Liebe KollegInnen,
unter der Rubrik "Solidarität gefragt" habt Ihr kommentarlos
eine Unterschriftenliste "Nein zum Kopftuch-Verbot! Kein Berufsverbot für
Frauen"
gestellt.
Dazu ein paar kritische Anmerkungen:
- Unter einer emanzipatorischen Position verstehe ich - immer noch - eine,
die den Verzicht auf religiöse Symbole im Zusammenhang mit Erziehung
in den Vordergrund stellt. Das betrifft ausdrücklich alle religiösen
Symbole und entspricht alten Idealen der Aufklärung und des Fortschritts.
Das war unter Linken bis jetzt auch relativ unstrittig.
- Die bewusste Irreführung in dem Aufruf mit dem Reizwort "Berufsverbot"
appelliert an linke Reflexe, hat aber selbst mit den reaktionären
Intentionen CDU-geführter Landesregierungen wenig zu tun: Eine in laizistischen
Staaten selbstverständliche Anforderung, nämlich religiöse
Symbole nicht im Unterricht zu zeigen, wird in das Gegenteil verdreht. Ausdrücklich
ist bei den angestrebten Verboten nicht Glaube oder Gesinnung gemeint (wie
1972 beim Berufsverbot), sondern das Symbol und seine unterstellte Bedeutung.
- Kein Zufall, dass Aufruf das eigentliche Thema, nämlich das Kopftuch
bei muslimischen Lehrerinnen, nicht in den Vordergrund stellt und stattdessen
allgemein mit dem 'Kopftuchverbot' operiert. Wie ergeht es eigentlich jungen
Muslimas, die ihren täglichen Kampf im Elternhaus um die kleinen Freiheiten
zu führen haben (kein Kopftuch! mit Jungs spielen! ins Freibad gehen!
Rockmusik hören! hippe Klamotten tragen! Klassenfahrt mitmachen!), wenn
die Vorbildfigur Lehrerin Hand in Hand mit konservativen Elternhäusern
eine ganz bestimmte religiös begründete Frauenrolle einnimmt? Nicht
die angebliche Indoktrination von Nicht-Muslimen ist das Problem, sondern
die Verstärkung
konservativer und religiöser Rollen und Verhaltensmuster bei jungen Muslimen
(egal welchen Geschlechtes).
- Auch wenn das Kopftuch bei Muslimas keinen Automatismus der Unterdrückung
von Frauen begründet, so ist der Umkehrschluss, nämlich das Kopftuch
davon zu trennen, reine Legendenbildung. In jeder Religion gilt wohl, je aufgeklärter
sie gestaltet und gelebt wird, desto mehr kann sie auf Symbole verzichten.
- Der Zusammenhang zwischen Islamisierung, Betonen einer angeblich islamfreundlichen
Kleidung (nicht nur das Kopftuch!) und einer Zunahme der Unterdrückung
von Frauen dürfte schnell zu belegen sein: Schon der oberflächliche
Blick nach Afghanistan, in die Türkei, in die arabischen
Staaten müsste ausreichen. Über das Ausmaß an Gewalt und Unterdrückung,
das damit verbunden ist, können MenschenrechtlerInnen und Frauenorganisationen
Bände füllen.
- Wieso entbehrt "die angebliche Gefahr eines islamischen Terrorismus
jeglicher Realität"? Sind islamistische Attentate in der Türkei
(und vor
wenigen Jahren auch zahlreich in Frankreich) nicht nahe genug an Deutschland?
Gibt es etwa in Deutschland keine islamistischen
Organisationen, die einen militanten Islamismus zumindest in Wort und Schrift
proklamieren?
Aus alle diesen Fragen bzw. Schwierigkeiten, die sich mit diesem und ähnlichen
Aufrufen und Erklärungen ergeben, bitte Euch den Aufruf aus dem
Netz zu nehmen. Stattdessen schlage ich vor, eine Diskussion zu führen,
wie sich eine Gewerkschaftslinke jenseits von CDU-Politik und jenseits
religiöser Symbolik positionieren kann.
Freundliche Grüße
Sebastian Wertmüller