Per Anhalter durchs Internet -
wirtschaftliche Verschwörungen mit Links

Eine monatliche Kolumne von Hannes Oberlindober in Zusammenarbeit zwischen
express und LabourNet Germany

Juli 1999

Bug-Wahn

 

WANTED: eine Liste sämtlicher VIP(er)s worldwide mit Herzschrittmachern, die der von Ihnen selbst inszenierten "Y2K"-Verschwörung zum Opfer fallen. "Y2K" hat nichts mit "JFK" zu tun (außer für eingefleischte Oliver-Stone-Fans), sondern ist das international gültige Kürzel für das "Jahr 2000 Problem" oder den sogenannten "Millenium-Bug", der sicherlich auch Thema bei der nicht minder gefährlichen "Millenium Round" ist.

Dieses Ungeziefer ist in Wirklichkeit ein Ungeziffer, besteht es doch nur aus zwei fixen und zwei variablen Zahlen, von denen erstere darauf beharren in der Nanosekunde, in der sie "20" werden sollten "19" zu bleiben, während ihre variablen Anhängsel zur Doppelnull werden.

Wir nennen diesen Mazurat -Trotz der digitalen DNS lieber das "Bertolucci-Syndrom" - und wenn die Apokalyptiker Recht behalten sollten, geht aufgrund der nostalgischen Rückwärtsrolle der inneren Uhren von Rechnern und sogenannten "embedded chips" Punkt 2000 nichts mehr und zugleich alles schief: Schrittmacher machen keinen Schritt mehr und ihre Träger ebenso, Benzinpumpen erinnern sich des autofreien Sonntags, dafür befehlen Computersysteme nuklearen Sprengköpfen die Orte ihrer Bestimmung nicht mehr nur anzuvisieren, sondern auf direktem Wege anzusteuern. Günstigstenfalls stürzt die Welt zurück ins Jahr 1900, was die Bertolucci-Anspielung erklärt (positiv an den Katastrophen-Szenarien ist, daß auch Call Center lahmgelegt werden).

Schuld daran soll die Sparsamkeit der Programmierer sein. Die Pioniere der Prozessoren und Microchips fanden es in den 60ern zu kostenintensiv, den inneren Takter der rechnerähnlichen Geräte mit vier variablen Zahlen auszustatten und beschränkten sich auf die letzten Ziffern. Weltweit 6 Milliarden "embedded chips", über deren Verbleib und Funktion selbst Echelon keinen Überblick hat, könnten sich zum Jahrtausendwechsel diesem verweigern - mit zappendusteren Folgen glaubt man denen, die bereits sogenannte "Y2K Überlebens-Sets" bunkern und sich auf ein Kaczinsky-Dasein in finsteren Wäldern vorbereiten; ein prima Geschäft für Systemberater, Hersteller von Astronautennahrung und wetterfesten Streichhölzern, Psychoanalytiker und Gurus ist "Y2K" schon jetzt.

Das Chaos ist - im zutreffendsten Sinne des Wortes - vorprogrammiert, nicht nur das, es ist gewollt! Zumindest diejenigen sind dieser Überzeugung, die wahlweise oder wahllos an UFOs, Clintons 666-Intelligenz und den Masterplan der "Illuminati" glauben, hinter denen sich wiederum die Bilderberger, der "Club 1001", das "Committee of 300", die "Majesty of 12", der "inner core of 10", die "Omega-Agency" und hinter diesen wiederum die extraterrestrischen "Grauen" verbergen. Denen - und natürlich Pinky und dem Brain - kommt TEOTWAWKI (The end of the world as we know it) in ihrem Bestreben entgegen, die Weltherrschaft an sich zu reißen.

Wenn die Lichter ausgehen, werden "Sie" unbehelligt das entstehende Chaos mithilfe von von "HAARP" und "MONTAUK" dazu nutzen, die "New World Order" zu errichten und alle mißlebigen Subjekte in den ewigen Schatten zu stellen, als Versuchskaninchen in unterirdischen "concentration camps".

"The Millenium Bug is Hum-Bug", argumentieren indes Pragmatiker. Sie wittern im Byhoo zum "Y2K" eine gezielte Kampagne politischer Kreise, die die Furcht der Menschen vor dem binären Armaggedon als Legitimation zur Errichtung einer globalen, totalitären Herrschaft nutzen wollen. Diese Spekulation ist durch einige Indizien gestützt: es ist immerhin auffällig, daß im unmittelbaren Vorfeld des mutmaßlichen Eintretens des bereits seit 1984(!) bekannten "Y2K" in den USA einige höchst bemerkenswerte Gesetze verabschiedet wurden. Kritiker Clintons behaupten, die amerikanische Regierung sehne eine durch die Angst vor der Katastrophe erst heraufbeschworene Katastrophe geradezu herbei, um per Notstandsgesetz Fakten zu schaffen und vorsorglich die amerikanischen Bürger zu entwaffnen - kein Wunder, daß gerade die "amerikanischen Konservativen" im Internet gegen die aus ihrer Sicht unerträgliche Aufweichung der in der amerikanischen Verfassung verankerten Waffenfreiheit Sturm laufen. Ein paar schiefgegangene Schießübungen an Schulen sind ja nun wirklich kein Argument für eine Verfassungsänderung --schließlich hat man in schweren Fällen des Mißbrauchs immer noch die Todesstrafe in petto.

Als sicher kann eines in jedem Fall gelten: so oder so verdienen Banken und Großkonzerne am "Y2K". Entweder es kommt zur Götterdämmerung und hochverzinsten Milliardenkrediten zum Wiederaufbau von Infrastrukturen, zur technischen Wiederaufrüstung von Spitälern, elektrischen Stühlen, Autos und Herzschrittmachern, oder man hat im Vorfeld der vermeintlichen Katastrophe schon genug an zahllosen Präventivmaßnahmen verdient, sollten die Lichter beim Jahreswechsel nicht synchron zum letzten Feuerwerk des Jahrtausends ausgehen. Microsoft wird sowieso neue Programme auf den Markt werfen - TEOWAWKI (the end of WORD as we know it) ist bestimmt schon im letzten Entwicklungsstadium.

Auch die Filmindustrie, deren Fiktionen diversen Conspyritisten zufolge die Massen behutsam auf das vorbereiten, was eh schon längst eingetreten ist (außerirdische Zigarettenschmuggler wie in "Man in Black", die totale Vernichtung der Fauna, die den Boom von Tierfilmen begründet, "Wag the Dog", der ein als Spielfilm mißverstandener Dokumentarfilm ist), freut sich über das exponential heraufziehende Endzeitklima. In ihm gedeihen prächtig New Age-Spektakel wie "Matrix", dessen simples, ideologisches Strickmuster eher den Titel "Matritze" nahegelegt hätte.

In Deutschland entwickelt sich das "Y2K"-Fieber dem Vernehmen nach gemächlich - hier ein zaghaftes Hotlinechen, da ein paar verschämte Fachartikel (und das obwohl ein bischen mehr Panikmache dem Einzelhandel und dem Mittelstand kommerziell zu schönen Erfolgen verhelfen könnte). Man sieht in der europäischen Provinz, den Blick niedergedrückt vom fallenden Euro-Kurs, eben nicht den zwingenden Zusammenhang zwischen "Millenium Bug" und den sinistren Plänen von als Prinzen, Königinnen und CEOs getarnten, rechtsreaktionären Außerirdischen. Während die mithilfe der Großindustrie den Sauerstoffgehalt der Luft reduzieren, damit die Lebenserwartung der urbanen Untermenschen sinkt, übersetzt man in Deutschland "UFO" mit "Unverfrorener Fischer-Opportunismus".

Der widerum ist in seiner längst nicht mehr flugreisebedingten Abgehobenheit mittlerweile alles - außer irdisch.

Ist der Jahrtausendwechsel so oder so überstanden, sehen ganz Weitsichtige bereits das nächste Fanal am fernen software-Horizont aufglimmen: wenn demnächst alle "embedded chips" mit vier variablen Ziffern ausgestattet sind, kommt das "Jahr 10000 Problem" garantiert daher.

Bis dahin können sich gestreßte Programmierer noch jede Menge "Millenium-Bock" hinter die Binde kippen. So vermeiden sie das Schicksal des ersten "Y2K"-Opfers, eines japanischen Programmiers der Karoshi zum Opfer fiel.