Der Fall Kreimer de Fries

 

Es zählt zu den konstitutiven Themen des express, nicht nur über das Innenleben der Betriebe, vor deren Toren bekanntlich immer noch und immer wieder die halbwegs demokratische Zone der BRD endet zu berichten (siehe allein den Betriebspiegel dieser Ausgabe des express), sondern auch zu den Defiziten des demokratischen Selbstverständnisses und der dieses begleitenden Praxis innerhalb der Gewerkschaften selbst. Dies gilt für die Prozesse politischer Willensbildung ebenso wie für die Gewerkschaften als Arbeitgeber. Die Dialektik von ‘Demokratie und Bündigkeit’ hebt sich auch hier leider nicht notwendig in mündiges Urteil als Voraussetzung kollektiver Parteinahme auf. Das hat etwas mit Apparatbildung, Repräsentatismus, Verselbständigung von Organisationen und deren Raison etc. pp zu tun, doch das ist eine alte Geschichte.

Einen in dieser Hinsicht zunächst nicht ungewohnten Vorgang stellt die zweifache Abmahnung und der Aufgabenentzug dar, mit dem Joachim Kreimer de Fries, Gewerkschaftssekretär und Referatsleiter für Europäische Tarifpolitik beim DGB-Bundesvorstand, vom DGB abgestraft wurde und wohl weiterhin werden soll. Zwar ist nach dem Verhandlungstermin am 6. August auch die zweite Abmahnung hinfällig – wg. Formfehlern (sic!), was einiges über den Stand der in anderer Hinsicht nicht ganz unwesentlichen Rechtskenntnisse des DGB aussagt; der Aufgabenentzug, verhängt vom Mitglied des Geschäftsführenden Hauptvorstandes Heinz Putzhammer, wird jedoch erst im Rahmen einer separaten dritten Klage von Kreimer de Fries am 5. Oktober verhandelt.

Ungewohnt ist jedoch der profane Hintergrund dieser top down-Strafaktion, die offenbar ohne "Reibungsverlust" vom Generalsekretär des EGB Emilio Gabaglio über Mittelsmann Schulte vom DGB bis zum erwähnten Handlanger Putzhammer ins Werk gesetzt wurde: Kreimer de Fries hatte sich im Rahmen seiner beruflichen Aufgaben mit dem Entwurf zur neuen europäischen Vereinbarung der europäischen So zialpartner über befristete Arbeitsverhältnisse befaßt und seine kritische Würdigung den zuständigen Tarifpolitikern der deutschen Einzelgewerkschaften geschickt. Die Analyse war ein Beitrag zur Meinungsbildung der DGB-Mitgliedsgewerkschaften im Vorfeld einer Sitzung des DGB-Bundesvorstandes am 2. März, auf der über das Votum des DGB zu der genannten Vereinbarung entschieden werden mußte. Nach vorliegenden Informationen stimmten die Angeschriebenen der Analyse im wesentlichen zu und sprachen sich gegen den Abschluß der Vereinbarung aus; nicht so die europäischen Sozialpartner im Rahmen des "Sozialen Dialogs", jenem Feigenblatt, das seit Maastricht der Wirtschafts- und Währungsunion protokollarisch angeheftet und seit Amsterdam installiert ist und in dem vollkommen unverbindlich über die Beziehung zwischen Kapital und Arbeit vor sich hin getalkt werden darf. Man verpflichtet sich selbst und damit, betrachtet man die bisherigen ‘Erfolge’ im Bereich Beschäftigungs- und Sozialpolitik, meist zu nichts (Rahmenvereinbarungen über Elternurlaub von 1995, über Teilzeit von 1997 und eben über Befristungen von 1999; über die Euro-Beriebsräte konnte bzw. keine Einigung erzielt werden). Am Ende stand hier im Konfliktfall immer noch die Kommission, die in Form europäischer "Verordnungen" oder in nationales Recht zu übersetzender und an dieses anzupassender europäischer "Richtlinien" entscheidet. Das Brisante des Falls liegt denn auch weniger in der Kritik von Kreimer de Fries selbst, sondern darin, daß sie Offensichtliches ausspricht und es öffentlich gemacht hat – wenngleich zunächst nur in jener beschränkten Form, die Kreimer de Fries qua – bisherigem – Amt und entsprechenden Würden wohl notwendig vor Augen hatte. Nichts desto trotz soll nicht nur die laufende Solidaritätskampagne für Kreimer de Fries unterstützt werden, sondern Licht ins Dunkel europäischer Gewerkschaftspolitik gebracht werden; mit was haben wir zu rechnen in Sachen befristeter Arbeitsverhältnisse?

Dieser Kommentar ist erschienen in express 8/1999.