"Erklärung von Bremer Hochschullehrerinnen und lehrern zur militärischen
Intervention in Afghanistan"
Zu den Leitzielen der Universität Bremen gehören der Schutz der Grund-
und Menschenrechte und ein Beitrag zu einer durch Gerechtigkeit geleiteten nachhaltigen
Entwicklung. Diese Ziele werden sowohl durch die Terrorakte in den U.S.A. als
auch durch den Krieg in Afghanistan verletzt.
Im Interesse der Verwirklichung der Leitziele sprechen wir uns gegen die "Politik
der Stärke" aus, mit der die politische Führung der U.S.A. auf die
Terroranschläge vom 11. September reagiert. Die Bombardierungen und der
Einsatz von Bodentruppen in Afghanistan sind keine Problemlösung. Die Konsequenzen
der militärischen Intervention für die seit Jahrzehnten leidende afghanische
Bevölkerung stehen im Widerspruch zu dem von den U.S.A. und ihren Verbündeten
genannten Ziel, den Terrorismus zu bekämpfen, die Werte der westlichen
Welt zu verteidigen und die Menschenrechte zu schützen.
Der fundamentalistische Terror hat vielfältige, nicht zuletzt strukturelle
ökonomische, soziale und politische Gründe. Es gehört zu den
Aufgaben einer Universität, mit den Mitteln der Wissenschaft einen Beitrag
zur aufklärenden Analyse der Gründe zu leisten und einen öffentlichen
Raum für Diskussionen anzubieten.
Die Bedingungen des Terrors liegen ganz offensichtlich vor allem in den Gegensätzen
zwischen den reichen westlichen Ländern auf der einen Seite und der Unterentwicklung
und dem Massenelend der sogenannten "Dritten Welt" auf der anderen Seite. Diese
Gegensätze, für deren Entstehung die westlichen Industriestaaten historisch
mitverantwortlich sind, lassen sich nicht nur nicht mit Hilfe militärischer
Gewalt beseitigen, sondern sie werden im Gegenteil dadurch nur noch verschärft.
Wir lehnen die Politik der Bundesregierung ab, die Angriffe auf Afghanistan
materiell, logistisch und durch die Beteiligung deutscher Soldaten zu unterstützen
und mit der Bush-Administration "uneingeschränkte Solidarität" zu
üben. Diese Politik birgt das Risiko, Deutschland in den verhängnisvollen
Kreislauf von Terrorismus und militärischer Aggression hineinzuziehen und
es dadurch zum Mitschuldigen daran zu machen, daß sich die Spaltung der
Welt in Gewinner und Verlierer weiter vertieft.
Die Ängste der Menschen aller Kontinente vor einer Fortsetzung terroristischer
Aktionen sind nur zu verständlich. Deshalb halten wir wirksame präventive
Maßnahmen zum Schutz vor eventuellen neuen Anschlägen für ebenso
notwendig wie legitim. Aber wir wenden uns gegen die Versuche der Bundesregierung,
aus der Tragödie von New York und Washington Schlußfolgerungen zu
ziehen, die zu einer Einschränkung der Grundrechte und der Demokratie in
Deutschland führen. Maßnahmen wie die angekündigten "Sicherheitspakete"
oder ein Einsatz der Bundeswehr im Inneren sind nicht geeignet, dem Terrorismus
den Boden zu entziehen. Wir befürchten vielmehr, daß sie ein Klima
der Einschüchterung, der kritiklosen Anpassung und der Fremdenfeindlichkeit
fördern werden. Wie andere kriminelle Taten auch können terroristische
Aktivitäten auf deutschem Boden nur mit rechtsstaatlichen Mitteln erfolgreich
bekämpft werden.
Zu der kurzatmigen Politik der Stärke gibt es Alternativen:
- Eine grundsätzliche Neuorientierung in der Entwicklungspolitik und
die massive Erhöhung der Ausgaben im Rahmen einer entwicklungspolitischen
Strategie, die vor allem Hilfe zur Selbsthilfe leistet und die Eigenständigkeit
der Empfänger stärkt
- Die umfassende ökonomische und politische Unterstützung von sozialen
Akteuren und politischen Kräften, die sich in Asien, Afrika und Lateinamerika
im allgemeinen und in Pakistan und Afghanistan im besonderen für die
Bekämpfung von Armut und Analphabetismus, für den Abbau sozialer
Ungleichheit, für die Gleichberechtigung der Frauen und für Demokratisierung
einsetzen.
- Die Einleitung eines Friedensprozesses im Nahen Osten, der die Demütigung
der arabischen Bevölkerung beendet und sowohl die uneingeschränkte
Sicherheit Israels als auch die volle Souveränität und Autonomie
eines unabhängigen palästinensischen Staates garantiert, die friedliche
Regelung der Interessenkonflikte zwischen Israel und Syrien, die Aufhebung
des Embargos gegen den Irak und die Beendigung aller diskriminierenden und
benachteiligenden Maßnahmen gegenüber Staaten wie Iran oder Libyen.
- Die Aufwertung der UNO und ihrer Aufgaben und Kompetenzen.
- Die Verteidigung und Erweiterung des sozialen Rechtsstaates und seiner Institutionen
in Deutschland; die Förderung einer Integrationspolitik, die eine soziale
Gleichheit von Ausländern auf der Grundlage rechtsstaatlicher Prinzipien
und wechselseitiger kultureller Anerkennung und Toleranz ermöglicht.
Die "Erklärung" haben bisher unterschrieben: 53 Kolleginnen
und Kollegen aus der Gruppe der Professorinnen und Professoren
Hans-Gerd Artus (Sportwissensch.: FB 9)
Gerhard Bach (Fremdsprachendidaktik Englisch: FB 10)
Logie Barrow (Anglistik: FB 10)
Rudolph Bauer (Sozialpädagogik: FB 11)
Sigrid Betzelt (Zentrum für Sozialpolitik)
Detmar Beyersmann (Chemie: FB 2)
Adelheid Biesecker (Wirtschaftswissenschaft: FB 7)
Jürgen Blandow (Sozialpädagogik: FB 11)
Jörn Bleck-Neuhaus (Physik: FB 1)
Anna-Dorothea Brockmann (Sozialarbeitswiss./Sozialpäd., FB 11)
Georg Bruns (Soziologie: FB 8)
Willi Bruns (Forschungszentr. Arbeit, Umwelt Technik: FB 3)
Heinz Buddemeier (Kunst/Kunstwissenschaft: FB 9)
Elisabeth Burr (Vertretungsprof. bis 30.09.01/ Romanistik: FB 10)
Wolfram Elsner (Wirtschaftswissensch.: FB 7)
Monika Fikus (Sportwissenschaft: FB 9)
Martin Franzbach (Romanistik: FB 10)
Rainer Frentzel-Beyme (Gesundheitswissensch.: FB 11)
Manfred Hahn (Geschichtswissensch.: FB 8)
Holger Heide (Wirtschaftswissensch.: FB 7)
Rudolf Hickel (Wirtschaftswissensch.: FB 7)
Dirk Hoerder (Geschichtswissensch.: FB 8)
Manfred Hoppe (Techn. Berufsbildung/ Elektrotechnik: FB 1)
Jörg Huffschmid (Wirtschaftswissensch.: FB 7)
Helge-Ulrike Hyams (Sozialpädagogik: FB 11)
Wolfgang Jantzen (Behindertenpädagogik: FB 12)
Reinhold Kienzler (Produktionstechnik: FB 4)
Herbert Kopfer (Wirtschaftswissensch.: FB 7)
Hellmuth Lange (Forschungszentr. Arbeit, Umwelt, Technik)
Hans-Jörg Kreowski (Informatik: FB 3)
Klaus Liebe-Harkort (Sprachwissensch./Deutsch als Fremdsprache: FB 10)
Jürgen Lott (Religionswissenschaft: FB 9)
Johannes Merkel (Sozialarbeitswiss./ Sozialpäd., FB 11)
Georg Mohr (Philosophie: FB 9)
Frieder Nake (Informatik: FB 3)
Lothar Peter (Soziologie: FB 8)
Stephan Quensel (emer. Soziologie: FB 8)
Helmut Reichelt (Soziologie: FB 8)
Dieter Richter (Literaturwissensch./Kulturwiss. FB 9)
Karl-Heinz Rödiger (Informatik: FB 3)
Hans-Jörg Sandkühler (Philosophie: FB 9)
Jörg Schmidt (Geschichte/Erziehungswissensch.:FB 8)
Christoph Schminck-Gustavus (Rechtswissensch.: FB 6)
Inge Schmitz-Feuerhake (Physik: FB 1)
Susanne Schunter-Kleemann (Hochschule Bremen: Fachbereich Wirtschaft)
Volker Schürmann (Privatdozent/Philosophie: FB 9)
Hannelore Schwedes (Physik: FB 1)
Helmut Spitzley (Arbeitswissenschaft: FB 11)
Gerhard Stuby (emer. Rechtswissenschaft: FB 6)
Roderich Wahsner (Rechtswissenschaft: FB 6)
Matthias Waltz (Romanistik: FB 10)
Edda Wesslau (Rechtswissensch.: FB 6)
Jörg Wollenberg
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