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Gewerkschaftsrepression in der Türkei legalisiert

Anlässlich einer Demonstration der unabhängigen türkischen Gewerkschaft des öffentlichen Dienstes KESK kam es Ende Juni in der Hauptstadt Ankara zu massiven Zusammenstößen zwischen Spezialeinheiten der türkischen Polizei und GewerkschafterInnen. Das brutale Vorgehen der Polizei forderte zahlreiche Verletzte, viele KollegInnen wurden verhaftet und sitzen zum Teil noch in Haft. Mit der Demonstration wollte die KESK ihren Protest gegen die Verabschiedung eines Gesetzes für den Öffentlichen Dienst ausdrücken, das für die Beschäftigten das Verbot von Streiks beinhaltet und ein Tarifrecht ausschließt.

Trotz des seit Jahren geführten Kampfes um die Durchsetzung solcher Rechte für Beschäftigte des Öffentlichen Dienstes, die in dieser Hinsicht besonderen Benachteiligungen unterliegen, gelang es der Gewerkschaft nicht, das Gesetz in seiner jetzigen Fassung zu verhindern. Dies bedeutet, dass die KollegInnen zwar das Recht auf gewerkschaftliche Organisierung haben, aber eben weder streiken noch Tarifverhandlungen führen dürfen. "Nach Auffassung der türkischen Machthaber", so Hasan Keskin, Gewerkschaftsvertreter der KESK und Mitarbeiter des TIE-Bildungswerkes, "heißt dies, dass die ILO-Konventionen umgesetzt werden. Aber eine Gewerkschaft ohne Streik- und Tarifrecht ist keine Gewerkschaft." Was dies bedeutet, macht Keskin an Beispielen wie folgendem deutlich: "Im vergangenen Jahr wurden ca. 60 KollegInnen, die an der Mautstelle der Bosphorus-Brücken arbeiteten, zu insgesamt 50 Milliarden Lira Strafe verurteilt, weil sie die Arbeit niedergelegt hatten." Der Mindestlohn beträgt zur Zeit rund 130 Millionen Lira pro Monat, umgerechnet 218 DM. Nicht umsonst zählt daher - entgegen der Interpretation der türkischen Regierung - auch die Konvention Nr. 98, die neben dem Recht auf Organisierung auch das Recht auf kollektive Verhandlungen einschließt, zu den ILO-Kernkonventionen, zu deren Einhaltung sich alle ILO-Mitgliedsländer verpflichtet haben.

Doch die Bedingungen, solche rechtlichen "Feinheiten" öffentlichkeitswirksam diskutieren, geschweige denn ein Gesetz wie das für den Öffentlichen Dienst verhindern zu können, sind für die Gewerkschaften derzeit alles andere als günstig. Nach den großen Krisen im November 2000 und Februar diesen Jahres kam es zu zahllosen Betriebsschließungen, ein Ende der Entlassungswelle ist derzeit nicht in Sicht. Die Kaufkraft – ohnehin schon nicht üppiger Löhne – wird durch die Ab-wertung der türkischen Lira um 40 Prozent und die Preissteigerungen, die nach der Krise zwischen 60 und 115 Prozent schwankten, weiter gesenkt. Nach offiziellen Statistiken liegt die Inflationsrate bei 55 Prozent, doch die Angaben seien widersprüchlich, so Keskin. Er berichtet von einer Rückzugswelle in ländliche Regionen: "Die ärmeren Leute wissen sonst nicht mehr, wie sie sich ernähren sollen."

Die türkische Regierung hat gegen diese Wirtschaftskrise kein eigenes Programm, sondern folgt den Empfehlungen von IWF und Weltbank. Unter Aufsicht des IWF-Manns Kemal Dervip wurde ein Team zusammengestellt, das ein Kriseninterventionsprogramm entwickeln und für dessen Umsetzung sorgen soll. Dieses Programm sieht u.a. verstärkte Privatisierungen vor und beinhaltet einen Gehaltsstopp für Beamte und Angestellte des Staates: Trotz der offiziell bekannt gegebenen Inflationsrate von 55 Prozent dürfen Gehaltserhöhungen 18 Prozent nicht überschreiten.

Unterdessen hält sich der Widerstand der Beschäftigten in Grenzen: Der Organisationsgrad ist nicht zuletzt aufgrund der jahrzehntelangen Repression, des großen Einflusses "gelber" Gewerkschaften und der auch in der Türkei verfangenden Ideologie der Sozialpartnerschaft sehr gering. Nach Angaben des Arbeits- und Sozialministeriums liegt er bei 60 Prozent, doch die Basis dieser Berechnungen bildet die Anzahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten, die mit 4,5 Millionen beziffert wird. Keskin dagegen verweist auf andere Quellen, nach denen rund 24 Millionen Menschen in der Türkei insgesamt arbeiten, ob sozialversicherungspflichtig oder nicht. Und von diesen seien rund eine Million bei den insgesamt vier Gewerkschaftskonföderationen als Mitglied registriert.

"Die Gewerkschaftsbonzen sind offenbar glaubwürdiger als wir, wenn sie an die Solidarität der KollegInnen mit den Unternehmern appellieren, da die so schlecht dran seien und die KollegInnen daher auch einen Beitrag für den Erhalt ihrer Arbeitsplätze leisten müssten", so Keskin, "doch vielleicht schaffen wir es ja irgendwann noch, sie davon zu überzeugen, dass das, was die Gewerkschaftsleitungen ihnen empfehlen, letztlich ein Verrat an den ArbeiterInnen ist." Keskin empfiehlt dagegen, von den Unternehmern zu lernen: "Sie arbeiten weltweit zusammen, organisieren sich für die Schaffung neuer internationaler Regeln nach ihren Vorstellungen, bilden sich im gemeinsamen Austausch darüber, wie die Schlanke Produktion am besten umzusetzen ist oder wohin man die Produktion verlagern kann, um gewerkschaftliche Organisierung zu vermeiden. Auch unter uns müssten wir die Möglichkeiten stärker nutzen, voneinander zu lernen und gemeinsam etwas zu »unternehmen«."

Eines dieser Beispiele ist eine Initiative von Beschäftigten der Metro, die in Zusammenarbeit mit Keskin und einer Reihe türkischer Kollegen sowie der HBV Mannheim/Heidelberg und dem TIE-Bildungswerk entstand. Trotz des verfassungsrechtlich verankerten Koalitions- und Tarifrechts sind aktive GewerkschafterInnen bei der Metro-Türkei Repressionen bis hin zur Kündigung ausgesetzt. Während Metro sich bei der Begründung der Kündigungen auf die "ökonomische Krise" zurückzieht, hielten Mitglieder des Mannheim/Heidelberger "Arbeitskreises International", der sich unter dem Motto "Was macht meine Firma im Ausland?" u.a. mit den Arbeits- und Lebensbedingungen türkischer Metro-KollegInnen befasst, dem Metro-Konzern vor, dass das Unternehmen in der Türkei sogar expandiere. Dies hatten Recherchen im gemeinsamen Austausch mit den türkischen KollegInnen erbracht. Doch dabei soll es nicht bleiben. Mit einer Spendenaktion will der Arbeitskreis die gekündigten GewerkschafterInnen bei Metro-Türkei unterstützen; in einer Unterschriftenaktion an die Metro-Konzernleitung fordert er: "Halten Sie sich an internationale Vereinbarungen und an den Tarifvertrag!"

K.H.

Information und Kontakt: HBV Mannheim/Heidelberg, Tel. (0621) 12 54-270

Erschienen im express, Zeitschrift für Betriebs- und sozialistische Gewerkschaftsarbeit, 6-7/01


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