BELL & WINDIRSCH

A N W A L T S B U R O

 

Stefan Bell
Regine Windirsch
Sigrid Britschgi
Annette Malottke

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40213 Düsseldor
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Arbeitsgericht Düsseldorf

Ludwig-Erhard-Allee 21
40227 Düsseldorf

Datum 08.07. 1999
Az.: 0285/99 wi A kn

 

In dem Rechtsstreit
Specht ./. Mercedes Benz
Aktenzeichen:
6 Ca 2528/99

nehmen wir zum Schriftsatz vom 17.06.1999 wie folgt Stellung:

1. Sachverhalt

1.1 Die Angahen zu den persönlichen Daten des Klägers sind zutreffend.

Richtig ist auch, daß am 08.04. - 09.04.1999 eine außerordentliche Bletriebsratssitzung stattfand, auf der die Vertreter der Beklagten erneut versuchen wollten, dem Betriebsrat ihre Vorstellungen bezuglich eines erneuerten Vergütungssystems vorzustellen.

Dieses Vergütungssystem wird bereits in diversen Betrieben der Beklagten mit jeweils differenzierenden Nuancen durchgeführt. In Kassel begannen die Gespräche über das neue Entgeltsystem bereits am 19.01.1995. Grundlage für die Gespräche ist die Gesamtbetriebsvereinbarung "neue Leistungs- und Entlohnungsbedingungen" vom 01.12.1993.

Es wurde das erste Pilotprojekt am 01.05.1997 nach Abschluß einer ergänzenden Betriebsvereinbarung Bonus am 06.08.1996 durchgeführt.

In der Belegschaß wird und wurde das neue Entgeltsystem kontrovers diskutiert, da eine Leistungsverdichtung befürchtet wird.

Ab 4/1997 erfolgte die Umsetzung des neuen Entgeltsystems in anderen Werken. Es wird insofern Bezug genommen auf die als

Anlage 1

beigefügte Darstellung. Erste Veröffentlichungen zu diesem neuen Entgeltsystem erfolgten in Kassel durch die "Nachrichten vom Mercedesplatz" im Marz 1996

Anlage 2,

eine Broschure der IG Metall und des GBR der Mercedes Benz AG mit Stand August 1994, veröffentlicht in der Union Druckerei in Frankfurt sowie eine Veröffentlichung zur GBR-BV im "Scheibenwischer" und darauf auch im "Express".

Beweis: K. Berger, dessen ladungsfähige Anschrift nachgereicht wird.

Die Gespräche in Kassel, im Ursprungswerk, in dem dieses neue Entgeltsystem eingeführt wurde, waren zu keinem Zeitpunkt geheim/vertraulich.

Beweis: wie vor

Dementsprechend wurden auch im November 1997 in der Pubikation "Werktage werden schlechter" die Auswirkungen der Untemehmenspolitik von Daimler Benz auf die Beschäftigten (ISDN 3-88534-317-7) "die Grundsätze des neuen Entgeltsystems" dargestellt.

In der Vergangenheit waren bereits zweimal Besprechungstermine, die die Beklagte mit dem Betriebsrat zu diesem Thema wünschte, auf Initiative des Betriebsrats verschoben worden.

Der Arbeitgeber suchte nunmehr erneut um diese außerordentliche Betriebsratssitzung an.

Die Darstellung der Teilnehmer an dieser außerordentlichen Betriebsratssitzung ist zutreffend, wobei daraufhinzuweisen ist, daß anstelle der Betriebsratsmitglieder Rüdiger Etteldorf und Friedhelm Knotz, beide Alternative Liste, die an der Teilnahme verhindert waren, eigentlich Ersatzmitglieder hätten geladen werden müssen, dieses jedoch von dem der Mehrheitsfraktion angehörenden Betriebsratsvorsitzenden, Herr Rupschas, versäumt wurde. Insbesondere ist auch richtig, daß der erste Bevollmächtigte der IG Metall, der Zeuge Egerer, an der Betriebsratssitzung teilnahm.

Zu Beginn teilte der Betriebsratsvorsitzende Rupschas mit, daß er, wenn es zu Angriffen (gemeint waren wohl verbale Angriffe) auf den Arbeitgeber käme, er den Betreffenden am Kragen packen und rausschmeißen werde.

Beweis:

Zeuge
Zeuge

Kuhnke,b.b.
Peter Egerer, c/o Gewerkschaft IG Metall, Verwaltungsstelle Düsseldorf, Pionierstr. 12, 40215 Düsse1dorf



Hintergrund war eine Rede des Klägers auf einer Betriebsversarnmlung, die beim Arbeitgeber und der Betriebsratsmehrheit auf Empörung gestoßen ist, weil der Kläger einige Mißstände im Unternenmen deutlich zur Sprache gebracht hat.

In diesem Zusammenhang wies der Betriebsratsvorsitzende auch in seiner üblichen Diktion gegeniiber den Mitgliedern der Alternativen Liste darauf hin, daß der Inhalt dieser Besprechung nicht in irgendein Schmierblatt kommen solle. Hierbei handelt es sich urn die Zeitung der vereinigten Alternativen Liste, in der Mißstände im Unternehmen ange sprochen werden und die daher sowohl der Behiebsratsmehrheit als auch dem Arbeitgeber ein Dorn im Auge ist.

Dna die Mitglieder der Alternativen Liste derartige Anfälle bereits gewohnt sind, ist dem Kläger nur noch in Erinnerung, daß er sich mit einem "Moment mal, von wegen Schmierblatt" einmischte und dann die Sache auf sich berühen ließ.

Beweis: wie vor

Es handelte sich hierbei um einen der üblichen Ausfälle des Betriebsratsvorsitzenden. Ein Hinweis auf besondere Vertranlichkeit, die - wie oben dargestellt - auch gar nicht bestand, wurde jedoch nicht getätigt.

Beweis: wie vor

Richtig ist, daß der Zeuge Kuhnke nachfragte, ob Unterlagen verteilt würden. Hierzu teilte Herr Drewes mit, daß wegen der bevorsthenden Verhandlungen noch Veränderungen auftreten könnten, so daß wegen der Vorläufigkeit der Überlegungen keine Unterlagen verteilt würden

Beweis:

wie vor
Vorlage des handschriftlichen Protokolls des Zeugen Kuhnkes von dieser außerordentlichen Betriebsratssitzung

Von einer angeblich gegebenen Vertraulichkeit war auch in diesem Zusammenhang keine Rede.

Beweis: wie vor

Mit Nichtwissen wird bestritten, daß mit der Ausführungen des Herrn Drewes eine besondere Vertraulichkeit betont werden sollte. Zunundest ergab sich dies nicht aus seinen Ausführungen.

Danach begann die Darstellung durch die Arbeitgebervertreter. Für den Kläger stellte sich die Verständigung am 08.04.1999 als schwierig heraus, da sowohl sein Tischnachbar, Herr Jaschinski, als auch der Personalchef, Herr Drewes, sehr leise sprachen.

Der Kläger verstand aufgrund einer bei ihm bestehenden Schwerhörigkeit, auf das als

Anlage 3

beigefugte Attest wird Bezug genommen, nur die Hälfte der Ausführungen. Die Verständigung wurde für den Kläger durch das ständige Summen des Overhead-Projektors

Beweis:

Zeugnis Kuhnke, b.b.
Zeugnis Egerer, b.b.

weiter beeinträchtigt. Daher entschied sich der Kläger am Morgen des 09.04.1999 spontan sein Diktiergerät mitlaufen zu lassen, um evtl. Verständnisschwierigkeiten auszugleichen. Dieses Diktiergerät, ein Geschenk seiner Ehefrau und seiner Tochter, hatte der Kläger auf Drängen seiner Ehefrau zu der Veranstaltung mitgenommen, die der Auffassung war, der Kläger könne dieses Gerät vielleicht auf der Sitzung gebrauchen.

Beweis: Martina Specht,

Die Ehefrau des Klägers macht sich die größten Vorwürfe, daß sie den Kläger dazu bewogen hat, dieses Diktiergerät rnitzunehmen und damit den Arbeitsplatz ihres Ehemannes gefährdet hat.

Beweis: wie vor

Der Kläger legte das Gerät auf den Tisch vor sich und schaltete es gegen 9. oo Uhr, als der Arbeitgeber "das Angestelltenmodell" vorstellte, an. Zumindest betätigte er die Knöpfe, die er hierzu für erforderlich hielt. Der Kläger hat das Gerat nämlich bisher lediglich zwei- bis dreimal genutzt. Einmal, um die oben bereits erwähnte Rede auf Band zu sprechen, damit seine Ehefrau diese abtippen konnte. Zu diesem Zweck hatte die Ehefrau ein gesondertes Mikrofon am Pullover des Klägers befestigt und das Gerät eingeschaltet.

Beweis: wie vor

Am 09.04.1999 war die Verständigung für den Kläger jedoch deutlich besser, so daß er gegen 9.30 Uhr den Ausknopf betätigte. Die Aufnahme kann daher allenfalls eine halbe Stunde lang sein.

Beweis: Abspielen des Bandes nach Vorlage durch die Beklagte

Mit Nichtwissen wird bestritten, daß überhaupt auf dem Band etwas aufgenommen wurde, da der Kläger im nachherein versucht hat, unter ähnlichen Bedingungen eine Aufnahme durchzuführen und sich das Geräte jeweils abschaltete, wenn der Geräuschpegel absank.

Beweis: wie vor

Für den Kläger war es daher in entsprechender Situation gar nicht möglich, ohne das zusätzliche Mikrofon, daß er bei der Sitzung jedoch nicht dabei hatte, Aufnahmen zu tätigen

Das Diktiergerät ist daher ohne zusätzliches Mikrofon, wie es der Kläger verwandt hat, ein untaugliches Mittel zur Aufnahme.

Beweis: Sachverständigengutachten

Das Diktiergerät lag auch nach dem Ausschalten weiter offen auf dem Tisch des Klägers.

Nach der Pause gegen 10.15 Uhr fragte Herr Müller den Kläger, was er da für ein Gerät stehen hätte. Der Kläger wies darauf hin, daß er Herrn Drewes akustisch schlecht verstehen konne und deshalb eine Zeit lang das Gerät laufen gelassen habe.

Herr Müller wandte sich daraufhin an Herrn Drewes, der Herrn Rupschas ansprach und ihm mitteilte, daß in Zukunft aber vorher vereinbart werden müßte, wenn Aufnahmen gemacht werden. Darauflhin reagierte Herr Rupschas sinngemäß mit der Bemerkung, das seien ja völlig neue Sitten, er sei der Sitzungsführer und er schließe jetzt sofort die Sitzung.

Der Kläger bot dem Protokollanten sofort an, ihm das Band zu übergeben. Entsprechend wurde das Band an Herrn Mehmet Usta weitergegeben, der es sodann wohl an Herrn Dieter Neumann weiterreichte.

Unzutreffend ist, daB der Kläger einen Kassettenwechsel vorgenommen hätte und ihn Herrn Müller dabei angesprochen hätte. Das Gerät lag einfach nur auf dem Tisch als der Kläger von Herrn Müller angesprochen wurde.

Herr Rupschas hielt dann sofort eine Fraktionssitzung ab. Die Herren Drewes, Brix und Müller bauten ihre Sachen ab, verärgert darüber, daß sie erneut ihre Vorstellungen dem Betriebsrat nicht unterbreiten konnten. Sie verließen so gegen 10.30 Uhr die Tagungsstätte. Bei Abfuhr der drei Herren entschuldigte sich der Kläger bei diesen und teilte mit, daß er wobl vorher wegen des Diktiergerätes hätte fragen müssen. Herr Müller meinte daraufhin; Herr Rupschas sei der Sitzungsleiter und er könne die Sitzung demnach auch abbrechen.

Beweis: Zeugnis Drewes, Brix, Müllr, b.b.

Die Abschrift des Gedächtnisprotokolls, das der Kläger ab 11.oo Ubr am 0!~.04.1999 fertigte, wird als

Anlage 4

beigefügt

1.2 Die Darstellung des Arbeitgebers zur Betriebsratsanhörung sind in wesentlichen Teilen unzutreffend.

1.2.1 Unzutreffend ist, daß der Kläger nach Unterlagen/Handout gefragt hätte. Diese Darstellung steht auph im Widerspruch zum Schriftsatz der Beklagten, dott Blatt 2, wo der Sachverhalt zutreffend dargestellt wird.

Beweis:

Zeugnis Kuhnke
Zeugnis Egerer

1.2.2 Es ist mit keinem Wort besondere Vertraulichkeit dieser Informationen übermittelt worden.

Beweis: wie vor

Dementsprechend erfolgte auch keine entsprechende Zustimmung der Teilnehmer zu einer besonderen Vertraulichkeit.

Beweis: wie vor

1.2.3 Es erfolgte kein Kassettenwechsel durch den Kläger um 10.15 Uhr.

Beweis: Zeugnis Kuhnke, b.b.

1.2.4 Es erfolgte keine Aufforderung zur Herausgabe der Kassette. Die Kassette wurde freiwillig vom Kläger herausgegeben.

Beweis: wie vor

1.2.5 Es erfolgte keine Feststellung des Herrn Rupschas, daß keine Berechtigtigung für Aufzeichnungen dieser Art vorliege, da sie ohne vorherige Zustimmung der Teilnehmer erfolgt sei.

Beweis: wie vor

1.3 Bezüglich der Einladung zur Betriebsratssitzung ist darauf hinzuweisen, daß die Einladung zur Sitzung mündlich erfolgte, ohne daß ein Hinweise auf die dann in der Sitzung erstmalig verteilte Tagesordnung erfolgte.

Bcweis: Kuhnke, b.b.

 

2. Rechtliche Würdigung

Kündigungsgrund soll sein, daß das Vertrauensverhältnis zu dem Kläger zerstört sei, weil der Kläger auf einer Betriebsratssitzung ein Band hat mitlaufen lassen, obwohl auf Vertraulichkeit hingewiesen worden ware.

2.1. Dieses Verhalten kann nicht herangezogen werden, um eine außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhaltnisses zu begrunden.

Es handelt sich hier um ein Verhalten eines Betriebsratsmitgliedes auf einer Betriebsratssitzung. In Frage steht daher allenfalls die Verletzung einer gesetzlichen Pflicht im Sinne des §23 BetrVG.

Eine Amtspflichtverletzung rechtfertigt jedoch keine außerordentliche Kündigung nach § 626 BGB (siehe Richardi BetrVG § 23 Rn 20).

Bereits aus diesem Grunde ist im vorliegenden Fall eine fristlose Kündigung nicht zulässig.

2.2. Nach § 626 Abs. 1 BGB geht es bei der Nachprüfung des wichtigen Grundes um den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses und die Zumutbarkeit der Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers. Deshalb ist ein Umstand nur dann geeignet, eine außerordentliche Kündigung zu rechttertigen, wenn er sich konkret auf das Arbeitsverhältnis auswirkt (BAG AP Nr. 80 zu §626 BGB Blatt 900 RS 4.a). Bei Straftaten außerhalb des Dienstes sind an den Kündigungsgrund besonders strenge Anforderungen zu stellen (siehe Münchener Kommentar Schwerdtner § 626 Rn 134).

Der Klager hat hier in einer Betriebsratssitzung, also außerhalb des Arbeitsverhältnisses, eine Aufnahme getatigt, wobei dahinstehen kann, ob es sich vorliegend tatsächlich um eine Straftat handelt.

Es ist jedoch kein Verhalten gegeben, das sich konkret auf das Arbeitsverhältnis auswirkt. Das Arbeitsverhältnis des Klägers beinhaltet die Erbringung seiner Arbeitsleistung als Schlosser gegen Zahlung der vereinbarten Vergütung. Hier wird dem Kläger jedoch vorgeworfen, die Vertraulichkeit des Wortes in einer Betriebsratssitzung verletzt zu haben.

Dieses Verhalten wirkt sich in keiner Hinsicht auf sein Arbeitsverhältnis aus. Seine Tätigkeit als Schlosser ist hier nicht beeinträchtigt.

Daher ist die Herstellung einer Tonbandaufnahme in einer Betriebsratssitzung an sich schon nicht geeignet, eine fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses zu begründen.

2.3. Vor Ausspruch einer fristlosen Kündigung hätte daruber hinaus eine Abmahnung erfolgen müssen.

Auch bei Störungen im Vertrauensbereich ist jedenfalls dann vor der Kündigung eine Abmahnung erforderlich, wenn es um ein steuerbares Verhalten des Arbeitnehmers geht und eine Wiederherstellung des Vertrauens erwartet werden kann (BAG 04.06.1997 AP Nr. 167 zu § 626 BGB).

Irn vorliegenden Fall hätte es unter Berücksichtigung dieser Grundsätze einer vorherigen Abmahnung bedürft, da der Kläger nicht davon ausging, daß sein Verhalten vertragswidrig sei und er auch nicht davon ausging, daß der Arbeitgeber dieses Verhalten als ein den Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährdendes Fehlverhalten ansehe.

Da der Klager nicht wußte, daß eine derartige Tonbandaufnahme verboten ist, ist im Rahrnen der Prognose davon auszugehen, daß der Kläger zukünftig eine derartige Aufnahme unterlassen wird bzw. eine vorherige Zustimmung der Gesprächspartner herbeiführen wird.

Es kann also damit gerechnet werden, daß eine Abmahnung eine entsprechende Wirkung hätte und ein weiteres Fehlverhalten des Klägers nicht mehr erfolgte.

Da eine Abmahnung unstreitig nicht vorliegt, davon abgesehen, daß nach diesseitiger Auffassung bereits allenfalis § 23 BetrVG einschlägig wäre, ist die Kündigung auch aus diesem Grunde unwirksam.

2.4. Im Rahmen der Interessenabwägung haben die zu Gunsten und zu Lasten des Klägers sprechenden Punkte abgewogen zu werden.

2.4.1. Hier ist zunächst zu Gunsten des Klägers seine unbeanstandete Betriebszugehörigkeit seit dem 09.07.1984 zu berücksichtigen.

2.4.2. Darüber hinaus ist zu Gunsten des Klägers zu berücksichtigen, daß er das Diktiergerät offen fur alle sichtbar auf seinem Tisch deponiert hat und ohne Unrechtsbewußtsein, welches sich aus der tatsächlichen Nichtkenntnis des Straftatbestandes ergibt, mitgeteilt hat, zu welchem Zwecke das Diktiergerät dort stand.

Zu Gunsten des Klägers ist auch im Rahmen einer umfassenden Interessenabwägung ein etwaiger Verbotsirrtum sowie der Grad seines Verschuldes zu berücksichtigen (BAG AP Nr. 26 zu 626 BGB, Verdacht strafbarer Handlung). Ein verhaltensbedingter wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung setzt nach §626 BGB nicht nur die objektive und rechtswidrige Verletzung einer Pflicht, sondern darüber hinaus auch ein schuldhaftes, vorweisbares Verhalten des Arbeitnehmers voraus.

Der Kläger hat hier unmittelbar nach dem Vorfall deutlich gemacht, daß ihm überhaupt nicht bewußt war, gegen einen Straftatbestand verstoßen zu haben. Er hat sich daher auch sofort bei den Herren der Geschäftsleitung und schriftlich bei den Betriebsratsmitgliedern, die nicht mehr bereit waren, ihn anzuhören, entschuldigt.

Hätte der Kläger tatsächlich unter Mißbrauch des Vertrauens der übrigen Teilnehmer der Sitzung eine heimliche Aufnahme tätigen wollen, um ggfs. diese Aufnahme für Veröffentlichungen zu verwenden, hätte er sicherlich das Gerät nicht offen liegenlassen.

Das Gerät stand bereits eine 3/4 Stunde ohne angeschaltet zu sein auf dem Schreibtisch.

Der Kläger hat von sich aus angeboten, die Kassette zu Beweiszwecken zu übergeben.

Der Vortrag des Klägers wird auch aufgrund der dargestellten Schwerhörigkeit glaubwürdig.

2.4.3. Den Sitzungsteilnehmern wurde nicht verboten, niitzuscbreiben, so daß es offensichtlich nicht darum ging, die Informationsfesthaltung zu verhindern, so daß auch unter Berücksichtigung dieses Sachverhaltes das Mitlaufenlassen eines Tonhandgerätes nicht derart gravierend ist.

2.4.4. Auch spricht für den Klager, daß entgegen den Angaben der Beklagten keine Vertraulichkeit bestand Dies ergibt sich zum einen aus dem oben dargestellten Sachverhalt hinsictlich der übrigen Pilotprojekte, zum anderen darauf, daß der erste Bevollmachtigte der IG Metall, der keiner Verschwiegenheit unterliegt, an dieser Sitzung teitnahm.

2.4.5. Daruber hinaus hatte der Klager als Protokoltant des Arbeitsausschusses Lohn und Akkord bereits sämtliche Unterlagen der Pilotprojekte aus Unterturkheim und Kassel zur Verfügung und hatte bereits auf einer Betriebsversammlung 1998 das angedachte neue Vergütungssystem vorgestellt. Der Kläger hatte also gar nicht dieser Informationen bedurft, wenn er tatsächlich hatte aufnehmen wollen, um das Material weiter zu geben.

2.4.6. Soweit die Beklagte in der Interessenabwägung darauf hinweist, daß sich die Schwere des Verstoßes des Klägers daraus ergäbe, daß der Betriebsratsvorsitzende diesen Vorfall zum Anlaß nahm, die Sitzung umgehend abzubrechen, ist nicht geeignet, ein Kriterium zu Gunsten der Beklagten darzustellen. Dem Betriebsratsvorsitzenden war in Anbetracht der Situation, daß er eine Verhandlung über dieses Thema nicht wünscht, dieser Anlaß sehr gelegen, um die Sitzung abzubrechen. Die Tatsache, daß die Sitzung abgebrochen wurde, macht vielmehr deutlich, daß es sich hier um eine verrneintliche Pflichtverletzung im Rahmen des § 23 BetrVG handelt.

2.4.7. Soweit die Beklagte darauf hinweist, daß der Vertrauensverstoß um so schwerer wiege, da der Kläger als Miditglied des Betriebsrates aufgrund des Betriebsverfassungsgesetzes zur vertrauensvollen Zusammenarbeit mit dem Arbeitgeber verpflichtet sei, ist darauf hinzuweisen, daß individual- und betriebsverfassungsrechtliche Aspekte vermischt werden. Ein Verstoß gegen die vertrauensvolle Zusammenarbeit kann allenfalls im Rahmen des § 23 BetrVG Auswirkungen haben.

2.4.8. Soweit die Beklagte darauf hinweist, daß der Kläger als Betnebsratsmitglied die bestehende Arbeitsordnung besonders gut hätte kennen müssen und daher sein Verstoß besonders schwer wiege, ist darauf hinzuweisen, daß die Pflichten aus dem Arheitsverhältnis grundsätzlich dadurch, daß der Arbeitnehmer Mitglied des Betriebsrates ist, nicht berührt werden. Sie werden weder gesteigert, noch gemindert (Richardi § 23 Rn l9).

Daraber hinaus ist die Arbeitsordnung insofern nicht einschlägig, da sie das Verhalten des Arbeitnehmers gegenüber dem Arbeitgeber regelt. Vorliegend ging es jedoch um ein Verhalten in einer Betriebsratssitzung.

2.4.9. Auch soweit die Beklagte der Auffassung ist, das Verhalten des Klägers wiege um so schwerer, als der Kläger Mitherausgeber der Zeitung der Alternativen Liste sei, ist dies nicht geeignet, um die Interessenabwägung zu Gunsten der Beklagten zu beeinflussen. Die Tatsache, daß der Kläger Mitherausgeber der vereinigten Alternativen Zeitung ist, steht in keinem Zusammenhang mit der Aufnahme wegen Vetständnisschwierigkeiten.

Die fristlose Kündigung ist somit unter keinem Gesichtspunkt gerechttertigt.

3. Die Anhörung des Betriebsrates erfolgte nicht ordnungsgemäß.

Wie oben unter Ziff. 1.2 dargelegt wurde, wurden dem Betriebsrat wesentliche Punkte des Sachverhaltes nicht mitgeteilt. Nach Sinn und Zweck des Anhörungsverfahrens ist eine bewußt und gewollt unrichtige oder unvollständige Mitteilung der für den Kündigungsentschluß des Arbeitgebers maßgebenden Kündigungsgründe wie eine Nichtinformation des Betriebsrates zu behandeln (BAG AP Nr. 68 zu § 102 BetrVG 1972). Sie kann nicht nur in der Aufbereitung der mitgeteilten Tatsachen, sondern auch in der Weglassung gegen die Kündigung sprechender, den Arbeitnehmer entlastender Informationen bestehen und führt zur Unwirksamkeit der Kündigung entsprechend §102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG, wenn die bewußt irreführend dargestellten bzw. weggelassenen Tatsachen nicht nur eine unzutreffende Ergänzung oder Konkretisierung des mitgeteilten Sachverhaltes bewirken (BAG aaO).

Nach diesseitiger Einschätzung ist ein derartiger Sachverhalt vorliegend gegeben.

Dadurch, daß die Beklagte versucht den Eindruck zu erwecken, es sei hier von einer besonderen Vertraulichkeit die Rede gewesen, der Kläger habe sich darum bemüht, Unterlagen zu erhalten und diese nicht bekommen und habe deshalb das Gerät mitlaufen lassen, wird der Eindruck erweckt, als ob der Kläger bewußt versucht habe, Informationen zu erlangen, um diese zu veröffentlichen und damit das Vertrauen erheblich verletzt zu haben.

Eine derartige Sachverhaltsdarstellung entspricht jedoch nicht den Tatsachen, so daß nach den Grundsätzen der oben dargestellten Rechtsprechung hier von einer fehlenden Anhörung des Betriebsrates ausgegangen werden muß.

Windirsch, Rechtsanwältin

(Gegner hat Kopie unmittellbar erhalten)