vorteil sein.

In Wahrheit zeigt die Praxis der Bankgesellschaft Berlin AG, dass Steuervergünstigungen gerade nicht automatisch zur Sicherung der Arbeitsplätze führen. Im Gegenteil wird aus ein und dem selben Grund sowohl rationalisiert als auch staatliche finanzielle Unterstützung verlangt. Es ist weder den Arbeitnehmern noch deren Vertretung zumutbar, das Betriebswohl völlig vom eigenem Wohl abzukoppeln. Aktivitäten zur Sicherung der Existenz der Arbeiter und Angestellten können nicht gesetzlich in den Käfig reiner Unternehmensaktivitäten gesperrt werden. Dies ist wohl Wunsch der gegenwärtigen Politik, wie z.B. die rot-grüne Agenda 2010 zeigt, jedoch nicht unbedingt verfassungskonform.

Denn gerade wenn die Politik versucht mehr Entscheidungen von Tarifvereinbarungen in die Betriebe zu legen, bedeutet dies für die Situation der im Betrieb arbeitenden Menschen nicht nur Isolation, sondern auch Rechtlosigkeit. Nicht nur, dass der Betriebsrat kein Streikrecht hat um sich zu wehren oder die Interesse der Arbeiter und Angestellten gegen die der Arbeitgeberseite, gekoppelt mit den Wünschen des Berliner Senats, zu verteidigen. Nach dem Kooperationsgebot kann nahezu alles von Arbeitgeberseite als Verstoß gegen § 74 BetrVG interpretiert werden. Fordert die Politik mehr Entscheidungsmöglichkeiten auf der betrieblichen Ebene, so muss damit eine Lockerung der gesetzlichen Fesseln einhergehen. Nur wenn auf Betriebsebene die Arbeitnehmerseite die gleichen Rechte hat wie auf überbetrieblicher, tariflicher Ebene, wird der Gleichheitsgrundsatz zwischen den Betriebsparteien zumindest juristisch gewahrt.

Dass das Betriebsverfassungsgesetz nicht mehr zeitgemäß ist, liegt also wesentlich an der herrschenden Politik selbst. Diese geht in Richtung der Entrechtung durch Gesetz. Sie schafft somit auch jede Basis für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit ab. Das abstrakt gefasste Betriebswohl wird zum Wohl von nur einer bestimmten Gruppe. Das Gericht versuchte es bei Heiko mit gewissen Interpretationen dessen, was dem Betriebswohl dient und was eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite zum Inhalt hat. Da die rechtliche Besserstellung der Macht der Arbeitgeberseite politisch jedoch weiter fortschreitet, werden die Arbeitsgerichte künftig noch alle Hände voll zu tun haben – es sei denn in Deutschland kommt es auf der politischen Seite zu einer anderen, mehr demokratischen und am Sozialstaatsprinzip orientierten Politik. Heikos Kampf sollte hier vor allem allen Zweiflern Mut machen.

1. zitiert nach Rainer Roth „Nebensache Mensch“, Frankfurt a.M., 2003, S.515
2. alle Angaben zu innerbetrieblichen Vorkommnisse stammen ausschließlich aus den öffentlichen Gerichtsverfahren mündend im Urteil 28 Ca 32904/03 des Arbeitsgerichtes Berlin.


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