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Lieber Willi,
"Die Postulate der Aufklärung und die Verwirklichung der Menschenrechte sind historischer Hintergrund und aktuelle Verpflichtung der Gewerkschaften: Freiheit und Gleichheit, ein Leben und Arbeiten in Selbstbestimmung und Würde - ohne Unterdrückung, Bedrohung und Not." heißt es im Abschnitt Anforderungen an unsere demokratische Gesellschaft im Grundsatzprogramm des Deutschen Gewerkschaftsbundes.
"200 Millionen Kinder arbeiten weltweit als billige Arbeitskräfte, Millionen Menschen werden als Zwangsarbeiter ausgebeutet, Gewerkschaftsrechte werden vielerorts mit Füßen getreten, etwa ein Fünftel der Weltbe-völkerung lebt in extremer Armut, 700 bis 800 Millionen Menschen sind weltweit ohne Arbeit. Frauen, ethnische Minderheiten und politisch Andersdenkende werden in ihren Menschenrechten oft eklatant verletzt. Die Gewerkschaftsbewegung setzt sich dafür ein, dass die Menschen-rechte universelle Geltung gewinnen. Soziale, ökonomische und ökologische Konflikte müssen auf zivilem Wege ohne militärische Gewalt gelöst werden." (Grundsatzprogramm des DGB)
Diesen Grundsätzen folgend, unterstützten wir Gewerkschaften den "Global-Unions-Aktionstag" am 9. und 10. November anlässlich der 4. Ministerkonferenz der Welthandelsorganisation (WTO) in Katar, um eine "neue Globalisierung" einzufordern, die
Beim "Global-Unions-Aktionstag" geht es darum, der neoliberalen Globalisierung Einhalt zu gebieten, in deren Rahmen es Ländern und Unternehmen freisteht, sich im Welthandel dadurch Vorteile zu verschaffen, dass sie grundlegende Rechte bei der Arbeit verletzen und es versäumen, zu einer nachhaltigen Entwicklung zum Nutzen aller Menschen beizutragen.
Diese Forderungen, stehen auch auf unserer gemeinsamen Tagesordnung für dieses Jahrhundert, das Aktionsprogramm der AGENDA 21.
Ein Aktionsprogramm der Vereinten Nationen, das 1992 auf der Rio-Konferenz für Umwelt und Entwicklung von 178 Staaten unterzeichnet wurde.
Nachhaltige Entwicklung, das erklärte Ziel der AGENDA 21, steht für die dauerhafte Sicherung der Lebensqualität (Wirtschaft), von der niemand ausgegrenzt wird (Soziales) und die sich nicht zu Lasten der Lebensbe-dingungen künftiger Generationen (Umwelt) oder anderer Völker (Entwicklung) auswirkt.
Gefragt sind also zukunftsfähige Lebens- und Wirtschaftsstile, die sich dauerhaft auf alle Erdbewohner übertragen lassen, ohne langfristig Umweltschäden, Engpässe oder Verteilungskonflikte zu verursachen.
Lieber Willi,
dies steht für die Gewerkschaften auch nach den brutalen menschenver-achtenden Terroranschlägen am 11. September in New York und Washington auf der Tagesordnung dieses Jahrhunderts und nicht, was der Präsident unserer amerikanischen Freunde voraussagt, ein jahre- oder sogar jahrzehntelanger Vielfronten-Krieg.
Weder die arabische Welt insgesamt noch der Islam an sich sind verantwortlich zu machen für die Terrorakte und den internationalen Terrorismus. Die Staaten, in denen die christliche und/oder die jüdische Religion vorherrscht müssen mit Besonnenheit, Augenmaß und Weltoffenheit reagieren.
Wir wollen auch weiterhin eine offene und tolerante Gesellschaft bleiben.
Wir verurteilen jeden Versuch, Menschen allein wegen ihrer Herkunft oder Religion
auszugrenzen oder zu verfolgen. Wir Gewerkschafter fordern dazu auf, das Zusammenleben
und Zusammenarbeiten deutscher und ausländischer Mitbürgerinnen und
Mitbürger nicht aufs Spiel zu setzen.
Bereits in den ersten Appellen und Erklärungen nach den Terroran-schlägen haben sich Organisationen der Friedensbewegung, Wissenschaftler, Politiker und Gewerkschafter aus aller Welt gegen Krieg ausgesprochen und tauglichere und konstruktivere Wege zur Überwindung des Terrorismus aufgezeigt. Den Terrornetzen muss jede Unterstützung entzogen und dies auch innerhalb der islamischen Gesellschaften breit getragen werden. Dafür braucht es glaubhafte Signale an die Menschen, dass die reichen und mächtigen Staaten ihre globale Wirtschaftspolitik ändern, auf Durchsetzung ihrer Machtinteressen zu Gunsten gleichberechtigter Kooperation verzichten und die sozialen Folgen der Globalisierung mildern.
Dies und ein massives politisches Engagement für eine Friedenslösung des Palästina-Israel-Konfliktes könnte die Feindbilder abbauen helfen, auf die Terroristen bauen. So kann den terroristischen Symbolfiguren der Rückhalt entzogen werden, den sie jetzt bei einem Teil der Verelendeten und Unterdrückten genießen, die sie zu einem "Kampf der Kulturen" aufhetzen wollen.
Ein Verzicht auf Selbstjustiz und eine Strafverfolgung der Täter und Drahtzieher wegen ihrer Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor dem künftigen Internationalen Strafgerichtshof würde auf sehr viel mehr Zustimmung in der Welt stoßen. Sollten die Beweise für eine Anklageerhebung reichen, könnten Osama Bin Laden und Angehörige des El Quaida-Netzwerkes in absehbarer Zeit vor Gericht stehen.
Die Strafverfolgung von Terrorristen darf nicht Vorwand für einen Krieg sein, der viele Tausend weitere Todesopfer in Kauf nimmt und die Gefahr weiterer unkontrollierbarer Eskalation mit sich bringt.
Schon jetzt zeigen sich die fatalen Folgen des Krieges in Afghanistan: Nach Einschätzung der Vereinten Nationen sind in Afghanistan zurzeit etwa 7,5 Millionen der 20 Millionen Menschen direkt auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen, etwa zwei Millionen mehr als vor den Luftangriffen. In den vergangenen Monaten erlebte das vom Bürgerkrieg gebeutelte Land die schlimmste Dürre seit Jahren. Hinzu kommen die Folgen des Taliban-Regimes, die das Land weiter zugrunde richteten.
Durch die Bombardements hat sich die Lage nun weiter verschärft.
Eine humanitäre Katastrophe steht unmittelbar bevor. Auch deshalb die dringende Forderung aus den Gewerkschaften die Bombardierung Afghanistans einzustellen.
Der Bombenkrieg ist ein untaugliches Mittel zur Bekämpfung des Terrorismus. Mit Flächenbombardements und der Verwendung von völkerrechtlich geächteten Streubomben nehmen die USA und Grossbritannien immer mehr zivile Opfer in Kauf, bringen das gespaltene Pakistan an den Rand des Bürgerkrieges und werden auch die von ihnen selbst nach den furchtbaren Anschlägen vom 11. September geschmiedete politische Allianz gegen den Terrorismus zerstören. Statt Gewalt und Terror zu bekämpfen dreht der Krieg an der Gewaltspirale, zerstört Leben und Zukunft in der Region und gefährdet auch die Menschen in der westlichen Welt.
Hier in den Krieg einzusteigen statt mäßigend auf die Regierung der amerikanischen Freunde einzuwirken ist auch ein Verstoß gegen den Auftrag, Schaden vom deutschen Volk abzuwenden.
Lieber Willi,
die Bundesregierung mutet dir und den Abgeordneten des Deutschen Bundestages mit dem Antrag auf Bereitstellung und der Ermächtigung zur folgenden Entsendung der Bundeswehr für den Kriegseinsatz in und um Afghanistan eine schwere Entscheidung zu, die verhängnisvolle Folgen haben kann. Der Deutsche Bundestag soll die Bundeswehr mit schwerem Kriegsgerät und fast 4000 Menschen in einen Krieg senden, der sich bereits als das gefährliche Abenteuer herausgestellt hat, das selbst bei uneingeschränkter Solidarität mit den USA laut Bundeskanzler Schröder angeblich nicht eingegangen werden sollte.
Wir appellieren eindringlich an dich und die Abgeordneten des Deutschen Bundestages, bei dieser für die Menschen in Zentralasien, im Nahen Osten wie hierzulande einschneidenden Entscheidung, mit einem NEIN zur Entsendung der Bundeswehr in den Krieg, massiven Schaden abzuwenden!
Mit einer Beteiligung am Krieg in Afghanistan würde die Bundesrepublik dem Terrorismus in die Hände spielen und die Gewaltspirale ankurbeln. Mit einem Engagement für die leidende Bevölkerung vor Ort, für den weltweiten Dialog der Menschen und eine gerechtere Wirtschaftspolitik dagegen könnten Brücken gebaut und auch langfristig die tieferen Ursachen des Terrorismus überwunden werden.
Beides zusammen geht nicht.
Als Gewerkschafter wissen wir, wer eine Auseinandersetzung wie z.B. einen Arbeitskampf beginnt, der muss nicht nur seine Ziele bestimmen, der muss sich auch über die Mittel und die Möglichkeiten der Beendigung im klaren sein. Nichts anderes verlangen wir auch von der internationalen Politik.
Der Bundeskanzler offenbart dabei ein seltsames Demokratieverständnis, das in die Parteien und die Gesellschaft insgesamt durchgreift: Kritiker werden abgekanzelt, jeder Schuster solle bei seinen Leisten bleiben, Außenpolitik sei seine und des Außenministers Sache.
Die jetzt anstehende Entscheidung über die Beteiligung an einem Krieg, ultima ratio jeder demokratischen Politik, bräuchte die permanente Selbstvergewisserung und Überprüfung durch den Austausch von Argumenten und nicht Denk- und Diskursverbote.
Lieber Willi,
es ist unsere gewerkschaftliche Aufgabe Frieden, Humanität, Zivilgesellschaft und demokratischen Rechtsstaat zu verteidigen.
Daher fordern wir dich eindringlich auf,
Mit gewerkschaftlichen Grüßen
Siegen, den 8. November 2001
Ich unterstütze den Offenen Brief an den Kollegen Willi Brase, MdB
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Vorname |
Gewerk-schaft |
Funktion |
Unterschrift |
bitte zurückschicken an den Paul Decruppe, Offertsufer 62, 57072 Siegen
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LabourNet Germany: Treffpunkt für Ungehorsame, mit und ohne Job, basisnah, gesellschaftskritisch The virtual meeting place of the left in the unions and in the workplace |
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