Hohnmacht - Krieg und Massenmedien vertragen sich nicht

von Andrea Abplanalp

Im Westen sind die Massenmedien Teil der Unterhaltungsindustrie, öffentliche Gebühren hin, staatliche Kulturaufträge her: Die Macherinnen und Macher hinter Kameras und Mikrofonen kämpfen Tag und Nacht um Einschaltquoten, um Zuspruch, um Aufmerksamkeit. Und am meisten Aufmerksamkeit erhält, wer die grösste Show abzieht, die heisseste Story bringt, am besten unterhält.

Krieg ist Unterhaltung erster Güte: Da brummt es auf den Redaktionen, es jagen sich Sätze und Bilder, die Journaille läuft zu Hochform auf.

Vor einer Wertung sei gewarnt: Das Massenmedium, diese von Menschen und Technik geknüpfte Verbindung einzelner Ereignisse mit einer Vielzahl einzelner Menschen, kennt keine Moral, kann gar keine kennen (vgl. dazu denn offenbar vielerorts vergessenen Herbert M. McLuhan). Der einzige Daseinszweck der Massenmedien ist das Herstellen der Verbindung: die Quote, die den notwendigen Medien-Brennstoff Werbegeld fliessen lässt.

Wer Massenmedien mithin als zynisch abtut, greift daneben, denn Medien wollen weder Gutes noch Wahres berichten, sondern allein und ausschliesslich Beachtung finden. Indes haben die vom Tagesgeschehen getriebene Menschen auf den Redaktionen gerade in Kriegszeiten manchmal Mühe mit dieser amoralischen - nicht unmoralischen - Position ihres Berufsfeldes: Wenn die zwangsläufig abgebrühten Profis in ihrem hektischem Aktionismus innehalten, weil eine Meldung von so und soviel Zeilen oder Bilder von so und soviel Sekunden sie anrühren, bekommen sie mitunter buchstäblich den "Moralischen": So wie unlängst in der Tagesschau des Schweizer Fernsehens, als zwischen Kriegsbildern ein paar Sekunden lang musikalisch unterlegte Bilder von blühenden Blumenwiesen zu sehen waren. Ein irritierendes Ereignis in einer Nachrichtensendung: vom professionellen Standpunkt aus eine krasse Fehlleistung, vom menschlichen Standpunkt aus ein rührend hilfloser Versuch, die Gewalt der Meldungen zu besänftigen.

Dass Medienschaffende den Moralischen kriegen, kommt zurzeit zwar häufiger vor, aber es ist doch immer die Ausnahme, welche die Regel bestätigt: Reporter und Redaktorinnen, Kameraleute und Korrespondentinnen sind gefangen im Job. Und je angespannter die Nachrichtenlage ist, desto selbstvergessener wird dieser Job erledigt: Kriegen wir Verbindung mit Pristina? Ist unser Mann in Skopje bereit? Steht die Leitung nach Brüssel? Wer ist in Moskau? Was macht Washington. Gibt's was aus Tirana? Und wenn gar nichts läuft, kann man ja noch im Bundeshaus nachfragen…

Vor einer Wertung sei gewarnt: Dem Zwang von Ereignissen und der Eigendynamik der Medienbranche können sich Medienschaffende beim besten Willen nicht entziehen. Wer seinem Publikum verspricht, "in der ersten Reihe" (ARD) zu sitzen oder "mittendrin statt nur dabei" (DSF) zu sein, muss und wird alle vorhandenen Mittel einsetzen, um die Versprechen einzulösen. Dabei geht es immer auch darum, dem Publikum die eigene Potenz vor Augen zu führen: Was im Irak passierte, als CNN der einzige Sender mit einem Mann in Bagdad war, wird die Konkurrenz nicht nochmals geschehen lassen.

Aber auch diejenigen, über welche berichtet wird, lassen nichts mehr anbraten: Der Vietnam-Krieg hat sie ein für alle Mal gelehrt, dass den Massenmedien eine Kraft innewohnt, denen Regierungen recht hilflos ausgeliefert sind.

Im Kosovo - mehr noch als weiland im Irak - lähmen sich die beiden Kräfte, die da berichten und über die da berichtet wird: An vorderster Front, in der ersten Reihe, mittendrin ist keine Menschenseele, die unvoreingenommen Bilder und Worte des Grauens in die warmen Stuben des Westens transportieren könnte. Wir schalten kurz um zur Peripherie… In Ruanda, in Angola, Zaire, Aethiopien, Tschad, Kolumbien, Indonesien, Afghanistan, Kaschmir, etc. ist auch Krieg: Massaker und Vergewaltigungen, Vertreibungen und Massengräber, zuhauf Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Ganz gewöhnliche Kriege halt, eigentlich "gute Unterhaltung" (Pro 7), aber offenbar nicht genug "aktuell" und "zu weit vom Schuss". Obwohl da Medienschaffende wären, die mittendrin sind, interessiert das zurzeit in unseren Breiten keine Redaktion - mit der Warnung vor Wertungen zurück in die Zentrale.

Wir schalten weiter von Brüssel über Washinton nach Belgrad… Was den Alliierten des Golfkrieges recht war, ist dem Belgrader Regime billig: Die Medien werden instrumentalisiert, die Medienschaffenden manipuliert; spätestens seit Goebbels und der Verbreitung von Volksempfängern ist Propaganda ein wesentlicher Bestandteil jeder Kriegsführung: Die Wirklichkeit muss so zurechtgebogen werden, dass sie den strategischen Interessen dient und die taktischen Manöver unterstützt - es werde "zurückgeschossen", sagte Hitler, als er Polen überfiel.

Die hohe Professionalität und der grosse Erfahrungsschatz der beteiligten gesellschaftlichen Kräfte führen im Falle des Kosovo zu absurden Situationen: Zwar findet ganz offensichtlich ein Krieg statt und die Medien transportieren diesen Umstand auch tagtäglich an die sogenannte "Öffentlichkeit". Aber was da genau abgeht, wer genau die Aktuere sind und was sie anstellen, weiss trotz dem globalen Anspruch heutiger Massenmedien recht eigentlich niemand. Zwar werden mit geradezu peinlichem Eifer Bilder von weinenden Flüchtlingen und startenden Kampfbombern gezeigt, zwar holt man ständig Statements ein und befragt allenthalben Experten. Aber wie präzis bombt die NATO wirklich? Wer räumt aus welchen Gründen den Kosovo? Und was wollen die Politiker überhaupt im Balkan? Die Fragen sind wichtig, und als Profis stellen die Medienschaffenden sie auch: Aber einerseits sind Antworten nur schwer zu finden, und andererseits ist den Antworten nicht zu trauen, denn es ist Krieg.

Um Wertung wird gebeten: Krieg ist brutal, menschenverachtend, unmoralisch. Und er trifft auf Massenmedien, die aus den erwähnten Gründen ebenfalls keine Moral kennen. Das Resultat kann nicht anders sein als verwirrend, verstörend, verheerend. Massenmedien, die unterhalten müssen, sind trotz ihres heftigen Engagements denkbar ungeeignet, Kriege in die guten Stuben zu tragen. Aber sie können nicht anders, und man soll es ihnen nicht verargen.

Aber man kann sich damit abfinden, dass Medien selbst in Kriegen auf Unterhaltung aus sind: Und wenn man's denn akzeptiert und sich bewusst nicht mehr vereinnahmen lässt von der Kraft der Bilder (eine schwere Aufgabe), dann beginnt man plötzlich hinter den Bildern und zwischen den Zeilen die Wirklichkeit zu erahnen: Die Wirklichkeit der Medienschaffenden, die Wirklichkeit der Krieger, die Wirklichkeit der Flüchtenden und nicht zuletzt die Wirklichkeit von uns, die wir gemütlich Zuhause sitzen.

Wer die Wirklichkeit dessen, was im Kosovo passiert, mehr als nur erahnen will, dem seien zwei Bücher wärmstens ans Herz gelegt. Beide sind ungleich anstrengender als Medienberichterstattungen, aber die Eroberung der Inhalte dieser Bücher garantiert Erkenntnisse, die viele Fragen klären und Unsicherheiten ausräumen.

 

1. Marshall McLuhan: Die magischen Kanäle; 1995 Verlag der Kunst, Basel

"Die Magischen Kanäle" des in den achtziger Jahren vestorbenen Medienphilosophen Marshall McLuhan ist das Standardwerk der Medienwissenschaft. Die messerscharfe Analyse beleuchtet detailreich und humorvoll die Wirkungen und Wechselwirkungen der Medien vom Buchdruck bis zum Internet, wobei McLuhan notabene das Internet nicht mehr erlebt hat.

2. Ernst Lohoff: Der dritte Weg in den Bürgerkrieg; 1996 Horlemann Verlag, Bad Honnef

"Der dritte Weg in den Bürgerkrieg" von Ernst Lohoff wiederum geht den Gründen des Jugoslawienkonfliktes auf die Spur. Auch hier wird messerscharf analysiert, wie Jugoslawien seit dem Ende 2. Weltkrieg versuchte, das Richtige zu tun, aber regelmässig kleine Fehler machte. Nach der Lektüre ist klar, warum es so kommen musste, und sie lässt erahnen, dass Jugoslawien nur der anfang ist.