An den
Vorsitzenden des DGB, Dieter Schulte
& alle Mitglieder des DGBBundesvorstandes 29.3. 99
Von GewerkschafterInnen aus Karlsruhe und Umgebung
c/o Sabine Leidig,
DGB-Kreis Mittelbaden,
Ettlinger Straße 3a,
76137 Karlsruhe
Stellungnahme zum Krieg in Jugoslawien
Lieber Kollege Dieter Schulte,
Wir schreiben Dir aufgrund der Mitteilungen, die uns aus dem Bundesvorstandssekretariat erreicht haben:
Du hast gegenüber der Bundesregierung die schwierige und historische Entscheidungssituation der rotgrünen Koalition gewürdigt und ihr in ihren Beratungen zum weiteren Vorgehen die Unterstützung des DGB zugesichert
Auf Nachfrage verschickt die Bundespressestelle des DGB eine knappe Erklärung in der es im 3. Absatz heißt:
» ... gibt es zum Einsatz von Streitkräften keine Alternative. Der DGB unterstützt daher das Ziel der Bundesregierung, auf diesem Weg Verhandlungsergebnisse zu erzwingen.«
Wir sind gewerkschaftlich engagierte Kolleginnen und Kollegen, für die der DGB als gesellschaftspolitische Kraft eine große Bedeutung hat.
Wir erwarten, daß sowohl die aktuellen Interessen der abhängig Beschäftigten, der Arbeitslosen und ihrer Familien offensiv vertreten werden, aber wir erwarten auch, daß die Grundsatzpositionen der Arbeiterbewegung vom DGB nicht nur weiterentwickelt, sondern auch bewahrt und verteidigt werden.
Zum aktuellen Konflikt beziehen wir uns auf den entsprechenden Abschnitt (VI / 2.) unseres DGBGrundsatzprogrammes (Dresden 1996):
2. Menschenrechte, Frieden und Abrüstung
Die Postulate der Aufklärung und die Verwirklichung der Menschenrechte sind historischer Hintergrund und aktuelle Verpflichtung der Gewerkschaften: Freiheit und Gleichheit, ein Leben und Arbeiten in Selbstbestimmung und Würde ohne Unterdrückung, Bedrohung und Not. In vielen Teilen der Welt sind Ausbeutung und Unterdrückung der Menschenrechte nach wie vor an der Tagesordnung.
200 Millionen Kinder arbeiten weltweit als billige Arbeitskräfte, Millionen Menschen werden als Zwangsarbeiter ausgebeutet, Gewerkschaftsrechte werden vielerorts mit Füßen getreten, etwa ein Fünftel der Weltbevölkerung lebt in extremer Armut, 700 bis 800 Millionen Menschen sind weltweit ohne Arbeit, Frauen, ethnischer Minderheiten und politisch Andersdenkende werden in ihren Menschenrechten oft eklatant verletzt. Die Gewerkschaftsbewegung setzt sich dafür ein, daß die Menschenrechte universelle Geltung gewinnen.
Frage: Was unterscheidet die Verletzung der Menschenrechte im Kosovo so elementar von anderen bürgerkriegsähnlichen Konflikten (z.B von Vertreibung und Terror der türkischen Regierung gegen das kurdische Volk), daß sie über unseren universellen Anspruch hinausreicht?
Soziale, ökonomische und ökologische Konflikte müssen auf zivilem Wege ohne militärische Gewalt gelöst werden.
Frage: Wie kannst Du die Unterstützung des Einsatzes von Streitkräften mit dieser definitiven Aussage in unserem Grundsatzprogramm vereinbaren?
Wir sehen einen klaren Widerspruch!
Die Vereinten Nationen müssen zur allgemein respektierten Weltorganisation für ein friedliches Zusammenleben der Völker, zur Achtung der Menschenrechte und der humanitären Hilfe weiterentwickelt werden.
Frage: Erkennst Du nicht, daß der Einsatz von NATO-Truppen ohne UNO-Mandat ganz offensichtlich zur Schwächung der Weltorganisation führt?
Warum hat die USA in den Friedensverhandlungen von Rambouillet darauf bestanden, daß NATO-Truppen in Serbien stationiert werden wohl wissend, daß diese Maßgabe von Milosovic keinesfalls akzeptiert würde. Warum wurden/werden nicht OSZE oder UNO-Friedenstruppen zur Einhaltung eines Friedensabkommens eingesetzt?
Wichtigstes Ziel muß sein, einen Zustand der gemeinsamen Sicherheit zu schaffen, der Krieg in Europa unmöglich macht. Dies geht über die Reduktion von Waffen und Streitkräften hinaus. Die gemeinsame Sicherheit ist geeignet, den europäischen Nationen eine friedliche Zukunft zu sichern und den Völkern Osteuropas die begründete Aussicht auf bessere Lebensumstände zu sichern.
Frage: Gestern hat die NATO den Krieg gegen Jugoslawien begonnen. Nun beteiligt sich die Bundeswehr (grundgesetzwidrig) an einem Angriffskrieg in Europa und der DGB-Bundesvorsitzende hat kein Wort des Protestes. Wie kannst Du das rechtfertigen?
Kurt Tucholsky hat einen bedenkenswerten Satz geprägt:
Nichts ist schwerer und nichts erfordert mehr Charakter, als sich im offenen Gegensatz zu seiner Zeit zu befinden und laut zu sagen NEIN!
In diesem Sinne erwarten wir von führenden GewerkschafterInnen keine vaterländischen Ergebenheitsadressen an die Regierung, die Soldaten in einen völkerrechtswidrigen Krieg schickt, sondern klare und aufklärende Widerständigkeit in der antimilitaristischen Tradition der Arbeiterbewegung, die sich in unserem Grundsatzprogramm manifestiert.
Sabine Leidig, DGB-Kreisvorsitzende für Mittelbaden / Rosemarie Landmann, Betriebsrätin, Siemens AG ZN, Karlsruhe, IGM / Dr. Dietrich Schulze, BR-Vorsitzender, Forschungszentrum Karlsruhe, ÖTV / Dagmar Hamdi, VL-Vorsitzende, Forschungszentrum Karlsruhe, ÖTV / Dr. Helmut Woda, Betriebsrat, Forschungszentrum Karlsruhe, ÖTV / Silvia Schulze, VVN-Vorsitzende, Karlsruhe, DPG / Harry Block, Stadtrat Bündnis 90 / Die Grünen, GEW / Margot Moll, Delegierte, ÖTV / Martin Obst, Gewerkschaftssekretär, IGM / HansPeter Goergens, Gewerkschaftssekretär, IGM / Manfred Molenaar, Dipl. Sozialwissenschaftler, IG BCE / Jan Krüger, OJAMitglied, IGM / Jochen Höpken, Gewerkschaftssekretär, HBV / Frieder Sandrock, BR-Vorsitzender, IB Baden-Württemberg, ÖTV / Karin Sandrock, Vertrauensfrau, ÖTV / Matthias Wesche, Vertrauensmann, ÖTV / Gudrun Siuts, KFA-Vorsitzende, ÖTV / Hedwig Schubert, Kreisvorstandsmitglied, ÖTV / Ilona Herrmann, OV-Vorstandsmitglied, IG Medien / Klaus Kerner, Betriebsrat, IGM / Erich Lenz, Kreis-Senioren-Ausschuss, IGM / Roland Armbruster, Betriebsgruppen-Vorsitzender, DPG / Wolfram Treiber, DGB-Rechtssekretär / Monika Schneider, KFA-Mitglied, ÖTV / Uta Engelhardt-Schwarz,OFA-Mitglied, IGM / Ulrike Winstel, OFA-Mitglied, IGM / Markus Sonnenschein, Bezirksjugendleiter, DPG / Wolfgang Ziller, Gewerkschaftssekretär, IGM
Und
Clarissa Simon (HBV), Erich Glötz (HBV), Carola Plaul (ÖTV), Marie-Luise Richter (ÖTV), Pia Kiefer (ÖTV), Ludwig Angert (ÖTV), Katja Mohr (GEW), Erich Berner (ÖTV), Ingrid Thomalla (ÖTV), Dr. Kurt Schmidt (ÖTV) Gewerkschaftsmitglieder