Die von der NATO am 24.März begonnenen Luftangriffe gegen die Bundesrepublik Jugoslawien zeigen, daß die internationale Staatengemeinschaft noch immer im Dunklen tappt bei der Suche nach einer vernünftigen Lösung für die 8 Jahre alte jugoslawische Krise. Diese gipfelt jetzt in der größten Gefahr für den europäischen Frieden und Stabilität Tragischerweise beweist dies nur, daß die militärische Macht der NATO ihre diplomatischen Fähigkeiten bei weiten übertrifft.
Die Ignoranz des alten Prinzips der internationalen Beziehungen, daß es eine untrennbare Verbindung zwischen Weisheit und Verantwortung für seine Handlungen und Stärke, insbesondere für seine militärische Stärke, gibt, scheint bei jenen, die sich selbst vorgenommen haben, den gordischen Knoten am Balkan zu lösen, eine Niederlage erlitten zu haben. Keine militärische Technologien und Kapazitäten können an die Effizienz des Dialogs und dem Frieden, der aus ihm hervorgeht, herankommen. Der Einsatz der Streitkräfte führt zu einer Spirale der Gewalt, in der es leicht ist, von der Macht abhängig zu werden, in deren Folge die Hauptdarsteller sich immer weiter von der ursprünglichen Lösung des Problems entfernen. Gewöhnlich endet das dann damit, daß die Macht zum Selbstzweck wird und der ursprüngliche Wille, sofern anfangs existierte, gänzlich unbedeutend wird.
Die Lehren, die wir aus der Geschichte unserer Zivilisation ziehen können, haben für uns insofern eine besondere Bedeutung, als Slobodan Milosevic, seit er an der Macht ist, systematisch die empfindliche Balance zwischen Weisheit und Stärke untergräbt. Die Bombardements auf Jugoslawien sind das kombinierte Ergebnis zweier ungezügelter Kräfte, die nicht länger der Weisheit gehorchen: Der zerstörerischen Macht Slobodan Milosevics, die bereits den jugoslawischen Staat zerstörte und der zerstörerischen Macht der NATO, die nun das noch Übriggebliebene zerstört.
Es ist ziemlich sicher, daß die Hauptdarsteller dieser Zerstörung, Milosevic und die NATO, den Konflikt unversehrt überstehen werden, während der Frieden und die Demokratie eine neue Niederlage hinnehmen müssen. Wir alle wissen, was seit der Intervention der jugoslawischen Volksarmee (Milosevic) in Slowenien im Juni 1991 und den folgenden Ereignissen in Kroatien und Bosnien passierte und wir wissen, was heute im Kosovo vor sich geht. Milosevic bleibt exakt dort, wo er 1991 war. Sicher durch einen gewissen Austausch im Personal, befindet sich auch die internationale Gemeinschaft, deren Umgang mit der Jugoslawien-Krise man bestenfalls als unbeholfen und sogar oberflächlich beschreiben kann, noch genau da, wo sie 1991 war. Mittlerweile strömten Flüsse von Blut über Jugoslawien, hunderttausende Menschen wurden ermordet und Millionen vertrieben. Die materiellen Schäden waren enorm. Viele Städte, Fabriken und Industrieanlagen wurden zerstört und viele Mitglieder sowohl unserer Gewerkschaft, als auch jener Gewerkschaften in den anderen ehemaligen jugoslawischen Republiken, verloren ihren Job. Eine Macht, die nicht von Weisheit geleitet wurde, hat all dies zerstört und jetzt versucht eine andere Macht, der es ebenso an Weisheit mangelt, diese Aufgabe zu vollenden.
Die "Nezavisnost" - Gewerkschaft wurde zum Beginn des Ausbruchs der Krise in Jugoslawien gegründet. Einer der Hauptgründe für die Gründung war es, gegen das Fehlen von Demokratie und Reformen zu protestieren und Macht auszuüben, um die Mißverständnisse und Uneinigkeiten, die dem Ausbruch der Krise vorangingen, zu lösen. Wir haben immer darauf bestanden, daß Demokratie, Reformen und Weisheit der einzige Weg ist, um soziale und ethnische Konflikte zu lösen.
Zweifellos kommt das internationale Ansehen und der Ruf von Nezavisnost von seinen niemals ins Wanken geratenen Glauben und seiner Hingabe an diese Werte. Doch es scheint, daß dieselben Werte und Normen nicht für alle gleichermaßen gelten: allen voran gegenüber Milosevic (wahrscheinlich wegen seiner diversen Handelsbeziehungen) und anderen Gewerkschaften im früheren Jugoslawien.
Kein internationaler Untererhändler hat jemals von Milosevic verlangt, die Rechte der Gewerkschaften zu respektieren. Wäre das der Fall gewesen, so würden wir heute eine starke Gewerkschaft sein, die im Unterschied zu der vom Staat kontrollierten Gewerkschaft Milosevic im Weg stehen würde. Die internationale Gemeinschaft hat von Milosevic niemals das verlangt, was er leicht einlösen könnte, sondern immer nur versucht, ihn dazu zu bringen, etwas herzugeben, was er nicht hergeben kann - und er unterliegt keiner Verpflichtung etwas herzugeben. Das ist der Grund warum heute Bomben auf unschuldige Bürger von Serbien und Montenegro herabfallen. Das geschieht nur, weil man keine angemessenen Mittel ergriff, als man noch die Möglichkeit hatte, das Morden und der Zerstörung ein Ende zu setzen. Statt dessen erreichten sie solche Ausmaße, so daß es nicht länger möglich war diese zu ignorieren. Die internationale Gemeinschaft entschloß sich erst zu handeln, als der Preis eine nicht mehr zu akzeptierende Höhe erreichte und - Bomben oder keine Bomben - es bleibt die Tatsache, daß nichts getan wurde, um die Jugoslawien-Krise zu verhindern und es keinen ernsthaften Versuch gab, die demokratischen Kräfte im früheren als auch im jetztigen Jugoslawien zu schützen. Deswegen betrachten wir die Bombardements als einen rücksichtslosen Versuch von Seiten der internationalen Gemeinschaft, ihr schuldiges Gewissen, vor dem was zu tun gewesen wäre, um das Blutbad zu vermeiden, zu erleichtern.
Brüder und Schwestern,
Aus all diesen Gründen und jetzt, als wir die traurige und schockierende Nachricht aus dem Kosovo erhalten haben, daß unser Bruder Agim Hajrizi, der Präsident der BSPK-Versammlung (das sind die unabhängigen albanischen Gewerkschaften im Kosovo, d.Ü.), zusammen mit Angehörigen seiner Familie von den serbischen Streitkräften ermordet wurde, erst recht, appellieren wir an Euch zugunsten eines sofortigen Friedens im Kosovo:
Euere Unterstützung wird es uns ermöglichen, mehr Erfolge in unserer Arbeit zu erzielen und trägt dazu bei, die internationale Gewerkschaftsfamilie zu stärken, ebenso trägt sie dazu bei, die Herausforderungen der Globalisierung und des Übergangs in den Griff zu bekommen.
In Solidarität
Branislav Canak, Präsident der Nezavisnost