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"Auf Distanz" – zu wem ?

Eine Antwort auf Klaus Zwickel im "SPIEGEL 42/2001"

Unter dem Titel "Distanz zur Friedensbewegung" berichtete DER SPIEGEL in seiner Nummer 42/2001, dass der IG-Metall-Vorsitzende Klaus Zwickel bei einem Treffen mit SPD-Parlamentariern erklärt habe, er halte den Einsatz militärische Gewalt gegen das Taliban-Regime "für ausreichend legitimiert". Der Einsatz sei mit dem Völkerrecht vereinbar und bewege sich im Rahmen der Uno-Vorgaben.

Wir, langjährige Mitglieder und ehrenamtliche Funktionsträger der IG Metall, halten diese Positionsbestimmung ihrem Inhalt nach für nicht nachvollziehbar und von ihren politischen Konsequenzen für katastrophal. Unsere Argumente lassen sich wiefolgt zusammenfassen:

Die uns bekannten Stellungnahmen rennomierter Völkerrechtler kommen zu dem Ergebnis, dass die Politik der USA und ihrer Verbündeten mit dem geltenden Völkerecht unvereinbar ist (s. dazu z.B. die Stellungnahmen von Norman Paech, Dieter Deisenroth, Gert Winter). Das Völkerrecht läßt nur eine Selbstverteidigung gegenüber Angriffen fremder Staaten zu. Öffentlich überprüfbare Beweise zum Vorliegen dieser Voraussetzung wurden bis heute nicht vorgebracht. Auch für den Fall, dass diese existieren, sind Rechtsverfahren zwingend, die unterhalb einer militärischen Intervention liegen. Die Tatsache, dass die Mitglieder des Sicherheitsrates die Kriegshandlungen der US-Administration gebilligt haben, ändert an diesem Sachverhalt nichts. Sie demonstriert nur die Übernahme imperialer Logiken durch Staaten wie China und Rußland, die sich durch diesen Ausverkauf von UN-Normen lukrative Gegenleistungen versprechen. Bereits beim Golf-Krieg wurden die erforderlichen Stimmen zusammengekauft.

Die politisch-moralische Position der jetzigen Kriegsallianz, die die sich auf Lebens- und Menschenrechtsschutz beruft, wird durch die aktuelle Kriegsführung völlig diskreditiert. Es wird immer deutlicher, dass der Feldzug für "grenzenlose Gerechtigkeit" sich nicht nur gegen Bin Laden und die widerliche klerikale Männerherrschaft der Taliban richtet. In Wirklichkeit bedeutet sie Krieg für die afghanische Zivilbevölkerung mit allen Konsequenzen. Wir wissen heute, dass die Photos von sog. chrirurgischen Schlägen der High-Tech-Waffen im Krieg gegen den Irak eine Form der psychologischen Kriegsführung waren. Die Schäden an überlebensnotwendigen Einrichtungen waren groß und auf der Trefferliste im Kampf gegen den "Teufel Saddam" stehen heute mehrere Hundertausend verhungerte Kinder. Bei der völkerrechtswidrigen Bombadierung Jugoslawien wurden Wohnsiedlungen, Brücken, Eisenbahnzüge, Flüchtlingstrecks, Bauern auf dem Feld, Fabriken und die Stromversorgung bombadiert. Im aktuellen Afganistan-Konflikt gibt es fast überhaupt keine glaubwürdigen Quellen mehr. Doch scheint mittlwerweile bestätigt, dass neben der Zerstörung der restlichen Infrastrukturen wie der Stromversorgung folgende Ziele von US-Bombern getroffen wurden: Elendsquartiere bei Kabul, Lebensmittellager des Roten Kreuzes, ein Krankenhaus und ganze Dörfer sowie normale Bewohner beim Einkaufen. Der Einsatz von Streubomben und B52-Flugzeugen, die Vietnam in die Steinzeit zurückbombadieren sollten, läßt befürchten, dass die Bilanz von Toten und Verletzten am Ende hoch sein wird. Bereits vor dem Krieg lauerten etwa 5-10 Mio Minen im Land, die als tückische Zeitbomben ihre Opfer verlangen werden. Viele Produzenten dieser Exekutions- und Verstümmelungsautomaten haben Name und Adresse und sind angesehene Bürger der "westlichen Zivilisation".

Afghanistan ist wie kaum ein anderes Land in den letzten 20 Jahren durch den Krieg gezeichnet. Bis zum Rückzug der damaligen UdSSR wurden über 1 Mio Zivilisten getötet. Danach haben die "warlords" das Land weiter zerfleischt und die Hauptstadt in Schutt und Asche gelegt. 3,6 Mio Menschen sind nach Pakistan oder in den Iran geflüchtet. 900 000 waren bereits vor dem neuen Krieg Flüchtlinge im eigenen Land. Hier gibt es die höchste Rate an Witwen und Waisen und jedes vierte Kind stirbt vor dem 5. Lebensjahr. Es besteht die reale Gefahr, dass 2 Mio Menschen nicht mehr die zum Überleben notwendigen Nahrungsmittel bekommen. Diese Situation spitzt sich angesichts des bevorstehenden Winters und der Tatsache, dass die Hilfsorganisationen durch die Bombadierungen und die Zerstörung der Zugänge blockiert sind, weiter zu. Der Berichterstatter der UN-Menschenrechtskommission Jean Ziegler hat deshalb auch das Vorgehen der USA als "völlige Katastrophe" bezeichnet. Internationale Hilfsorganisationen, u.a. die britische Oxfam und die unicef, fordern ein Aussetzen der Luftangriffe.

Der stellvertretende US-Verteidigungsminister Wolfowitz hat gefordert alle "Staaten zu beseitigen, die den Terrorismus fördern". Damit stünden allerdings nicht nur einige Staaten, die von den USA als "Schurkenstaaten" bezeichnet werden, auf der Abschußliste. Die USA selbst hätten sich aufzulösen, da US-Regierungen mit Hilfe des CIA seit Jahrzehnten Terroristen ausgebildet haben, darunter u.a. auch Osama Bin Laden und viele "Gotteskrieger" der Taliban. Das Problem diverser US-Administrationen mit dem Terrorismus ist nicht, dass sie den Terrorismus ablehnen, sondern dagegen sind, dass er – frei nach Goethes Zauberlehrling - eine nicht mehr steuerbare Eigenlogik entwickelt. Wenn man also etwas gegen den Terrorismus hat, kann man nicht zu allen Formen des staatlich organisierten Terrorismus schweigen, ohne sich unglaubwürdig zu machen.

Der Terrorismus ist auch ein Problem der kapitalistischen Globalisierung. Einerseits folgen terroristische Unternehmungen den von großen Konzernen geschaffenen anonymen Pfaden der Steuerflucht für ihren Waffen und Drogenhandel und nutzen den neu entstandenen Freiraum, der aus der Zerrüttung nicht mehr konkurrenzfähiger Ökonomien entsteht. Zum anderen versuchen sich Terrornetze wie Al Queda als "Racheengel" der Verzweifelten und Gedemütigten darzustellen. Obwohl dieser Bezug nur als zynisch bezeichnet werden kann, liegt darin die eigentliche Herausforderung des Terrorismus. Denn die neoliberale Gestaltung der Weltökonomie hat die Spaltung zwischen Arm und Reich weiter vertieft und große Gebiete zu unbewohnbaren Zonen gemacht, in denen Not und Verzweifelung regieren und Menschen das Gefühl bekommen von den Segnungen der Zivilisation ausgeschlossen zu sein. Ohne eine Veränderung dieser Verhältnisse ist der Kampf gegen den Terrorismus kaum mehr als ein Kampf gegen Windmühlen. Eben diesen Zusammenhang hat die Anti-Globalisierungsbewegung zum Thema und hier wäre eine Aufgabe der IG Metall, bei der sie bisher kaum Farbe bekannt hat.

Die innenpolitischen Folgen der Strategie der kriegerischen Antwort auf die Bedrohung durch den Terrorismus drohen genau das zu zerstören, was uns jahrzehntelang als Kernsubstanz einer freiheitlichen Gesellschaft beschworen wurde. Bürgerrechtsorganisationen warnen vor einem totalen Sicherheitsstaat, der verdachtsunabhängig gegen die BürgerInnen operieren kann und Grundrechte suspendiert. Die Verhinderung solcher Strukturen war zurecht eine zentrale Konsequenz aus der Erfahrung des NS-Staates und angeblich ein wesentliches Unterscheidungsmerkmal zu den Kompetenzen der Stasi in der ehemaligen DDR. Parallel zu den undifferenzierten Feindbildern, die aktuell gegen die Bedrohung durch den Islam Konjunktur haben, werden rassistische Vorurteile gepflegt und rechtes Gedankengut gefördert. So und durch Gesetze, die Menschen nicht-deutscher Herkunft elementare Rechte vorenthalten, werden die mühsam erreichten Fortschritte in der gesellschaftlichen Integration von ImmigrantInnen aufs Spiel gesetzt.

Die notwendige Verfolgung der Täter für die Anschläge in New York und Washington hat durch den Internationalen Gerichtshof zu erfolgen, der diese Täter als Kriminelle und nicht als Kriegsgegner zu behandeln hat. Dafür benötigt er Kompetenzen, die eine Verfolgung solcher Verbrechen ungeschadet der Herkunft des Täters möglich machen. Dies bedeutet auch, dass sich hegemoniale Staaten wie die USA nicht das Recht herausnehmen dürfen ihre Bürger von dieser Gerichtsbarkeit auszunehmen bzw. allen Staaten mit Konsequenzen zu drohen, die mit dem IGH zusammenarbeiten.

Es gibt noch ein weiteres Legitimationsproblem. Die Stellungnahme Klaus Zwickels ist durch keinerlei Beschluß der verantwortlichen Gremien der IG Metall gedeckt. Leider hat diese Selbstherrlichkeit von Gewerkschaftsvorsitzenden mittlerweile Tradition. Offensichtlich sieht sich der Kollege Zwickel eher wie ein Kanzler, der als "Chef" einer Regierung Richtlinienkompetenz beansprucht. Die Beschlüsse von Gewerkschaftstagen sind dann nur "Material" für einsame Beschlüsse. Diese Praxis, die wir seit Jahren vom DGB-Vorsitzenden Schulte kennen und die sich Klaus Zwickel bereits beim Bündnis für Arbeit zueigen gemacht hat, untergräbt die politische Kultur der IG Metall als demokratische Organisation. So kann man die IG Metall höchstens zu einem Konzern machen jedoch nicht zu einer Organisation, in der die Mitglieder die Politik gestalten.

Gegen eine kriegerische Reaktion auf die Attentate haben sich die fünf großen deutschen Friedensforschungsinstitute ausgesprochen. Bedeutende Bürgerrechtsgruppen wie das "Komitee Grundrechte und Demokratie" oder Organisationen wie die "Ärzte für die Verhütung des Atomkriegs – Ärzte in sozialer Verantwortung" argumentieren in die gleiche Richtung. Im gewerkschaftlichen Lager hat der Landesverband Ba-Wü von ver.di ebenfalls klar Position bezogen: "Wenn es dabei bleibt, dass die Parlamentsparteien von CSU bis zu den Grünen, sich nur dadurch unterschieden, ob sie das Szenario der Vergeltung aktiv unterstützen oder es mit Fatalismus geschehen lassen wollen, wird den Gewerkschaften eine entscheidende Rolle in der außenparlamentarischen Opposition gegen eine militärische Eskalation zufallen." Die Erklärung des IG Metall-Jugendausschusses zu den Anschlägen vom 11. September läßt uns hoffen, dass sich auch die IG Metall Jugend in dieser Rolle sieht. Hier sehen wir unseren Platz als IG Metall-Mitglieder. Dies ist ein gewerkschaftliches Zukunftsprojekt. Durch den Schulterschluß mit Politikern wie Georg W. Bush, der wie kein anderer seiner Vorgänger Lobbyist von "Big Oil" ist, können Gewerkschaften nur ihr Ansehen als Selbstorganisation arbeitender Menschen zerstören. Dies gilt auch für den öffentlich erklärten Konsens mit Politkern wie Schröder und Fischer, die als gewendete Linke heute die Machtansprüche der wirtschaftlichen Eliten vertreten. Dies wird dadurch nicht besser, wenn sich dieser Schulterschluß auf gewaltorientierte Mehrheitsstimmungen insbesondere in der männlichen Mitgliedschaft stützen kann. Vielleicht verbirgt sich dahinter auch die Hoffnung, dass eine solche Praxis des "Burgfriedens" mit Entgegenkommen im Rahmen der "Bündnis für Arbeit"-Gespräche belohnt wird. Auch wenn diese Rechnung aufgehen sollte, dürfte sich das Ganze nicht auszahlen, da so ein "Deal" die notwendige Kooperation der Gewerkschaften mit anderen sozialen Bewegungen noch schwerer machen dürfte. Dies gilt auch für uns selbst. Eine IG Metall, in der die Verwendung der Begriffe "Frieden" und "Solidarität" nur noch Zynismus hervorruft, verliert auch für uns ihren Wert.

Berlin, 28.10.01

Benno Hopmann
Hakan Doganay
Holger Michael
Ines Cumbrowski
Norbert Cultus
Jochen Gester
Ria Reich

Kontakt: gester.jochen@berlin.de


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