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Vom Wohlfahrtsstaat zum Finanzparadies -

Aufstieg und Fall des 'Schwedischen Modells'

von Torsten Sverenius

Schweden von 1997 ist ein zweigeteiltes Land. Exportunternehmen, Banken und Aktionäre baden in Wohlstand, Sicherheit und finanziellem Überfluß. Gleichzeitig sind über eine Million Schweden für ihre Existenz von Unterstützung abhängig. Die Stockholmer Börse schlägt Weltrekorde im Umsatz, unsere Machthaber in der Sanierung des Staatshaushaltes und unsere Jugend schlägt Rekorde in Apathie. Wie konnte es dazu kommen? Wie konnte das reichste Land der Welt mit einem hohen Bildungsstand und einer ultramodernen Industrie den Zuwachs, die Beschäftigung und seine Visionen innerhalb weniger Jahre verlieren? Wie konnte die Heimat des Einverständnisses und der Gleichheit die neue Hochburg der sozialen Gegensätze werden? Einige Analytiker behaupten, daß die Wohlfahrt und die soziale Absicherung zu weit getrieben wurden, daß hohe Einkommenssteuern, hohe Löhne und ein anschwellender öffentlicher Sektor die Industrie erschüttert hätten. Heute kann dieses Bild nuanciert werden.

Im Jahr 1936 schrieb der Amerikaner Marquis W.Childs das Buch "Sweden: The Middle Way". Das Buch berichtet von einer eigentümlichen skandinavischen Monarchie, in der die gesellschaftlichen Kräfte in harmonischem Gleichgewicht zu sein schienen.

In einer stürmischen Zeit, als die Wahl zwischen totalitärer Planwirtschaft und brutaler Marktwirtschaft stand, navigierten die Schweden geschickt in der Mitte der Fahrrinne, außerhalb der Reichweite von Skylla und Charybdis.

Childs Beschreibung eines Wohlfahrtsstaates mit einem König, erfolgreichen Kapitalisten und einer sozialistischen Regierung machte tiefen Eindruck auf die Leser nicht nur in den USA. Das Buch erfuhr eine überwältigende Aufnahme und wurde Zündstoff für die heftige Diskussion im Zusammenhang mit Präsident Roosevelts 'New Deal'. Roosevelt wurde von rechts wie von links kritisiert; viele Kritiker meinten, seine Krisenbekämpfung würde nur die schlechten Seiten der Marktwirtschaft verstärken.

John Chamberlain schrieb in der New York Times: "Der mittlere Weg Schwedens zwischen wirtschaftlichem Individualismus und Kollektivismus ist so geformt, daß er die Produktion steigert und Kosten wie Preise senkt. Der 'Sozialismus' des New Deal wirkt in der umgekehrten Richtung. Der amerikanische New Deal ist ein Versuch, die Verluste zu sozialisieren, und neigt dazu, den Kapitalismus noch weiter auf den Weg zur Monopolbildung zu führen, mit allen seinen Abscheulichkeiten."

Bereits im selben Jahr schickte Roosevelt eine Kommission nach Schweden, um das schwedische Modell besonders zu studieren. Von diesem Zeitpunkt an wurde Schweden ein Vorbild für die Welt. Schweden war zusammen mit Deutschland das Land, das sich am schnellsten aus der Depression der 30-iger Jahre schlängelte. Beide Länder benutzten staatliche Eingriffe, um die Wirtschaft zu beleben. Deutschland wählte die militärische Aufrüstung, Schweden - wie bekannt - einen weicheren Weg. Durch eine vorsichtig expansive Wirtschaftspolitik und Hilfe aus der niedrigen Bewertung der Krone, blies die neue sozialdemokratische Regierung frisches Leben in eine Wirtschaft, die durch den Zusammenbruch der privaten Nachfrage durchlöchert worden war.

Das bittere Rezept der neoklassischen, ökonomischen Schule gegen die Arbeitslosigkeit - nämlich Lohnsenkungen - hätte nur einen unterernährten Patienten noch weiter geschwächt. Die neuen wirtschaftlichen Visionen gründeten sich stattdessen auf die theoretischen Entdeckungen des Engländers John Maynard Keynes und der 'Stockholmer Schule' mit Wirtschaftswissenschaftlern wie Gunnar Myrdal, Bertil Ohlin, Erik Lundberg und Dag Hammarskjöld. Keynes veröffentlichte 1936 sein epochemachendes Werk 'General Theory'.

Sie konnten zeigen, daß Sparen bei hoher Arbeitslosigkeit und bei großer unausgenutzter Wirtschaftskraft zu sinkenden Investitionen und vermindertem Sparen führt, das sog. Sparparadox.

Das neue Weltbild von Keynes und der Stockholmer Schule lehrte, daß die Produktion kontinuierlich wachsen könne, wenn der Staat während der Konjunkturflaute Kaufkraft injiziert und einen Teil dieser Kaufkraft während der Hochkonjunktur zurückzieht. So konnten die Depressionen gemildert werden, von denen die Marktwirtschaft regelmäßig heimgesucht wird, u.a. wegen ihres Unvermögens, das Produktionsergebnis zu verteilen. Während die neoklassische Theorie ein pulsierendes Universum mit abwechselnder Expansion und Kontraktion beschrieb, öffneten Keynes und die Stockholmer Schule das Tor zu einem expandierenden Universum, in welchem es keine theoretischen Hindernisse für einen ständigen Zuwachs gäbe. Grenzen würden nur durch Rohstoffangebot und Technologie, nicht durch Glauben an eine "Gleichgewichtslage" von Löhnen und Beschäftigungsgrad bestimmt.

Visionäre Politiker wie die Sozialdemokraten Per Albin Hansson (Ministerpräsident) und Ernst Wigforss (Finanzminister) hatten damit für ihren Wunsch, den Wohlstand auf breite Volksschichten zu verteilen, eine wissenschaftliche Stütze erhalten. Diese wurde eine der Grundlagen für den Bau des 'Volksheimes'; die Verteilungspolitik lohnte sich für beide, Unternehmer und Lohnempfänger.

Als die Konjunktur in den 30-iger Jahren sowohl aus deutschen wie aus schwedischen Ursachen einen Aufschwung erhielt, stieg die Nachfrage nach den Produkten der Unternehmen. Die Parteien des Arbeitsmarktes meinten, von Arbeitsfrieden und Zusammenarbeit mehr zu gewinnen als von Konflikten. Sowohl der Gewerkschaftsbund LO als auch der Arbeitgeberverband SAF erstrebten die Produktion, nicht die Konfrontation.

So kam es 1938 zum klassischen Vertrag von Saltsjöbaden. Das Einvernehmen sollte herrschen, die Gesetzgebung vermieden werden. Schweden wurde zu einem Beispiel für die erfolgreiche soziale und technische Ingenieurkunst. Die medizinische Versorgung war frei, die soziale Fürsorge allgemein und die Arbeitslosigkeit kaum vorhanden.

Bereits 1842 war die allgemeine Schulpflicht eingeführt worden, die jedermann unabhängig von der Klassenzugehörigkeit eine Schulbildung sicherte. Zusammen mit einer zeitigen Freihandelspolitik hatte dies zu dem Treibhausklima geführt, in welchem viele führende Weltunternehmen heranwuchsen. Atlas Copco, AGA, Astra, ASEA (jetzt ABB), IKEA, Ericsson, Electrolux, Tetra Pak, SKF, SAAB und Volvo. Sie alle verliehen der Bezeichnung 'Made in Sweden' den Klang solider Qualität.

Ob und in welchem Maß die kräftige Entwicklung Schwedens eine Folge des 'Schwedischen Modells' und seiner Politik war, läßt sich schwerlich abschätzen. Man muß bedenken, daß andere Länder - auch ohne sozialdemokratische Regierungen - ebenfalls ein starkes Wirtschaftswachstum erfuhren. Viele Länder wurden jedoch vom schwedischen Ausbau des Wohlfahrtsstaats beeinflußt und führten ähnliche Systeme ein.

Der Index der Industrieproduktion verrät, wie rasch Schweden sich im Vergleich zu anderen Ländern von der Depression der 30-iger Jahre erholte :

 

Industrieproduktionsindex 1929 -37.

  1929 1932 1937
USA 100 53 103
Großbritannien 100 84 124
Frankreich 100 72 82
Deutschland 100 53 117
Schweden 100 89 149

Quelle: Erik Lundberg: "Ekonomiska kriser förr och nu" (SNS Förlag 1994).

 

Ironischerweise bestätigte der 2.Weltkrieg die Tragfähigkeit der Vorstellungen von Keynes auf breiter Front. Die militärische Aufrüstung als Staatsintervention ergab eine gigantische Wirtschaftsförderung in Deutschland und anderen Ländern. Auf ähnliche Weise wurde die ganze Wiederaufbauperiode und einige Jahrzehnte danach (z.B. Marshall-Plan) ein einziger Beweis für die Förderung der privaten Wirtschaft durch Staatsintervention.

Einige amerikanische Ökonomen, z.B. John Kenneth Galbraith und Robert Eisner, befürworten auch heute das 'Schwedische Modell' und meinen, daß der Abbruch der keynes'schen Politik - nicht ihre Beibehaltung - Europa das geringere Wirtschaftswachstum und die höhere Arbeitslosigkeit eingebracht hätte.

Keynes Lehre verlor Einfluß

Bis 1970 war der Zuwachs der schwedischen Wirtschaft ununterbrochen stark. Schweden hatte damit eine Stellung als eines der absolut reichsten Länder der Welt zusammen mit u.a. USA, Dänemark, Kanada und Luxemburg und der Schweiz erreicht. USA, Schweden, Dänemark und Kanada lagen an der Spitze in Bezug auf Bruttonationalprodukt pro Kopf. Sie lagen auch an der Spitze was die öffentlichen Ausgaben betrifft. Diese Tatsache widerlegte die Hypothese, daß ein großer öffentlicher Sektor ein Hindernis für das Wachstum darstelle. Die Anhänger des starken Staates schienen der Zukunft mit Zuversicht entgegensehen zu können.

Doch es kam anders. Die erste Ölkrise 1973 wurde zum Signal für die Änderung der Wirtschaftspolitik in vielen Ländern. Keynes Lehre, die alles überschattende Wirtschaftsdoktrin der Nachkriegszeit, verlor ihre Vorherrschaft. Der Monetarismus sowie andere Schulen, die den Markt auf Kosten der Regierungen stärken wollten, stahlen die Initiative.

In den USA ließ die Regierung die öffentliche pro-Kopf- Konsumption in den 70-iger Jahren überhaupt nicht steigen. In mehreren Ländern begann eine scharfe Finanzpolitik, die zusammen mit einer industriellen Rationalisierung zur Wiedereinführung der Arbeitslosigkeit, dem schrecklichen Gespenst der Vergangenheit führte.

Der neue, kalte Wind strich auch über Schwedens Grenzen. Öl-, Kosten- und Strukturkrisen sowie die Stagflation hinterließen ihre Spuren auf dem Wohlfahrtsstaat. Obwohl diese Erscheinungen sich in allen Industrieländern zeigten, wurden sie von mehreren Wirtschaftlern, Industriellen und Politikern als spezifisch schwedische Probleme gedeutet. Seitdem weicht Schweden in entscheidender Hinsicht vom internationalen Kurs ab, wie das Ergebnis dieser Politik uns lehrt.

Von 1970 bis 1995 verlor Schweden 27,6 % seines Bruttonationalproduktes (GDP) und 30,2 % seiner heimischen Gesamtausgaben (Kaufkraft an Parität angeglichen) im Vergleich zum OECD-Durchschnitt.

Die eine Hälfte der Kluft zwischen Schweden und den OECD-Ländern öffnete sich von 1970 bis 1989, die andere während der 90-iger Jahre. Der Rückfall Schwedens begann bereits 1971, als die Sozialdemokraten die Kredite drosselten und die Mehrwertsteuer erhöhten, um die Zahlungsbilanz zu stärken. Die nächste Rückfallperiode kam zwischen 1975 und 1982.

Bei den Wahlen 1976 besiegten die Liberalen und Konservativen zum ersten Mal seit 44 Jahren die Sozialdemokraten. Nun konnten sie ihre wirtschaftliche Macht und die Beherrschung der Medien durch ihre politische Macht ergänzen. Weil die Sozialdemokraten ihre politische Macht verloren hatten, wurde die Backbordseite immer mehr verlassen und das Schiff verlor sein einmaliges Gleichgewicht.

Das Gleichgewicht der Mächte wurde also auch in Schweden verschoben. Vertreter von Exportunternehmen, von Banken und der Wirtschaft reagierten immer heftiger gegen hohe Steuern und befürchteten, ein wachsender öffentlicher Sektor könne zu einem sozialistischen Schweden führen. Diese Befürchtungen wurden durch die linke Welle verstärkt, welche über die Universitäten und Medien des Westens rollte.

Sowohl Arbeitgeberorganisationen als auch die Gewerkschaftsbewegung hatten nach und nach das Einvernehmen aufgegeben, das die Grundlage des 'Schwedischen Modells' gewesen war. Die Arbeitgeber (SAF) wollten Steuersenkungen und eine Begrenzung des öffentlichen Sektors, die Gewerkschaften (LO) wollten eine erweiterte Gesetzgebung zur Mitbestimmung und sozialen Absicherung durchsetzen. Als die internationale Konjunkturflaute über die Landesgrenzen schwappte und die Gewinne schrumpften, schrumpfte auch in beiden Lagern die Bereitschaft zur Zusammenarbeit .

In den Jahren 1970-72 wurde eine straffe Politik zur Stärkung der Zahlungsbilanz geführt. Die Bilanz wurde zwar gestärkt und der Nettoexport (Export minus Import) stieg kräftig, gleichzeitig aber fiel der schwedische Zuwachs niedriger aus als in anderen Ländern, weil die einheimische Nachfrage - Verbrauch und Investitionen - nicht mit den anderen Ländern Gleichschritt hielt: Das erwähnte Zurückbleiben hatte begonnen.

Diese Politik wurde stark kritisiert, weil sie die Arbeitslosigkeit vermehrte und den Zuwachs verminderte. Der Nationalökonom Sven Grassman war einer der Kritiker. Bereits 1972 forderte er die Verantwortlichen auf, den Wechselkurs der Schwedenkrone frei fließen zu lassen und damit die Problematik der Handelsbilanz aus der Wirtschaftspolitik zu entlassen. Statt sich am jährlichen Saldo von Zahlungsbilanz und Staatshaushalt blind zu starren, müßten die Politiker den Verbrauch, den Export und die Vollbeschäftigung anregen, meinte Grassman. Erst 1992, zwanzig Jahre später, erhielt Schweden eine fließende Währung, aber davor hatten fünf drastische Abwertungen das 'Volksheim' so stark ummöbliert, daß es nicht wiederzuerkennen war.

In der Mitte der 70-iger Jahre begann man, mit Nachdruck von einer Krise in Schweden zu reden, und sicherlich gab es Krisensymptome. Wir hatten eine strukturelle Krise, von der die Basisindustrie wie Stahlwerke, Werften sowie Textilindustrie betroffen waren. Wir hatten eine Kostenkrise mit erhöhten Löhnen und Sozialabgaben, die alle Unternehmen betraf. Mit der Ölkrise kamen erhöhte Energiepreise und der Außenhandelsunterschuß wuchs.

Viele Beurteiler verkannten jedoch, daß dies eine internationale Erscheinung war, die in allen Industrieländern vorkam. Tatsächlich war unsere Industriestruktur besser als in vielen anderen Ländern; unsere sog. Basisindustrie stand für nur einige wenige Prozente des Bruttonationalprodukts. Von solchen Lohnerhöhungen wie in Schweden waren andere Länder einige Jahre früher betroffen worden(jedoch nicht von Arbeitsgeberabgaben). Alle ölimportierenden Länder erfuhren einen Unterschuß in der Zahlungsbilanz gegenüber den ölproduzierenden.

Diesen Tatsachen zum Trotz begann nun eine dunkle Epoche der schwedischen Geschichte, sowohl in der Wirtschaftsentwicklung als auch in der Beschreibung dieser Entwicklung durch die Nachrichtenmedien. Mächtige gesellschaftliche Kräfte gerieten in Bewegung, fortan sollte der Kurs geändert werden. Durch ihre Kanäle zu den Nachrichtenmedien und zum Reichstag übten Vertreter von Banken und Exportunternehmen einen so wirksamen Einfluß aus, daß nur eine Handvoll Personen im Land ausreichende Kenntnisse besaßen, um ihre krtitisch untersuchende Haltung beizubehalten.

Tatsachen dienten immer weniger zur Wirtschaftsberichterstattung. Die Nachrichtenmedien setzten die große Gewittermaschine ein und zogen die frischgestrichene Krisenkulisse auf. Schweden wurde als konkursreif beschrieben. Unsere Auslandsschulden wurden als gigantisch, der Außenhandelunterschuß als enorm ausgemalt. Es wurde behauptet, wir seien als Industrienation bald am Ende, wenn die Exportunternehmen keine Kompensation erhielten.

Einige Ökonomen meinten jedoch, falls die Exportunternehmen für die seit zwei Jahren höheren Löhne in den anderen westlichen Ländern kompensiert werden sollten, könnte dies schmerzfrei durch eine Senkung der Steuer oder der Arbeitsgeberabgabe geschehen. Die öffentlichen Finanzen Schwedens waren nämlich zu diesem Zeitpunkt trotz des Krisenrufes der Medien die stärksten der westlichen Welt. Eine derartige Stimulans hätte keine staatsfinanziellen Probleme verursacht.

Zwar kam eine solche Sammlung von Maßnahmen mit der bürgerlichen Koalitionsregierung 1976. Einige Steuern, u.a. die Arbeitsgeberabgabe wurden gesenkt. Das Problem war jedoch, daß man nicht die Absicht hatte, die Exportindustrie zu begünstigen, sondern man wollte die Reallöhne und den Verbrauch drosseln. Der Import sollte begrenzt werden, um durch eine Stärkung der Handelsbilanz den Nettoexport (Export minus Import) zu vermehren. Von den Schweden wurde jetzt behauptet, sie "überkonsumierten" und "lebten über ihre Verhältnisse".

Die Regierung unter Fälldin mit dem Finanzminister Bohman führte mehrere Abwertungen der Krone durch, und zwar einmal 1976, zweimal 1977, ergänzt durch eine Erhöhung der Mehrwertsteuer im Jahre 1977. Dieses wurde mit dem 'gewaltigen' Unterschuß in der Zahlungsbilanz und der Kostenkrise begründet. Bohman verwies auch auf die 'gewaltigen Auslandsschulden'. Heute wissen wir, daß der Unterschuß in der Zahlungsbilanz statistisch übertrieben worden war; wir wissen, daß Schweden überhaupt keine Auslands-Nettoschulden hatte, daß die Löhne in anderen Ländern seit den späten 60-iger Jahren bis 1976 viel mehr gestiegen waren als in Schweden.

Das Ergebnis der Abwertungen und der Mehrwertsteuererhöhungen war eine gesteigerte Inflation, mit der die Reallöhne ausgehöhlt wurden, sowie der bisher größte Abfall des Verbrauchs und der Investitionen; dies wiederum hatte eine Verminderung des schwedischen Bruttonationalprodukts pro Kopf um 1,9 % zur Folge. Jenes Jahr stellt einen Trendbruch in der Wirtschaftsgeschichte dar. Niemals bisher in moderner Zeit war die gesammelte Produktion Schwedens so gesunken.

Finanzminister Bohman erhöhte dann nochmals die Mehrwertsteuer im Jahr 1980 und wertete 1981 die Krone weiter ab. Die Inflation wurde dadurch weiter angeheizt und die Reallöhne gebremst.

Die Arbeitslosigkeit in Schweden stieg jetzt an. Als die bürgerlichen Parteien das Ruder nach sechs Jahren abgaben, war der einheimische Teil des Bruttonationalprodukts - Gesamtverbrauch und Investitionen - pro Kopf gerechnet überhaupt nicht gestiegen , sondern war sogar etwas gefallen. Dies ist einmalig für ein modernes Industrieland. Die Entwicklung des schwedischen Bruttonationalprodukts pro Kopf fiel deshalb kräftig hinter das der anderen Länder ab.

Finanzminister Feldt setzt die Umverteilung fort.

Die Unzufriedenheit wuchs und die schwedischen Sozialdemokraten gewannen deshalb die Wahl 1982, indem sie die geführte Politik angriffen. Enthusiastisch erklärte Olof Palme: Jetzt benötigen wir "Bewegungsfreiheit statt Schmachtriemen".

Am Tage der sozialdemokratischen Machtübernahme entwertete der neue Finanzminister Kjell-Olof Feldt die Krone um ganze 16 % und setzte die konservative Umverteilung fort. Innerhalb von sechs Jahren war die Krone um 45 % abgewertet und die Exportindustrie dadurch unterstützt worden. Statt sich durch Senkung ihrer Dollar- und D-Markpreise Marktanteile zu sichern, behielten viele Exportunternehmen ihre Preise und erzielten riesige Gewinne aus dem Wechselkurs. Der Zuwachs des Exportvolumens war Anfang der 80-iger Jahre vergleichbar mit dem der OECD-Länder, doch ein Jahr zeitiger, während die Gewinne erheblich höher als in jedem anderen Land ausfielen.

Finanzminister Feldt bezweckte damit einen 'Katapultstart' für die Exportindustrie. Stattdessen wurden die sozialdemokratischen Wähler 'geschockt' und eine extrem spekulative Wirtschaft wurde angekurbelt. Anfangs führte dies zu einer erhöhten Beschäftigungsrate - mit verminderter Arbeitsproduktivität. Dann aber, Anfang der 90-iger Jahre, als die finanzielle Seifenblase zerplatzte, begann auch die Massenarbeitslosigkeit. Im darauffolgenden Jahr erhöhte Feldt die Mehrwertsteuer.

Wieder wurde die Inflation angeheizt, wieder wurden Reallöhne und Verbrauch gebremst. Viele Wähler der Sozialdemokratie wunderten sich über die Kehrtwendung der Partei.

Begünstigung der traditionellen Industrie

Auch die Exportunternehmen wunderten sich; sie hatten gerade 1981 eine Abwertung von 10 % erhalten, nun bekamen sie weitere 16 %! Ohne Verbesserung ihrer Erzeugnisse, ohne Verwendung auch nur einer Krone auf die Vermarktung hatten sie innerhalb von zwei Jahren eine enorme Ertragssteigerung durch die Abwertung der Krone erhalten! Jedes Mal, wenn sie ihre Dollar oder D-Mark in Kronen wechselten, klirrte es in den Banken.

Die Abwertungspolitik war u.a. damit begründet worden, daß die schwedischen Exportunternehmen Marktanteile verloren hatten. Jetzt hatten sie die einzigartige Gelegenheit ihren Export zu steigern und neue Marktanteile zu gewinnen. Diese Gelegenheit nutzten sie nicht; statt ihre Exportpreise zu senken, wählten sie, den ganzen Währungsgewinn einzuheimsen. Die finanziellen Gewinne stiegen mehr als jemals zuvor. Weil die einheimische Nachfrage nicht stieg, hatten die Unternehmen auch keinen Grund, ihre Produktion zu erhöhen. Stattdessen erhielten wir eine Spekulationsökonomie, die dann zum Zusammenbruch und zur Massenarbeitslosigkeit in der Mitte der 90-iger Jahre führte.

Der damalige Großindustrielle Marcus Wallenberg sagte einmal: "Die Geldabwertung ist wie das Hosennässen. Zuerst fühlt es sich warm an, dann wird es ungemütlich". Abwertungen können einen kurzfristigen Vorteil bringen, sie verschlechtern jedoch die Handelsbedingungen, kurbeln die Inflation an und zwingen die Lohnempfänger in einen Teufelskreis des Kampfes für einen Ausgleich. Eine noch ernstlichere Folge von Abwertungen ist der Abbruch einer sonst raschen Strukturveränderung. Jede Abwertung hat die traditionelle Industrie auf Kosten von wissensintensiven Industrien begünstigt: Rohmaterial, Autos und Papier statt Innovationen und Dienstleistungen. Fallende Reallöhne und freie Gewinne bremsten die die Rationalisierung. Schweden machte nun halt vor der Schwelle der postindustriellen Gesellschaft und schenkte den Vertretern der traditionellen Industrie mehr Gehör als jenen, denen zufolge der zukünftige Erfolg des Landes sich auf Kenntnisse, Vorsorge und Ausbildung gründet - der Infrastruktur.

Das 'Schwedische Modell' war tot. Das Fundament, auf dem der Gedanke vom 'Volksheim' ruht, nämlich ein vernünftiges Gleichgewicht zwischen Arbeitgebern und Lohnempfängern, war verschwunden. Ein sozialdemokratischer Finanzminister, teilweise unterstützt von den Ökonomen des Gewerkschaftsbundes LO, hatte sich gegen seine Wähler auf die Seite der Banken und Exportunternehmen gestellt. Finanzminister Feldt zufolge sollten wir uns nun aus der Krise "sparen und arbeiten". Er meinte, einen dritten Weg zwischen Drosselung und Expansion eingeschlagen zu haben. Tatsächlich sollte sich nur der Exportsektor erweitern dürfen. Damit schloß er sich dem Weltbild seiner Vorgänger an, denen zufolge nur erhöhte Exportgewinne sowie gedrückte Löhne und gedämpfter Verbrauch schließlich zum Wachstum des gesamten Wohlstandes führen würden.

Banken und Finanzgesellschaften waren jetzt mit Geld überfüllt, das sie natürlich ausleihen wollten. Die Gelder wurden u.a. an jene Kleinunternehmer und Lohnempfänger ausgeliehen, die ihrer Gewinne und Löhne durch dieselbe Politik verlustig gegangen waren, welche die Banken bereichert hatte.

So entstanden vorübergehnd aufgeblasene Investitionen, zeitweilig aufgeblasener Verbrauch sowie ein von der Grundstücksspekulation angeheizter Bauboom. Als dann die liberal-konservative Regierung unter Carl Bildt in den 90-iger Jahren den Zinsfuß unglaublich in die Höhe trieb und eine Abwertung der Krone verweigerte, zerplatzte die Seifenblase. Die Regierung lieferte ein Sparpaket und führte eine strenge Finanzpolitik in der Mitte eines rasch sinkenden Geschäftszyklus. "Keine weitere Stabilisierungspolitik", war die Losung. Von jetzt an sollten die Lohnempfänger den Preis für große Lohnerhöhungen zahlen, und dieser Preis war die Arbeitslosigkeit.

Zur "Verteidigung der Krone" wurde der Diskontsatz unglaublich erhöht. Kenner mit internen Kenntnissen wußten, daß eine Entwertung bevorstand und handelten danach. Viele schwedische Unternehmen zahlten ihre Auslandsschulden zurück, während die schwedische Reichsbank Milliarden zum Abstützen der Krone vergeudete. Die Allgemeinheit begann, ihre Kredite im Schweden der Konkurse abzuzahlen; die Zweiteilung der schwedischen Wirtschaft wurde erneut deutlich, jetzt noch ungeheuerlicher als damals, als die Finanzminister Bohman und Feldt sie begründeten. Die Zweiteilung hatte verborgen unter dem Kreditkarussell der 80-iger Jahre gelegen. Nun hatten wir die 90-iger Jahre, und Schweden war wieder ein Land mit Armen und Reichen, genauso wie es Jahrhunderte lang bis zum Ausbau des 'Volksheimes' in den 30-iger Jahren gewesen war.

 

Im November 1992 ließ man den Kurs der Krone fließen und sie verlor 20 % ihres Wertes. Wieder wurde die Exportindustrie großzügig angereizt, während man die einheimische Wirtschaft abfallen ließ. Die Arbeitslosigkeit wurde dadurch weiterhin ohne Eingriffe der Regierung beschleunigt. Sie liegt heute zwischen 9 und 16 % , je nachdem wie sie gemessen wird. Dieses in einem Land, in welchem die Vollbeschäftigung noch vor wenigen Jahren als erreicht und gesichert angesehen wurde.

Durch die Arbeitslosigkeit wurden die öffentlichen Haushalte drastisch verschlechtert, obwohl die finanziellen Verbindlichkeiten der Regierung niedriger liegen als in den meisten Ländern einschließlich USA, Kanada, Deutschland, Großbritannien, Frankreich und Italien.

Warum fiel die schwedische Wirtschaft so ab? Warum war das Wirtschaftswachstum in einem Land mit einem solchen modernen Produktionsapparat nicht höher? (Nur Japan verfügt über mehr Industrieroboter pro Arbeitnehmer; die USA liegen mit nur halb so vielen Industrierobotern pro Arbeitnehmer weit zurück.)

Staatliche und private Untersuchungen, Kommissionen und Berichte haben versucht, die Frage zu beantworten. In einem Fall wurden amerikanische Experten vom 'National Bureau of Economic Research' bemüht. Keiner dieser Fachleute konnte den Hauptgrund für den Rückfall finden. Die meisten Deutungen sind Spielarten des üblichen Themas: Schwedens großer öffentlicher Sektor, die hohen Sozialleistungen und hohen Einkommenssteuern in Verbindung mit geringen Lohnunterschieden hätten alle Initiative getötet. Ihre Schwäche besteht in der Abwesenheit von Beweisen, der Unfähigkeit, diese Erscheinungen mit dem fehlenden Zuwachs zu verbinden.

Eine seriöse Analyse des Zuwachses

Sind dann die übrigen Gründe überzeugend? Beginnen wir mit der Kluft im Wirtschaftswachstum, das als jährlicher Zuwachs der Produktion, dem Bruttonationalprodukt (BNP) definiert wird. Eine seriöse Analyse des Zuwachses muß deshalb eine Angabe über die Entwicklung der Teile des BNP enthalten.

Warum? Weil die Summe der Teile - Gesamtverbrauch, Kapitalbildung, Nettoexport und Änderungen der Lagerhaltung - das Ganze ausmachen.

Seit den 70-iger Jahren verfuhren die Wirtschaftler und Politiker in Schweden umgekehrt, indem sie forderten "erst müssen wir produzieren, dann können wir verbrauchen", so als ob die "Stockholmer Schule" und Keynes nie existiert hätten. Seit jener Zeit war ihre Strategie die Senkung der Reallöhne und des Verbrauchs, um den Export anzukurbeln sowie dadurch das Wachstum und die Kapitalbildung zu fördern.

Das Ergebnis dieser Strategie ist das, was die schwedische Gesellschaft mit Neuseeland und Mexiko gemein hat, nämlich die geringste Steigung des Gesamtverbrauches pro Kopf seit den 70-iger Jahren. Weil der Gesamtverbrauch ungefähr 80 % des BNP ausmacht, ist dies der Hauptgrund dafür, daß diese Länder auf dem Boden der OECD-Statistik über den Wirtschaftswachstum gelandet sind.

Die private Konsumption pro Kopf in Schweden stieg nur um 5,4 % seit 1976, als die "Strategie für Wachstum" formuliert wurde. Die durchschnittliche OECD- Steigung ist 33,5 %.

Die private Konsumption in Schweden ist das halbe BNP. Was bedeutet, daß die Hälfte des BNP (pro Kopf) während zwei Jahrzehnten nur um 5 % steigen konnte! Dies ist ein OECD-Rekord an Anorexia, der vielleicht nur in einem Land möglich war, wo den Bürgern erzählt wurde, sie "überkonsumierten" und verursachten so einen Unterschuß im Staatshaushalt und in der Zahlungsbilanz.

Schärfer als Thatcher

Während den Schweden in ihren Medien die aggressiven Einsparungen und steigenden sozialen Klüfte in Thatchers England und Reagans USA anschaulich geschildert wurden, gingen sie selbst durch eine noch schärfere Drosselung. Die staatliche Konsumption der USA ist sicherlich in den vergangenen Jahrzehnten weniger als in jedem anderen Land gestiegen. Aber in den USA und in Großbritannien durfte die Gesamtkonsumption seit 1976 viermal so viel steigen wie in Schweden! Dies wurde in Schweden nicht beachtet.

Der "Defizit-Schrecken" vereinigte seit 1970 alle schwedischen Regierungen. Ein Wirtschaftswissenschaftler versuchte, das Bild zu vervollständigen: Sven Grassman, unter Assar Lindbeck stellvertr. Chef des "Instituts für internationale wirtschaftliche Studien"(IIES) in Stockholm. In den 70-iger Jahren enthüllte Grassman, daß Schweden überhaupt keine Auslandsschulden habe, wenn Schulden und Forderungen zusammengerechnet würden. Er enthüllte, daß das "riesige Haushaltsdefizit" in der Zahlungsbilanz zwischen 1971 und 1979 in der nationalen Rechenschaft um fast 400 % übertrieben war. Er zeigte auch, daß dieses "riesige Defizit", auf das sich verschiedene Finanzminister berufen hatten, viele Jahre lang ein Uberschuß war, wenn der gesamte öffentliche Sektor und nicht nur der Staat in die Berechnung einbezogen wurde. In Keynes Sinn forderte er, daß der Staatshaushalt bei hoher Arbeitslosigkeit und niedriger Kapazitätsausnutzung keinen Überschuß haben darf.

Grassmans Meinung, die sich auf amerikanische Wirtschaftswissenschaftler wie William Vickrey, James Tobin und Robert Eisner bezog, machte mit seinem statistischen Material, einen solchen Eindruck, daß die nationalen Rechenschaften stark revidiert wurden. Dies hatte jedoch überhaupt keine Auswirkungen auf die Politik. Keinerlei Änderung der Seekarte konnte die Steuermänner beeinflussen. Das schwedische Schiff war bereits auf neuem Kurs und der Wind wurde Grassman aus den Segeln genommen.

Die Tatsache, daß während dieser Periode die öffentlichen Finanzen stärker als in vergleichbaren Ländern waren und die Tatsache, daß die Zahlungsbilanz hauptsächlich mit den steigenden und fallenden Ölpreisen fluktuierte, wurde dem schwedischen Volk nicht eröffnet. Im Gegenteil: Seit zwanzig Jahren haben verschiedene Regierungen - von links nach rechts - versucht ein "Krisenbewußtsein" zu schaffen. Das Bild eines "Schweden schwacher Finanzen" wurde weltweit verbreitet mit einer verringerten Kreditwürdigkeit als Folge. Den Schweden wurde auch erzählt, die Konsumption ihrer Regierung wäre seit 1970 rascher als in anderen Ländern gestiegen. Dies ist eine ernste Tatsachenverdrehung. Den ppp-angeglichenen OECD-Angaben zufolge haben nur drei OECD-Länder ihre Regierungs-Konsumption weniger als Schweden erhöht, nämlich die USA, Neuseeland und die Niederlande.

Ein Stück des "BNP-Kuchens" entwickelte sich in Schweden besser als in anderen OECD-Ländern: Der Nettoexport. Seit 1976 haben nur drei Länder einen deutlich höheren Zuwachs ihres Nettoexportes als Schweden erzielt: Irland, Norwegen und Luxemburg. Die schwedischen Exporte wuchsen langsamer als die vieler Länder, weil aber die Importe viel langsamer stiegen, wuchs folglich der Nettoexport rascher.

Dies erklärt noch nicht die Tatsache, daß 95 % des schwedischen BNP - die heimischen Gesamtausgaben - im Vergleich mit allen Industriestaaten außer Mexiko am wenigsten stiegen. Dieses, der größte Teil des Kuchens, wuchs pro Kopf gerechnet seit 1976 um nur 7,4 %. Das geringe Wachsen des BNP ist deshalb kein Wunder. Kein Wunder ist es deshalb, daß vom einheimischen Markt abhängige Unternehmen vom Konkurs bedroht sind.

Eine erfolgreiche Operation

Warum entdeckten einige von Schwedens hervorragenden Wirtschaftswissenschaftlern diese Zusammenhänge nicht ?

Einer der Gründe mag sein, daß etliche von ihnen in die Wirtschaftspolitik als Berater verschiedener Regierungen verwickelt waren. Ihr Rezept war die Drosselung der Konsumption und der Reallöhne. Heute können sie sich einer erfolgreichen Operation rühmen, obwohl der Zustand des Patienten sich verschlechtert hat. Zweck der Operation war die Förderung von Wachstum, Export und des Sparens. Die Nebenwirkungen wurden ein geringes Wachstum, eine gemäßigte Exportsteigerung und eine sinkende Tendenz für öffentliches Sparen und Kapitalbildung.

"Sparen" ist in Schweden ein mißbrauchtes Wort. Viele Politiker und Wirtschaftler scheinen nicht mit dem Paradox der Sparsamkeit vertraut zu sein. Sie neigen zu der Meinung, daß niedrige Löhne und eine niedrige Konsumption das Sparen wirkungsvoll fördern würden. Tatsächlich stiegen die privaten Ersparnisse in den 90-iger Jahren, zum Preis einer Depression. Die Ersparnisse in Realwerten jedoch, Kapitalbildung und Investitionen in menschlichem Kapital wie Ausbildung, Gesundheitspflege und Kultur - m.a.W. in die Infrastruktur - wurden vermindert.

Die Ersparnisse aus dem Nettoexport sind größer als jemals zuvor. Der Nettoexport hat ein immer größeres Stück des Kuchens auf Kosten der Kapitalbildung und der Konsumption erobert. Schweden erfuhr eine drastische Veränderung von Ersparnissen an realem und menschlichem Kapital zu Ansammlungen von Finanzkapital.

Eine Sozialisierung der Verluste

Nach den fünf Abwertungen von 1976 bis 1982 ist die schwedische Gesellschaft zweigeteilt. Von 1979 bis 1985 fielen die Reallöhne mit 10 %. Gleichzeitig schlug die Stockholmer Börse alle Weltrekorde. Riesige Gewinne flossen über die Banken und Aktionäre. In den 80-iger Jahren stieg der Realwert der Aktien auf 490 %! Und zwar nicht durch eine Steigerung der Produktion und des Exportvolumens, sondern wegen des fallenden Wechselkurses der Krone und der sinkenden Reallöhne.

Die größte Umschichtung des Wohlstandes seit den "Glücklichen Zwanzigern" war durchgeführt worden. Die Profite, die Exportunternehmen und Finanzinstitute als Folge der Abwertungen überschwemmten, wurden nun an eine große Anzahl von Bürgern zurückgeliehen. Bei einer hohen Inflation und niedrigen Zinssätzen konnte das Geld unbekümmert ausgegeben werden. In den 90-iger Jahren kehrte sich die Lage um. Die Zinsen wurden auf extreme Höhen getrieben und die Inflation sank. Zusammen mit fallenden Grundstückspreisen ergab dies die Depression. Als Folge der privaten Schulden-, der Bank- und Grundstücks-Krise mit enormen Kreditverlusten mußte die öffentliche Hand als Reinemacher nach den "Glücklichen Achtzigern" eintreten. Zur Verhinderung von Bankzusammenbrüchen subventionierte die Regierung das Bankwesen mit riesigen Beihilfen.

Die schwedische Politik war jetzt jenes "Experiment der Sozialisierung von Verlusten" geworden, das John Chaimberlain seinerzeit in der New York Times erwähnte.

Weil das schwedische System anspruchsvolle soziale Absicherungen beinhaltet, wurde die Last bei einer Massenarbeitslosigkeit natürlich schwer. Statt die sozialen Absicherungen zu bewahren und eine realistische Strategie zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit zu entwickeln, neigen die Wirtschaftler dazu, der Regierung den Abbau der Wohlfahrt sowie des öffentlichen Sektors zu empfehlen. Ihnen erscheinen Inflation und Haushaltsdefizit als größere Bedrohung als die Massenarbeitslosigkeit.

Warum war dann die schwedische Inflation höher als der OECD-Durchschnitt? Ein Grund sind die erhöhten Importpreise als Folge der Kronen-Abwertungen. Ein anderer, noch wichtiger Grund ist die Erhöhung der Mehrwertsteuer durch die konservativen und sozialdemokratischen Finanzminister, die damit den privaten Verbrauch drosseln und eine Verbesserung des Staatshaushalts sowie der Zahlungsbilanz erzielen wollten. Dies geschah 1977, 1980 und 1983 mit Inflationsschüben als Folge.

Den Lehrbüchern zufolge kann eine strenge Finanzpolitik die Inflation vermindern. Das schwedische Beispiel zeigt uns hingegen, daß das Ergebnis das Gegenteil sein kann wie das Löschen eines Brandes mit Benzin. Der fatale Einfluß indirekter Steuern auf das Preisniveau wird offenbar, wenn man eine Palette von Verbraucherpreisen untersucht, wie sie vom schwedischen Institut für Wirtschaftsforschung erstellt wurde.

Indirekte Steuern verursachten Inflation.

Im Jahre 1990 erhöhte die sozialdemokratische Regierung erneut die Mehrwertsteuer auf 25 %, diesmal um die - wie sie meinte - überhitzte Wirtschaft abzukühlen und um eine Umstellung von direkten, progressiven auf indirekte Steuern zu finanzieren. Tatsächlich aber fiel die Kapitalverwertung rasch. Beabsichtigt war eine Steuererleichterung für hohe Einkommen und das Ergebnis war eine weitere Kluft zwischen Schweden und den OECD-Ländern. Dies führte zu einem weiteren Währungsabfluß und noch höherem Druck auf den festgelegten Wechselkurs der Krone. Schweden war nun ein Staat geworden, in welchem die Wirtschaftspolitik "Kosten und Preise erhöhte und die Produktion senkte", um mit John Chamberlain zu sprechen.

Als Folge einer finanziellen Turbulenz gaben die Sozialdemokraten das hundert-jährige Hauptziel ihrer Wirtschaftspolitik, die Vollbeschäftigung, rasch auf. Eine weitere Folge war das panikartige Aufnahmegesuch in die Europäische Union.

Die Politiker erklärten der Inflation den Krieg, der Inflation, die sie selber ausgelöst hatten!

Schweden muß jetzt die Folgen mit höheren Zinslasten als in der umgebenden Welt tragen. Sie spiegeln eine verständliche Skepsis des Marktes gegenüber Schwedens Fähigkeit wider, die Inflation zu zügeln. Die Herren des Marktes meinen jedoch immer noch, daß die hohen Löhne die Inflation verursachen. Leider wurde bisher wenig unternommen, um sie aus dieser Täuschung wach zu rütteln. Im Gegenteil: Die schwedischen Medien bringen Berichte von der Bedrohung durch eine neue "Lohn/Preis-Spirale", obwohl die Reallöhne tatsächlich seit zwei Jahrzehnten nicht gestiegen sind und obwohl Abwertungen und Mehrwertsteuer von 25 % eine Inflationskluft zwischen Schweden und dem OECD-Durchschnitt verursacht haben.

Zum Überzeugen des Marktes, daß die Inflation vorbei sei, wird der Preis weitergezahlt in Form von Arbeitslosigkeit und laufenden Einsparungen, die neuerdings auch mit den harten Bedingungen für den Eintritt in die Europäische Währungsunion (EMU) gerechtfertigt werden. Heute ist Schweden einer Deflation nahe.

Trotz der großen Arbeitslosigkeit wollen die Politiker die Wirtschaft nicht stimulieren . Sie befürchten, der Markt würde Schweden mit erhöhten Zinssätzen strafen. Den meisten von ihnen scheint entgangen zu sein, daß Schweden keine expansive, keynesiansche Politik, sondern im Gegenteil während der Flaute restriktiv gehandelt und damit statt einer Stabilisierung die "Destabiliserung" betrieben hat. Paradoxalerweise hat der Markt Schweden mit hohen Zinssätzen bereits wegen der durch Restriktionen verursachten Inflation bestraft.

Der Wechselkurs der Krone ist seit 1992 als die festen Wechselkurse abgeschafft wurden fließend,. Von 1992 bis 1995 fiel die Krone drastisch und ermöglichte den Exportunternehmen extreme Profite (wie bereits nach den fünf Abwertungen 1976 - 1982). Sei 1995 wurde sie jedoch gestärkt.

1995 wurde Schweden Mitglied der Europäischen Union. Eine überwiegende Mehrzahl der Wähler ist heute gegen den nächsten Schritt hinein die Währungsunion. Die sozialemokratische Regierung ist unentschlossen und in dieser Frage gespalten. Auch aus der Industrie lassen sich Stimmen hören, daß wir uns das Recht zur Abwertung bewahren sollten. Dies ist verständlich, weil die schwedische Exportindustrie jahrelang hoch subventioniert worden war. Das Risiko, mit ausländischen Unternehmen unter gleichen Bedingungen konkurrieren zu müssen, beunruhigt. Ist die Zeit freier Gewinne vorbei?

Um auf der richtigen Seite zu sein, sind die Vertreter der neuen Überfluß-Gesellschaft bei der Debatte über die heimische Politik in der Offensive. Die Strategen des erfolgreichen Krieges gegen Reallöhne und Konsumption befürworten jetzt neue Abstriche für die Allgemeinheit (u.a. im Arbeitsrecht), deren Wohlfahrt und soziale Absicherung zum Sündenbock für das gegenwärtige Dilemma gemacht wurde. Nur durch drastische Einsparungen könnten wir ein Wohlfahrtsstaat bleiben, behaupten sie mit Blick auf neue aufregende Kämpfe im Namen des Gemeinwohls.

Eine Kursänderung ist noch nicht angekündigt worden. Das schwedische Schiff setzt seine Fahrt mit der Schlagseite an Steuerbord mit Kurs auf das Meeresungeheuer Charybdis fort. Der Kurs, durch welchen Schweden zu einem Vorbild der ganzen Welt wurde, ist seit langem aufgegeben. Jetzt sind wir nur ein Land unter vielen, jedoch mit geringerem Konsum und niedrigeren Einkommen als in den übrigen westlichen Ländern.

Schweden war ein Land der Wohlfahrt mit Vollbeschäftigung; nun gleicht es mehr einem Finanzparadies mit Massenarbeitslosigkeit.

© Torsten Sverenius 1997

Freier Wirtschaftsjournalist
Tessins v. 1 A
SE-217 58 MALMÖ

(E-Post: torsten.sverenius@swipnet.se)

(übersetzt von Reinhard Helmers)

 

Quellenangaben:

 

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Zur weiteren Vertiefung in diese Problematik empfiehlt der Übersetzer folgende Abhandlung der 'Forschungsgruppe Europäische Gemeinschaften', Studie Nr.9:

Kai Michelsen: "Die gescheiterte Transformation des Schwedischen Modells", Marburg 1997, 107 Seiten, Institut f.wissenschaftliche Politik, Philipps-Universität.


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