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29. Mai 2001
Der Präsident Venezuelas, Hugo Chávez, besteht weiterhin darauf, dass seine "bolivarische Revolution[1]" tatsächlich eine Revolution ist. Über zwei Jahre nach Beginn des Prozesses gerechnet ab der Übernahme der Amtsgeschäfte am 1. Februar 1999 kann man jedoch noch nicht deutlich erkennen, worin das alternative ökonomische Projekt besteht und dass die angekündigte Beteiligung des Volkes umgesetzt wird. Statt dessen wachsen die Zweifel über die Konzentration der Macht beim Staatschef, dessen Mitarbeiterstab seinerseits noch nicht glaubwürdig bewiesen hat, dass er das Land erfolgreich führen kann.
In den fortschrittlichen Schichten des Landes wächst unterdessen das Gefühl, dass Chávez und die Leute, die ihm in der Exekutive, im Parlament und den politischen Parteien zur Seite stehen, dabei sind, die historische Chance für eine echte Veränderung des Landes zu vertun, einen Wandel, der die Beteiligung der Bevölkerung zum Ziel hat und eine soziale Wirtschaft, die die Gründe für die Armut bekämpft und nicht nur dazu beiträgt, dass die Armen überleben.
Der Präsident schaffte es erfolgreich und indem er sich an die Regeln der liberalen Demokratie hielt, einen Schlussstrich unter das politische System Venezuelas zu ziehen. Dies gelang ihm, weil er den Überdruss der Bevölkerung verstand, ihren Durst nach Veränderungen, und mit seinem unbestreitbaren Charisma trat er in Kommunikation mit den ärmsten und marginalisiertesten Schichten, die immer noch in ihm ihre historische Hoffnung auf Veränderungen, auf Gerechtigkeit und eine bessere Zukunft sehen.
Jetzt, da er das erste Ziel seiner bolivarischen Revolution erreicht hat: die alten Parteien vollständig hinwegzufegen und eine neue, eng an den "Prozess" (wie die Chavisten diese Zeit des Wandels nennen) gebundene Führung und ein neu entstehendes System von Institutionen zu etablieren, ist unklar, wohin die nächsten Schritte führen werden.
Allen ist klar, dass es zu einer wirtschaftlichen Wiederbelebung im Land kommen muss (und sicher wird der Ölpreis, der das makroökonomische Wachstum steigen lässt, dazu beitragen), die es dem nationalen Unternehmertum erlaubt, sich zu erholen und eine Erholung des Arbeitsmarkts und der Einkommen möglich macht. Dies ist der Weg, um konkret soziale Marginalisierung und Armut zu bekämpfen.
Chávez verteidigte in Québec das Adjektiv "partizipativ" für die Demokratie, und deshalb wurde ein Vorbehalt Venezuelas in die Abschlusserklärung des Amerika-Gipfels aufgenommen. Im Land jedoch nehmen wir keine klaren und kohärenten Signale wahr, dass wir auf dem Weg in eine partizipative Demokratie sind, wie sie die nagelneue Verfassung der Bolivarischen Republik Venezuela vom Dezember 1999 festsetzt.
Etwas mehr als zwei Jahre nach Beginn des Prozesses in Venezuela hat das Land einen neuen politischen Rahmen, ein neues Institutionensystem in der Verwaltung, eine kleine Opposition (zerstreut und hysterisch) und eine allumfassende Führung. Bezogen auf die anderen Aspekte gibt es mehr Zweifel als Gewissheit, mehr Fragen als Antworten.
Der Präsident hat immer noch ohne jeden Zweifel die große politische Fähigkeit, die Themen auf die politische Tagesordnung des Landes zu setzen. Er stellte diese Fähigkeit anhand zweier Themen unter Beweis, kurz bevor er auf seine längste Auslandsreise ging (13. Mai bis 2. Juni).
Auf der einen Seite hielt sich Chávez die Möglichkeit offen, den Ausnahmezustand zu erklären, was für ihn (wie es die Verfassung festsetzt) außerordentliche Machtbefugnisse in spezifischen Gebieten bedeuten würde. Diese Möglichkeit führte zu kontroversen Diskussionen, sicher ist aber, dass sie sich innerhalb des gültigen Verfassungsrahmens bewegt. Man muss sich aber fragen, ob Chávez mehr Macht braucht, um die alles andere als einfache Aufgabe eines tiefgreifenden Wandels in Venezuela anzugehen. Einige glauben, ja.
1999, im ersten Jahr seiner Präsidentschaft, erhielt Chávez spezielle Machbefugnisse durch ein Ermächtigungs-Gesetz. Diese Rechtsfigur gibt der Exekutive die Befugnis, Gesetze zu erlassen, ohne dass sie von der Legislative diskutiert werden. Dies ist keine neue Praxis in Venezuela, und fast alle Staatschefs haben sie angewandt. Im September 2000 erhält Chávez erneut die Macht, Gesetze zu erlassen, mit einer zweiten Ermächtigung für ein Paket von etwa 40 Gesetzen, die fast alle Wirtschaft und Soziales betreffen. Im Mai, nachdem er sieben Monate lange alle Macht für sich hatte, hatte der Chef der Exekutive kaum sieben Gesetze erlassen (während er geplant hatte, bis dahin 29 zu haben). Ebenfalls seit dem vergangenen Jahr wird ein großer Plan aufgeschoben, für den große Finanzen zur Verfügung gestellt wurden, mit denen verschiedenste Entwicklungsprojekte für eine wirtschaftliche Wiederbelebung finanziert werden sollten. Obwohl er die Ressourcen und die nötige Macht zur Verfügung hatte, war nur die Hälfte des Geldes ausgegeben worden.
Die vollständige politisch-institutionelle Erneuerung des Landes hat ergeben, dass Präsident Chávez eine qualifizierte Mehrheit im Parlament hat, und dass die Mehrheit der Gouverneure, Bürgermeister, Gemeinderäte und Regionalparlamente in den Händen von Führern der Bewegung Fünfte Republik (MVR), der politischen Partei von Chávez, oder anderer dem Prozess zugeneigter Gruppierungen ist.
Durch den demokratischen Weg schlechthin, die Wahlen, ist es Chávez gelungen, seine momentane Macht zu zementieren. Eine Macht die, vereint mit seiner großen Popularität, ihm eine einzigartige Möglichkeit gibt, den Wandel und die notwendigen Umgestaltungen voranzutreiben.
Parallel dazu kündigte der Präsident die Wiedergründung der Revolutionären Bolivarischen Bewegung (MBR-200) an, der Organisation, die die erfolglose Militärrebellion im Februar 1992 anführte, die Chávez ins politische Szenario der Nation katapultierte, aber die sich auflöste, weil sie keinen Wahlapparat hatte (statt dessen wurde dann die MVR gegründet). Der Präsident machte seine Ankündigung, die das Ziel verfolgt, eine "Bewegung der Bewegungen" zu festigen, ohne vorher mit den politischen Gruppen zu diskutieren, die ihn unterstützen (sie erfuhren davon ebenso wie der Rest des Landes bei einem Festakt, bei dem Chávez sprach). In sehr ähnlicher Weise - und hier zeigt sich, wie sehr sich Chávez von Gefühlen leiten lässt - wurde die "Bewegung zum Sozialismus" (MAS) vom Prozess ausgeschlossen, während gleichzeitig "Vaterland für Alle" (PPP) wieder aufgenommen wurde.
Man weiß nicht genau, was politisch aus der Wiedergründung des MBR wird, ebenso wie aus der Umbildung des Regierungsbündnisses. Dazu, ebenso wie zu der Frage des Ausnahmezustands, "warten wir noch auf die Meinung des Präsidenten", die die Schlüsselfiguren der Regierung und ihrer Hauptpartei, der MVR, nach außen vertreten..
Der Vorschlag, das MBR wieder zu gründen, zeigt einen zentralen Punkt auf. Chávez befindet sich in einem Moment, in dem die entscheidende Aufgabe nicht die Machtübernahme ist, die hat er schon, vielleicht wie kein venezolanischer Präsident in Jahrzehnten und sicherlich wie kein anderer lateinamerikanischer Staatschef, mit der Ausnahme Fidel Castros. Die Herausforderung ist jetzt ohne Zweifel, in effizienter und kohärenter Weise einen Transformationsplan umzusetzen, der über die persönlichen Bestrebungen des Präsidenten hinausgeht. Dies kann nur die Frucht der Partizipation, des partizipativen Dialogs sein, der Türen öffnet nicht nur für die, die Chávez in seinem Versuch militärischer Rebellion von 1992 oder während seiner Zeit im Gefängnis war begleiteten.
Ein Projekt für das ganze Land, was es auch sei, muss kollektiv, unter Beteiligung der Bevölkerung und aus einem gemeinsamen Traum entstehen. Chávez zeigte die nötigen Führungsqualitäten, um es in Schwung zu bringen, aber noch gibt es Zweifel über seine politische Fähigkeit, es kohärent zu führen.
1) Bezogen auf Simón Bolívar, der zu Anfang des 19. Jahrhunderts den Versuch unternahm, die lateinamerikanischen Staaten zu einigen.
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